Als der Autor dieses kleinen Porträts zur Welt kam, finalisierte Dieter Glawischnig gerade sein Studium der Musikwissenschaft. Mit einer Dissertation über Anselm Hüttenbrenner, den bedeutendsten steirischen Komponisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wie Glawischnig im mica-Gespräch erklärt. Im verhängnisvollen März 1938 geboren, wurde der Pianist, Komponist, Arrangeur und Pädagoge heuer 75 Jahre jung. Aus diesem Anlass organisiert Udo Preis vom Verein Limmiationes ein Fest für Dieter Glawischnig – am Samstag, 22. Juni, in Heiligenkreuz/Burgenland. Was dort stattfinden wird, fasst Glawischnig so zusammen: Von den Grazern werden kommen der Ewald Oberleitner, der Armin Pokorn, der Andi Schreiber und ich; von außerhalb kommen John Marshall aus London, die beiden Russen Vladimir Tarassov und Vladimir Chekassin, Gerd Dudek, Ernst-Ludwig „Luten“ Petrowsky und Conny Bauer aus Deutschland.
Schon Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre engagiert sich Glawischnig in der florierenden Grazer Jazzszene. Zumeist im Verbund mit den Kontrabassisten Ewald Oberleitner, ab 1973 erweitert um den Perkussionisten John Preininger zum Trio Neighbours. Inspiriert von Platten wie Ornette Colemans „The Shape of Jazz to Come“, basteln sie an – wie sie es nennen – motivisch und formal gebundenem Free-Jazz. Glawischnig und Oberleitner wirken an der Gründung des Forum Stadtpark Graz mit, einem Mehrspartenzentrum, das seit 1960 neue Maßstäbe in Literatur, Architektur, Film, Bildender Kunst und Musik setzt. Was folgt, ist die Hebung der kollektiven Bestrebungen auf eine institutionelle Ebene. So bildet sich aus dem „Seminar für Jazzpraxis“ die Jazzabteilung an der Grazer Musikakademie (heute Universität), deren Leitung von 1971-75 Dieter Glawischnig innehat.
Danach verbringt er zwei Monate in Chicago, um die Kontakte zur AACM zu knüpfen – insbesondere zu Fred Anderson, Bill Brimfield und Anthony Braxton, mit denen die Neighbours später Platten aufnehmen und touren sollten. Glawischnig: Und dann war ich fünf Monate lang in New York, das war schon sehr schön, damals war die Hochblüte der Loft-Szene, dazu Dutzende Beisln mit Livemusik. Ich kann mich erinnern, Sam Rivers hat einen Club gehabt, Studio Rivbea hat der geheißen, der hat ein dreiwöchiges Festival gemacht, jeden Abend drei Konzerte. Und einen kleinen Abstecher nach New Orleans hab ich auch noch gemacht, aber nur für zwei Wochen.
Noch während und dann nach der Grazer Uni-Professur ereilt ihn der Ruf aus Hamburg. Dort arbeitet er fortan auf zwei Ebenen, als Leiter der (von ihm modernisierten) Bigband des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und als Dozent an der Hamburger Musikhochschule, wo er 1985 eine Jazzabteilung installiert. Mit der NDR-Bigband kommt es zu Kooperationen mit Größen wie Chet Baker, McCoy Tyner, Martial Solal, Abdullah Ibrahim, Wayne Shorter u.v.a.m. – und mit Albert Mangelsdorff, der seine ersten Orchesterstücke für die Bigband schrieb. Tourneen gehen rund um den Erdball, mit Zwischenstationen in New York, Beijing und Managua. Was dem ORF schon lange nichts mehr wert ist, gehört im NDR zum guten Ton: Das Schöne war ja auch, dass wir mit der NDR-Bigband oft im Sendegebiet aufgetreten sind. Es gibt viele kleine Jazzvereine am Land, und da haben dann landauf, landab Konzerte gespielt. Die mussten nichts dafür bezahlen, weil wir wurden ja vom NDR bezahlt dafür. In Neumünster, Cuxhaven, Celle und wie Ortschaften alle heißen in Niedersachsen und in Teilen Schleswig-Holsteins. In Frankfurt und München und so größeren Städten waren wir auch, aber ganz viel im Sendegebiet. Das war unser kulturpolitischer Auftrag, der öffentlich-rechtliche. Schon immer abgestimmt auf die jeweilige Hörergemeinde, aber schon auch härtere Sachen.
Einzigartig sind Glawischnigs Arbeiten mit Literaten, hier entwickelt er für die Verknüpfung von Musik und Text eine neue Formensprache. Glawischnig: Das hat alles mit Ernst Jandl begonnen. Zum ersten Mal gehört hab ich ihn 1965 im Forum Stadtpark. Dann sind wir ins Gespräch gekommen, und ich hab ihm gesagt, wir machen auch so eine Art Motivzertrümmerung, probieren wir das doch miteinander! Dann haben sie’s miteinander probiert. Zuerst mit Neighbours, später mit Cercle, da war der Tony Oxley auch oft dabei. Ich war da so der Literaturspieler, ich hatte große Auftritte als Klavierbegleiter zum 70. Geburtstag von Rühmkorff und mit Enzensberger. Und dann haben wir viele Abende im Hamburger Polittbüro für die Vers- und Kaderschmiede von Thomas Ebermann gemacht, einmal mit (Hermann L.) Gremliza „Karl Marx trifft Karl May“, oder Texte von Peter O. Chotjewitz oder einen Abend mit Josef Bierbichler und Harry Rowohlt. Nach Jandls Tod übernahm der wunderbare Dietmar Mues, Glawischnigs bester Hamburger Freund, die Rolle des Sprechers, vor zwei Jahren wurden er und seine Frau Opfer eines Verkehrsunfalls. Beispielhaft gestaltete sich auch Glawischnigs Zusammenarbeit mit dem (früh verstorbenen) Grazer Dichter Gunter Falk, die als Buch plus CD dokumentiert ist; Titel: „Die dunkle Seite des Würfels“.
Seit der Pensionierung, die er auf Wunsch der Hamburger etwas hinausgezögert hat, lebt Dieter Glawischnig wieder in Eggersdorf bei Graz und spielt dort viel Klavier, gern auch, wenn er auf Besuch kommt, mit seinem Sohn Hans, der in New York Jazzkarriere gemacht hat. Glawischnig: Lieber kommuniziere ich, aber ich hab in der letzten Zeit für mich so ein Materialsystem, so Intervallketten entwickelt. Das ist eine sehr starre Grundlage, aber mit allen Freiheiten. Nur muss man sich immer in diesem Ding bewegen. Eine beschränkte Freiheit. (Alois Sonnleitner)
Ein Fest für Dieter Glawischnig:
22. Juni 2013
Gasthaus Pummer
Obere Hauptstraße 11
7561 Heiligenkreuz im Lafnitztal
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