1997 wurde das Tiroler Kammerorchester InnStrumenti von Gerhard Sammer gegründet, der seitdem auch als Dirigent und künstlerischer Leiter fungiert. Der Klangkörper hat sich in seinem 15-jährigen Bestehen besonders in Sachen zeitgenössischer Musik verdient gemacht – nicht zuletzt durch mittlerweile über 70 Uraufführungen. Über die Geschichte und die Aufgaben von InnStrumenti sowie ein mündiges Publikum sprach Gerhard Sammer mit Milena Meller.
Wie ist die Idee zur Gründung des Tiroler Kammerorchesters InnStrumenti entstanden?
Gerhard Sammer: Ich studierte Dirigieren und hatte als Praktikant beim ORF die Möglichkeit, mir sehr viele Aufnahmen des Innsbrucker Kammerorchesters unter Othmar Costa anzuhören. Ich dachte mir, dass es schade sei, dass es da nichts mehr gibt – da gab es eine Art Vakuum Anfang/Mitte der 1990er Jahre.
Es war mir immer ein besonderes Anliegen und ich finde es sehr spannend, wenn Neue Musik entsteht, das Repertoire größer wird und viel passiert auf diesem Gebiet, zumal wir in Tirol ein großes kreatives Potenzial haben.
Selbstverständlich ist dabei die Qualität wichtig – jedoch glaube ich, dass es zunächst einmal grundsätzlich notwendig ist, dass Ressourcen da sind, die das Entstehen von Neuer Musik vor Ort überhaupt ermöglichen. Es war für mich offensichtlich, dass das Verhältnis zwischen dem, was für den etablierten Konzertbetrieb, also für die Aufführung von Mozart & Co. und dem, was für zeitgenössische Musik ausgegeben wird, einfach nicht stimmig ist. Die Intention war damals auch, eine Kammerorchesterkultur zu etablieren …
… im Hinblick auf Neue Musik?
Gerhard Sammer: … ja, aber nicht nur: Wir wollten schon immer auch eine Verbindung zum traditionellen Repertoire herstellen. Wir haben einfach auch eine gewisse Begeisterung für Etabliertes – z. B. Brahms-Sinfonien – das macht einfach Spaß, da atmet das Ensemble auch viel Energie ein und aus, wenn man so etwas spielt. Zudem widmen wir uns traditionellem Repertoire, das nicht so oft gespielt wird; z. B. haben wir das Nino-Rota-Kontrabasskonzert aufgeführt oder wenig gespielte Stücke von Benjamin Britten, Erwin Schulhoff oder Kurt Weill.
Ein anderer Schwerpunkt galt vor allem in den ersten Jahren Länderporträts, etwa Polen, Spanien, Frankreich.
Zudem gab es noch das Anliegen, Interpreten fördern zu wollen – zunächst einfach Solisten aus der Region, was sich dann zum Programmschwerpunkt „Junge Solisten am Podium“ entwickelt hat.
Mittlerweile hat InnStrumeni bereits eine große Zahl an Orchesterwerken uraufgeführt – könnt Ihr auch Kompositionsaufträge vergeben?
Gerhard Sammer: Ja, das war, auch dem Subventionsgeber gegenüber, von Anfang an klar: dass wir im Jahr drei bis vier Kompositionsaufträge vergeben wollen, wobei der Subventionsgeber seinerseits die Garantie hat, dass diese Stücke dann auch tatsächlich aufgeführt werden.
Es gibt den ehrgeizigen bzw. aufwändigen Plan, CD-Reihen herauszugeben.
Gerhard Sammer: Ja, das entstand u. a. aus Überlegungen hinsichtlich der Problematik der Uraufführungskultur: Ein Stück wird uraufgeführt, jedoch selten wiederaufgeführt. Für eine Wiederaufführung ist aber eine Tonaufnahme sehr förderlich! Zu oft ist es so, dass neue Stücke einmal gespielt werden und nie mehr wieder! Das Notenmaterial ist ja meist im Eigenverlag herausgegeben, oft nicht zugänglich, Aufnahme gibt’s keine – das verschwindet ja völlig! Wenn es wenigstens eine Aufnahme gibt, dann ist das schon einmal ein verfügbarer Anhaltspunkt.
Deshalb haben wir uns vor zwei Jahren endlich dazu entschlossen, CDs (jeweils in einer von drei verschiedenen Reihen, die unseren Programmschwerpunkten entsprechen) herauszugeben, indem wir mit einem Tontechniker, der ein Label gegründet hat, zusammenarbeiten.
Auf der ersten CD in der Reihe „Komponisten unserer Zeit“ werden Manu Delago, Richard Dünser, Hannes Sprenger und Ralph Schutti vertreten sein.
Was die Vergabe von Kompositionsaufträgen betrifft, so stürzen wir uns nicht auf einen Komponisten und fördern diesen dann fünf Jahre lang, sondern mein Ansatz ist eher der, dass wir möglichst viele verschiedene Klangsprachen fördern. Das geht auch aus der Liste an KomponistInnen hervor, deren Werke wir bisher uraufgeführt haben.
Von Michael F. P. Huber bis Manuela Kerer – das ist ja stilistisch ein ziemliches Spektrum …
Gerhard Sammer: Genau. Das finde ich total wichtig – entgegen einer Tendenz der Neuen Musik, die ja auch darin besteht, ganz klare Grenzen zu entwickeln und zu sagen: Das ist gut und das ist schlecht, das ist richtig, das falsch. Diese Radikalität finde ich schwierig! Ich finde eine gewisse Diversität ganz wichtig und spannend.
Das könnte man ja auch als einen Auftrag eines Ensembles, das schwerpunktmäßig vor Ort agiert, auffassen: Dass man auch Leute, die nicht oder noch nicht bekannt sind bzw. Stücke, die vielleicht nie auf internationalen Podien zu hören sein werden, zu Gehör bringt. Das passiert ja bei euch. Trotzdem ist es doch auch wichtig, ein gewisses Risiko einzugehen und etwas jenseits der Hörgewohnheiten aufzuführen. Was die Offenheit dafür betrifft: Gibt es da ein Problem seitens des Publikums? Oder seitens der Musiker?
Gerhard Sammer: Das soll jetzt nicht verklärend klingen, aber: Ich sehe das Problem gar nicht so! Ich sehe viel Offenheit bei den Musikern, viel Offenheit beim Publikum! – Man muss halt Strategien finden, die angemessen sind und nicht generell über alles drüberfahren. Da kommt der Vermittlungsaspekt hinzu, da bin ich geprägt vom musikpädagogischen Denken – egal, ob man Konzertprogramme konzipiert oder Stücke schreibt: Es geht darum, das Publikum mitzunehmen.
Was in der Hinsicht eine Herausforderung ist: die Konzentrationsfähigkeit für ein Stück zu erzeugen unter diesen Rahmenbedingungen. Da merke ich, dass man da sehr geschickt sein muss und leicht Fehler machen kann.
Ich denke, es gibt eben nicht nur „richtig“ oder „falsch“ – das sehe ich nicht zuletzt auch durch meine Tätigkeit im musikpädagogischen Bereich, wo ich auf europäischer Ebene aktiv und viel unterwegs bin: Da gibt es beispielsweise die Tendenz, was Osteuropa betrifft, zu sagen: Die sind ja 30 Jahre hinten in allem! So ist es aber eigentlich nicht, das ist eine verkürzte Wahrnehmung, die ganz westlich geprägt ist.
Natürlich gibt’s Schwierigkeiten in Osteuropa, aber bestimmte Aspekte sind sehr spannend: so etwa die Sing-Kultur der Baltischen Länder, da gibt es eine extrem intensive Verbindung zwischen Komponisten und den Ensembles auf jedem Level! Es ist dort ganz normal, dass ein Schulchor in Tallin zeitgenössische Kompositionen uraufführt. Wo gibt’s das bei uns? Natürlich komponieren die Komponisten dann auch in einer andren Bandbreite, während man bei uns extra darauf hinweisen muss, zu bedenken, dass das ein Schulchor ist …
Was das Geschick in Sachen Vermittlung betrifft, so hat sich beispielsweise hinsichtlich der Programmierung bei der Reihe „Komponisten unserer Zeit“ bewährt, dass wir nicht ein abendfüllendes Werk vergeben, sondern drei bis vier Stücke, die eine Viertelstunde bis zwanzig Minuten dauern. Damit setzen wir unterschiedliche Akzente.
Wir haben viel Publikum, das sonst nicht unbedingt in Neue-Musik-Konzerte gehen würde. Das letzte Konzert war wieder total ausverkauft – Neue Musik mit 300 Leuten – das ist nicht ganz selbstverständlich. Komponisten aus anderen Bundesländern, die zu uns kommen, sagen, dass sie das nicht so kennen. Ich glaube schon, dass das ein Effekt davon ist, dass man das Publikum mitnimmt.
Da spielen wohl verschiedene Faktoren eine Rolle – so auch, dass die Interpreten aus der Region kommen und Leute anziehen. Es ist jedenfalls bemerkenswert, wie gut besucht die Konzerte von InnStrumenti – auch bei Programmen mit ausschließlich zeitgenössischer Musik – sind. War das von Anfang an so?
Gerhard Sammer: Nein. Es entwickelt sich zunehmend.
Das Publikum variiert schon je nach Programm, es vermischt sich auch – das ist eine Qualität. Da finde ich es einfach besser, wenn es ein avantgardistisches Stück von einer Viertelstunde Dauer gibt, das ist auch für einen nicht in diesem Bereich geübten Hörer noch interessant, der sich denkt: Das würde ich mir zwar nicht im Radio anhorchen, aber im Konzert finde ich es spannend!
Also nicht das alte Konzept vom Sandwichprogramm …
Gerhard Sammer: Das machen wir gar nicht. Wir wollen mündige Konzertbesucher fördern, die wissen wollen: Worauf lasse ich mich ein? Deshalb haben wir unsere Konzerte unterschiedlich formatiert. Bei „Komponisten unserer Zeit“ weiß man: Das ist Neue Musik. Und wenn man die „Matinee am Sonntag“ besucht, dann weiß man, da gibt es Brahms usw. und man wird nicht mit Neuer Musik zwangsbeglückt. Man muss ja einen erwachsenen Menschen nicht dazu nötigen, dass er zwischendrin eine Viertelstunde etwas anhört, was er nicht anhören will! Lieber ist mir, dass jemand sagt: Ich gehe ganz bewusst einmal in solch ein Konzert mit Neuer Musik, lasse mich darauf ein und werde vielleicht positiv überrascht. Mir schwebt da das Bild von einem sehr mündigen, offenen, interessierten Hörer vor, der nicht etwas vorgesetzt bekommen will. Ich will auch lieber selbstbestimmt in ein Konzert gehen.
Das Programm besteht aus fünf Abo-Konzerten, die wir selber veranstalten und ist im Prinzip zweigeteilt: einerseits Konzerte mit Neuer Musik, andrerseits Konzerte mit Orchesterrepertoire, das teilweise etabliert ist wie bei der „Matinee am Sonntag“, teilweise aber auch anders akzentuiert. Das Pädagogische möchte ich nicht ganz ausschließen – als Beispiel kann ich auf unser Neujahrskonzert verweisen, das ein sehr erfolgreiches Produkt ist, wo wir aber auch nicht nur Konventionelles bieten. So haben wir letztes Jahr z. B. Cages 4’33’’ gebracht oder heuer ungewöhnliche Stücke von Wagner und Britten.
Im fünften Programmformat, „Junge Solisten am Podium“, versuchen wir ebenfalls, Stücke zu spielen, die seltener gespielt werden. Zudem gibt es hier eine Überschneidung – das finde ich total wichtig und spannend: Ein oder zwei Solisten spielen hier auch Neue Musik.
Was eine Qualität dieses Ensembles ist: die Teamarbeit in vielen Facetten. Wir haben eine Programmgruppe, treffen uns alle drei, vier Wochen, diskutieren und planen – ganz demokratisch. Die Hauptarbeit wird schon von mir getragen, die Entscheidungen, die Impulse kommen aber von mehreren Leuten.
InnStrumenti war von Anfang an ein Projekt, das stark auf die Region bezogen ist, aber nicht im kleinkarierten Sinne, sondern: Wir wollen möglichst hohe Qualität, aber nicht um durch die Lande zu touren, sondern wir wollen das für hier, für diese Region machen.
Es ist ja extrem wichtig, dass eben vor Ort hohe Qualität geboten wird, die nicht nur von importierten Stars kommt. Das ist letztendlich dann auch das, was den Erfolg ausmacht.
Gerhard Sammer: Genau. Es ist mir ein Anliegen (auch in meiner Arbeit im Musikbeirat des Bundes), dass man – und das gilt für überall – spürt, dass es für die regionale Kulturentwicklung Akzente gibt. Das ist leider ganz oft nicht so. Da gibt es einige Festivals, die nur Leute von außen holen, da stimmt für mich die Balance einfach oft nicht.
Was gibt es für Pläne, neue Projekte?
Gerhard Sammer: Ein Projekt, mit dem wir begonnen haben und das mir sehr am Herzen liegt, ist eine neue Schulschiene, die wir „Orchesterschule“ nennen: Zwei Orchesterkonzerte, die moderiert und angebunden sind an Projekte, die wir machen, konkret an „Komponisten unserer Zeit“ und „Junge Solisten am Podium“. Wichtig ist mir dabei, dass das ganze Orchester beteiligt ist und dass eine möglichst interaktive Situation entsteht, wo man die Schüler möglichst nahe an das Orchester heranholt.
Wir haben es bereits zweimal mit viel Spaß gemacht, mit drei- bis vierhundert Schülern, die rund um das Orchester saßen, die dirigieren durften oder sonst wie eingebunden wurden. Wir haben Passagen gespielt, die Komponisten waren da und erzählten, die Solisten stellten ihr Instrument vor. Natürlich hat es das alles schon gegeben, aber ich erlebe es in dieser Kombination zu selten. Es muss halt auch altersspezifisch konzipiert sein, man muss zumindest Unter- und Oberstufe trennen, da sind wir dran.
Diese berühmte Kluft zwischen Publikum und Neuer Musik – da geht ja ein Weg, das zu ändern, über die ganz Jungen, die Jüngsten! Die Lehrer müssen halt auch mittun.
Gerhard Sammer: Wir haben jetzt ein Lehrerteam, das Materialien erstellt, die zugänglich gemacht werden. Wir wollen, dass die Schüler sich in Form eines Feedbacks einbringen, mit Evaluierungen, Konzertkritiken in diese Richtung geht es weiter. Das nehmen wir jetzt aus unserem Budget, zwacken da und dort eine halbe Probe ab.
Außerdem würden wir gerne Kompositionsaufträge für Schülerstücke vergeben – was mit einem Projekt verbunden sein muss, sodass es dann auch eine Aufführung geben kann. Das könnte eine Zusammenarbeit mit Liedermachern sein oder auch mit Komponisten – die ganze Bandbreite.
Eine weitere Vision: das Interdisziplinäre, das Spartenübergreifende. Einerseits innerhalb der Musik Elektronik einzubeziehen, was wir bisher wenig gemacht haben. Andererseits neues Musiktheater sowie interdisziplinäre Projekte mit Tanz, Malerei, Literatur anzuvisieren. Das sind mittelfristige Visionen.
Auch innerhalb der Neue-Musik-Programme einen inhaltlichen roten Faden zu konzipieren, würde uns interessieren, wurde bisher aber von den KomponistInnen nicht so angenommen: Wir haben gerade für heuer geplant, ein Konzert zu machen innerhalb des Formats „Sakrale Musik unserer Zeit“ – das ist unser jüngstes Projekt. Dafür haben wir das Thema „Paradies“ ausgewählt, die Komponisten haben aber alle möglichen Gründe gefunden, wieso sie darauf nicht eingehen können.
Was für uns auch noch eine wichtige Sache ist, ist die Entwicklung von Knotenpunkten, wo mehreres zusammen läuft: „Junge Solisten am Podium“ ist so ein Programm, wo beispielsweise Stücke auch weiterentwickelt werden, so geschehen beim Saxofonkonzert von Florian Bramböck, das wir aufgeführt haben, das er für Klavier bearbeitet hat, was wiederum bei prima la musica gespielt wurde … so entsteht ein neues Repertoire!
Wie groß ist der harte Kern des Ensembles? Ist es nicht auch wichtig, eine gewisse Kontinuität zu haben?
Gerhard Sammer: Kontinuität ist einerseits wichtig, andererseits sollen junge, gute Musiker die Chance haben, einsteigen zu können. Eine gewisse Dynamik ist gut für das Ensemble, wir sind flexibler, es gibt keine fixen Verträge. Vermehrt nehmen wir Südtiroler Musiker auf, da wir überhaupt viel mit Südtirol kooperieren und das als sehr positiv ansehen – wir führen die jeweiligen Programme oft auch noch einmal in Südtirol auf. Ich finde es eigentlich schade, dass es erstaunlich wenig gibt, wo die Region Tirol so vernetzt ist.
Hilfreich ist in dieser Hinsicht wie generell ein professionelles Management, was bei uns sehr gut funktioniert.
Schwierigkeiten?
Gerhard Sammer: Die Schwierigkeit für ein Ensemble wie InnStrumenti ist – neben dem Finanzierungsthema – wohl, als regional agierendes Ensemble den überregionalen Qualitätsanspruch deutlich zu machen.
http://www.innstrumenti.at/