Franz Koglmann: “Nächtliche Spaziergänge” in Sibiu und Wien

Eine Gedankendämmerung nach Motiven von Joseph Haydn, mit der Originalstimme von E.M. Cioran. Das ist der Untertitel der neuen Komposition “Nächtliche Spaziergänge” von Franz Koglmann, die im Auftrag der Stiftung Brukenthal im rumänischen Sibiu/Hermannstadt entstanden ist. Vor der eigentlichen Uraufführung des Werks in Brukenthal gibt es am Mittwoch, den 16. Mai im Schloss Schönbrunn (Große Galerie) in Wien eine Voraufführung. Am 22. Mai darf man Franz Koglmann übrigens zum 60-er gratulieren.

Bezüge zu Cioran und HaydnDas Werk “Nächtliche Spaziergänge” bildet den Österreich-Beitrag für die Stadt Sibiu als “Europäische Kulturhauptstadt 2007”. Das dortige Museum geht auf die von Samuel Brukenthal erworbenen Sammlungen zurück, dem Gouverneur Maria Theresias, der in Hermannstadt eine Art Klein-Wien errichten wollte – das Zentrum der historischen Bauten in Sibiu bildet das Brukenthal-Palais am “Großen Ring”. Koglmanns Beziehung zu diesem Museum reicht schon einige Jahre zurück, 2003 eröffnete er dort in Trio-Besetzung die Ausstellung Melancholia Austriae.

Franz Koglmann erhielt für seine Komposition bezüglich der Besetzung eine Art “carte blanche” und besann sich auf die gute Zusammenarbeit mit dem Ensemble Peter Burwiks in jüngerer Vergangenheit. Das im Stück verwendete Kammerorchester besteht aus Streichquartett,  Bläsern, Schlagzeug/Vibraphon und Akkordeon sowie einem improvisierenden Jazzmusiker, eine Rolle, die sich Koglmann selbst vorbehalten hat. Dazu kommt eine Tonbandzuspielung mit Texten.

Zwei nahe liegende, wenn auch vermittelte Bezüge zu Hermannstadt/Sibiu bildeten den Ausgangspunkt für Koglmanns Konzeption: Die eine Säule bildet der in 1911 in Rasinari, Nähe Hermannstadt geborene, 1995 in Paris verstorbene Philosoph und Essayist Emil Cioran, ein Freund Samuel Becketts und aphoristischer Kritiker von Weltbeglückungs-Ideologien, dessen Denken Koglmanns skeptischer Weltsicht entgegenkommt. Die andere Säule ist ein Komponist, der Koglmann auch liegen dürfte  – Joseph Haydn, der Neuerer, Freimaurer und doch auch Konservative, der Bombast und falsche Sentimentalität verabscheuende, stets intellektuell neugierige Komponist der Aufklärung. Dessen Verbindung mit Hermannstadt (wo er nie war) ist eher kurios: Seine um 1760 komponierte Symphonie Nr. 27 in G-Dur trüge, so erfuhr Koglmann von seiner Auftraggeberin Liviana Dan, nämlich auch den Beinamen “Brukenthal”, gelegentlich auch “Hermannstädter Symphonie”, da man nach dem zweiten Weltkrieg von dem Werk in Freck (Brukenthals “Klein-Schönbrunn”) eine Abschrift gefunden hatte. Man veranstaltete – allerdings in Bukarest – daraufhin sogar eine “Uraufführung”.

Emil Cioran wiederum hat Franz Koglmann über Radiosendungen des Journalisten Alfred Koch kennengelernt, der mit dem Philosophen in den achtziger Jahren in Paris ausführliche Gespräche führen konnte. Cioran verbrachte seine Jugend in Hermannstadt und bei seinen Besuchen dort durchwanderte Koglmann die Straße – wie sich herausstellte eher ein Ochsenweg – seiner “Nächtlichen Spaziergänge”, die dem Werk den Titel gaben.

Es war dann auch Alfred Koch, der aus dem umfangreichen Material seiner Interviews von Cioran selbst gesprochene Zitate auswählte, die – vom Tonband kommend – die acht Teile von Koglmanns neuem Werk strukturieren. Dabei handelt es sich um Reflexionen von Sujets und Zuständen wie Skepsis, Schlaflosigkeit,  Langeweile, der Einsamkeit beim Schreiben, zu denen Cioran von Kindheit an durch nächtliche Spaziergänge oder, später in Frankreich, dem Radfahren, Ausgleich oder aber auch Verstärkung suchte.

In seiner Werkerläuterung schreibt Koglmann, ihm sei vorgeschwebt,  “das Kammerorchester unter Verwendung von Haydns thematischen Vorgaben wenigstens partiell nach Jazz, aber auch nach den von Cioran sehr geschätzten Gassenhauern klingen zu lassen.” Vor allem aber sei es darum gegangen, “die Ambivalenzen in Ciorans Denken zu musikalisieren . Es  haben nicht alle Teile den gemächlichen Rhythmus eines Spazierganges, schließlich waren Ciorans durch Schlaflosigkeit verursachte Ausflüge mit zum Teil schmerzhaften Erfahrungen verknüpft. Aber eben nicht nur.”

Koglmann will in bewusst zugelassener stilistischer Bandbreite mit seiner Musik versuchen, sowohl Ciorans Widersprüche, als auch eigene musikalische Erfahrungen zum Ausdruck, vielleicht sogar zu einer Synthese zu bringen. Er beruft sich dabei auf einen Aphorismus Ciorans, mit dem er sich identifizieren kann: “Ich habe immer in Widersprüchen gelebt und nicht darunter gelitten. Ich empfinde sogar eine gewisse Wollust des Unlösbaren. Das Leben ist interessant und hat eine Anziehungskraft, weil es überhaupt keinen Sinn hat. Das Scheitern ist das Wesentliche am Leben. Das Scheitern ist wichtiger als der Tod. Ich selber bin ein Fragmentmensch”.

Nächtliche Spaziergänge, an allen Orten vom “ensemble xx.jahrhundert” unter Peter Burwik (ur)aufgeführt, wird auf CD eingespielt, die das Label col legno gemeinsam mit einer Neuaufnahme der Hermannstädter Symphonie unter Gustav Kuhn ediert.

Franz Koglmann wird 60

Eine Würdigung anlässlich seines Geburtstags am 22. Mai, zu dem das mica herzlich gratuliert: Der Wiener Komponist, Trompeter und Flügelhornist Franz Koglmann bewegte sich als Jazzer schon in seinen Anfängen in Bereichen eines europäischen Gegenentwurfs zum amerikanischen Jazz, etwa in der Zusammenarbeit mit Wiener Avantgarde-Jazzern der siebziger Jahre (wie Walter Malli), alsbald auch mit  bedeutenden Musikern der internationalen Szene (wie Steve Lacy, Bill Dixon, Lee Konitz, Paul Bley, später Tony Coe, mit dem er das Monoblue Quartet gründete).  Besonderes Interesse galt einem den Cool Jazz weiterführenden “Third Stream”, der im Jazz eine neue Balance zwischen Komposition und Improvisation und intelligentere Zugänge als die etwas rassistisch betonte (“Nur Schwarze machen richtigen Jazz”) Groove-Seligkeit mancher Szenen suchte. International rezipiert wurden in diesem Zusammenhang die von Franz Koglmann gemeinsam mit Ingrid Karl ausgerichteten, auch theoriebegleiteten Festivalprojekte der Wiener Musik Galerie, die zum Beispiel etwa die “heimliche Liebe des Jazz zur europäischen Moderne” thematisierten.

Spätestens ab der Gründung seines Kammer-Jazz-Ensembles Pipetet im Jahr 1983, das in variierenden Besetzungen zwischen 8-18 Mitwirkenden auftrat, und der Erreichung der “höheren Weihen” einer Uraufführung in Donaueschingen (The Use of Memory, 1990), gilt Franz Koglmann auch als interessanter, sehr produktiver und auch in E-Musik-Kreisen mit Wertschätzung bedachter Komponist per se. Bei Projekten in diesem Bereich hat er durch die Beschäftigung von bevorzugt vielseitigen Musikerinnen und Musikern auch für die heute zu beobachtende, fast schon als selbstverständlich erlebte Durchdringung verschiedener Genres und Musikszenen mehr als nur ein Quäntchen beigetragen. Für diese ist Koglmann ein wichtiger Anreger geworden, auch, weil sein Horizont überdies niemals auf Musik allein beschränkt war, sich auch auf bildende Kunst, Literatur und Theater erstreckte, was sich in seinen Arbeiten so gut wie immer niederschlug. Seine musikalischen Affinitäten schließen neben dem Jazz die Beschäftigung mit der Wiener Schule, aber auch mit der europäischen und amerikanischen Musikgeschichte allgemein, nicht nur des 20. Jahrhunderts, mit ein, auch die Auseinandersetzung mit Oper, Chortraditionen, die Liebe zum Lied, bei den Komponisten zu Franz Schubert und Alban Berg gleichermaßen wie zu Claude Debussy oder Johann Strauß.

Zu Franz Koglmanns wichtigsten Auftragsarbeiten im Grenzbereich Jazz und neue Musik zählen die Ezra Pound-Kantate O Moon, My Pin-Up (Hörgänge 1997), die Schubert-Hommage Ein heller, lichter, schöner Tag (Wiener Festwochen 1997),  Don’t Play, Just Be sowie Späte Liebe (Lieder nach Gedichten von Franz Schuh), mit dem Klangforum Wien 1998 bzw. 2001 realisiert, und die  “Beach Opera” Fear Death by Water nach T. S. Eliot (Netzzeit-Produktion mit dem Monoblue Quartet und dem Ensemble exxj – ensemble xx. jahrhundert unter Peter Burwik).
Heinz Rögl

Franz Koglmann
Nächtliche Spaziergänge
Eine Gedankendämmerung nach Motiven von Joseph Haydn,
mit der Originalstimme von E. M. Cioran

exxj – ensemble xx. jahrhundert
Franz Koglmann, Trompete, Flügelhorn
Musikalische Leitung: Peter Burwik

Eine Produktion der Stiftung Brukenthal, Sibiu/Hermannstadt.
Generalsponsoren: Schloß Schönbrunn Kultur- und BetriebsgesmbH, Wien
und Casino Palace, Bukarest
Organisation: Wiener Musik Galerie

Voraufführung
16. Mai 2007, Schloß Schönbrunn, Zeremoniensaal,Wien
Uraufführung
18. Mai 2007, Brukenthal Museum, Sibiu
Folgeaufführung
19. Mai 2007, Sommerresidenz von S. von Brukenthal, Avrig
Information:
Ingrid Karl – Wiener Musik Galerie
Tel.: +43-1-544 89 29; Fax: +43-1-544 89 22; e-mail: koka@wmg.at
Liviana Dan – Muzeul National Brukenthal
Tel.: +40-72 775 2000; e-mail: liviana@brukenthalmuseum.ro