Film Musik Gespräche: Das Fragmentarische ist die Erzählung

Ein Interview von Christian Höller mit der Filmemacherin Michaela Grill und dem Musiker Martin Siewert. Michaela Grill, 1971 geboren, studierte in Wien, Glasgow und London und arbeitet seit 1995 im Film- und (Musik-) Videobereich. Unter anderem arbeitete sie mit Christof Kurzmann, Burkhard Stangl, Billy Roisz und eben Martin Siewert zusammen. Dieser zählt zu den führenden Persönlichkeiten der heimischen Experimentalmusikszene.

Christian Höller: Ihr habt über einen Zeitraum von etwa fünf Jahren (2002 bis 2007) intensiv zusammengearbeitet, was neben zahlreichen Live-Events zu sieben Single-Channel-Arbeiten geführt hat. Gab es für diese Zusammenarbeit so etwas wie eine gemeinsame Formel? Oder hat sich das Verhältnis von Bild- und Tonebene bei jeder Arbeit neu dargestellt?

Michaela Grill: Es gab für uns immer den Denkansatz, dass Bild und Ton gleich wichtig sind und man beide nicht auseinanderdividieren kann. Diesen Grundansatz haben wir in den jeweiligen Feldern zu „pushen“ versucht – nicht im Sinne von „ich bin die Regisseurin und du machst die Filmmusik“, sondern indem wir beide die gleichberechtigten Erzeuger des Werkes waren. Dies galt umgekehrt auch im Musikbereich, indem ich als Filmemacherin sozusagen Teil der Band wurde. Ausgehend von dieser gemeinsamen Basis gab es bei den einzelnen Arbeiten aber immer unterschiedliche Entstehungsprozesse.

Höller: Zieht sich abgesehen von dieser Gleichberechtigtheit noch etwas anderes durch die Arbeiten? Oder, es anders zu formulieren, ist die Herangehensweise nicht auch davon geprägt, dass sich nach gewisser Zeit bestimmte Erwartbarkeiten und Arbeitsroutinen einstellen?

Grill: Was man sicher festhalten kann, sind gemeinsame ästhetische Interessen. Wir haben beispielsweise keine Furcht vor dem Narrativen oder dem Melodiösen, obgleich wie beide eine Vorliebe für das Reduzierte pflegen.

Martin Siewert:
In formaler Hinsicht haben wir eine Vorliebe für eher langsame oder gebrochene Entwicklungsszenarien. Obwohl es zahlreiche narrative Elemente gibt, sind diese niemals linear, sondern es gibt immer verschiedene Subebenen innerhalb der einzelnen Bereiche. Zumindest auf Musikseite gab es nie ein von A bis Z nachvollziehbares narratives Konstrukt, sonder immer verschiedene Ebenen von Intensitäten, was die Entwicklung und die Dynamik des Klangmaterials betrifft – so wie sie vermutlich auch auf der Bildebene existieren.

Grill: Ja, wahrscheinlich passiert dort dasselbe auf einer Mikrostruktur-Ebene. Ich meine mit narrativ nicht so sehr eine Erzählung als vielmehr eine bestimmte Mikroebene.

Höller: Narrativität ist nicht unbedingt das, was einem in Bezug auf die frühen Arbeiten als erstes einfallen würde. Vielleicht lässt sich der gemeinsame Arbeitsprozesse anhand der Arbeiten, die unter dem Titel My Kingdom for a Lullaby (2002/03) entstanden, ein wenig aufrollen. Sie gingen ja zunächst aus einem Live-Zusammenhang hervor.

Siewert:
My Kingdom for a Lullaby war zunächst auf Tonebene ein improvisiertes Zusammentreffen mit ein paar Eckpunkten, wobei es nur wenig determiniertes Material oder festgelegte Szenarien gab.

Grill: Es war dies ein Bandprojekt, das aus drei Musikern und zwei Visualistinnen bestand, was insgesamt sehr ungewöhnlich war. Das ganze ging aus einer Einladung zum Jazzfestival Saalfelden hervor, wobei die Vorgabe darin bestand, sich mit dem Rauschen auseinanderzusetzen. Die Musiker haben ihrerseits diverse Geräusche bzw. musikalisches Rauschen bereitgestellt, die von Billy Roisz, der zweiten Visualistin, und mit einem Analogmixer in Bilder umgesetzt wurde, die ich dann weiter bearbeitet habe. Die Band wiederum hat mit diesem Material improvisiert, und so hat sich der ganze Prozess wechselseitig verstärkt.

Siewert:
Was sicher in alle Arbeiten, auch die zu zweit, ganz stark hineingespielt hat, ist ein gewisser improvisatorischer „Approach“. Wir haben ja viel mehr live gespielt als das in Folge an „eingefrorenen“ oder konservierten Werken abgeworfen hat. Aber das live erarbeitete Material ist sehr stark in die Film- und Videoarbeiten eingeflossen.

Höller: Muss man sich die damalige Arbeitsweise so vorstellen, dass das Audiosignal das Ausgangsmaterial bildete, das dann visuell weiterbearbeitet wurde, worauf die Musiker dann im besten Fall wieder reagiert haben, also eine Art Feedbackschleife generiert wurde?

Grill: Ja, aber mit den Menschen als Interface. Das war sozusagen die Ausgangssituation, von der man sich aber in Folge immer weiter wegbewegt hat, stärker hin zum Improvisatorischen, wobei wir einer Ästhetik des Minimalen sehr treu geblieben sind. Diese Ästhetik wurde aber mittels Melodien selbst wieder aufgebrochen – es handelte sich bei My Kingdom for a Lullabye ja um eine der wenigen Improv-Bands, in der auch gesungen wurde.

Höller: Wie kam es zu der Entscheidung, daraus filmische Arbeiten zu destillieren?

Grill: Es gab den Impuls, das ganze nochmals konzentrierter anzugehen und auch festzuhalten – die Form des improvisierten Live-Spielens lässt sich ja sonst nicht wirklich fixieren.

Siewert: Ich fand das als Ausgangspunkt sehr interessant, und im Musikbereich ist es auch üblich, improvisierte Musik als Momentaufnahme zu konservieren und herauszubringen. Im visuellen oder filmischen Bereich ist dies vermutlich weniger gängig – jedenfalls weiß ich nicht, wie viele Filmemacher bereit wären, derartiges Material herauszugeben, ohne die Möglichkeit, im Nachhinein noch etwas daran zu optimieren. Ohne dass dies streng von uns verfolgt worden wäre, war es prinzipiell von Interesse, derartige Produktionsmechanismen zu übernehmen und anders zu deuten. Live-Visuals herzunehmen und daraus einen Film zu machen.

Höller: Sind dies nicht zwei völlig verschiedene Rezeptionsgewohnheiten, einerseits das Live-Setting, bei dem man bereit ist, sich über längere Zeiträume von improvisierten Momenten überraschen und einnehmen zu lassen, andererseits die Filmebene mit ihrer doch etwas anderen Zeitökonomie, wo Aufmerksamkeit viel schneller abgezogen wird, vor allem, wenn die Narration fehlt?

Grill: Für mich waren die Werke auf gewisse Weise immer sehr narrativ – was sie erzählen, sind die Geschichten einzelner Pixel. Eines meiner Videos etwa zeigt die Geschichte weißer Pixel auf weißem Hintergrund und arbeitet sich entlang der Wahrnehmungsschwelle ab. Es geht darin um die kleinste Erzähleinheit, das, wie ich gerade noch wahrnehmen kann. Alles andere führt unweigerlich zu einem Überborden aller möglichen Aspekte.

Höller: Dieser Konzentration entspricht vielleicht auch das kürzere Videoformat besser.

Siewert: Wobei ich denke, dass es durchaus mehr einer Rezeption aus dem Kunst- und Galeriekontext bedurft hätte als aus dem Filmbereich, wo die Sache – aus welchen Gründen auch immer – im Endeffekt gelandet ist.

Grill: Ich bin bei den Ausstellungskontexten immer eher skeptisch, da die Rezeptionsbedingungen dort meist nicht wirklich gut sind. Die Technik ist oft nicht besonders, es dringt Licht oder anderer Sound ein, das Publikum kommt zu einem beliebigen Zeitpunkt, die Konzentration wird einfach ständig gestört.

Höller: Die Aufmerksamkeit ist in Ausstellungszusammenhängen sicher viel abgelenkter, außer es wird für eine audiovisuelle Arbeit eine kinoartige Blackbox gebaut. War der konventionelle Ausstellungsbetrieb für euch wirklich ein Ziel?

Grill: Für mich nicht. Auch weil das ein soziales Umfeld ist, in dem ich mich nicht besonders wohl fühle. Auch ist mir das ökonomische Konstrukt dahinter nicht sehr sympathisch. Demgegenüber fühlte ich mich immer mehr zur Musikwelt hingezogen, die ein ganz anderes soziales Umfeld bietet. Und selbst der verschrobene Avantgardefilmbereich ist mir, obwohl er fast ausschließlich männlich dominiert ist, noch sympathischer, weil es dort nie um Ökonomie geht. Mit Ausstellungen habe ich gute und schlechte Erfahrungen gemacht, aber es gab dort einfach auch viele Missverständnisse – man wollte zum Beispiel, dass ich Stills aufblase, was mir bei bewegten Bildern eher absurd erscheint.

Höller: Macht man im Sound-Art-Bereich andere Erfahrungen?

Siewert: Diesbezüglich bin ich vermutlich die falsche Ansprechperson, da Sound Art ja mehr mit spezifischen Räumen arbeitet, was mich persönlich gar nicht so sehr interessiert. Was ich musikalisch mache, funktioniert insgesamt sehr gut mit einer PA und zwei Lautsprechern – ich brauche nicht fünf oder sechs davon. Auch habe ich nicht die technischen Fertigkeiten und auch nicht das Interesse, das, was sich spiele, mit den architektonischen oder geografischen Örtlichkeiten zu fusionieren. Mein Material möchte an sich völlig unabhängig von derlei Gegebenheiten sein und versteht sich somit der Sound Art gleichsam diametral entgegengesetzt. Dass im konzertanten Setting hingegen externe Einflüsse wie das Publikum oder soziale Komponenten eine Rolle spielen, ist klar. Aber um „Klang im Raum“ zu machen, müsste mich zunächst einmal der Raum interessieren, was er per se nicht unbedingt tut. Insofern habe ich mir den Galeriekontext auch stets mehr als ganz klassisches Ambiente vorgestellt, mit einer Projektion in der Mitte und Sound von links und rechts. Installativ zu arbeiten wäre meines Erachtens eine völlig andere Disziplin, was aber nie von besonderem Interesse für uns war.

Höller: Ausschließlich zu zweit habt ihr erstmal bei Trans (2003) kooperiert, einer Arbeit, die im Ausstellungskontext auf die längste Erfolgsgeschichte verweisen kann. Was bei dieser Arbeit auffällt, ist die gesteigerte Dramatik, mit ausgelöst durch die von der Realität abgefilmten Bilder, die verfremdet und Gerhard-Richter-artig verwischt erscheinen. Was war ausschlaggebend dafür, diese Abzweigung in Richtung „Realbild“ zu nehmen?

Grill: Für mich war das weniger eine Abzweigung, da ich schon bei meinem ersten Video (o.t., 1999) mit Realbildern gearbeitet habe und für mich die Trennung in real und künstlich generiert so nie existierte. Mir ging es stets mehr darum, wie bestimmte Texturen aussehen. Bei Trans gab es eine Fünf-Akte-Dramaturgie, die wir uns zurechtgelegt und mit Realbildfetzen bestückt haben. Trotzdem würde ich sagen, dass es sich dabei um ein abstraktes Video handelt. Einerseits hat mir die Arbeit mit einer Art Kleist’schem Dramenschema enorm viel Spaß gemacht, anderseits ging es primär darum, eine Art Schwebe zwischen zwei atmosphärischen Zuständen einzufangen. Diese Form von Atmosphäre, die sich nicht eindeutig festmachen lässt, war uns sehr wichtig.

Höller: Auffällig ist auch, dass die Tonebene von Trans viel stärker von melodischen Elementen gekennzeichnet ist als die Arbeiten davor. Sind diese eine Art Pendant zur Bildebene, oder vollziehen sie eher so etwas wie eine automatische Verschränkung mit den immer wieder auftauchenden Realbildern?

Siewert: Das ist sicher eine der Grundideen, die vorhin mit Narration angesprochen wurde. Es gab auf musikalischer Seite stets eine Menge Material, das auf Seiten des Publikums stark emotional konnotiert ist. Daraus ergeben sich gewisse narrative Aspekte, mit denen ich gerne spiele. Darüber hinaus muss man das im Kontext der Zeit betrachten: Inzwischen sind diese Fronten etwas aufgebrochen, aber damals war es relativ unüblich, dass in einem abstrakten, elektronischen, experimentellen Umfeld auf einmal mit Harmonien gearbeitet wird. Bisweilen war das geradezu ein kontroversielles Moment, wenn plötzlich ein Moll- oder Durakkord eingesetzt wurde. Insofern kann man das in der Tat mit dem Auftauchen von Realbildern vergleichen, die harmonisch eindeutiger und damit automatisch auch emotional konnotiert sind. Dies hat wiederum ein weites Feld eröffnet für potenzielle Wahrnehmungen, was zu teils sehr divergierenden Reaktionen führte. Insgesamt ging es mir beim Spiel mit Verweisen nicht so sehr um den Inhalt des Zitierten, sondern eher um die Form des Materials. Ein ganz banaler Mollakkord löst bei den einen vielleicht nur Fadesse, bei anderen aber Traurigkeit oder Unheimlichkeit aus. Es war mir sehr wichtig, gerade in einem abstrakten Umfeld mit so etwas zu spielen.

Höller:
Visuell geht es in Trans sehr stark um eine gewisse Schemenhaftigkeit – was für die einen nicht wirklich erkennbar ist, ist für andere von Unheimlichkeit geprägt. Diese Spannung scheint mir auf beiden Ebenen gegeben zu sein.

Grill: Das resultiert aus dem Produktionsprozess. Man einigt sich zunächst auf eine Art Atmosphäre oder ein Konzept, auf das man hinaus will, und dann beginnt man in diese Richtung zu arbeiten – man trifft sich, zeigt aneinander das Material und tauscht sich aus, um diesem Ziel näher zu kommen.

Höller: Es gibt also nur selten den Fall einer klassischen Vertonung, wo die Musik zum bereits existierenden Bild hinzukommt …

Siewert:
… nie ganz, am ehesten noch bei monroc (2005) …

Grill: … was aber wieder ein anderer Fall war, weil wir in diesem Fall die verrückte Idee hatten, einen abstrakten Langfilm zu machen. Dazu haben wir zunächst eine Menge improvisiert und aufgenommen, woraufhin ich das ganze in eine Erzählform gebracht habe. Über den daraus entstandenen Bogen ist Martin dann nochmals drübergegangen – es ging also mehrfach hin und her, wie in einer Art DNA-Struktur, wo man zuletzt nicht mehr sagen konnte, was vorher und was nachher da war.

Höller: Ich wollte zu Trans noch anmerken, dass darin stark auf eine Art Schatten- oder Geisterwelt angespielt wird – etwas, das sich meines Erachtens aus prozesshaft verstandener Abstraktion ergibt. Abstraktion, so scheinen eure Arbeiten nahezulegen, meint weniger ein festgelegtes Repertoire oder einen bestimmten Stil, sondern vielmehr einen Ansatz, der egal wovon er ausgeht, ob Pixel, Bildschirmzeile oder Realbild, etwas in Gang setzt, in eine gewisse Richtung treibt.

Grill: Abstraktion hat für mich viel mit Ausschürfung zu tun – man nimmt etwas her und beginnt, Schichten davon abzutragen. Man hat mich zwar stets mit dem „Abstracts“-Label belegt, aber ich sehe mich eigentlich außerhalb davon, auch weil ich nicht aus einer Grafikdesignschule komme wie viele andere in dem Bereich und nie zweidimensional grafisch gearbeitet habe. Vielmehr habe ich immer mehr dreidimensional, ausgehend von einer filmhistorisch-philosophischen und nicht so sehr praktisch-grafischen Seite, gedacht. Aber ich bin nicht unglücklich, mit dem „Abstracts“-Etikett belegt zu werden, da dies ein guter sozialer und auch fruchtbarer kunsthistorischer Moment in Österreich war. Aber man denkt heute fälschlich, das sei so etwas wie eine Massenbewegung gewesen.

Höller: Auch in Bezug auf die Musik stellt sich die Frage, ob Abstraktion hier eine relevante Größe ist. Irgendwann kam es ja zu dem Kurzschluss, dass elektronisch erzeugter Klang per se etwas Abstrakteres habe als mit herkömmlichen Instrumenten erzeugter. Aber spielt Abstraktion als Kategorie auf Musikebene tatsächlich eine Rolle?

Siewert:
Ich finde, das ist etwas äußerst Subjektives. Für mich persönlich spielt Abstraktion keine Rolle, und ich finde auch nicht, dass in der sogenannten „goldenen Zeit“ zwischen 1995 und 2000, weder technisch noch inhaltlich, erstmals etwas in dieser Richtung passiert ist. Es kam in dieser Zeit zu einer deutlichen Egalisierung und Demokratisierung der Produktionsmittel, und plötzlich konnte jeder mit dem Computer das machen, wofür man früher einen zimmergroßen Modularsynthesizer oder endlos teure Sampler gebraucht hätte. Das ganze hat eine Dynamik bekommen, auch als Reaktion auf Jugendkultur und Rock ’n’ Roll, und auf einmal galt etwas allein schon deshalb als abstrakt, weil keine E-Gitarren und kein Schlagzeug verwendet wurden. Mir schien das immer mehr ein soziokulturelles Phänomen zu sein, zu dem es eine Menge musikhistorischer Parallelen und Vorläufer gab. Und ich selber habe allein aufgrund meines Instrumentes, der Gitarre, sowieso nie richtig dazugehört. Tatsächlich wurde damals von manchen die Ansicht vertreten, dass man als „Linker“ nur noch elektronische Computermusik machen dürfe. Das ganze war wirklich leicht skurril und stellte eine extreme Fetischisierung des Instruments dar, das ja eigentlich nur ein Werkzeug ist. Vieles hätte man auch ganz anderes produzieren können – Christian Fennesz etwa hat seine erste Arbeit mit Gitarre und Sampler gemacht.

Grill: Mir hat man vorgeworfen, dass ich reaktionär sei, weil ich nicht mein eigenes Computerprogramm schreibe. Es gab heftigste Auseinandersetzungen darüber, ob ein wirklicher Künstler nicht alles selber programmieren müsse. Es gab Hardcore-Ansichten, die ich extrem lächerlich fand – wo man doch in 20 Jahren Programmierarbeit vermutlich nicht dort hinkommen würde, wo man gut damit arbeiten könnte. Aber derlei ideologische Debatten waren damals sehr verbreitet.

Siewert: Das ist heute klarerweise nicht mehr so, aber ohne dieses Gefühl einer kleinen Revolution hätte es vermutlich auch diese große Aufmerksamkeit nicht gegeben. Mego, Phonotaktik, Picknick mit Hermann – es sind damals viele tolle künstlerische Sachen passiert, die auch viel Öffentlichkeit auf sich zogen. Dies ist heute nicht mehr so, noch dazu wo dieses Musiksegment in den Medien stark unterbelichtet ist. Tatsächlich wird es für radikalere und nicht-radiokompatible Ansätze zunehmend schwieriger, in Österreich wahrgenommen zu werden.

Grill: Was es damals zudem gab, war eine Art institutionelle Neugier. Man wurde zu Festivals wie Wien modern oder dem steirischen herbst eingeladen, auch auf die Gefahr hin, etwas ganz Verrücktes zu machen. Heute kann man froh sein, in der Festival-Bar im Hintergrund projiziert zu werden. Die KuratorInnen scheinen immer weniger bereit zu sein, ein gewisses Risiko einzugehen.

Höller: Kommen wir nochmals auf monroc (2005), die längste und epischste eurer Zusammenarbeiten, zu sprechen. Ausgangspunkt dafür ist das Standbild eines Betonwerks in Idaho, über dem eine Art Suite oder Trilogie errichtet wird.

Grill: Die Ausgangsidee war hier tatsächlich, eine Art Langfilm zu produzieren. Das ganze sollte sehr atmosphärisch sein, und als ich auf dieses Bild stieß, dachte ich sofort, man könne daraus einen Horrorfilm machen. Das Gebäude hat eine große Anzahl von Fenstern, und man konnte sich leicht vorstellen, dass hinter jedem Fenster etwas Mysteriöses passiert. An sich ein ganz einfaches Strukturprinzip. Dass sich der Himmel immer wieder rot einfärbt, ist für mich ein klassisches Horrorszenario.

Höller: Ging es auf Soundebene gleichfalls darum, hinter den einzelnen Fenstern etwas Unheimliches zu suggerieren?

Siewert: Ich habe eher unterschiedliche Lesarten hineinzubringen oder teils auch konträre Zustände zu dem, was man hinter den Fenstern vermuten würde, zu suggerieren versucht. Es gab diesbezüglich auch ganz klassische Ansätze, in dem Haus einzelne Szenen anzusiedeln, die sich nicht so stark verändern oder bewegen. Aber es waren dabei auch gewisse „Amerikanismen“ am Werk, und die Wahl der Harmonie gleich zu Beginn sollte einen Anklang an ein gewisses Lokalkolorit darstellen.

Höller: Hello Again (2006) ist demgegenüber wohl der orthodoxere Versuch eines Musikvideos, in diesem Fall zu einem bereits existierenden Musikstück von Trapist. Inwiefern ist die Arbeit ein „Road Movie“, wie du, Michaela, einmal behauptet hast?

Grill: Es gab die Einladung, ein Musikvideo zu machen, und ich überlegte, was wohl die prototypischste Szene eines Musikvideos sei. Da fiel mir die Straße als Motiv ein, und ich wählte als Ausgangsmaterial Aufnahmen von einer USA-Reise, auf der wir historische Musik-Orte besucht hatten. Diese Straßenaufnahmen sind dem ganzen atmosphärisch eingeschrieben, auch wenn man sie nicht auf Anhieb erkennt. Ich hätte dies natürlich genauso gut digital generieren können, aber dann wäre eine andere Qualität der Farben und der Bewegung resultiert.

Höller: Auffällig ist die warme, sehr einnehmende Farbgebung aus Rot, Orange und Gelb. Auch der Gitarrenklang tritt von all euren Arbeiten hier am deutlichsten zutage, indem etwa einzelne angeschlagene Saiten gut hörbar sind. Es dominiert insgesamt eine Art Wohlklang. War das ein einmaliges Projekt?

Siewert: Ich glaube, wir haben dreimal in dieser Formation mit Visual-Begleitung live gespielt. Aber alles in allem war das Musikvideo eher etwas Einmaliges. Trapist ist eigentlich ein Projekt ohne Visual-Begleitung.

Höller: Bei cityscapes (2007), eurer bislang letzten Zusammenarbeit, war die Ausgangslage, dass ihr von alten Stadtaufnahmen ausgegangen seid, die aus dem Archiv des Österreichischen Filmmuseums stammen.

Grill: Es gab die Einladung des Filmmuseums, eine installative Arbeit zu machen, und man hat uns dazu Stunden von Material gegeben. Ich habe daraus Szenen ausgewählt, in denen möglichst keine Menschen vorkamen. Mich interessierte vielmehr, wie die Moderne in die Stadtarchitektur eingeschrieben ist – was sich mit meinem Interesse für Walter Benjamin traf, der ungefähr zu der gleichen Zeit viel über die Stadt geschrieben hat, als auch diese Filmaufnahmen entstanden sind. Anschließend habe ich versucht, die Patina, die an diesen Bildern haftet, auf so etwas wie eine elektronische Patina hin zu untersuchen. Ich wollte gleichsam die Möglichkeiten der Stadtwahrnehmung aus diesen Aufnahmen herauskratzen. Es ist alles aus dem Material selbst extrahiert – auch wenn es manchmal so aussieht, als seien Filter verwendet worden, oder man glaubt, ein Gitter zu sehen, so ist es einfach ein und dasselbe Bild, zweihundert Mal kopiert, zusammengedrückt und nebeneinandergelegt. Auch war die Arbeitsweise so, dass das Material erneut mehrfach hin- und herging. Daraus entstand zunächst eine Installationsvariante, mit zwei Projektionen und einer Diaserie, wozu einmal in der Stunde live gespielt wurde. Anschließend hat es noch ein gutes Jahr gedauert, bis die Single-Channel-Version daraus hervorging – worüber wir im Endeffekt aber sehr froh waren.

Höller: War auf Soundebene die Ausgangssituation hier eine andere als bei den übrigen Arbeiten? Das Bildmaterial ist doch sehr stark historisch codiert, und ich frage mich, ob die Musik als Pendant zu den Stadträumen oder darin angelegten Geschichten konzipiert ist.

Siewert: Für mich ging es primär darum, mit den Bewegungselementen der Bilder zu arbeiten. Mir erschien interessant, dass es in der Stadt so viel Bewegung gibt, von den Straßenbahnen bis hin zum Riesenrad, und mein Hauptansatzpunkt war, das in Klänge zu übertragen. Außerdem gab es in diesem Fall bereits eine sehr intensive und ekstatische Live-Fassung, und diese in Retortenform zu bringen, was gar nicht einfach. Es bedurfte hier tatsächlich einigen Bauens und Basteln, um gewisse Effekte der Verdichtung zu erreichen.

Höller: War das Geschichtliche der Bilder eine besondere Herausforderung?

Siewert: Das ist eher ein generelles Problem, da die Arbeit mit Rauschszenarien schnell einmal eine derartige Lesart nahelegt. Aber es kam für mich beispielsweise nicht in Frage, historisches Fremdmaterial zu verwenden.

Höller: Auf Bildebene scheint mir, als würde mehr mit dem Zerfall von Bildern gearbeitet, während auf Tonebene ein eher episches Moment vorherrscht.

Grill: Das kann man sicher so sehen. Ich habe tatsächlich versucht, hier mit den geschichtsphilosophischen Thesen von Walter Benjamin zu arbeiten: Man sprengt ein Bild aus seinem Unfeld heraus, hält es an und macht es lesbar. Die Musik trägt dazu bei, diese Lesbarkeit zu erzielen. Wir denken diesbezüglich nicht in Gegensätzen – Fragment und Erzählung stellen für uns keine Widersprüche dar. Das „Noisige“, Geräuschhafte, und Gitarrenmelodien widersprechen einander nicht, sondern wir haben eine Vorliebe für beides.

Siewert: Das Fragmentarische ist auf gewisse Weise die Erzählung. Ich habe in dieser Arbeit jedenfalls weniger Gitarrenmaterial, dafür aber mehr Synthetisiertes verwendet. Insgesamt ging es für mich stark um Dynamik, um Be- und Entschleunigungsszenarien aufgrund der in den Bildern immanenten Bewegung. Dass dies in gewissen epischen Momenten kulminiert und auch so intendiert war, stimmt sicher. Interessant war für mich, das fragmentarisch Gebrochene mit etwas Opulentem zusammenzuführen.

Die Reihe Filmmusikgespräche findet im Rahmen der Kooperation zwischen mica – music austria, sixpackfilm und Diagonale – Festival des österreichischen Films, statt.

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Martin Siewert