Die zweite Saison des KEYS TO HEAVEN Piano Festivals findet vom 23. bis zum 25. Mai im Schloss Esterházy in Eisenstadt statt. Im Zentrum steht heuer das Motto „kompromisslos:miteinander“ – ein Verweis auf die Verbindung unterschiedlicher musikalischer Perspektiven. Künstler:innen aus verschiedenen Genres – darunter Pop, Jazz, Soul, zeitgenössische Klassik und Singer-Songwriting – treten in einen Dialog mit der klassischen Klaviermusik. Es entstehen Programme, die stilistische Grenzen überschreiten und gleichzeitig die Vielseitigkeit des Instruments in den Vordergrund stellen. Die stilistische Bandbreite soll dabei nicht nur Unterschiede hörbar machen, sondern zeigen, wie sich musikalische Ausdrucksformen gegenseitig bereichern können. Im Interview mit Michael Ternai spricht die künstlerische Leiterin des Festivals, MARIA RADUTU, über ihren musikalisch vielfältigen Ansatz in der Programmierung, ihre Freude daran, unterschiedliche musikalische Welten zusammenzubringen – und darüber, was bei der Auswahl der Künstler:innen für sie ausschlaggebend ist.
Blättert man durch das diesjährige Keys to Heaven-Programm, fällt auf, dass eine Reihe österreichischer Künstler:innen vertreten ist. Ist das für dich ein wichtiger Aspekt bei der Programmierung des Festivals?
Maria Radutu: Mir geht es eigentlich gar nicht so sehr darum, dass es österreichische Künstler:innen sind, sondern vielmehr darum, dass sie ein starkes Profil in dem haben, was sie tun. Und das, was sie beim Festival machen, ist auch genau das, was sie auszeichnet – wie etwa Frank Dupree mit seinem Trio oder Lylit, die in diesem Jahr ein neues Album herausbringen wird. Das Album wird sehr klavierlastig. Sie kommt ja ursprünglich aus der klassischen Klaviermusik – und genau das nutzen wir, um in einen Dialog zu treten. Ich verbiege keine Künstler:innen, sondern wähle sie gezielt danach aus, wofür sie stehen.
Ein besonders typisches Beispiel für die Ausrichtung des Festivals ist die Sonntagsmatinee mit dem Klangkollektiv Wien. Wir wollten unbedingt etwas gemeinsam machen. Sie haben die Wiener Klassik in ihrer DNA, doch die ersten Versuche, uns irgendwo in der Mitte zu treffen, haben nicht funktioniert. Die goldene Mitte will ich nicht. Also habe ich gesagt: „Okay, wir machen genau das, was euch auszeichnet – das ist Beethoven, Streichquartett auf Streichorchester.“ Das ist zwar überhaupt nicht mein Repertoire, aber ich spiele es ja auch nicht.
Wir haben uns überlegt, welchen Dialog wir schaffen wollen. Zum einen nehmen wir das, was Beethovens Musik ausmacht – heute vielleicht noch stärker als zu seiner Zeit: dieses Kühne, Durchdringliche und auch Kompromisslose. Zum anderen suche ich Ähnliches in meinem Repertoire. Ich spiele sehr viel Musik aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Deshalb kombinieren wir das mit dem Klavierkonzert von Galina Ustwolskaja und dem Klavierkonzert von Henryk Górecki.
Ich finde, Kommunikation beginnt nicht, wenn man versucht, eine gemeinsame Sprache zu sprechen, sondern wenn jeder seine eigene Sprache spricht – aber mit demselben Mindset. Deswegen auch das diesjährige Motto: Kompromisslos : Miteinander.
Das gesamte Programm liest sich eigentlich genau so, wie du es gerade beschrieben hast. Für ein Klassikfestival ist es stilistisch ausgesprochen vielfältig. Du hast Lylit erwähnt, die sowohl im Jazz als auch im Pop zu Hause ist. Auch Phoebe Violet hat bereits viele Genres durchwandert – von Pop über Jazz und lateinamerikanische Musik bis hin zur Klassik. Dann gibt es außerdem einen Crashkurs in Filmmusik mit Florian C. Reithner sowie eine musikalische Wanderung durch den Eisenstädter Schlosspark mit Bryan Benner von den Erlkings. Man kann also durchaus von einem sehr bunten Festival sprechen.
Maria Radutu: Das Festival soll einfach Lust auf Klassik machen. Menschen, die wegen Lylit kommen, entdecken vielleicht auch Sergej Prokofjew. Ich kombiniere ihre Musik bewusst nicht mit Schubert oder Chopin. Da wir in Intention und Emotion sehr ähnlich sind, passt auch die Klassik, die an diesem Abend dazukommt, nicht zur “gewöhnlichen” – sondern eben Prokofjew und amerikanische Neue Musik.
Das Festival findet heuer ja zum zweiten Mal statt. Wie bist du eigentlich zur Aufgabe gekommen, das Festival künstlerisch zu leiten? Und welche Erfahrungen hast du bei der ersten Ausgabe gesammelt, die nun in die Planung und Programmierung der zweiten Ausgabe eingeflossen sind?
Maria Radutu: Vor einigen Jahren spielte ich mit dem RSO Wien das Muttertagskonzert im Schloss Eszterházy. Im Publikum saß damals auch Dr. Stefan Ottrubay. Später besuchte er im MuTh in Wien ein weiteres Projekt von mir. Irgendwann kam er auf mich zu und sagte, er würde gerne ein Klavierfestival ins Leben rufen – allerdings keines, wie man es aus den großen Konzerthäusern kennt. Es sollte etwas Besonderes, etwas ganz Eigenes sein. Das ist, glaube ich, auch der Grund, warum ich gefragt wurde.
Ich beschäftige mich ja schon seit Langem mit Konzertdesign. Dabei geht es eigentlich weniger darum, völlig neue Konzertformate zu erfinden, sondern vielmehr darum, in einen echten Dialog mit dem Publikum zu treten – weil genau das heute auch vermehrt eingefordert wird. Als Interpretin sehe ich es als meine Aufgabe, die Musik den Menschen näherzubringen. Das geht jedoch weit über das rein Spielerische hinaus. Man muss schon auch etwas anderes bieten. Das ist mein Zugang.
Natürlich war es letztes Jahr ein gewisses Risiko, weil ich nicht wusste, wie das Publikum reagieren würde. Ich denke, die zweite Saison ist programmatisch klarer. Letztes Jahr gab es schon den einen oder anderen Versuch, und es stand auch ein bisschen unter dem Motto: „Jetzt kommen wir einmal an.“
Was mich besonders gefreut hat: Schon innerhalb der drei Tage hat sich eine kleine Community gebildet – und das, obwohl viele vorher gar nicht genau wussten, worauf sie sich einlassen. Man hat gesehen, wie Menschen durch Eisenstadt spaziert sind oder vor dem Konzert noch mit Leuten frühstückten, die sie erst am Abend davor beim Konzert kennengelernt hatten. Genau das ist mir wichtig: Das Festival soll eines sein, das man vielleicht wegen eines bestimmten Konzerts besucht – bei dem man aber auch die Möglichkeit hat, Neues zu entdecken.
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Natürlich sind diese moderneren Konzertformate in der Produktion aufwändiger. Aber sie machen viel mehr Spaß. Und sie haben den Effekt, dass sie ganz unterschiedliche Publikumsschichten ansprechen. Mir ist klar, dass ich mit keiner einzelnen Richtung den Geschmack aller treffen werde – das funktioniert nicht. Und das will ich auch gar nicht. Denn sonst lande ich bei einem Einheitsbrei, den ich vermeiden möchte. Aber durch die vielen verschiedenen „Sprachen“, die ich anbiete, gibt es irgendwann diesen einen Moment, in dem sich alle irgendwo wiederfinden. Und genau darum geht es.
Wie weit blickst du in der Programmierung auch über deinen ohnehin schon weiten musikalischen Tellerrand hinaus?
Maria Radutu: In erster Linie gehe ich über meinen persönlichen Musikgeschmack hinaus – immer dann, wenn ich merke, dass die Künstler:innen, die ich einlade, dadurch authentischer werden. Ich hätte zum Beispiel von mir aus im vergangenen Jahr Ravels Boléro für zwei Klaviere nicht unbedingt programmiert, wusste aber, dass Ferhan und Ferzan Önder dieses Stück unbedingt spielen wollten. Sie meinten, sie hätten das schon oft gespielt – und es funktioniere sehr gut. Ich dachte mir: Für ein Orchester wäre das genial, aber so? Doch die beiden kamen mit einer ganz eigenen Energie, weil sie das Stück wirklich konnten. Und ich habe es, passend zum Thema „Keys to Heaven“, mit modernem Tanz kombiniert, damit es nicht nur bei einer Bearbeitung eines großen Orchesterstücks bleibt, sondern das Ganze einfach eine andere Komponente dazubekommt.
Und genau das ist diese Mischung – auf der einen Seite auf das Publikum einzugehen und auf der anderen auf die Künstler:innen. Und das dann in eine Form zu packen, die zu „Keys to Heaven“, passt. Ich programmiere also nicht jedes einzelne Werk, sondern schaffe lediglich den Kontext und die Richtung.
Wie weit reicht die Programmierung des Festivals eigentlich voraus? Und wie wachsen die einzelnen Ideen dann zu einem runden und aufregenden Gesamtprogramm zusammen?
Maria Radutu: Die Programmierung und die Planung sind zwei unterschiedliche Dinge. Mit der Programmierung beginne ich sehr früh – und danach geht es in die organisatorische Phase über. Aus meinen eigenen Projekten weiß ich, dass man sich nicht einfach hinsetzen und alles auf einmal erledigen kann. Solche Dinge müssen wachsen – gemeinsam mit dem Konzept.
Ein Beispiel ist der „Walk in the Park“: Noch im letzten Jahr hätte ich nicht unbedingt gesagt, „Lass uns durch den Park spazieren gehen.“ Aber als ich tagsüber beim Festival die Stimmung des Publikums gespürt habe, war mir klar: Das würde perfekt passen.
Manche Programmpunkte entstehen auch dadurch, dass ich selbst etwas Neues entdecke, von dem ich sage, da steckt unfassbar viel Tiefe und Inhalt drinnen. Der Abend mit Lylit und Phoebe ist zum Beispiel deshalb zustande gekommen, weil ich vor etwa einem Jahr einen Song von Phoebes Album gehört habe, in dem Lylit als Gast mitwirkt. Sie spielt dort Klavier und improvisiert – und als ich das hörte, hatte ich sofort das Gefühl, dass sich in diesem Stück unsere drei musikalischen Welten begegnen. Der Song klang auf eine bestimmte Weise ganz ähnlich wie mein Album „Insomnia“ – auch wenn es musikalisch eigentlich etwas anderes ist. Aber die Intention dahinter war dieselbe.
Wie wichtig ist dir ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter bei der Programmauswahl?
Maria Radutu: Wenn man alle Musikerinnen und Musiker zusammenzählt, ist der Anteil an Frauen vielleicht doch ein wenig geringer. Aber die, die dabei sind, sind extrem stark und rücken dadurch vielleicht umso mehr in den Vordergrund. Es kann auch sein, dass das Eröffnungskonzert am Freitag mit Lylit, Phoebe Violet und mir diesen Eindruck verstärkt. Am Samstagabend hingegen spielen mit dem Frank Dupree Trio drei Männer. Und auch das Klangkollektiv Wien wird von einem Mann dirigiert. Insgesamt würde ich sagen, dass das Verhältnis fast ausgeglichen ist.
Das Festival findet in einem besonderen Ambiente statt. Der traditionseiche Haydnsaal, der idyllische Schlosspark. Diese Locations bieten doch viele Möglichkeiten.
Maria Radutu: Man kann vieles machen. Was ich aber besonders mag – und das ist bei mir ähnlich wie in der Musik, wo ich auch nicht nach der „goldenen Mitte“ suche – ist, das Ambiente so zu belassen, wie es ist. Ich versuche nicht, den Raum zu verändern. Das Schloss Eszterházy ist ja nicht nur Joseph Haydn, sondern ein Ort, an dem Musik entstanden ist. Genau dort wurde vor über 250 Jahren komponiert und aufgeführt.
Haydn hat ja für ein Publikum geschrieben – er war letztlich auch ein Auftragskomponist. Und genau diese Aktualität versuche ich herzustellen. Dafür muss ich den Saal aber nicht zwanghaft „ins Heute“ holen. Man kann ihn lassen, wie er ist. Aber wenn man ihn etwa in Pink und Blau leuchten lässt, dann sind plötzlich beide Welten gleichzeitig da – und sie harmonieren miteinander.
Weil du auch das Publikum erwähnt hast: Ist es ein Publikum, das ausschließlich an klassischer Musik interessiert ist? Und woher kommt es?
Maria Radutu: Also, letztes Jahr habe ich viele Gesichter aus Wien wiedererkannt (lacht). Ich denke, das typische Publikum wird sich in den nächsten Jahren noch entwickeln, denn nach ein oder zwei Saisonen hat man dieses typische Publikum noch nicht. Was ich aber beobachten konnte, ist, dass die Menschen sehr unterschiedlich waren. Manche kamen letztes Jahr zur ersten Veranstaltung wegen des Jazz und des Musikers Christoph Cech, andere wegen Gershwin, wieder andere wegen mir.
Das Festival ist ein Treffpunkt für unterschiedliche Geschmäcker und auch ein Ort, an dem man neue Künstler:innen entdecken kann. Und das Publikum kam von überall her. Natürlich kamen viele Leute aus Eisenstadt und der Umgebung, aber auch aus Wien und sogar einige aus Deutschland.
Und auch das junge Publikum kommt bei „Keys to Heaven“ nicht zu kurz. Stichwort „Abracadabra“.
Maria Radutu: Mit „Abracadabra“ haben wir am Samstagvormittag ein besonderes Programm der Pianistin Beatrice Berrut im Festivalprogramm. Es ist allerdings kein reines Kinderkonzert, sondern auch für Erwachsene gedacht – ein Format, das mehrere Generationen anspricht. Es ist ausdrücklich kein Kinderformat. Aber von allen Konzerten ist es vielleicht jenes, bei dem Uhrzeit und Setting am besten dafür geeignet sind, Kinder zum ersten Mal zu einem klassischen Konzert mitzunehmen.
Die jungen Musiker:innen aus dem Burgenland wiederum bekommen am Samstagnachmittag ihre Bühne – im Rahmen unseres „Next Generation Project“.
Das Festival findet heuer, wie schon erwähnt zum zweiten Mal statt. Wie sehen deine Erwartungen aus? Welches Ziel hast du dir gesteckt?
Maria Radutu: Ein konkretes oder endgültiges Ziel habe ich mir nicht gesetzt. Ich sehe diese Ausgabe des Festivals vielmehr als einen Teil eines Weges – und auf diesem Weg gibt es viele verschiedene Etappen. Eines dieser Ziele konnten wir bereits im letzten Jahr erreichen: Es ist uns gelungen, das Publikum wirklich zu begeistern. Nach fast jedem Konzert ist etwa die Hälfte der Besucher:innen aufgestanden und hat applaudiert. Die Reaktionen waren einfach fantastisch – und sie haben uns das Gefühl gegeben, dass wir nun tatsächlich angekommen sind.
Organisatorisch ist ein weiteres Ziel, noch mehr internationales Publikum zu gewinnen – und Menschen zu erreichen, die sich auf das gesamte Festival einlassen, nicht nur auf einzelne Konzerte. Das würde ich mir sehr wünschen. Denn ich programmiere schon mit dem Gedanken: Ein Konzert ist großartig, ein zweites noch besser – aber das gesamte Festival als Erlebnis ist wirklich einzigartig.
Ein zusätzliches Ziel ist es, durch meine Reisen und mein Netzwerk mehr internationale Projekte nach hier zu bringen. Gerade jetzt passiert weltweit sehr viel Spannendes in der Musikszene.
Ich würde mich sehr freuen, wenn es uns noch mehr gelingt, den Menschen das Festival als einen Ort näherzubringen, an dem es viel Neues zu entdecken gibt – und an dem man sich wirklich gut aufgehoben fühlen kann.
Herzlichen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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KEYS TO HEAVEN Piano Festival
23.-25.5.2025
Schloss Esterházy, Eisenstadt
Das ganze Programm finden Sie unter www.pianofestival.at/
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