Wären Slowklang – das sind Amina Bouroyen (Stimme), Robin Gadermaier (E-Bass, Fußorgel) und Robert Unterköfler (Saxophon) – eine Pop-Band, würde man sie wahrscheinlich mit dem Label “Slowcore” belegen. Nur spielen sie keinen Pop, sie spielen Jazz, und das leise und langsam. Ihr erstes Album “Mindscapes” bietet unorthodoxe, entschleunigte Klangwelten zwischen Songform und avancierter Improvisation. Mit Markus Deisenberger sprachen Amina Bouroyen und Robin Gadermaier über Rituale der Langsamkeit, das große Ganze und wie man wie man mit dem Publikum gemeinsam durchatmet.
Slowklang, der Bandname scheint bei euch Programm zu sein. In der Langsamkeit steckt die Kraft, oder?
Amina Bouroyen: Kann man schon sagen, ja. Als wie mit der Band anfingen, wussten wir noch nicht genau, in welche Richtung es geht. Klar war uns aber, dass wir eine bestimmte Stimmung haben möchten: Bedächtig, ruhig, atmosphärisch.
Was mich zu deiner Homepage bringt, Robin, auf der es heißt: „Speed is power. Speed is Joy. Speed is pure beauty“, aus dem Film Jonathan Livingstone Seagull (Möwe
Jonathan) entlehnt. Das ist jetzt ein gewisser Widerspruch und erklärungsbedürftig, finde ich.
Robin Gadermaier: (lacht) Auf alle Fälle. Ich übe in alle Richtungen, spiele sehr gern Fusion und extreme Musik: Raw Style, Hard Style, ganz schnellen Techno, nicht den normalen, sondern mit 180bpm, weil es mich fasziniert. Diese Präzision, egal ob Maschine oder Musiker. Aber auch Technical Death Metal (Subgenre des Death Metals, das Elemente aus dem Progressive Rock und Jazz-Fusion in diese Musikrichtung einfließen lässt. Damit verbunden ist eine meist deutlich komplexere Struktur des Arrangements als beim klassischen Death Metal, Anm.)
Aber gleichzeitig bringt diese Band hier ganz andere Sachen hervor, und ich finde großen Frieden darin. Manchmal geht es eben darum, dass man schnell und tight spielt. aber in dieser Band hier geht es für mich als Begleiter darum, dass ich als Bassist einen so breiten und vollen Sound wie möglich liefere.
Musst du dich da manchmal zurückhalten, weil du eigentlich mehr kannst und auch mehr zeigen willst?
Robin Gadermaier: Nein, gar nicht. Weil die Faszination eine andere ist. Wie Amina gesagt hat: Wir haben angefangen, ohne genau zu wissen, wohin die Reise geht. Für mich war es so: Entweder spiele ich schöne, tiefe Bass-Noten. Dann fehlt aber der Akkord. Oder ich spiele den Akkord, dann fehlt der Bass. Darum ist mein Setup jetzt eine Fußorgel, mit der ich bis ins Sub-Bass-Register komme. Gleichzeitig kann ich durch Stereo-Hall und Stereo-Sound harmonisieren, Akkorde und Bassnoten immer gleichzeitig spielen. Der Hall zieht sich durch die ganze CD. Da würdest du auch nie auf die Idee kommen, schnell zu spielen, weil dich der Sound führt. Wenn ich da einen Dreiklang und eine tiefe Note auf der Orgel dazu spiele, dann werde ich ganz friedlich und glücklich. Es macht sehr Spaß, so Bass zu spielen, wie man eigentlich nicht Bass spielt: Orchestral und breit.
Wie habt ihr euch als Band gefunden?
Amina Bouroyen: Wir haben uns alle vorher schon gekannt, haben in mehreren Bands zusammengespielt und waren im selben universitären Umfeld unterwegs. Als ich damals die Band initiiert habe, wollte ich eine kleinere Besetzung und habe mir gedacht: Robin und Robert wären dafür meine Wunschkandidaten, weil sie sich kennen und gut zusammengespielt sind. Ich wusste auch, dass es musikalisch zwischen uns passt. Und glücklicherweise wollten und konnten beide dann.
Weil du, Robin, vorhin gesagt hat, du “begleitest”. Das ist ein ziemliches Understatement. Aus den Credits ergibt sich, dass ihr drei ziemlich gleichberechtigt seid, oder?
Amina Bouroyen: Ja, und das war mir auch sehr wichtig. Mir ging es nie darum, dass ich mir Bandmitglieder suche, die mich begleiten. Das wollte ich nicht haben. Ich war auf der Suche nach einem gemeinsamen Band-Sound. Mir ging es auch nie darum, als Sängerin im Vordergrund zu stehen, sondern einen Schritt zurückgehen und zu zeigen, dass das ein großes Ganzes ist. Für mich fühlt es sich so an, als hätten wir das in dieser Band ganz gut hingekriegt. Ich begleite auch ganz gerne mit der Stimme.
Robin Gadermaier: Jeder hat seine Spots. Ich gebe alles, um die anderen gut klingen zu lassen, und wenn ich ein Solo spiele, möchte ich auch begleitet werden. Amina begleitet auch sehr gerne, was nicht alle Sängerinnen machen. Sie liefert auch gerne mal nur Farben mit ihrer Stimme und hilft dir bei deinem Solo. Das war neu für mich.
Ungewöhnlich ist, das erste Album mit einer Coverversion zu eröffnen. Was hat es mit “Lazy Afternoon” auf sich?
Amina Bouroyen: “Lazy Afternoon” war das allererste Stück, das wir in dieser Besetzung ausprobiert haben, weil wir noch keine Kompositionen für diese Besetzung hatten. Mittlerweile hat es bei unseren Konzerten Tradition, dass wir mit dieser Nummer beginnen. Es ist fast schon ein Ritual, würde ich sagen. Das war also mehr oder wenige unsere Ausgangsbasis, um andere, eigene Songs anzugehen. Obwohl es kein eigenes Stück ist, ist unsere Version eine, die mir immer noch viel Spaß macht. Es ist ein Standard, ja, aber…
Robin Gadermaier: … wir haben schon vergessen, dass es ein Cover ist, weil wir die Nummer immer auf unsere Art spielen.
Wenn du, Amina, sagst, es wäre ein Ritual, erinnert mich das an die Ansage von Barbara Streisand während eines Konzerts im Madison Square Garden, von dem es eine legendäre Aufnahme gibt. Da sagt sie vor ihrer Interpretation von “Lazy Afternoon” zum Publikum: “Do you ever feel like it´s all just too much and you like to turn off the world?” Beschreibt das die Stimmung, in die ihr euch und das Publikum mit der Nummer bringen wollt? Die ganze Welt mal abschalten und volle Aufmerksamkeit auf die Reise lenken, die gemeinsam ansteht?
Robin Gadermaier: Für mich ist es so, ja. Man ist vor einem Auftritt ja immer aufgeregt, hat Adrenalin, und durch diese Nummer – das habe ich in keinem anderen Programm – kommt es mir vor, als könnten alle durchatmen: Wir und das Publikum. Schultern runter und durchatmen. Mir taugt es sehr, dass diese Nummer so untypisch ist für den Beginn eines Konzerts – fast schon wie bei einem indischen Konzert, bei dem erst einmal zwanzig Minuten lang die Instrumente gestimmt werden.
Amina Bouroyen: Da würde ich mich gern anschließen. Für mich ist das eine schöne Einstimmung auf das, was dann kommt.
“Mindscapes”, der Titel des Albums, lässt sich u.a. mit “Ideenwelten” übersetzen. Ihr kommt, scheint es, aus unterschiedlichen Ideenwelten. Was ist eurer Ansicht nach das Verbindende in dieser Band? Was ist das Gemeinsame, das, euch eint?
Amina Bouroyen: Wenn man eine Band mit verschiedenen Personen zusammenstellt, ist es immer so, dass sie einen unterschiedlichen Background haben, auch was die musikalischen Präferenzen angeht. Was uns aber eint, ist der Jazz-Background. Den haben wir alle drei.
Robin Gadermaier: Auf alle Fälle. Wir haben auch viel gemeinsam gespielt. Da ist eine gewisse Basis da. Wir improvisieren auch alle drei gerne.
Amina Bouroyen: Aber privat hören wir ganz unterschiedliche Dinge. Das in einem gemeinsamen Projekt vereinen zu können, ist unheimlich bereichernd.
Robin Gadermaier: Amina hatte eine Ursprungsvermutung, was es sein könnte, und dann haben wir uns durch jede Probe und jedes Konzert dorthingespielt, wo wir jetzt sind.
Entstehen die Songs alle auf die gleiche Art und Weise, oder ist der Zugang ein unterschiedlicher?
Amina Bouroyen: Meistens ist es so, dass es etwas Vorgefertigtes gibt, eine Komposition, und dann wird es im gemeinsamen Proben geformt. Es ist ein gemeinsames Ausprobieren und Suchen. Manches wird wieder verworfen.
D.h. das Verhältnis von Komposition und Improvisation ändert sich dann im Prozess noch?
Robin Gadermaier: Ja. Um ein konkretes Beispiel zu bringen: Ich habe unlängst etwas für Stimme und Saxophon geschrieben, aber die anderen beiden wollten es nicht genauso spielen, sondern auf mich reagieren und schauen, wie wir im gemeinsamen Improvisieren zusammenfinden. Oder das Solo auf “Seagulls”, das wir nicht ganz unisono spielen, klingt so, als ob es ein ausgeschriebenes Solo wäre. In Wirklichkeit ist es in unserem ersten Konzert so passiert und wir haben es dann transkribiert. Die Grenze zwischen Komposition und Improvisation ist fließend. Manchmal passiert es, dass etwas Improvisiertes ganz konkret wird. Umgekehrt wird etwas ganz Konkretes mitunter zu einer bloßen Angabe für eine Improvisation. Jeder Song bietet eine andere Plattform, auf der man sich zum gemeinsamen Improvisieren trifft. Das ist für mich auch der große Reiz an dieser Band. Es geht viel um Vertrauen. So hat es eine ganze Weile gedauert, bis wir uns gemeinsam gut kennengelernt hatten und es Sinn machte. Damit man niemandem etwas aufzwingt, sondern alle mit viel Feingefühl miteinander umgehen.
Wie würdet ihr denn eure Musik beschreiben?
Amina Bouroyen: Ich weiß nicht, ob mir die Grammy-Academy zustimmen würde, aber es gibt in den Jazz-Grammys ein neues Genre, das sich “Alternative Jazz” nennt. Vielleicht könnte es ja da reinpassen, aber genau weiß ich es nicht.
Robin Gadermaier: Das ist schon eine gute Begrifflichkeit, finde ich. Du hast Jazz, aber eben nicht ganz. Das trifft auf vieles zu, auch auf das, was wir machen.
Amina Bouroyen: Ich weiß, dass man Musik gerne einordnen möchte, aber man kann es auch ein bisschen abstrakter lassen. Man sollte die Musik einfach so wirken lassen, wie sie ist.
Ich hatte den Eindruck, mit eurer Musik tut sich eine ganz eigene Welt auf, in die man sich fallen lassen kann. Man muss sich darauf einlassen, aber wenn man das tut, dann umgarnt und umwirbt einen diese musikalische Welt, die ihr euch ausgedacht habt. Sie versucht einen reinzuziehen. Aber als Hörer muss ich eine gewisse Bereitschaft mitbringen, mich auf die Musik einlassen. Würdet ihr mir zustimmen?
Robin Gadermaier: Du musst dich schon darauf einlassen, ganz klar. Manche Dinge kann man sich auch mit 80% Aufmerksamkeit anhören. Bei unserer Musik ist es aber so: Entweder ganz oder gar nicht. Im Konzert funktioniert das gut, weil sich die Leute drauf einlassen und wir den Bogen auch so spannen, dass es viel Ruhe gibt, aber dann auch wieder Ausbrüche, d.h.
Dinge, an denen man sich anhalten kann und Sounds, in denen man baden kann. Wir achten darauf, dass es wirklich voll klingt, von den tiefsten Subbass-Frequenzen bis zur Brillanz des Saxophons und der Stimmen. Aber wenn du die CD nur nebenbei hörst, kriegst du, glaube ich, nicht mit, worum es wirklich geht. Es ist eine eigene Welt, in die wir die Leute zu ziehen versuchen. Wir haben ja auch kein Schlagzeug. Dadurch ist es viel subtiler und viel feiner.
Es gibt keinen Punch von der Snare und keine Klarheit von der Hi-Hat. Es ist viel schwieriger, und man muss genauer hinhören. Aber wenn man sich darauf einlässt, wird man belohnt, denn es gibt schöne Akkorde, Melodien und Rhythmen.
Amina Bouroyen: Deshalb passt unsere Musik auch überhaupt nicht in unsere schnelllebige Zeit mit ihrer immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspanne. Sie ist überhaupt nicht zeitgemäß. Ich sehe unsere Musik als Angebot.
Ich bin ja immer sehr genervt, wenn während eines Konzerts in die leisen Stellen reingequatscht wird.
Robin Gadermaier: Verstehe ich. Das ist aber mehr ein Problem bei Konzerten, die laut und leise sind. Dann gibt es bei den leisen Stellen oft den Moment, dass es die Leute nicht checken und einfach weiterquatschen. Bei uns war das noch nie das Problem, weil von vorneherein klar ist, dass es nie wirklich laut und überwältigend wird. Dafür gibt es vielleicht Leute, die gehen, weil es ihnen zu ruhig ist. Aber die, die dableiben, die sind dabei, die sind meistens auch auf einer gemeinsamen Zeitreise und kommen nicht auf die Idee, sich zu unterhalten.
Amina Bouroyen: Das zu schaffen ist die Herausforderung. Dass man es hinkriegt, die Leute mit dem Auftreten und der Präsenz mitzunehmen.
Lasst uns noch kurz über Einflüsse sprechen. Einer deiner Texte, Amina, ist an ein Gedicht von Pablo Neruda angelehnt.
Amina Bouroyen: Ja, wobei ich Neruda nicht ausführlich studiert habe. Mir kam das Sonett einfach unter und mir hat diese Stimmung, in die ich sofort kam, als ich es las, dazu inspiriert, mich damit auseinanderzusetzen.
Welche Stimmung ist das?
Amina Bouroyen: Es geht um Sehnsucht und Verlangen, die einen in die Stimmung bringt, dass man den Gedanken nicht mehr loswird, jemanden unbedingt bei sich haben zu wollen. Das ist ein älteres Stück. Als es entstand, habe ich eine mir sehr liebe Person ganz stark vermisst.
Und Mal Waldron?
Amina Bouroyen: Mir ist das Stück (“The Seagulls of Kristiansund”) in der Version mit Jeanne Lee begegnet, und es hat mich begeistert, weil es so ein riesiges Verlangen nach Freiheit in mir ausgelöst hat: Die Möwen, die jeden Tag drauflos leben und nicht wissen, was auf sie zukommt, aber die Freiheit leben.
Da schließt sich der Kreis zur Möwe Jonathan?
Robin Gadermaier: Ich liebe den Song und diese Version. Ein zweites Thema ist die Möwe Jonathan – mein Lieblingsfilm und vielleicht sogar meine Religion, die ich in diese Nummer reininterpretiere. Da lege ich das alles rein…
Vielen Dank für das Gespräch.
Markus Deisenberger
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Slowklang live
4.12. Kick Jazz Festival, Porgy & Bess, Wien
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