ALPINE DWELLER präsentieren im Herbst 2023 ihr zweites Studio-Album „Native Fluorescence“. Im Interview mit Jürgen Plank erzählen JOANA MARIALENA KARÁCSONYI und MATTHIAS FRANZ ELIAS SCHINNERL vom Konzept dahinter und warum im Wald aufgenommene O-Töne den Weg aufs neue Album gefunden haben. Außerdem erzählt das Duo von einer Tournee durch Ägypten und warum die ausgekoppelte Single „Planets“ auch als Umweltlied gehört werden kann.
Anfang September 2023 erscheint euer zweites Album, welche Entwicklungen gab es denn seit eurem ersten Studio-Album, das ihr vor vier Jahren herausgebracht habt?
Matthias Schinnerl: Wir haben im Jahr 2019 unser erstes Album „Among Others“ veröffentlicht. Ab dem Jahr 2020 haben wir wieder relativ viel Zeit im Studio verbracht und wir haben zwischendurch eine EP released.
Joana Karácsonyi: Ein Ö1-Live-Album haben wir auch auf Vinyl pressen lassen und veröffentlicht.
Matthias Schinnerl: Genau, wir sind ins Radiokulturhaus eingeladen worden und wir haben das, was aufgenommen wurde, direkt auf Platte pressen lassen. Insgesamt ist die neue Platte „Native Fluorescence“ unsere vierte Produktion und das zweite Studio-Album. Wir sind jetzt nur noch als Duo unterwegs.
Joana Karácsonyi: Wir waren ein gleichberechtigtes Trio, ohne Hierarchien. Jetzt ist Alpine Dweller ein gleichberechtigtes Duo, live sind wir aber trotzdem meistens zu dritt, mit Tomáš Novák.
Das neue Album ist, dem Pressetext zufolge, ein Konzept-Album, ein Stichwort dazu lautet „Reise“. Auf welche Reise begebt ihr euch bzw. auf welche Reise nehmt ihr eure Hörer und Hörerinnen mit?
Joana Karácsonyi: Das neue Album ist eine Reise an imaginäre Orte. Orte, die nicht sofort zugänglich sind, die man sich eher vorstellt. Aber es hat insofern mit menschlichen Dingen zu tun, weil man sich ja nicht so viele Dinge vorstellen kann, die es nicht schon gibt. Etwa die tiefste Stelle des Meeres, oder ein anderes Universum mit Ähnlichkeiten zu unserer Erde.
Matthias Schinnerl: Oder die am weitesten entfernten Sterne und Sonnensysteme. Die haben wir in der Single „Planets“ verarbeitet, die ebenfalls auf dem Album vorkommt. Das sind Orte, die man sich vorstellen und denken kann, auch weil sie bereits für uns beschrieben worden sind: man kann sich Meere, Planeten und ferne Sonnensysteme vorstellen, aber sie sind für uns nicht zugänglich. Das sind für uns imaginierte Dinge, im Kopf gemacht. Wir unterstützen den Kopf dabei, sich diese Reise vorstellen zu können.
Joana Karácsonyi: Es ist auch eine Reise zu verschiedenen Klangfarben. Deswegen heißt unser Album „Native Fluorescence“. Wir versuchen die verschiedenen Klangfarben zum Leuchten zu bringen.
Der Album-Titel „Native Fluorescence“ ist ein Begriff aus der Biologie, da geht es etwa um Moleküle, die von sich aus leuchten.
Joana Karácsonyi: Wir meinen schon das, was von sich aus leuchtet, deswegen haben wir native im Titel. Aber in Bezug auf uns selbst wäre es etwas zu hochtrabend, nur von uns aus zu leuchten.
Matthias Schinnerl: Oder wenn das Album selbst leuchten könnte. Es will eben gehört werden und bei „Native Fluorescence“ geht es immer um einen Dialog, immer um zwei Subjekte, die aufeinandertreffen. Sei es die Sonne, die uns das Licht gibt, um Dinge zu sehen. Und die Sonne gibt es nicht, wenn wir sie nicht sehen.
Insofern wirkt der Album-Titel auch auf die einzelnen Stücke?
Matthias Schinnerl: Tatsächlich, ja. Auf jedes einzelne Stück. Das CD-Cover ist so gestaltet, dass einzelne Teile, gegen das Licht gehalten, anders zum Scheinen kommen.
Joana Karácsonyi: Das CD-Cover schillert ein bisschen. Wir wollten eigentlich eine Regenbogen-Folie auf das Cover geben, damit es wirklich scheint und schillert, aber das war einfach zu teuer.
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Im Video zum Lied „Kraken“ kommt ein Schattentheater mit Tieren vor, fast wie in Indonesien. Das Video wirkt wie eine eigene Märchenwelt mit Tieren, die etwa in den weit entfernten Zonen des Meeres wohnen. War das der Effekt, den ihr erzeugen wolltet?
Joana Karácsonyi: Ja, eindeutig. Wir wollten eine neue Welt kreieren. Das Video ist selbst gemacht, damals war Flora Geißelbrecht noch in der Band. Ihre Mutter hatte stencilsgemacht, die wir verwenden wollten. Dann haben wir uns in unserem Vereinslokal verschanzt, haben tolle Lichter aufgestellt, von draußen ein Schattentheater gespielt und von innen gefilmt.
Matthias Schinnerl: Das ganze Video ist im Prinzip an einem Fenster entstanden. Die Schattenspieler, das waren drei Leute, die das Spiel inszeniert haben, wurden direkt von den Passant:innen gesehen und wir waren drinnen und haben gefilmt.
Ihr habt euch auch musikalische Gäste eingeladen. Die Stücke sind genau arrangiert und komponiert und wirken sehr durchdacht. Gab es Freiräume für die Musiker:innen oder habt ihr genaue Vorgaben gemacht bzw. Noten vorgelegt?
Matthias Schinnerl: Es war uns schon wichtig, dass die Gastmusiker:innen das machen, was wir wollen, damit unser spirit als Alpine Dweller nicht verloren geht. Wir haben für jedes Stück eine grafische Partitur gemacht bzw. ein Bild erstellt und dieses Kunstwerk wurde dann interpretiert.
Joana Karácsonyi: Auch wir haben interpretiert und es gab für die Musiker:innen auch Freiraum. Vereinzelte Noten und Stimmungen haben wir vorgelegt, aber wir haben eher Stimmungen vorgegeben. Unser Grundgerüst war definiert und komponiert, wir haben schon öfters geprobt, bevor wir ins Studio gegangen sind.
Matthias Schinnerl: In „Planets“ zum Beispiel hat Alexander Kranabetter die Bläser-Teile gespielt, die haben wir vorher schon arrangiert und er hat Phrasierungen und tolle Sounds beigesteuert.
„FÜR MICH IST „PLANETS“ SCHON EIN UMWELTSTÜCK.“
Die eben angesprochene Single „Planets“, die das Album eröffnet, beinhaltet Textzeilen wie „we are scientist“ oder „we live in a tiny house“. Inwiefern ist das im weitesten Sinne ein Umweltlied?
Joana Karácsonyi: Für mich ist „Planets“ schon ein Umweltstück. Man lebt irgendwo ein wenig abgekapselt, sieht alles Schlechte an einem vorüberziehen und versucht gleichzeitig das Gute zu sehen: das Wetter, das Wasser, den See und dass man ein Dach über dem Kopf hat. Und man versucht trotzdem zu verstehen, warum die Welt so ist wie sie ist, weil man das Große vielleicht schon beeinflussen kann, aber nicht so wie man gerne würde.
Matthias Schinnerl: Ich sehe das Lied auch als Umweltstück. Die große Umwelt, die uns umgibt, die beschreiben wir im Lied. Und, wie Joana schon sagt, berufen wir uns auch auf das Kleine, man ist ja selbst für sich ein winzig kleines Teilchen dieser großen Umwelt. Ich sehe „Planets“ nicht als aktivistisches Umweltlied, wir beschwören damit keinen Aktivismus.
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Ein Stück heißt „Wald“ und besteht – wenn ich das richtig gehört habe – aus im Wald aufgenommenen O-Tönen. Warum wolltet ihr das am Album haben?
Joana Karácsonyi: Wir haben in unseren Stücken immer wieder das Zwitschern von Vögeln präsent. Manchmal pfeifen wir auch selbst. Wir haben uns die Aufgabe gesetzt, dass jeder von uns um 7 Uhr früh in einem anderen Wald 1 Minute lang O-Töne aufnimmt. Es sind drei O-Töne, die im Studio gemischt wurden, um einige Facetten herauszuholen. Wir haben da auch die Zufälligkeit walten lassen und wollten ein bisschen Natur auf unserem Album haben.
Ihr wart bereits international auf Tour, ein Stück am neuen Album heißt „Kairo Maerz“. Stammt das als O-Ton auch von einer Tour? Wenn ja: wie war’s?
Matthias Schinnerl: Laut.
Joana Karácsonyi: Wir haben in Ägypten gemeinsam mit einer dort ansässigen Band
tatsächlich in Opernhäusern gespielt, etwa in Kairo und Alexandria. Es war sehr aufregend, wir sind viel herumgekommen. Das Stück „Mep“ hat mit dieser Tour zu tun.
Matthias Schinnerl: Wir sind mit einem relativ sympathischen, lustigen Taxifahrer von Kairo ans Rote Meer gefahren und der Fahrer hat immer wieder gehupt und wir haben nicht herausgefunden, warum er regelmäßig hupt. „Mep“ ist ein Lied über diese Taxi-Fahrt.
„DIE TOUR DURCH ÄGYPTEN WURDE VON EINER LOKALEN BAND SELBST ORGANISIERT.“
„Mep“ steht für das Hupen?
Joana Karácsonyi: Genau. Wir haben nicht herausgefunden, warum er gehupt hat. Normalerweise hupt man in Ägypten, um auf sich aufmerksam zu machen. Aber auf dieser Strecke waren nur wir, da wir sonst niemand. Nur wir und die Wüste und unser Fahrer hat trotzdem gehupt.
Wie ist diese Tour zustande gekommen?
Matthias Schinnerl: Die Tour durch Ägypten wurde von einer lokalen Band selbst organisiert. Die mietet sich in den Opernhäusern ein und füllt diese. Das sind alte Bekanntschaften, über die Uni und darüber hinaus. Die haben dort eine große social media-Fan-Base.
Joana Karácsonyi: Wir wurden eingeladen mit ihnen zu touren, sie haben bei einigen Stücken von uns mitgespielt und umgekehrt.
Das erste Album zu machen, ist für jede Band ein Meilenstein. Beim zweiten Album profitiert man von den Erfahrungen, die man beim ersten Album gemacht hat. Wie schwierig war die aktuelle Produktion?
Matthias Schinnerl: Für uns war es hauptsächlich schwierig aus einem Live-Setup kommend, das wir immer gehabt haben und bei „Among Others“ auf Platte gebannt haben, ein Setup zu schaffen, das wir live noch nicht erprobt und erspielt haben. Wir sind bei „Native Flourescence“ direkt ins Studio gegangen und haben aufgenommen, ohne mit den Liedern 20 oder 30 Konzerte gespielt zu haben. Wir sind nach „Among Others“ auch auf orchestrale Maßstäbe gestoßen. Es war für uns leicht, weil wir das im Studio gemacht haben. Für den Produzenten war es schon eine Herausforderung teilweise bis zu 50 Instrumenten-Spuren auf kammermusikalische Weise wieder zu geben.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank
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