
Quasthoff und Schade hatten auch bereits gemeinsam einen Abend mit Liedern und Gesangsduetten von Mozart und Schubert bis zum Wienerlied bestritten, der in Wien unseres Wissens nach leider nicht zu erleben war, aber in Berlin und 2009 auch in Luxemburg, wo Matthias Naske, der zuvor in Österreich Jeunesse-Chef war, der langjährige Intendant ist (ihm zur Seite als Dramaturg Bernhard Günther, der ehemalige mica-Referent für Neue Musik). – Aber es soll hier wiederum chronologisch berichtet werden, anschließend an den in den Musiknachrichten am 26.Mai erschienenen ersten Bericht.
Wir bleiben aber bei der Wiener Musik. Das Ensemble Wien (ein Streichquartett mit Kontrabass statt Cello, Primarius – wie auch im Kammerorchester Wien-Berlin – ist der beste Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, Rainer Honeck) begeisterte am 2. Juni im Brahms-Saal mit einem tollen Programm. Es spielte Lanner, die drei Sträuße (Vater und Sohn Johann und Josef Strauß), auch Karl Komzák Sohn (1850-1905), den Kapellmeister des Badener Kurorchesters und Komponisten von u. a. „Badner Madeln“, dem Lieblingswalzer von Hans Knappertsbusch. Das Ensemble führte auch den „Dornröschen-Walzer“ von Tschaikowskij auf. Vor allem aber dazu Musik von Hindemith („Ouvertüre zum ‚Fliegenden Holländer’, wie sie eine schlechte Kurkapelle morgens um 7 am Brunnen vom Blatt spielt“, komponiert um 1925), Arvo Pärt („Fratres“, 1977), dem höchst interessanten griechischen Komponisten Nikos Skalkottas (1904-49), einem Schüler von Philipp Jarnach, Arnold Schönberg und Kurt Weill („Fünf griechische Tänze“) und – Kurt Schwertsik („Möbelmusik – klassisch“ op.68), ein Auftragswerk der Gesellschaft der Musikfreunde, das1996 vom Ensemble Wien uraufgeführt wurde.

* Ideal für Menschen, die nichts gegen moderne Musik haben, sie aber nicht hören möchten.
* Die sorgfältige Ausarbeitung der Details vereint kühle Sachlichkeit mit klassischer Schönheit.
* In ihrer Gesamtwirkung unaufdringlich, ist unsere Möbelmusik vielfältig kombinierbar.
* Geschmacksneutral passt sie sich jeder Konversation diskret an & ist faktisch geräuschlos.
* Der bei akustischen Vorgängen unvermeidbare Stressfaktor überschreitet niemals den Unterhaltungsgrenzwert.
*Selbstverständlich wurde der Modulationsplan im Einklang mit den internationalen Konventionen über die Dissonanzbehandlung erstellt.
**Nebenwirkungen : Im Allgemeinen keine.
Nur in seltenen Fällen konnten emotionale Tiefenwirkung bzw. existenzielle Sinnkrise beobachtet werden.

Am 3.6. gab es einen Ausflug auf den Stehplatz der Staatsoper, wo der grandiose Dirigent Leif Segerstam (er war lange Chef des Radio Symphonieorchesters und schaut heute aus wie Johannes Brahms) Wagners „Lohengrin“ leitete. Mit den besten Sängern: Soile Isokoski (Elsa), Peter Seiffert (Lohengrin), Waltraud Meier (Ortrud), W. Koch (Telramund). Am 6.6. konnte man eine Aufführung der Dämonen (I demoni) von Dostojewski in der Inszenierung (und Fassung und italienschen Übersetzung) von Peter Stein miterleben. Das dauerte 12 Stunden und war keine Sekunde ermüdend oder gar langweilig.


Das war durchaus sehr spannend, zumal das Konzert sich in einem Saal mit Max Weilers Bildern abspielte. Sequitur XIII (2009) für Klavier und Live-Elektronik war eine Uraufführung dieses work-in-progress-Kompositionszyklus von Karlheinz Essl. Das mica kann vermutlich Anfang Juli den auch durch seine Lehrtätigkeit und diverse Konzertvorhaben (am 26.6. etwa mit Agnes Heginger im Atelier Feilacher/Kummer Seitzersdorf – Wolfpassing 5, 3464 Hausleiten) derzeit eher Gestressten zum mica-Interview laden (O-Ton Karlheinz auf die Anfrage: Im Moment müßte ich „Stressl“ heißen). Beeindruckend war auch die Vielseitigkeit der Pianistin. Auch wenn man das „eh schon öfter gehört hat“: Karlheinz Stockhausens Klavierstück IX (1961) für Klavier ist in seiner revolutionären Sprache und Konstruktion immer noch frappierend.
Am 11.6. erlebte man Alban Bergs „Lulu“ im Theater an der Wien, darüber sind die Kritiken der Zeitungen erschienen, die Peter Steins Inszenierung und das Dirigat und die Sängerleistungen durchaus würdigten, manche hatten aber an Laura Aitken dies oder jenes auszusetzen. Der mica-Mitarbeiter nicht, er war sehr beeindruckt und ging mit dem Eindruck aus dem Haus, dass er „Lulu“ und die Musik Bergs dazu jetzt wirklich verstanden hätte. Alles, was Lulu sagt und tut (auch den ‚Heiterkeitsanfall’ beim Herztod des äußerst kurz etwas singenden Medizinalrates zu Beginn, auch dass sie Doktor Schön erschießen muss) glaubt man ihr, nimmt man ihr ab. Man hat das Gefühl, Lulu ist der einzige Mensch, der die Wahrheit versucht zu sagen und der so handelt, wie sie muss. Über die Uraufführungen von Liedern durch Lukas Haselböck am 14.6. haben wir bereits berichten können.


Zum Ausklang: Thomas Quasthoff und das Kammerorchester Wien-Berlin traten am Samstag, 19. Juni im Großen Musikvereinssaal auf, besetzt mit ersten Musikern der Wiener und Berliner Philharmoniker und dem Solo-Kontrabassisten Nabil Shehata (Berlin) als zusätzlichem Solist bei einer Haydn-Arie mit obligatem Kontrabass. Unter der Leitung des Konzertmeisters Rainer Honeck (vom Pult aus) spielte das gemischte kleine Toporchester (Wiener Hörner und Wiener Oboe, auch die anderen Bläser waren „Wiener“) Mozarts A-Dur-Symphonie KV 201 sowie zum Beschluss Haydns „Abschiedssymphonie“ in fis-Moll. Beide Werke sind übrigens fast zur selben Zeit entstanden (um 1772-73 in Salzburg resp. Eszterhaz). Die „Abschiedssymphonie“ wurde natürlich mit jeweils einzelnen Abgängen der Musiker vom Podium zelebriert (bis nur mehr ein Trio, ein Duo, schließlich nur mehr eine Geige spielt). Quasthoff bestach mit Bass-Bariton-Arien Mozarts und Opern-Arien Haydns (aus dessen Opern „Armida“ und „L’anima del filosofo“) und sang als Zugabe noch die Arie des Sarastro „In diesen teuren Hallen“, natürlich wurde auch das Orchester vom begeisterten Publikum zu einer Extra-Zugabe aufgefordert. Wien wie es ist …

Als Wienerlied bezeichnet man auch oft im Wiener Dialekt gesungene Volkslieder, häufig als Tischmusik in Heurigenlokalen, in der klassischen Besetzung begleitet von einer Kontragitarre, aber auch zwei Violinen und die Knöpferlharmonika spielen eine Rolle, und natürlich das „picksüßen Hölzl“, die G-Klarinette. Das ergibt das klassische Schrammelquartett oder auch –quintett. Schrammelmusik und Wienerlied – die zweite traditionelle Wiener Musik. Der Inhalt von Wienerliedern dreht sich ums Trinken, Freunde, Liebe, Leben und Tod. Wienerlieder haben die Tendenz, meist etwas melancholisch zu sein, haben oft einen schwarzen Humor oder beißenden Spott.
Eine der wichtigsten Wienerliedsammlungen sind die in drei Bänden zwischen 1911 und 1925 erschienenen, vom Wiener Chordirigenten Eduard Kremser herausgegebenen Wiener Lieder und Tänze, auch kurz Kremser-Alben genannt.
Launig die zahlreichen Conférencen von Primus Martin Kubik, der zugab, dass sie nicht alle „echte Wiener“ seien und auch um Nachsicht bat, dass Michael Schade sich als Nicht-Wiener am Wienerlied erproben wolle. Schade stand ihm im Spaßmachen nichts nach, hatte auch bei „O du Elisabeth“ ein schönes Meidlinger „l“ vorzuweisen und vertat sich im Dialekt eigentlich nur einmal ein wenig, als er Ralph Benatzky (von Schönberg und anderen bösartig oft auch Benutzky genannt) vortrug:
„Alte, nimm dir deinen neuchen Unterrock, dass die Leut’ln a seh’n, wer mir san, seit’s ös [und jetzt passierts, Schade sang eher englisch] „förti“, statt „firti, na schö, geh’n mir’s an“. – „Ich muss wieder einmal in Grinzing sein, beim Wein, beim Wein, beim Wein!“ ist der Titel und Refrain des Lieds. Und es ging weiter mit dem „alten Nussbaum draußt in Heiligenstadt“ (Emmerich Zillner), im zweiten Teil des Abends dann etwa mit „A g’sunder Rausch tuat’s a“ (Ernst Wolf), „Mei Muatterl war a Wienerin“ (Ludwig Gruber) und schließlich mit „Wien, Wien, nur du allein“: Komponist Rudolf Sieczynski, polnischer Abstammung, wurde 1879 in Wien geboren. Hauptberuflich war er Landesbeamter in Niederösterreich und wirkte nebenbei zusätzlich als Schriftsteller und Komponist. Lange Zeit war er Präsident des Österreichischen Komponistenbundes. Sein berühmtestes Werk, auf dem sein Ruhm fast exklusiv beruht, entstand im Jahre 1912 oder 1914. Schade sang im Mittelteil fünf wunderbare Schubertlieder (mit guter Schrammelbegleitung – Kubik behauptete, er hätte die originalen Schrammelnoten Schuberts im Keller Harnoncourts gefunden (!)). Die Schrammeln spielten auch grandios „Wien bleibt Wien“ von Johann Schrammel, weiters Polkas von Ziehrer, Strohmayer, Josef Mikulas und einen Walzer von Johann Strauß (Sohn), „O schöner Mai“, op. 375. Und alle waren im siebten Himmel. „Wien, du Stadt meiner Träume“.
Heinz Rögl