Er ist Dirigent und Komponist, hat auch Kirchenmusik und Musiktheorie studiert und lebt seit Anfang 2015 in Salzburg: GORDON SAFARI. Im Gespräch mit Jürgen Plank erzählt er insbesondere vom ENSEMBLE BACHWERKVOKAL, das er wie die Kammeroper Salzburg und das Festival „MusiKunsTheater“ mitbegründet hat. Die Gründung der Kammeroper Salzburg fällt in die Zeit der Corona-Pandemie, eine der ersten Veröffentlichungen ist daher online als YouTube-Oper passiert. Seit dem Jahr 2020 kommt GORDON SAFARI einer Lehrtätigkeit an der Universität Mozarteum nach. Mit dem ENSEMBLE BACHWERKVOKAL ist er am 13. April 2025 im Rahmen der Haydnregion Niederösterreich in Göttlesbrunn zu hören – der aktuelle Anlass für dieses Interview.
Das Ensemble BachWerkVokal feiert heuer die ersten 10 Jahre seines Bestehens. Blicken wir zunächst zurück: wie kam es zur Gründung?
Gordon Safari: Das ist eine merkwürdige Geschichte. Es war niemals geplant ein Ensemble nach einem Muster oder einer Idee folgend zu bauen. Die Idee war, Menschen zusammen zu bringen, die sich für Bach, für Barockmusik, für Alte Musik interessieren. Ich war damals neu in Salzburg und hatte Ideen im Kopf, aber kannte hier niemanden. Aber ich hatte das Glück sehr schnell Musiker:innen in der Stadt kennen zu lernen, mit denen ich meine Ideen geteilt habe. So kam es rund 6 Wochen nach meiner Ankunft zu einer ersten Probe, zum Kennenlernen. Daraus habe ich einen ersten Spielplan entwickelt und realisiert und das Ensemble damit begründet: so wurden ein Barock-Orchester und ein professionelles Vokalensemble ins Leben gerufen. Das hat sich in den Jahren danach konsequent professionalisiert.

Dann kam es zum Debüt-Album „Cantate Domino“, was war der musikalische Ansatz?
Gordon Safari: Ja, das war eine längere Überlegung: mit welchem Repertoire zeigen wir uns einer internationalen Öffentlichkeit? Für mich sollte sich dieser Drang des Ensembles lebendig, sprechend und drastisch-emotional zu musizieren im Rahmen eines positiven Themas widerspiegeln. Mir war von Anfang an wichtig, obwohl Bach unser Namenspatron ist, dass wir uns nicht nur auf Bach beschränken, sondern immer wieder den Blick nach links und rechts machen. Von Bach aus betrachtet auch den Blick nach hinten und nach vorne zu werfen und so kam es zur Programmatikder ersten Platte, bei der auch Zeitgenossen von Bach wie Telemannund Händel vorkommen. Auch Buxtehude, wahrscheinlich Bachs stärkster Einflussgeber, und es gab auch eine Ersteinspielung von Telemann und ein wenig Mozart, ein Rätselkanon.
„ICH HABE DAS UNGLAUBLICHE POTENZIAL DES ENSEMBLES SEHR RASCH ERKANNT“
Die Kritiken zu euren Veröffentlichungen sind sehr gut, da war etwa zu lesen: „beste CD des Jahres“. Wie geht man mit so positiver Resonanz um?
Gordon Safari: Die erste Veröffentlichung kam sehr schnell, wir haben im Jahr 2018 aufgenommen, die Veröffentlichung war im Jahr 2019. Ich habe das unglaubliche Potenzial des Ensembles sehr rasch erkannt. Die Stadt Salzburg ist nicht der Ort, an dem man sagen würde: da ist ein neues Ensemble, auf das haben wir gewartet. Die Frequenz im Kulturbetrieb in Salzburg ist verglichen mit der Größe der Stadt enorm hoch. Man muss hier schon sichtbar sein und seinen Platz behaupten. Ich habe schnell gemerkt: wenn ich nicht gleich an die nächsten Schritte denke, birgt das die Gefahr, dass wir provinziell bleiben und dass sich dieses große Potenzial des Ensembles nicht entfalten kann.
Dann kam es zur ersten Einspielung und ein Jahr darauf waren die Reaktionen überwältigend. Ehrlich gesagt: Weil der Weg bis zur Veröffentlichung so schwierig war, waren wir vollkommen überrascht, dass sich die internationale Presse so überschlagen hat. Und das war natürlich eine ungeheure Befreiung, ein Riesenglück, ein Glücksgefühl, das uns weitergetragen hat. Es war unglaublich wichtig, dass es uns weitergetragen hat, denn vier Monate später begann die Corona-Krise. Und ich wollte damals gerade mit der Akquisefür den internationalen Musikbetrieb beginnen und den Schwung der CD nutzen. Durch Corona wurden wir ausgebremst.
Ihr habt euch auch bei den nächsten Veröffentlichungen auf die geistlichen Vokalwerke von Bach konzentriert. Wie sieht es denn mit den weltlichen Vokalwerken Bachs aus, etwa mit der Kaffee- oder der Jagd-Kantate?
Gordon Safari: Ich habe noch nie in Richtung einer Einspielung der weltlichen Kantaten gedacht. Das liegt daran, dass ich schon so viele unterschiedliche Ideen für weitere Aufnahmeprojekte im Kopf hatte, dass das noch keine Zeit hatte, an die Oberfläche zu kommen. Es gibt so viel an interessanter Musik bei Bach und auch neben Bach, vor ihm und nach ihm. Das kann sicher in Zukunft noch kommen und ist eine interessante Anregung. Mich würde mal eine Aufnahme des „Quodlibet“ von Bach bzw. ein Versuch einer Rekonstruktion des „Quodlibet“ reizen, denn das ist ja ein Torso geblieben. Der Beginn ist ja verschwunden, auch das Ende. Vielleicht könnte man da etwas Interessantes entwickeln.
Apropos interessante Musik: Ihr werdet euch heuer mit Joseph Haydn im Rahmen der Haydnregion Niederösterreich beschäftigen. Was ist geplant?
Gordon Safari: Das Repertoire habe ich mit dem Intendanten Michael Linsbauer sehr früh festgelegt. Im Vorfeld habe ich ihn gefragt, ob er schon mal das frühe „Stabat Mater“ von Josef Haydn im Festival-Programm hatte. Haydns erstes großes kirchenmusikalisches Werk aus dem Jahre 1767, komponiert für Orchester, in der Besetzung mit zwei Englisch-Hörnern und Streichern, Solist:innen und Ensemble. Und Michael Linsbauer sagte, dass das noch nie auf dem Plan gewesen sei, dass er das Stück aber extrem reizvoll fände. Ich habe es genauer studiert und dachte, dass es ein sensationelles Stück ist, dass man gut in einem Passionskonzertrahmen bringen könnte. Wir waren uns schnell einig, dass wir das gerne machen würden.
Das Stück ist nicht abendfüllend, sondern hat eine Spieldauer von rund einer Stunde. Daher bin ich noch auf ein Stück von Mozart aufmerksam geworden, das hat Mozart im gleichen Jahr im Alter von 11 Jahren komponiert. Das Stück heißt „Grabmusik“, KV 42, und ist in Form einer Dialog-Kantate komponiert. Für Sopran, Bass und Chor, die sehr reizvoll zusammengestellt ist, auch dramaturgisch höchst spannend. Das Stück ist wohl vom jungen Mozart für die Salzburger Passionsmusiken komponiert, die immer um den Karfreitag herum in der Karwoche stattgefunden haben.
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Sie haben im Jahre 2020 die Kammeroper Salzburg in der Corona-Zeit mitbegründet. Welche Lücke wurde dadurch geschlossen?
Gordon Safari: Die Gründung der Kammeroper ist eine eigene Geschichte. Wir waren Ende Februar 2020 gerade mit den Proben von Mozarts „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“ beschäftigt, das ist Mozarts erste Oper. Das war mit dem Ensemble BachWerkVokal geplant, weil ich gesagt habe: es tut den Sänger:innen und uns allen gut auch immer wieder Oper zu machen, szenisch zu arbeiten und dementsprechend zu musizieren. Dann kam Corona dazwischen und die Proben wurden abgebrochen.
Es war eine Art Trotzreaktion, dass Konstantin Paul, Michael Hofer-Lenz und ich genau in dieser Krise die Kammeroper gegründet haben. Und wir mussten uns mit dem zufrieden geben, was wir machen konnten. Wir haben Online-Produktionen gemacht, die speziell für das Internet geschaffen wurden, wir haben also nicht nur abgefilmt, sondern wir haben eigene YouTube-Opern kreiert. Das war der Beginn und wir haben von Anfang an gesagt: wir wollen gerade in Salzburg, wo wir sehr viel etablierte, klassische Musikszene haben, ein Ensemble gründen, das sich auf das Kammeropern-Repertoire des 20. und 21. Jahrhunderts beschränkt. Das sich stark macht für Uraufführungen, für Eigenkonzeptionen, für performative Konzepte, weil das hier in der Stadt unserer Meinung nach mehr präsent sein dürfte.
„BACH HAT JA WIRKLICH KOMPOSITIONSLEHRE UNTERRICHTET. ICH GLAUBE, MAN MUSS SICH DIESEN UNTERRICHT DAMALS UMFASSENDER VORSTELLEN ALS DAS HEUTE DER FALL IST“
Inwiefern ist Johann Sebastian Bach auch durch seinen Lebensweg eine Inspirationsquelle? Er war zum einen als Komponist sehr erfolgreich und hat zum anderen in seiner zweiten Lebenshälfte auch viel unterrichtet. Sein Wissen weiter zu gegeben, war maßgeblich in seinem Leben.
Gordon Safari: Das stimmt, das ist definitiv so. Ich will nicht den dummen Fehler machen, mich mit Bach zu vergleichen, das wäre vermessen. Ich unterrichte am Mozarteum und auch dieser Teil meiner Arbeit macht mir wirklich sehr viel Freude. Bach hat ja wirklich Kompositionslehre unterrichtet. Ich glaube, man muss sich diesen Unterricht damals umfassender vorstellen als das heute der Fall ist. Heute ist der Unterricht doch sehr fachspezifisch aufgefächert. Ich glaube, das war eine theoretisch-instrumental-praktische Unterweisung, die über Jahre ging, die seine Schüler genossen haben. Davon sind wir heute weit entfernt. Die Schüler:innen mussten konzertant Cembalo spielen können, sie mussten Generalbassspielen können, sie mussten Aufgaben im Chor übernehmen können. Sie mussten aber auch schnell mal ein Streichinstrument, das bei einer Aufführung unterbesetzt war, spielen können. Das war ja ein vollkommen anderes Musikleben und ein so vielschichtiger Zugang zu Musik, wie wir uns das heute gar nicht mehr vorstellen können. Heute soll man sich ja sehr früh spezialisieren, muss das vielleicht auch, um einen Weg als Profi-Musiker:in machen zu können.

Und Bach gilt heute als bedeutendster Komponist überhaupt.
Gordon Safari: Bach ist als Komponist für mich eine ganz entscheidende Inspirationsquelle. Weil ich immer mehr zu der Erkenntnis komme, dass er – wenn man es ganzheitlich betrachtet – den Tonraum in allen kontrapunktischen und harmonischen Konstellationen erforscht. Das beginnt bei ihm sehr früh, schon in seinem Jugendwerk, bis zu den großen Alterswerken „Kunst der Fuge“ und „h-Moll-Messe“. Da ist ein unglaublich kreativer Geist am Wirken, der auch einen Forscher-Spirit hat, mit dem er sich in diesem Raum bewegt, den immer weiter ausleuchtet und so zu immer tieferen Ergebnissen kommt. Wenn man das mal so ganz allgemein herunterbrechen will, kann man das so sagen.
An welchen aktuellen Projekten bzw. Veröffentlichungen arbeiten Sie und Ihr Ensemble gerade?
Gordon Safari: Wir haben im letzten Jahr nach der Veröffentlichung unserer in der Thomaskirche in Leipzig aufgenommenen Bach-CD „Jauchzet & lobet“ eine neue Einspielung gemacht, die sich ganz neuem Repertoire zuwendet. Das kennt fast niemand, der Komponist ist ein katalanischer Bach-Zeitgenossen und heißt Francesc Valls. Er hat unglaubliche Musik komponiert! Wenn man dieses Werk hört und die Stücke überblickt, die wir aufgenommen haben, dann würde man niemals darauf kommen, dass es sich um eine Person handelt, die das alles komponiert hat. Denn es ist eine Vielschichtigkeit an Stilen, an Besetzungsgrößen, an Ausdrucksformen gegeben. Das ist sehr spannend und dahinter steht auch – wie ich es immer sage – ein komponierender Alchemist, der sich sogar mit Drittel- und Vierteltönen befasst hat. Er fordert, dass die auch gespielt werden sollen, das wird also eine ganz spannende nächste CD, die mal kurz von Johann Sebastian Bach weg und zu einem Zeitgenossen aus Barcelona führt, der meiner Meinung nach unbedingt mehr gespielt werden müsste.
Vielleicht ja im Rahmen des Festivals „MusiKunsTheater“, das Sie auch mitinitiiert haben.
Gordon Safari: Das wäre vielleicht wirklich eine tolle Idee, weil man diese Musik natürlich auch in andere Kontexte stellen kann, gerade weil sie so archaisch-experimentell ist. Genau, das wäre denkbar.
Was hat im Rahmen dieses Festivals alles Platz?
Gordon Safari: Da hat wie der schon Titel sagt, alles Platz, was mit Musik, Bildender Kunst und Theater zu tun hat. Es kann zu einer großen Musiktheater-Produktion kommen. Es kann Theaterstücke geben, die für das Festival neu geschrieben wurden. Wir haben es zur Bedingung gemacht, dass die Stücke für das Festival geschrieben werden müssen. Ein bildendes Kunstwerk, das von einer Künstler:in extra für das Festival angefertigt wurde, soll immer das Motto des Festivals widerspiegeln. Das ist ein open space für zeitgenössische, aktuelle Themen, mit denen sich Künstler:innen auseinandersetzen möchten.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank
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Live:
So. 13. April 2025, 17.00 Uhr (Palmsonntag)
Göttlesbrunn, Pfarrkirche
Passio Domini
Passionsmusik der Wiener Klassik
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Kammeroper Salzburg
