Wie viel Kunst passt in einen Kubus? Und wie viele Künstler:innen in eine ehemalige Waschküche? Wahrscheinlich mehr, als man denkt – zumindest, wenn der SETZKASTEN WIEN seine Finger (und Kabelstränge) im Spiel hat. Anlässlich des 50. Kastenkonzerts, das unter dem Namen „WOW Signal Festival, Kastenkonzert #50, KUBUS Tower“ in Kooperation mit dem Sandkasten Syndikat und Wow Signal! in der alten Semmelweisklinik stattfindet, hat sich STEFAN VOGLSINGER, Mitbegründer und Motor des Setzkasten-Kollektivs, mit Ania Gleich zum Gespräch getroffen. Zwischen Palffy- und der Veronikagasse, direkt an der Hernalser Hauptstraße sprachen sie dabei unter anderem über Konzerte mit Wohnzimmergefühl, den Bau einer sechs Meter hohen Performance-Struktur und die große Kunst, künstlerische Räume offen zu halten – für Spontaneität, Begegnung und kollektives Weiterdenken.
Was waren denn die Beweggründe, den Setzkasten als Raum zu gründen?
Stefan Voglsinger: Der Setzkasten als Ort hat sich 2014 gegründet, der Verein 2015 und entwickelt sich seitdem ständig weiter. Ganz ursprünglich war das sogar noch in meinem Wohnzimmer. Mein Wohnzimmer ist dann irgendwann zum Studio mutiert: Es hat sich über die Zeit viel angesammelt, ständig waren Leute da, aber meine Wohnung hatte nur 35 Quadratmeter. Ein Ordnungssystem gab es praktisch keines, also war der Boden ein seismografisches Archiv – oben lagen aktuelle Projekte, unten ältere. Als ich 2006 nach Wien gezogen bin, habe ich ein selbstorganisiertes Proberaum-Kollektiv in der Josefstädterstraße gegründet, den „Joschi“, der bis heute noch aktiv, leistbar und autark ist. Ich bin damals wie heute viel im Ausland unterwegs und habe gesehen, dass viele Kunstkollektive einfache Garagen oder Souterrains nutzten, um künstlerisch kollektiv zu arbeiten, das hat mich inspiriert. In Indonesien habe ich beispielsweise das Lifepatch-Kollektiv kennengelernt, eine „Community based citizen initiative in art, science and technology“, das sowohl befreundete Künstler:innen als auch die Nachbarschaft in ihre Projekte an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Technologie mit einbezieht und den D.I.Y. (Do it yourself) und D.I.W.O. (Do it with others) Spirit lebt. Zurück in Wien wurde klar: Das kann in meiner Wohnung so nicht weitergehen und das, wo es mich hinzieht, funktioniert in einem Musikproberaum nicht mehr. Ich habe also nach einem Atelierplatz gesucht und bin auf Initiativen wie das mo.ë, den Kunstkanal oder die Steinergasse 8 gestoßen. Meistens waren nur kleinere Räume oder einzelne Arbeitsplätze verfügbar, darum hat es damals dort für mich nicht gepasst – trotzdem haben sich dann über die Jahre Freundschaften und inspirierende Kollaborationen mit diesen Initiativen entwickelt. Ich habe allerdings nach etwas gesucht, wo man sich mit all den Interessensfeldern, die mich und die Leute um mich herum beschäftigt haben, richtig entfalten kann. Ein Raum, in den man 24 Stunden kommen und einfach arbeiten konnte – ohne finanziellen Druck, Dinge ausprobieren zu können, die sich vielleicht noch im Experimentier Stadium befinden.
Welche Elemente hatte der Setzkasten von Anfang an?
Stefan Voglsinger: Es gab von Anfang an ein Tonstudio, eine Dunkelkammer für Schwarz-Weiß-Fotografie sowie Analogfilm und die Elektronik-, Instrumentenbau Werkstatt. Stefanie Zingl, ist eine der Mitgründer:innen des Setzkasten, sie ist Archivarin und im österreichischen Filmmuseum tätig. Richard Dergovics, ein Fotograf, hat damals die Fotografie-Schiene eingebracht, die dann bald von der Fotografin und Musikerin Marija Jociūtė in Form von regelmäßigen Pinhole Kamera Workshops übernommen wurde. Ich selbst, als Experimentalmusiker und Tüftler, habe begonnen, Klangskulpturen, Instrumente und Installationen dort zu entwickeln. Damals entstanden auch Workshops und Präsentationen unter dem Namen „Circuit Cooking“. Den Verein haben wir, wie schon erwähnt, erst 2015 gegründet, als Margot Wehinger dazu kam, die eine erfahrene Produktionsleiterin ist. Dann konnten wir beginnen, Förderstrukturen zu durchblicken und sie zu nutzen. Ein paar Jahre später habe ich dann Maria Koller auf der Schmiede in Hallein kennengelernt, mit der ich seit 2017 Projekte wie die „versatzstuecke“ und „TTTOXic Paradise“ entwickelte. Gemeinsam mit Armin Ziegler ist die Setzkasten Crew dann immer weiter gewachsen. Guillermo Tellechea hat damals die längsten Film Loops quer durch den ganzen Kasten gespannt und Musiker wie Jakob Gnigler und Bernhard Geigl gingen damals ein und aus oder bauten das eine oder andere Ding für den Raum. Martin Bienek, der später das Setzkasten Magazin mitbegründete und mit ihm die Literatur connection zum Ilse Aichinger Haus von Gilbert Waltl entstand, öffnete dem Setzkasten, wie könnte es bei dem Logo auch anders sein, das Element der Literatur im weitesten Sinne. Aber mehr dazu später.
Wie kam es zur allerersten Veranstaltung im Setzkasten?
Stefan Voglsinger: Die erste Veranstaltung war ein intermediales Format namens „Klangscherben und Tonbilder“ in Kollaboration mit der benachbarten Galerie „Zwischendecke“. Der bildende Künstler Ernst Miesgang hat seine Plastiken der Serie SHATTERED im Setzkasten präsentiert und es wurden dabei Keramikfiguren zerstört – mit Hammer und Schraubstock – während das Duo PRIM, Sara Zlanabitnig (Flöte & Effekte) und Markus W. Schneider (Gitarre & Effekte) über mehrere Stunden eine musikalisch dystopische Atmosphäre geschaffen hat. Das Publikum konnte eigene Kitschkeramik mitbringen und selbst zerstören. Ich habe die Figürchen mit Kontakt Mikrofonen abgenommen, die Klänge elektronisch verfremdet und zurück in den Raum geworfen. Es war fantastisch und wie immer, bummvoll.
„ES WAR, ALS WÜRDE MAN SEIN WOHNZIMMER ÖFFNEN.”
Wie ging es danach weiter – und wann begannen die ersten Konzerte?
Stefan Voglsinger: Danach folgten unter Anderem Formate wie die „Nullstelle“ oder „3st“ – eine dreistündige Live-Performance, dessen Live Aufnahmen des Melancho Electro-Duos Lionoir und Texte von Irmgard Wyskovsky rückwärts abgespielt und neu interpretiert wurden, mit der Tänzerin Anna Knapp die im Schaufenster und den Kästen mit dem Publikum intervenierte. Es gab Amateurfilmprojektionen von Stefanie Zingl sowie die Arbeit der Taxidermie-Künstlerin Elena Tiis, die das Schaufenster des ehemaligen Ladens für die gesamte Performance-Dauer in ihr temporäres naturwissenschaftliches Kabinett, das als Werkbank zum Ausstopfen zweier toter Vögel diente, verwandelte. Ein in rotem Showmaster-Frack gewandeter mobiler Barkeeper versorgte die Gäste mit Weichem und Hartem. Diese Veranstaltungen bewegten sich immer an der Schnittstelle von Klang, Bild und Performance – die Schnittstellen zwischen den Kunstformen auszuloten, war von Anfang an unser Fokus. Deshalb auch: „Setzkasten, Verein und Werkstatt zur Förderung intermedialer Kunst“.
Und das erste Kastenkonzert?
Stefan Voglsinger: Das fand 2016 statt – mit Dario Fariello, der damals durch Europa tourte. Seither hat sich daraus ein regelmäßig stattfindendes Format entwickelt und wir feiern am 16. und 17. Mai 2025 die 50. Jubiläumsausgabe, das erste Mal extern in der Semmelweisklinik.
Was macht die Kastenkonzerte besonders?
Stefan Voglsinger: Sie sind sehr intim. Also nicht nur die Kastenkonzerte sondern alle Veranstaltungen die bei uns stattfinden. Die Besucher:innen sitzen wortwörtlich auf der Bühne, direkt vor den Performenden. Gerade im Werkstattraum ist das körperlich intensiv spürbar. Und auch hier im modul, das Setzkasten Nachbar Lokal, das seit 2019 von Maria Koller, Gilbert Waltl und mir als Arbeits- und Präsentationsraum genutzt wird, können Besucher:innen von der Galerie runterschauen und sind ganz nah dran. Danach bleibt man oft noch – die Veranstaltungen sind ein wichtiger Ort für die Wiener Szene, um sich untereinander und mit den internationalen Acts auszutauschen. Für Wien sind solche Formate selten – deshalb haben sich die Veranstaltungen rund um den Setzkasten als feste Plattform für experimentelle Musik, Performance und intermediale Kunst in den letzten 10 Jahren etabliert.
Was mich in dem Zusammenhang interessiert: Diese Offenheit für unterschiedliche Formate und Disziplinen – war das schon von Anfang an da? Oder wie war überhaupt die Ausgangsstimmung, als ihr den Raum gegründet habt? Gab es gemeinsame Vorstellungen, ein Konzept – oder hat sich das eher organisch entwickelt?
Stefan Voglsinger: Wir waren auf der Suche nach einem Raum ohne Einschränkungen oder Erwartungen. Wir haben uns nicht in einem Uni-Kontext getroffen, was wir als befreiend empfanden. In Uni-Strukturen gibt es ja doch oft einen Output-Druck: Man muss etwas produzieren, liefern, eine Idee entwickeln. Bei uns stand wirklich das gemeinsame Machen im Vordergrund. Am Anfang waren auch gar keine Veranstaltungen mit Publikum geplant. Wir haben tagelang experimentiert, oft einfach für uns, weil wir die Atmosphäre so liebten. Der Raum war eine Entwicklungswerkstatt, ein Spielplatz für Ideen – auch für Projekte, die später extern stattfanden und mittlerweile gewachsen sind. Irgendwann haben wir gemerkt: Eigentlich wäre es doch super, gleich hier etwas zu machen, weil wir ja alles da haben. Vorher sind wir immer mit Wagerln, Leitern und Bergen von Projektoren quer durch die Stadt gefahren – das war absurd, wie viel Material wir immer mitgenommen haben. Vor allem mit analogen Projektoren oder schweren Metallskulpturen wird das logistisch richtig kompliziert ohne eigenes Auto. Oft haben wir damit den Rahmen und die Vorstellungskraft der Veranstalter:innen gesprengt. Wir machen das immer noch, aber nicht so oft. Irgendwann war klar: Veranstalten wir einfach bei uns selbst! Und das Schöne: Der Setzkasten liegt an der Hernalser Hauptstraße, zwischen der Palffy- und der Veronikagasse, einem Transitort, der zum Hernalser Gürtel verbindet. Mittendrin, zwischen Beisln, Bordells und der Tankstelle. Es sind die unterschiedlichsten Leute vorbeigekommen. Nachbar:innen haben reingeschaut, ob man hier etwas tauschen, kaufen oder zum reparieren abgeben kann. Regelmäßig kamen internationale Gäst:innen wie die Filmemacherin Madi Piller von der Pixfilm Galerie Toronto, der Künstler Michael Sarcault, die Musikerin Aude Rrose aus Frankreich oder Benjamin Wiemann aus Hamburg zum Residieren zu Besuch vorbei. Es war, als würde man sein Wohnzimmer öffnen – ein sehr intimer Rahmen, aber gleichzeitig wurde es öffentlich. Die Kunstsparten haben sich da ganz natürlich vermischt. Unsere Überzeugung war immer: Kunstsparten sollten nicht nebeneinander stattfinden, sondern gemeinsam entstehen und Platz lassen. Oft wird ja Kunst kombiniert – Musik für ein Theaterstück, Visuals zu Musik, Tanz mit Text –, aber bei uns sollte alles gleichberechtigt sein und dialogisch passieren.
Also wirklich ein freier Dialog zwischen den Medien?
Stefan Voglsinger: Genau, dialogisch war das Stichwort. Und alles sollte seinen Platz haben – ohne Einschränkungen. Wenn jemand die Idee hatte, als Long-Durational-Stück im Schaufenster zu übernachten, eine Installation zu bauen, die den Rahmen sprengt oder zwei Jahre lang eine sich stetig wandelnde Skulptur zu präsentieren – super! Solange es mit Respekt dem Raum und den Nachbarn gegenüber passiert. Wir hatten beispielsweise einmal einen Butoh-Tänzer, Adrien Gaumè, zu Gast. Er benötigte vier Stunden, um vom Gang über den Gehsteig ins Setzkasten Innere zu gelangen, nur in einem Bubble-Wrap-Kostüm gekleidet und mit analogen Bewegtbilder-Loops illuminiert. Das Publikum konnte ihn mit Tinte eingefärbten Seidenpapier Schnipsel bekleben und dazu gab es improvisierte Musik. Solche Veranstaltungen haben sich eingebrannt – sowohl bei uns als auch beim Publikum. Wir haben zwar nicht ständig Events organisiert, vielleicht ein-, zweimal im Monat, aber dafür waren die Wochen davor immer voll intensiv. Oft haben wir dafür tagelang an Installationen gebaut oder an Ideen getüftelt. Internationale Künstler:innen kamen vorbei und haben den Raum geprägt. So hat sich der Setzkasten immer weiterentwickelt – detailreich und voll mit Spuren all der Menschen, die dort gewirkt haben und wirken.
Es wirkt ein bisschen so, als ob der Raum eine Art „Houdini der Kunst“ wäre – ein Ort, wo immer wieder kreative Lösungen gefunden werden. Und ihr seid irgendwie die Strangzieher:innen dieses Ortes. Wie funktioniert das?
Stefan Voglsinger: Es gibt immer noch Leute, die den Raum gar nicht kennen. Es kommen immer wieder neue Leute zu Veranstaltungen und sagen: „Was, das gibt’s? Das kenne ich ja gar nicht!“. Dann gibt es Leute, die tauchen nach zwei Jahren plötzlich wieder auf und freuen sich, dass es uns noch gibt. Ich glaube, „funktionieren“ ist bei Kunst sowieso der falsche Begriff. Wenn Erfolg bedeuten würde, dass es möglichst viele Menschen kennen, dann würde so etwas wie der Setzkasten nicht funktionieren – schon allein, weil ja gar nicht mehr Leute reinpassen und es nie genügend Sitzplätze für alle gibt. Bei jedem Kastenkonzert, bei jeder Performance – auch bei Formaten wie den „versatzstuecken“ – geht es nicht um Reichweite, sondern um Intensität. Die „versatzstuecke“, die ich gemeinsam mit Maria Koller 2018 konzipierte und seitdem mit ihr kuratiere, verbinden lokale Künstler:innen mit internationalen Gäst:innen. Die Idee ist, für einen bestimmten Zeitraum in und mit einem Raum ortsspezifisch zu arbeiten. Wobei jede:r Künstler:in etwas für eine gemeinsame Aufführung entwickelt, die alles miteinander verbindet. Daraus hat sich später auch das immersive Performance Format „TTTOXic Paradise“ entwickelt, das eine ausgedehnte Variante der „versatzstuecke“ und eine eigene Produktion ist. Deine theoretische Überlegung verstehe ich gut, aber für uns im Machen war das immer sekundär. Wenn man gemeinsam arbeitet und Kunst schafft, dann sollte diese Frage irrelevant sein. Erst mit dem Blick von außen oder im Rückblick merkt man: „Ah, das hat funktioniert.“ Aber währenddessen geht es einfach darum, dass man den Raum hat, dass man arbeiten kann – ohne Restriktionen. Und das war immer die Idee: Es soll egal sein, ob hier oder woanders – Hauptsache, man kann frei schaffen.
Lustig finde ich, dass heute an Kunstunis genau die Praktiken theoretisch gelehrt und als Modelle vorgestellt werden, die viele Initiativen einfach selbstverständlich gelebt haben.
Stefan Voglsinger: Ja, natürlich! Man muss heutzutage alles irgendwie wissenschaftlich herleiten können oder als Modell darstellen. Aber bei uns war das einfach natürlich gewachsen. Ich weiß ehrlich gesagt oft gar nicht genau, wie wir auf bestimmte Themen oder Formate gekommen sind – sie haben sich einfach durch die Arbeit, durch die Leute und durch den Austausch ergeben. Und natürlich auch über Vernetzungen: Ich bin Musiker, viel unterwegs, ich erzähle Menschen vom Setzkasten, Leute kommen auf Tour nach Wien, schreiben uns. Wir bekommen extrem viele Anfragen für Konzerte. Eine andere Schiene kam dann wiederum über die Literatur affinen Mitglieder: Es gibt 4 Editionen des Setzkasten Magazins, – „1# Hernalser Augensalz“, „#2 Die zwanzig Gebote der digitalen Demenz“, „#3 Das Hernalser Laserreh“, „#4 National Treasure“ – ursprünglich, weil der Setzkasten ja diese Buchdrucklettern im Logo hat, das Michael Sarcault aus Frankreich entworfen hat. So entstand ein Literaturmagazin, in dem wir künstlerische Praktiken dokumentiert und gebündelt haben – eine Art Underground Fanzine, das in Eigenregie und mit Unterstützung des Druckraum Ottakring gedruckt wurde. Darüber hinaus entstand eine Kooperation mit Okto.tv: Über das Projekt „Zwischen_Zeiler LIVE“, initiiert von Gilbert Waltl und Guillermo Tellechea, haben wir 2018 eine Lese- und Performance-Nacht veranstaltet. Das war eine richtig intensive Sache: acht Stunden Lesungen, Performances und Konzerte bis in die Früh. Es gab Schlafsäcke, gratis Kaffee und das ganze wurde live auf Okto und mehreren freien Radio- und Fernsehstationen in Österreich übertragen. Zwei Jahre später haben wir dann mit „Propelling Reality“ die Setzkasten Werkstatt, die Galerie Zwischendecke und das modul verbunden – die drei Räume –, die wir mit einem halben Meter dicken Kabelsträngen aus den Fenstern verbunden haben. Wir haben Ton- und Bildregie aufgebaut, wechselnde Kameraeinstellungen und Moderationen von Stefan Lasko und Darija Kasalo, und 22 Performances, die über einen Open Call kuratiert wurden: alles in Bewegung. Die beiden Events gibt es heute noch als Stream auf okto.tv zu sehen: „Zwischen_Zeiler LIVE“. Das war knapp vor Corona, am Schalttag – 29. Februar 2020 – kurz nachdem wir den neuen Raum, modul, bezogen hatten. „Propelling Reality“ hat schon einiges von dem folgenden Onlinekonferenz Wahnsinn, der dann folgen sollte, vorweggenommen.
„DIESER RAUM EXISTIERT, WEIL WIR DARAN GLAUBEN.”
Wie würdest du im Rückblick auf die letzten zehn Jahre die Entwicklung beschreiben? War es ein stetiges Plätschern oder gab es Wellen, die größer wurden?
Stefan Voglsinger: Von Anfang an war es eigentlich konstant intensiv. Jede öffentliche Veranstaltung war körperlich spürbar. Das Publikum, die Performer:innen – alle waren in einem Raum, es war immer ein Erlebnis, ein Happening. Natürlich gab es aufwändigere oder längere Veranstaltungen, vielleicht auch verrücktere, aber jede einzelne war besonders. Und dann war dieser eine Moment, diese eine Nacht oder dieser eine Tag – ganz in diesem Strom, ganz präsent. Dazwischen gab es auch Arbeitsphasen. Im Sommer etwa sind wir regelmäßig mit dem Format „Setzkasten extern*“ unterwegs. Da besuchen wir lokale und internationale Festivals, arbeiten dort, geben Workshops und präsentieren Projekte.
Was macht ihr da genau bei „Setzkasten extern*“?
Stefan Voglsinger: Da bringen wir die Ideen vom Setzkasten auf Festivals. Alles, was den Verein ausmacht, nehmen wir mit – und Künstler:innen, die wir spannend finden oder die einfach gerade in unser Umfeld passen. Wir geben nicht vor, was sie machen sollen, sondern laden sie ein, mit ihrer eigenen Praxis teilzunehmen. Dann fahren wir zum Beispiel zu zehnt auf ein Festival und gestalten gemeinsam einen Raum oder eine Bühne. Wichtig ist dabei nur, dass es für alle passende Bedingungen gibt: Wenn wir eine bildende Künstlerin mitnehmen, muss es einen Ort geben, wo ihre Arbeiten gesehen werden können. Wir nutzen dann den Raum – oft ziemlich frei – und arbeiten mit dem, was auf dem Festivalgelände herumliegt. Am Artlake-Festival zum Beispiel bespielten wir die Kunstbaracke. Da haben wir Long-Durational-Performances gemacht – und das Festival hat sich zum Ende hin zu einem richtigen Sog entwickelt. Diese „Setzkasten extern*“-Ausflüge sind immer wie ein wilder Klassenausflug: Künstler:innen aus unserem Umfeld, aber auch geladene Gäste, und dann fahren wir vollbeladen hin und bauen einfach auf. Wenn das Festival Team weiß, dass etwas Spannendes passiert, hat man oft extrem viel Freiraum. Das war immer das Schöne: Es gab keinen starren Plan – vielleicht zwei, drei Grundideen, aber eigentlich ist vieles erst vor Ort entstanden, ein work in progress – immer im Wandel. Und während der Woche wird man immer müder, aber auch immer mehr hineingezogen in diesen kreativen Strudel, wo das gemeinsame Schaffen im Vordergrund steht.
Und im Sommer wird dann der Setzkasten in Wien eher zur Produktionsstätte?
Stefan Voglsinger: Genau. Im Sommer sind die Räume in Wien mehr Produktionsstätten. Dann wird es auch irgendwann so voll, dass wir wieder eine Veranstaltung brauchen, um aufzuräumen und Platz zu schaffen. Wenn wir den Raum nämlich für Veranstaltungen herrichten, entstehen oft neue Elemente: neue Beleuchtungen, mitgebrachte Elemente von Reisen schmücken den Raum, bessere Soundanlagen. Zum Beispiel haben wir uns kürzlich die Zeit genommen, die Küche mit einer besseren Anlage auszustatten – das passiert alles nebenbei beim Vorbereiten.
Wer ist denn „wir“ genau? Also sind das die Leute, die auf der Homepage stehen? Oder wer auch immer gerade da ist?
Stefan Voglsinger: „Wir“ ist situationsabhängig. Es gibt einen fixen Kern, der den Verein trägt, der momentan neben mir seit 2017 aus Maria Koller und 2021 Armin Ziegler besteht. Projektbezogen kommen dann ständig andere Menschen dazu. Je nach Veranstaltung sind auch immer wieder neue Leute dabei. Bei „Propelling Reality“ zum Beispiel hatten wir ein Core-Team von etwa sieben Personen und dazu etwa 30 Künstler:innen und Technik. Es gibt kleinere Veranstaltungen, wo sich Freunde ums Kochen oder die Tontechnik kümmern. Die Vereinsveranstaltungen sind immer nach dem Pay-as-you-can Spendensystem zu besuchen. Wir legen viel Wert auf eine gute Atmosphäre und ein respektvolles Klima.
Das klingt so nach einer eigenen Welt – einer kleinen Freiheit.
Stefan Voglsinger: Ja, genau. Das ist der Versuch einer Utopie – ein Safe Space, wo alles passieren kann. Die Freiheit der Kunst muss so sein, zumindest die, der nicht kommerziell gelebten. Dieser Raum existiert, weil wir daran glauben, dass solche Räume möglich sind. Alles steht offen herum – wir sind mehr Wohnzimmer als Veranstaltungsort. Das macht es so besonders: Wir nutzen die Veranstaltungen nicht nur, um ein Programm zu präsentieren, sondern auch, um uns als Gruppe wieder zusammenzuschweißen. Es docken immer wieder neue Menschen an, vor kurzem ist zum Beispiel Fransisca Tan, die sich mit Produktion und Food Experience Design beschäftigt, dem Setzkasten Universum beigetreten. Auch viele jüngere Leute wie der Gitarrist Alexander Babikov, die sagen: „Hey, hier habe ich schon viele tolle Konzerte gesehen, wenn ihr Hilfe braucht, sagt Bescheid!“ Das ist genau die Idee: Offen bleiben, Menschen mit reinlassen, Regeln für einen Moment aushebeln, keine starren Vorgaben oder Hierarchien – einfach Raum für Kunst und Begegnung unabhängig von Alter, Geschlecht oder Herkunft.
Ja, das klingt wirklich besonders. Und diese Überzeugung war von Anfang an da?
Stefan Voglsinger: Ja, das war von Anfang an so. Natürlich gab es größere Veranstaltungen, wo besonders viel Arbeit und kreativer Austausch eingeflossen ist. Aber auch kleine, subtile Formate hatten große Wirkung. Je unterschiedlicher die Projekte, desto spannender wurde es. Und oft sind Leute einfach hängen geblieben, weil diese Vielfalt so anziehend war. Oder es haben sich dann zukünftige Kollaborationen ergeben. Ein sehr schönes Projekt feierte 2018 den Debut Release der 7 Inch Schallplatte Chicken – Natascha Gangl & Rdeča Raketa. MAMKA Records von Maja Osojnik ist ein Label, das aufwendigste detailverliebte Kunstwerke mit viel Liebe veröffentlicht. Damals hat Maja das Klang-Comic „Wendy Pferd Tod Mexico“ mit Matija Schellander und der Autorin Natascha Gangl live im Setzkasten aufgeführt. Erst letztes Jahr habe ich dann meine Solo-Schallplatte „Transceiver“ auf ihrem Label veröffentlicht. Wien ist ein Dorf.
Kannst du noch ein Beispiel nennen für eines dieser Formate?
Stefan Voglsinger: Zum Beispiel „Schaufenster-Artefakte“: Ein Format, bei dem die Auslage zur Straße hin bespielt wird und sie mit dem Außenraum verbindet. Die in Wien lebende Komponistin und Klangkünstlerin Angélica Castelló hat mich letztes Jahr gefragt ob sie ihre „evolving installation – Totem“ im Setzkasten Schaufenster über eine Dauer von zwei Jahren ausstellen kann, da ihr ursprünglicher Ausstellungsort an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien wenig wechselndes Laufpublikum hatte. In ihrer Installation erwachen ausgediente Maschinen zum Leben und treten in Form von Medien Artefakten in einen Dialog miteinander. Ihre Altar-Serien evozieren eine Atmosphäre von surrealistischer Religion, Konsumismus und Trauer über den Abfall. In ihren Müll-Installationen sind Radios, Kassetten, Kabel, Schallplatten, Computer und Plattenspieler zu sehen. Sie passt wie angegossen in die kleinteilige, Objekt-verliebte Umgebung der Setzkasten Werkstatt, die selbst ein skurriles Museum ausrangierter Alltagsgegenstände und Kuriositäten ist. Angélicas Totem-Serie ist Teil des PEEK-Forschungsprojekts „Spirits in Complexity – Making Kin with Experimental Music Systems“, gefördert vom Österreichischen Wissenschaftsfonds. Auch bei Instrument Modern, einer Reihe vom Festival Wien Modern, wurden der Setzkasten und die Schaufenster u.A. mit einer Installation von Patrizia Ruthensteiner und mir als Instrumentenbau Werkstatt bespielt. Oder Veronika Mayer, die Studierende des Studiums Computermusik und Klangkunst am IEM Graz unterrichtet. Sie hat fünf Student:innen mitgebracht, die im Rahmen eines Kastenkonzerts Klangkunstarbeiten mit Transducern im Schaufenster gezeigt haben: Ein paar der Student:innen kommen auch heute noch vorbei. Die genauen Namen findet man alle auf unserer Homepage. Ich bin nicht der Beste mit Namen …
„HIER IM SETZKASTEN KANN ETWAS EINFACH ENTSTEHEN.”
Und ich wollte schon so eine Liste anreißen darüber, wie viele Namen du in der letzten halben Stunde genannt hast!
Stefan Voglsinger: Ja, das sind halt alles nicht nur Kolleg:innen, sondern auch Freund:innen geworden.
Und wie viele Freund:innen das sind!
Stefan Voglsinger: Das sind ziemlich viele, ja. Das ist ja das Schöne: Ich weiß, dass dieser Ort genau das abdeckt, was Leute kreativ brauchen. Manche kommen mit den abstrusesten Ideen. Dann überlegen wir gemeinsam, oder ich vermittle sie weiter, oder sie können den Raum nutzen. Hier im Setzkasten kann etwas einfach entstehen.
Es ist irgendwie im allerbasalsten Sinne Learning by Doing, oder? Also wirklich Neues schaffen – aber das geht eben nur ohne enge Limits, natürlich mit Respekt und Konsens.
Stefan Voglsinger: Genau, oder D.I.W.O. (Do it with others). Da sind wir aber nicht die einzigen. Freunde vom „Metaknoten“, die schon des Öfteren für Konzerte oder Workshops im Setzkasten vorbeigekommen sind, veranstalten regelmäßig das Circuit Control Festival und die DIWO Week in Dresden. Ein tolles Vernetzungstreffen und Lötspektakel der „Circuit Bending“ Kultur. Oder das Homemade Festival der SGMK in der Schweiz, das heuer sein 20-jähriges Bestehen feiert. Oder die Kollegen vom Selbstgebaute Musik Festival in Berlin. Und natürlich die Klangmanifeste, bei denen ich seit 2017 ein bisschen Setzkasten-Spirit beisteuern und gemeinsam mit Christine Schörkhuber, Ulla Rauter und Veronika Mayer kuratieren darf. Die finden jährlich im großartigen echoraum statt – heuer von 3. bis 12. Dezember 2025. Das Rad wird nie neu erfunden, aber es geht um Vernetzung, eine gute Zeit und ums dranbleiben. „Weitermachen“ um Werner Korn zu zitieren.
Mit Respekt, aber ohne starre zeitliche oder formale Einschränkungen. Ein Raum der Möglichkeiten? Freiheit ist oft so ein schwieriger Begriff.
Stefan Voglsinger: Ja, eigentlich sollte Freiheit kein schwieriger Begriff sein. Aber natürlich hängt sie von vielen Faktoren ab – Privilegien zum Beispiel. Deswegen finde ich „Raum der Möglichkeiten“ auch einen sehr schönen Ausdruck. Das passt besser.
Ihr veranstaltet ja am 16. und 17. Mai ein Festival in der Semmelweisklinik zum Anlass des 50. Kastenkonzerts. Wie ist es dazu gekommen?
Stefan Voglsinger: Zuerst war das Festival, dann die Idee, es mit der Jubiläumsausgabe der Kastenkonzerte koinzidieren zu lassen. Das „WOW Signal! Festival 2025” ist eine Kooperation von drei Initiativen: Wow Signal!, dem Sandkasten Syndikat und dem Setzkasten. Gemeinsam organisieren wir das Festival in der alten Waschküche der Semmelweisklinik. Wir nutzen den großen Raum, um das erste Mal den KUBUS Tower aufzubauen und divers zu bespielen. Bis jetzt hat das Kastenkonzert-Format immer im Setzkasten stattgefunden – entweder im Werkstattraum oder im modul. Nachdem wir beim letzten Kastenkonzert am Weltfrauentag, – wo Veronika Mayer und Gobi Drab, Daphna Horenczyk und Zeynep Sarıkartal, sowie Frida Kore gespielt haben – wieder einmal merkten, dass unsere Kapazität einfach begrenzt ist, haben wir beschlossen, anlässlich des 50. Kastenkonzerts das bereits geplante Festival in der Semmelweisklinik als Anlass für die Jubiläumsfeier zu nutzen. Hier im modul passen maximal 40 bis 50 Leute rein – mehr geht nicht.
Wie kam es zur Semmelweisklinik?
Stefan Voglsinger: Gemeinsam mit Jakob Schauer von WOW Signal! war ich auf der Suche nach einem großen leistbaren Raum in Wien, um den KUBUS Tower im Rahmen der nächsten Ausgabe des gemeinsam geplanten Festivals aufzubauen. Außerdem kennen wir viele Leute die in der Semmelweisklinik arbeiten und unsere ehemaligen Nachbarn vom Sandkasten Syndikat sind dorthin gezogen, nachdem ihr Zwischennutzungsprojekt in der Jörgerstraße geendet hat. Wir hatten damals einige gemeinsame Projekte wie Soundwalks mit Multikanal Stücken u.a. der Floating Sound Galerie von Patrick K.H. oder Performances, wo das Publikum zwischen Vronihof, Sandkasten Syndikat, modul und Setzkasten auf Hernalser Erkundungstour geschickt wurde. Da die Förderungen 2025 für kleine Vereine massiv gekürzt wurden, haben wir gesagt: Wir rücken zusammen und veranstalten gemeinsam. So können wir weiterhin faire Gagen zahlen, Publikum bündeln und ein richtig gutes Programm zusammenstellen.
Und das wird dann auch ein Jubiläumskonzert, oder?
Stefan Voglsinger: Genau, das fünfzigste! Insgesamt haben wir bisher in etwa 160 Veranstaltungen gemacht – Workshops, Konzerte, Performances, Ausstellungen –, aber 50 davon waren Kastenkonzerte. Es hat sich echt was zusammengeleppert über die Jahre!
Und ihr bringt auch den Setzkasten-Kubus dorthin: Was ist das?
Stefan Voglsinger: Ja. Der „Setzkasten KUBUS“ ist ein Projekt, das wir zum 10 jährigen, also letztes Jahr, entwickelt haben – aus dem Wunsch heraus, bei Setzkasten extern* – Projekten flexibler und autonomer zu werden. Wenn du als Kollektiv irgendwo hinkommst, gibt es immer Einschränkungen: Limitierte Zeiten, Securities, Absperrungen, ungünstige Überlagerungen mit anderen Bühnen, etc. Also haben wir einen transportablen Raum, einen „Versetzkasten“ entwickelt: ein portables Kubus-System, das als Bühne, analoge Kamera inklusive Dunkelkammer, Werkstatt oder Labor funktionieren kann. Beim WOW Signal! Festival werden wir zwei dieser Containerrahmen übereinander stapeln und einen Turm bauen. Während des Festivals wird dieser für Projektionen, als Bühne für Konzerte und Performance sowie als Präsentationsrahmen für Mehrkanal Audiostücke genutzt. Abwechselnd dazu gibt es auf der WOW Signal!-Bühne audio-visuelle Acts und parallel stattfindendes Programm mit begehbaren Installationen. Das wird richtig spannend!
„INHALTLICH IST ES EIN GEMEINSAMES FESTIVAL, BEI DEM SICH ALLE EBENEN DURCHMISCHEN KÖNNEN.”
Was passiert denn konkret beim Festival?
Stefan Voglsinger: Wir verbinden das Ganze mit einer Setzkasten Residency: Hagai Izenberg – ein toller Musiker, den ich letztes Jahr auf einem Festival in Sizilien kennengelernt habe, kommt nach Wien. Er arbeitet mit aufgenommenen Klängen und elektronisch verfremdeten Soundscapes, aber auch visuell mit KI-Material. Er wird zusammen mit Strobo Robo eine Performance entwickeln. Strobo Robo ist Teil des Sandkasten Syndikats und hat diese genialen farbigen LED Elemente, die Rainbow Pixels entwickelt, die er im KUBUS einbauen wird. Hagai spielt dazu ein Musique-concrete-DJ-Live-Set. Davor gibt es eine Shibari Performance von den Rope Rebels. Das Ganze wird das erste Mal live als Work-in-Progress im KUBUS stattfinden. Außerdem wird Angélica Castelló einen ihrer Toten-Schreine aufbauen. Das ist Teil ihres Projekts „The Totem Series“, die wiederum Teil des Peak Research Project „Spirits in Complexity“ ist, gefördert vom österreichischen Wissenschaftsfonds. Im Setzkasten Schaufenster verändert sich diese Totem-Serie ja schon seit einem Jahren immer wieder – und jetzt wird es eben auch beim Festival eine Version davon geben.
Und sie macht das zusammen mit anderen Künstler:innen, oder?
Stefan Voglsinger: Die Installation baut sie alleine auf, aber sie spielt am Freitag auch gemeinsam mit Gabriela Gordillo und Masha Kuzyk an den digitalen Projektionen. Es ist eine neue Konstellation, sie sind noch nie zusammen live aufgetreten, entwickeln aber für das Festival ein gemeinsames Stück.
Und es gibt auch eine Tanz-Performance, habe ich verstanden?
Stefan Voglsinger: Ja, neben den Rope Rebels, ebenfalls am Freitag Oleg Soulimenko und Franz Hautzinger: „First there was a fence, and that’s the way it was supposed to be. Then an ambush, sometimes a raid. And then one day, no one wanted anything.“ Bei den Kastenkonzerten werden oft zwei Konzerte und eine Performance gezeigt um die Szenen zu vermischen. Meistens sind es kurze Exzerpte aus Stücken die gerade im Tanzquartier, brut Wien, Huggy Bears, WUK oder imFlieger Premiere hatten. Das ist toll, weil so können die Künstler:innen ihre Werke nochmal in einem anderen Rahmen einem neuen Publikum präsentieren.
Und was erwartet uns noch musikalisch?
Stefan Voglsinger: Am ersten Abend wird außerdem das Duo agar agar spielen – Martina Moro gemeinsam mit Fabian Lanzmaier. Klänge, die in Echtzeit von Synthesizern erzeugt werden, werden an Audiowandler gesendet, die Flüssigkeiten unterschiedlicher Dichte in einem Behälter auf einem Overhead Projektor anregen. Die Muster, die auf der Oberfläche erscheinen, werden gefilmt und auf eine Leinwand zurück projiziert. Die von der Kamera aufgenommenen Bilder werden transformiert und in den Audiopfad zurückgeführt, wodurch bestimmte Parameter eines Synthesizers verändert werden, was zu einem offenen Feedback-System mit eigener Dynamik und Abhängigkeiten führt. Ich mag die beiden sehr gerne.
Und am zweiten Tag?
Stefan Voglsinger: Da wird ein Duo vom Sandkasten Syndikat Umfeld beigesteuert: Je. Jesch und Leeres_Leben. Dann wird noch Daniel Haas, alias STURMHERTA seine AV-Performance „VRA“ zeigen, die sich mit Synthesizern und digitalen Projektionen der Bild-Sonifikation widmet. Außerdem spielt Monza Blitz mit der Tänzerin Maartje Pasman – musikalisch ein Trio mit July Skone an den Drums, Markus Schneider an der Gitarre und ich werde Selbstgebautes, Elektronik und Field Recordings dazu machen.
Man kann es gar nicht so streng trennen, oder? Kastenkonzert, Wow Signal, Setzkasten – es verschwimmt alles miteinander.
Stefan Voglsinger: Ganz genau, da gibt es viele Überschneidungen, das macht es auch ein bisschen schwierig zu kommunizieren mit all den unterschiedlichen Namen. Inhaltlich ist es ein gemeinsames Festival, bei dem sich alle Ebenen durchmischen dürfen. Es entstehen neue Verbindungen, neue Experimente, und manchmal weiß man nicht, was am Ende rauskommt – das ist ja gerade das Schöne.
Und der Kubus framed das alles?
Stefan Voglsinger: Der Kubus wird eine eigene Installation/Bühne sein. Wir haben vier Lautsprecherboxen an den Ecken montiert und via Open Call quadrophonische Kompositionen kuratiert, die dann vor den Konzerten ab 18:00 präsentiert werden. Weil wir in der Waschküche der Semmelweisklinik sind, werden aus Respekt den Nachbarn gegenüber die Konzerte um 22 Uhr vorbei sein. Aber dafür gibt es ja zwei Tage.
Ich kann mir das alles schon richtig gut vorstellen. Der Raum, der Kubus, die Atmosphäre – das wird sicher wunderschön.
Stefan Voglsinger: Voll! Ursprünglich wollten wir den Turm einfach mal in einem geschützten Raum aufbauen – ohne Wind, Regen und matschigen Boden. Weil das Ding wiegt fast 800 Kilo und ist sechs Meter hoch. Und in Wien ist es echt schwer, große Räume zu finden. Durch die Kooperation mit der Semmelweis Klinik und dem Sandkasten Syndikat war es möglich, den Raum eine Woche vor Festivalbeginn als Arbeitsplatz zu nutzen.
Und dann haben sich die anderen einfach dazugesellt?
Stefan Voglsinger: Die Idee entstand gemeinsam. Jakob Schauer mit dem WOW Signal! Festival, das Sandkasten Syndikat, der Setzkasten – alle bringen Acts, Technik, Ideen ein. Und es gibt überall Überschneidungen: Setzkasten-Leute spielen beim Wow Signal!, Sandkasten-Syndikat-Leute performen im KUBUS. Es wird richtig schön verwoben – ein großes gemeinsames Festival, das trotzdem offen bleibt für spontane Begegnungen.
„DAS HERZSTÜCK WAR IMMER DAS, WAS DIE MENSCHEN DARAUS GEMACHT HABEN.”
Ein Punkt, den ich noch ansprechen wollte, bevor wir aufhören: Du meintest in unserem Vorgespräch, dass du dieses Jahr auch die Kuratierung des Werkstattraums abgeben möchtest? Was ist damit gemeint?
Stefan Voglsinger: Ach so, ja. Es ist eher eine Transformation, die gerade stattfindet. „Kuratiert“ hat sich der Raum auf gewisse Weise schon immer selbst, ich war nur der Motor. Das Gassenlokal auf der Hernalser Hauptstrasse 29, zu dem 2014 mein Wohnzimmer mutiert ist, war von Anfang an als Raum für gemeinsames Experimentieren und intermediales Arbeiten gedacht. 2019 kam dann das modul als Arbeitsraum dazu. Im Laufe der Zeit hat dieser Raum einfach immer mehr an Bedeutung gewonnen. Die Projekte, die wir jetzt machen – wie etwa der KUBUS oder TTTOXic Paradise – brauchen mehr Platz und Zeit für die Entwicklung. Außerdem steigen die Mieten und die Förderungen werden gekürzt, da ist es logisch, dass man seine Kräfte bündeln muss – aber es ist auch ein inneres Bedürfnis nach Veränderung da.
Mit „Werkstattraum“ meinst du also den Raum nebenan?
Stefan Voglsinger: Genau, da geht es nur um den Werkstattraum, der Verein bleibt weiter bestehen und wir arbeiten auch an neuen Projekten. Und jetzt ist der Moment gekommen: Im September werden wir die Werkstatt zur Weitergabe öffnen. Mir ist eigentlich egal, wie der Raum dann genutzt wird – aber natürlich wäre es schön, coole Nachbar:innen zu haben. Ich fände es toll, wenn neue Leute den Raum auf ihre Weise beleben, dann können wir uns mehr auf eigene Veranstaltungen und neue Projekte fokussieren.
Das heißt, ihr konzentriert euch künftig mehr auf das modul hier?
Stefan Voglsinger: Unter anderem, ja. Wenn ich nicht gerade unterwegs bin, findet man mich dort im Tonstudio, was übrigens jetzt gerade zu meinem Wohnzimmer mutiert ist. Ich finde es aber auch super, wenn Projekte weiterlaufen, wenn ich nicht in Wien bin. Hier im modul fühle ich mich sehr wohl, es ist mit seiner Vier-Kanal-Anlage und den dimmbaren Theaterscheinwerfer neben den Veranstaltungen der ideale Raum für Workshops oder Proben. Falls sich irgendwann ein größerer Raum findet, dann kann man wieder überlegen etwas Neues zu entwickeln. Wien braucht mehr selbstorganisierte alternative Räume!
Also es gibt noch keinen neuen Raum – aber die Vision für die Zukunft bleibt offen?
Stefan Voglsinger: Für die nächsten Projekte bleiben wir hier – die Kastenkonzerte, die Versatzstücke, der KUBUS und andere Formate laufen weiter. Zum Beispiel gibt es am 28. September ein richtig schönes Projekt: Metamkine wird bei uns im modul auftreten. Jerome und Xavier haben bereits in unterschiedlichen Formationen bei uns gespielt, aber als Metamkine ist es eine Premiere. Normalerweise treten sie nur auf größeren Bühnen auf. Jetzt spielen sie bei uns zwei Shows – eine um 18 Uhr und eine um 19 Uhr – bei kompletter Verdunkelung des Raums. Es wird ein ganz spezielles Format: intim, konzentriert, richtig besonders. Und für mich fühlt sich das wie ein schöner Abschluss eines Kapitels an.
Es klingt wirklich so, als ob der Moment für eine Transformation perfekt passt – sowohl persönlich als auch für den Raum.
Stefan Voglsinger: Ja, total. Die Mieten steigen, die Förderungen für kleine Kulturvereine werden weniger – aber auch unabhängig davon: Es fühlt sich stimmig an. Der Setzkasten bleibt und das Herzstück war immer das, was die Menschen daraus gemacht haben – nicht die Quadratmeterzahl. Und es bleibt spannend, weil immer neue Leute dazukommen.
Inwiefern hat dich das Setzkasten-Konzept oder der Setzkasten-Ansatz als Mensch oder als Künstler geprägt? Immerhin sind es elf Jahre. Oder anders gefragt: Bist du der Setzkasten?
Stefan Voglsinger: Nein, ich bin nicht der Setzkasten. Es ist ein Teil von mir, auf jeden Fall und wir sind gemeinsam gewachsen. Es war eine logische Entwicklung: Jede:r Künstler:in braucht einen Ort zum Schaffen. Für manche ist es die Leinwand, für mich war es der Raum, in dem viele Interessen Platz haben – Sound, Fotografie, Film, Performance. Und weil ich sehr gerne mit Menschen zusammenarbeite, war ein offener, künstlerischer Raum die logische Konsequenz.
Voll, das meinte ich auch gar nicht. Ich habe eher gemeint: Wie hat dich dieses Konzept, das sich über die Jahre entwickelt hat, als Person geprägt?
Stefan Voglsinger: Ich habe dadurch unglaublich viele tolle Leute kennengelernt – Künstler:innen, Freund:innen, inspirierende Menschen –, die ich ohne den Setzkasten nie getroffen hätte. Und darum geht es eigentlich immer. Es geht nicht um Erfolg, nicht um Objekte oder Instrumente – es geht um Begegnungen. Der Setzkasten hat dafür gesorgt, dass so viele Menschen zusammengekommen sind.
Auch Gspusis?
Stefan Voglsinger: Ja, auch Gspusis! Aber genauso auch musikalische, künstlerische Beziehungen! Ich kenne mindestens zwei oder drei Paare, die sich bei Veranstaltungen im Setzkasten kennengelernt haben. Und auch musikalisch entstehen immer wieder neue Projekte: Zum Beispiel eine Band aus Ungarn und eine Künstlerin aus Wien – die haben sich bei einem Konzert spontan zusammengetan und gesagt: „Lass uns morgen gemeinsam etwas aufnehmen.“ Und weil ich ja immer die Konzerte aufnehme, konnten sie das direkt machen. Oder bei Residencies: Künstler:innen wie Aude Rrose die zum Arbeiten kommen und sich völlig in ihrer Arbeit verlieren können, weil der Raum das zulässt. Das finde ich schön. Oder Benjamin Wiemann aus Hamburg: Er hat hier einen Monat lang gearbeitet, eine Ausstellung vorbereitet, eine Hommage an Otto Piene – und jeden Mittwochabend geöffnet: mit Ausstellung, Suppe und Süßspeise für die Besucher:innen. Solche Projekte entstehen, weil der Raum offen ist und wir immer sagen: „Ja, bitte mach das!“ Es gibt keine Einschränkungen – und genau das macht den Setzkasten aus. Nicht ich alleine, sondern die Menschen, die ihn beleben.
Das ist wirklich schön. Ich werde das Interview an dieser Stelle einmal beenden. Danke dir für diese tiefen Einblicke!
Stefan Voglsinger: Danke dir!
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Ania Gleich
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