Auf dem Spielplan des Landestheaters finden sich regelmäßig Opern- und vermehrt auch Musiktheateraufführungen. Während die Kooperation mit dem Symphonieorchester Vorarlberg aktuell mit Verdis Oper „Rigoletto“ über die Bühne geht, laufen die Vorbereitungen für die bevorstehende Produktion in Zusammenarbeit mit dem Landeskonservatorium auf Hochtouren. Das aktuelle „Opern-Schauspiel-Pop“ Projekt namens „Alcin@“ bedeutet eine Transformation von künstlerischen Vorlagen aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Darin liegt wohl ein besonderes Interesse des Intendanten Alexander Kubelka, denn dies war auch ein Wesensmerkmal der letztjährigen Musiktheaterproduktion „Die gefährlichen Liebschaften“ mit Musik von Marcus Nigsch.
Eine aktualisierte Lesart der Barockoper
Benjamin Lack vom Landeskonservatorium hat als musikalischer Leiter der aktuellen Produktion die Oper „Alcina“ von Friedrich Händel zur Aufführung ausgewählt. Jedoch sollte nicht eine Oper im herkömmlichen Sinn realisiert werden, sondern etwas Neues entstehen. Alexander Kubelka lud den Autor und Regisseur Bernd Liepold-Mosser sowie die Band Naked Lunch zur Zusammenarbeit ein. Von der Aktualität der Händeloper „Alcina“ war Bernd Liepold Mosser sogleich begeistert und er präzisiert, wie er den Inhalt der Oper mit dem aktualisierten Titel „Alcin@“ verstanden wissen will. Auf keinen Fall gehe es um eine Vermischung oder gar „Verpoppung“ der Oper. „Vielmehr handelt es sich um eine Art von Opern-Dekonstruktion, um eine heutige, aktualisierte Lesart von Oper, in der die Elemente Oper, Schauspiel und Band eigenständig nebeneinanderstehen und auf inhaltlicher Ebene ein Austausch- und Reibungsprozess der drei Sparten in Gang gesetzt wird. Es geht also nicht um eine Zerstörung von Oper, sondern um den stringenten Versuch, diese drei Elemente in ihrer Reinheit zu belassen und auf einer anderen Ebene kommunizieren zu lassen.“
Die Zauberwelt der Alcina
Händels „Alcina“ ist eine Zauberoper. Die Hauptprotagonistin Alcina residiert auf ihrer Insel, lockt die Männer scharenweise an und nachdem sie ihrer überdrüssig geworden ist, verwandelt sie ihre ehemaligen Liebhaber in Bäume, Tiere oder Steine. So wird Alcinas Refugium immer prächtiger und für die Männer verlockender. Doch eines Tages macht sie einen folgenschweren Fehler: Sie verliebt sich.
Aus der Originaloper hat Benjamin Lack ein Substrat heraus filtriert. Eine Damenriege des Landeskonservatoriums wird die Hauptrollen der Alcina, des Ruggiero, der Morgana, der Bradamante und des Oronte verkörpern. Den Orchesterpart interpretiert ein Barockorchester des Landeskonservatoriums. „Bei den Opernfiguren geht es mir um die Zeichnung eines sehr klaren charakterlichen und emotionalen Profils, wie es in den Arien angelegt ist. Gleichzeitig gibt es eine Art Verdoppelung der Figuren auf der Ebene des Schauspiels. Sie transferieren Alcina, Bradamante, Ruggiero aus der Renaissance-Welt in unsere Gegenwart“, erklärt Benjamin Lack.
Erinnern und verirren
Der Autor und Regisseur Bernd Liepold-Mosser verarbeitet die zugrundeliegende Handlung der Oper wie ein Textmonteur. „Bei ‚Alcin@’ bedeutet das konkret, dass ich die Rezitative, in denen das Libretto die Handlung erzählt, als Textgrundlage genommen und mit einer eigenen Textur überschrieben habe, die sich in der Welt des 21. Jahrhunderts situiert. Diese Textflächen werden nun von einer Schauspieltruppe performativ umgesetzt, wobei die Figuren so etwas wie ‚Avatare’ der Barockfiguren sind. Sie tragen die Erinnerung, die einstmals großen Gefühle in sich und verirren sich gleichzeitig in der schwächer konturierten, labyrinthischen Oberfläche der Gegenwart.“
Aktuelle Fragen
Einen wichtigen Hinweis auf die Interpretation der „Alcina“ gibt der Klammeraffen @ im Titel. „Die Insignie des Computerzeitalters verweist sehr direkt auf unsere gegenwärtige Welt, die zu einer digitalen Welt geworden ist, was sich nicht nur auf die Art und Weise auswirkt, wie wir uns informieren und miteinander kommunizieren, sondern auch darauf, wie wir uns selbst begreifen und wie wir unsere Identität konstruieren. Was in den ‚social media’ wie ‚facebook’ abgeht, hat auf verblüffende und direkte Weise mit dem zu tun, worum es auch in Händels ‚Alcina’ geht, etwa das Thema, dass man sich als Subjekt auf der digitalen Oberfläche imaginäre Erscheinungen erschafft, die sich nicht mehr mit der tatsächlichen Lebensrealität decken“ erläutert der Regisseur und gibt weiters zu bedenken. „Damit zusammen hängt natürlich die aktuelle Frage der digitalen Überwachung, wobei mir vorkommt, dass die vorauseilende Überwachung der User auf ihren Profilseiten beziehungsweise die quasi freiwillige Normierung auf restriktive Standards weitaus tiefgreifender und repressiver wirkt als die Datensammlungen der NSA.“
Einen ähnlichen Vergleich zieht Benjamin Lack. Für das @-Zeichen „steht die Alcina auf ihrer Zauberinsel. Das ist ein Bild für die Parallelwelt, wo Alcina schaltet und waltet. Sie lässt ihre Puppen spielen, doch letzen Endes geht sie an ihrem eigenen System zu Grunde.“
Videos und Rockmusik
Ein geeignetes Mittel, um die Gegenwelten darzustellen, sind Videoprojektionen. Sie kommen in „Alcin@“ zum Einsatz, wie Bernd Liepold-Mosser anklingen lässt. „Ich beziehe in die Arbeit am Theater sehr oft filmische Projektionen oder Visuals mit ein, da dies ein mehrstimmiges, simultanes Erzählen und das Ablaufen paralleler Ebenen ermöglicht. In unserem Fall werden die Projektionen – im Kontext des Bühnenbildes – auch dazu dienen, die Ebenen Opern-Schauspiel-Pop zu verbinden.“
Spannende musikalische Querverweise bietet „Alcin@“, weil neben der originalen Musik von Händel auch extra komponierte Musik der Band „Naked Lunch“ erklingen wird. Bernd Liepold-Mosser hat schon mehrere Projekte mit „Naked Nunch“ realisiert, zuletzt im Rahmen des Kafka-Stückes „Amerika“, für das er im vergangenen Jahr den Nestroy-Preis erhalten hat. „Jedes Projekt wirft die Frage auf, wie eine Zusammenführung von Theater und Pop stattfinden kann. Bei unserem Kafka-Projekt ‚Amerika’ war es so, dass die Songs der Band die Aufgabe erfüllten, jene Emotionalität weiterzuführen, die in der kafkaesken Textur ausgespart bleibt. Bei ‚Alcin@’ haben wir nun die wirk- und emotionsmächtige Musik Händels, und die Band wird darauf mit ihren musikalischen Mitteln antworten – ebenfalls wirk- und emotionsmächtig.“
Den ersten Anschein widerlegen
Zwischen den unterschiedlichen Genres bilden stilistische Brüche einen Nährboden, die es fantasievoll auszuloten gilt. Die Oper, das Schauspiel und die Musik von „Naked Lunch“ bilden drei Ebenen, die „in ihrer künstlerischen Form zunächst nichts miteinander zu tun haben. Die Aufgabe des Abends ist es, diesen ersten Anschein zu widerlegen“, so der Regisseur. „Ich hoffe, man wird sehen, dass die drei Bereiche nicht um Welten getrennt sind, sondern von ein- und derselben Welt handeln: der Welt des menschlichen Fühlens und Begreifens“. Oliver Welter kündigt an, dass die Brüche zwischen der Musik von „Naked Lunch“ und der Originalmusik der Oper ein stringentes Stilmittel sein werden. „Dennoch werden wir bestrebt sein, die beiden Welten sich hie und da treffen und im Bestfall eine Einheit werden zu lassen.“
Kontrapunkte und Querverweise
Wahrscheinlich wird sich erst während der Proben herauskristallisieren, in welcher Art die einzelnen Teile gewichtet und in welcher Form die Spannungsfelder ausgelotet werden. „Die Originalmusik hat nicht mehr das Gewicht, das sie hatte“, weiß Benjamin Lack, denn „das was in den Rezitativen passiert, die Fortschreibung der Handlung, wird nun primär über die Schauspieler stattfinden. Von Händel bleiben die Arien, diese bedeuten Momente des Innehaltens und wie ein Schlaglicht beleuchtet die Musik den Seelenzustand der handelnden Personen.“ Ergänzend dazu sagt Oliver Welter: „Wir wollen musikalisch einen Kontrapunkt zur Händelschen Musik setzen. Unsere Musik hierbei soll schlanker und einfacher und wohl auch unmittelbarer sein.“ Selbstverständlich kommt auch Elektronik zum Einsatz. „Naked Lunch“ befindet sich derzeit mitten im kompositorischen Prozess, deshalb möchten sie noch keine konkreten Hinweis auf musikalische Querverweise zu Händels Musik geben. Doch „mit allergrößter Wahrscheinlichkeit werden sich musikalische Querverweise gar nicht umgehen lassen, was ja sehr spannend sein kann.“
Mit Neuem den Erfahrungshorizont erweitern
Neben den künstlerischen Herausforderungen ist diese Kooperation zwischen dem Landeskonservatorium und dem Landestheater eine große Chance für die Studierenden. „Von der Arbeit mit professionellen Schauspielern, dem Regisseur und der Band sowie von der Inspiration und künstlerischen Befruchtung können unsere Studierenden nur profitieren“, freut sich Benjamin Lack und lässt sich dabei ganz bewusst auf das Neue und auch Unvorhergesehenes ein. Denn in dieser Produktion sieht er auch eine Gelegenheit „das Kunstwerk Oper auf neue Art attraktiv zu machen, um auch ein junges Publikum anzusprechen.“
Silvia Thurner
Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, im März 2014 erschienen.
Termine:
Freitag, 28.3.2014 Georg Friedrich Händel/Naked Lunch, „Alcin@“, Uraufführung
Weitere Vorstellungen 2., 8.,12., April 2014, 2., 15. und 18. Mai 2014
Foto Naked Lunch: Ingo Pertramer
Foto Bernd Liepold-Mosser: Helge Bauer