30 Jahre mica: „Fair Pay ermöglicht Qualität“

Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des österreichischen Musikinformationszentrums mica – music austria verfasste Sabine Reiter für das Branchenmagazin „Film, Sound & Media“ einen zweiteiligen Gastbeitrag über 30 Jahre Kulturpolitik. Der erste Teil widmete sich dem Urheberrecht und der digitalen Welt. Der zweite Teil behandelt die Themen Fair Pay, Sozialversicherung und Steuern.

Um über Fair Pay zu schreiben, ist es wichtig, zunächst nach den Zielen der Förderung von Kunst und Kultur fragen. Die einschlägigen Gesetze auf Bundes- und Länderebene geben Hinweise: Es geht um Qualität, Innovation, Vielfalt, Vermittlung, aber auch um die Verbesserung der sozialen Lage von Künstler:innen. Förderung von Organisationen und Projekten bedeutet zunächst immer, dass Menschen für ihre Arbeit bezahlt werden sollen, weil die Marktgegebenheiten eine Finanzierung dieser Tätigkeit nicht ermöglichen. Die Qualität sorgt neben anderen Kriterien dafür, dass nicht alle Organisationen und Projekte automatisch gefördert werden.

Förderungen im Kulturbereich sind also dazu da, um Kulturangebote professionell und in hoher Qualität abwickeln zu können. Faire Bezahlung sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Jahrzehntelang wurde allerdings von vielen Förderstellen die Praxis verfolgt, die eingereichte Summe automatisch um bis auf die Hälfte zu kürzen. Auf der anderen Seite wurden Förderanträge möglichst „aufgeblasen“ um wenigstens einigermaßen bei der tatsächlich benötigten Summe zu landen. Auf der Strecke blieb meist die Bezahlung von Künstler:innen, aber auch die der Organisator:innen. Diese Art der Förderung ist ein volkswirtschaftlicher Bumerang – wer jetzt schlecht bezahlt, belastet mittel- und langfristig das Sozialsystem. Fair Pay ist aber nicht nur eine soziale Angelegenheit, Fair Pay ermöglicht Qualität.

Bild Sabine Reiter
Sabine Reiter (c) Maria Frodl

Erst die Corona-Zeit hat deutlich gemacht, wie sehr sich die sowohl Fördergebarung als auch die Bezahl- und Vertragspraxis von Institutionen auf das Einkommen für Künstler:innen auswirkt. Die von der IG Kultur im Jahr 2011 gestartete Kampagne für Fair Pay im Kulturbereich wurde 2020 von der Regierung aufgegriffen und mündete schließlich in einen Fair-Pay-Diskurs gemeinsam mit den Landeskulturabteilungen und den Interessengemeinschaften des Kunst- und Kulturlebens. Der fairen Bezahlung gilt nun ein Hauptaugenmerk. Nötig dafür: transparente Einreichungen, die erkennen lassen, welche Honorarsätze und Gehaltsschemata angewandt werden.

Fair Pay ist mittlerweile ein wichtiges Kriterium für öffentliche Förderungen in Österreich: Den Rahmen bilden die 2021 unterzeichnete „Fair-Pay-Strategie der Gebietskörperschaften“ sowie der „Fairness Kodex“ als Selbstverpflichtungsinstrument des Kunst- und Kulturbereichs. Um Fair Pay zu finanzieren, muss auch das Budget dafür steigen: In den Jahren 2020 bis 2024 ist das Kunst- und Kulturbudget des Bundes um 202,8 Mio. Euro bzw. 43,5 Prozent angestiegen. Auch in den Bundesländern wurden Mittel für „Fair Pay“ bereitgestellt. Die Fair-Pay-Strategie ist ein wichtiger erster Schritt und eine wohl historische Errungenschaft im Bereich der Kunst- und Kulturförderung.

Erleichterungen für die Künstler:innenschaft und ihr wirtschaftliches Umfeld lassen sich nicht nur durch Förderungen erzielen, sondern auch durch Veränderungen der Sozialversicherungs- und Steuergesetzgebung.

Die Sozialversicherung sorgt seit Jahrzehnten für Diskussionen. Orientierte man sich lange Zeit noch an der deutschen Künstlersozialversicherung als idealem Modell, so wünschen sich heute viele Interessengemeinschaften Verbesserungen innerhalb der bestehenden Sozialversicherung der Selbständigen. Aktuell gibt es erst ab dem 42. Tag rückwirkend eine Unterstützungsleistung. Diese veraltete gesetzliche Regelung geht davon aus, dass Unternehmer:innen ohnehin Rücklagen haben, um Zeiten der Krankheit zu überbrücken. Aber Auf welche Rücklagen sollen prekär arbeitende Selbständige zurückgreifen, um einen Krankenstand bis zu 42 Tagen zu überbrücken? Für prekär arbeitende neue Selbständige ist das nicht adäquat. Deshalb wäre der Bezug von Krankengeld ab dem 4. Tag im Regelsystem, also ohne eine Zusatzversicherung abschließen zu müssen, ähnlich dem Modell für die Angestellten, eine deutliche Verbesserung.

Seit 2001 gibt es den Künstler-Sozialversicherungsfonds. Der Fonds bezuschusst die Sozialversicherungsbeiträge selbständig tätiger Künstler:innen. Da die Auswahlkriterien allerdings sehr streng sind, plädieren die Interessengemeinschaften des Kunst- und Kulturbereichs für ein Modell, das für wesentlich mehr Künstler:innen greift. So wären etwa die Abschaffung der Einkommensuntergrenze und die Erhöhung der Obergrenze sowie eine jährliche Erhöhung des Fonds bzw. der Zuschüsse der Situation von Künstler:innen angemessen.

Das seit 1991 bestehende erfolgreiche Modell IG-Netz der Interessengemeinschaft Freie Theaterarbeit hingegen leistet Zuschüsse für Theater bzw. freie Theatergruppen zu den Sozialversicherungsbeiträgen für Anstellungen von Künstler:innen und wird vom BMKÖS sowie seit 2020 – ausgelöst durch Corona – von sämtlichen Bundesländern unterstützt.

Für Künstler:innen sind – so ist es auch den beiden vom Bund in Auftrag gegebenen Studien zur sozialen Lage der Künstler:innen zu entnehmen – tageweise Beschäftigungen typisch. Die freiwillige Arbeitslosenversicherung ist vor allem dann sinnvoll, wenn man sich Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung für Angestellte über die vorgesehenen fünf Jahre hinaus erhalten möchte, etwa wenn man sich beim Sprung in die Selbständigkeit nicht ganz sicher ist. Ein anderes System der Arbeitslosenversicherung wäre dringend nötig, da es bei Künstler:innen eher um eine zeitweilige Auftragslosigkeit als um Arbeitslosigkeit im eigentlichen Sinne handelt – etwa nach dem Modell der französischen Intermittence, bei dem die Lücken zwischen den zahlreichen kurzzeitigen Arbeitsverträgen finanziell überbrückt werden.

Im steuerlichen Bereich gilt seit 1. Jänner 2024 ein wesentlich erleichterter Zugang für gemeinnützige Vereine zur Spendenbegünstigung. Das ist ein wichtiger Schritt für Organisationen im Kulturbereich, für die es bisher sehr schwierig bzw. teuer war, in die Liste der spendenbegünstigten Organisationen aufgenommen zu werden. Auch die steuerfreie Freiwilligenpauschale für gemeinnützige Organisationen ist eine wichtige neue gesetzliche Regelung.

Erste wichtige Schritte sind getan, es bleibt aber noch einiges zu erledigen, um Künstler:innen zu angemessener Bezahlung und sozialer Absicherung zu verhelfen.


Sabine Reiter ist geschäftsführende Direktorin des österreichischen Musikinformationszentrums mica – music austria.


Teil 1 des Gastbeitrags erschien erstmals in der Ausgabe Film, Sound and Media No3/2024.
Teil 2 des Gastbeitrags erschien erstmals in der Ausgabe Film, Sound and Media No4/2024.