Das Blue Tomato im 15. Wiener Gemeindebezirk feiert sein 30-jähriges Bestehen. Ein kleiner Club, der Großes leistete und leistet – sowohl als kommunaler Treffpunkt und klasse Bar als auch in Sachen herausragender Konzerte, die hier in der Wurmsergasse regelmäßig – außer während der Saison im gemütlichen Gastgarten – über die Bühne gehen. Wirt und Veranstalter Günter Werner erzählt im mica-Interview mit Andreas Fellinger über die reichhaltige Geschichte, ihre Entwicklung bis zur Gegenwart und die vielen Highlights während der drei Jahrzehnte Blue Tomato.
Günter, wie hast du es im Lauf der ersten 30 Jahren Blue Tomato zustande gebracht, dass Kapazunder wie Ken Vandermark oder Peter Brötzmann mit Vorliebe in eurem kleinen Club spielen statt in bedeutend größeren Spielstätten?
Die Szene um Vandermark und Brötzmann ist bei uns seit ca. zehn Jahren massiv vertreten. Erstkontakte haben sich durch Erhard Hessling ergeben, der damals noch seine Agentur in Bielefeld hatte und diese Künstler in Europa vertreten hat. Und um Stehtage zu füllen, wurden eben auch kleinere, finanziell nicht so potente Clubs angefragt. Dass die dann immer wieder gern kommen und hier spielen, hat wohl mit dem Raum zu tun, der atmosphärisch und soundmäßig funktioniert. Es wird bei uns ja in der Regel akustisch gespielt, ohne großen technischen Aufwand mit Mikrofonierung oder Monitoring, und diese Unkompliziertheit und der direkte Kontakt zum Publikum auf der 20 Zentimeter hohen Bühne werden von vielen geschätzt. Und vielleicht spielt auch unsere Wertschätzung der Arbeit dieser Musiker und der daraus resultierende Umgang mit ihnen und die Betreuung während ihres Aufenthalts hier eine kleine Rolle. Es würde uns jedenfalls freuen.
Ein Faktor ist sicher auch ein aufmerksames, interessiertes, manchmal enthusiastisches Publikum,
das aufgrund der minimalen Distanz natürlich auch zurückwirkt. Mats Gustafsson zählt uns etwa aus diesem Grund zu seinen Lieblingsspielstätten. Aber wir bestreiten den weit überwiegenden Teil unserer Veranstaltungen mit heimischen Künstlern, denen wir die gleiche Aufmerksamkeit entgegenbringen wollen. Manchmal wünscht man sich halt vom Publikum mehr Neugier und die Bereitschaft, sich Neues, Unbekanntes anzuhören und sich nicht nur bei den“ big names“ hinterm Ofen hervorlocken zu lassen.
Kannst du uns etwas über die Anfänge des Blue Tomato als Konzertstätte erzählen? Wer hatte die Idee dazu? Mit welchem Netzwerk an Kontakten hat alles begonnen? Wer waren die ersten MusikerInnen, die hier in der Wurmsergasse aufgetreten sind?
Angefangen hat es mit den Konzerten Mitte der 1980er. Die damaligen Betreiber waren eher Nebenerwerbsgastronomen und haben dankenswerterweise etliche übrige Schillinge für Livemusik ausgegeben. Das erste Konzert war Jim Pepper am 1. April 1987. Dann hat es , natürlich begünstigt durch die Bekanntschaft mit Hans Falb und den Nickelsdorfern, auch hier tolle Abende mit Great Black Music gegeben. David Murray hat mit Familie im Haus gewohnt und zwei Abende gespielt, Leroy Jenkins und Andrew Cyrille waren nach den Konfrontationen hier, Lewis Jordan, Sunny Murray, Malachi Thompson. Von den Europäern waren z.B. Breuker, Bennink, Coxhill, British Summertime Ends noch in den 1980ern da und immer wieder Position Alpha aus Schweden, die mit Kind und Kegel angereist sind, hier gewohnt haben, zwei Abende hier, zwei im Miles Smiles gespielt haben, dann vielleicht noch Boku und dann ins Jazzpub nach Wiesen. Undenkbar heute.
Gerhard Woratschek hat immer Kontakte zum Osten gehabt und das ersten Konzert von Sainkho im Westen hier initiiert. Im Technischen Museum hat er dann ein „Russenfestival“ veranstaltet, und die anschließenden Sessions mit Vysniauskas, Chekasin, Tarasov u.a. gab’s dann bei uns. Die Wiener Szene war hier nur ohne das alles dominierende Vienna Art Orchestra denkbar: Stangl, Steiner, Dafeldecker, Malli, Malfatti, Koglmann, Peham, Ames, Ton.Art, … Einer, der auch heute noch regelmäßig hier spielt, ist Max Nagl, der 1989 mit Manhattan Love Suicide erstmals da war.
Was habt ihr unternommen, damit das Publikum in Zeiten, als noch keine U-Bahn in diese Gegend des 15. Bezirks gefahren sind, hierher kommen?
Vor 25, 30 Jahren war die Lokalszene ja eine andere. Medial gehypte oder politisch geförderte Hotspots in der Stadt waren nicht so präsent wie heute ( z.B. Gürtel, MQ, Naschmarkt, Donaukanal usw.). Es hat insgesamt weniger Angebot gegeben, und gleichzeitig scheint mir die damalige Jazzlokalszene in der Relation doch sehr lebendig gewesen zu sein. Ohne Nachdenken fallen mir die Rumpelkammer, die Jazzspelunke, Freddie, Opus One, Uzzi’s Einhorn, Jazzleit, Jazzgitti, natürlich Jazzland und Miles Smiles ein. Die Akzeptanz von Musik abseits von Fahrstuhlkompatibilität war sicher auch größer. Eine – positive – Lokalkritik hat damals angefangen mit “Braxton in der Vorstadt”, bezogen auf unsere Konservenmusik. Sowas ist damals gegangen.
Aber neben der musikalischen Ausrichtung haben wir uns in erster Linie immer als verlängertes Wohnzimmer für die Nachbarn gesehen, die eher trotz als wegen der Musik gekommen sind. Es gibt da kaum eine Vermischung zwischen den Anrainern und Stammgästen und einem Konzertpublikum, was ich persönlich schade finde. Andere wieder kommen überhaupt nur im Sommer in den Gastgarten und kennen unsere sonstigen Aktivitäten überhaupt nicht. Die U Bahn-Anbindung war zwar lang ersehnt, dann aber zum Teil kontraproduktiv, weil man ja nicht nur leichter her-, sondern auch wegfahren kann in Stadtteile, wo sich heutzutage mehr tut. Es hat sich leider in unserer Gegend bis jetzt keine Lokalszene wie in anderen , bevölkerunsstrukturell ähnlich gelagerten Bezirken, entwickelt, siehe Yppenmarkt. Mit dem Gelände des alten Meiselmarktes wäre schon ein geeigneter Platz zu bespielen gewesen.
Wie gestaltet sich die Arbeit als Konzertveranstalter in Zeiten knapper werdender Budgets? Werdet ihr überhaupt von öffentlichen Stellen gefördert? Kommt ihr den Genuss von Sponsoring?
Die Veranstaltertätigkeit war bei uns immer mehr Hobby der Betreiber als Erfüllung eines Kulturauftrags – und das leisten wir uns halt. Da gibt es sicher differente Sichtweisen unserer Tätigkeit. Manche nehmen uns vorwiegend als Konzertveranstalter war. Unsere Hauptarbeit ist aber zu einem weit überwiegenden Teil eine gastronomische und darauf ausgerichtet, als Beisl in einem schwierigen Bezirk wirtschaftlich überleben zu können, ohne von Förderungen abhängig zu sein. Das Veranstalten von improvisierter, experimenteller Musik ist da natürlich vordergründig kein unmittelbar gewinnbringender Faktor, bietet aber doch die Möglichkeit, durch entsprechend mediale Ankündigung auch außerhalb des näheren Umfelds wahrgenommen zu werden. Als Kellner und Wirtsleute sehen wir unsere Hauptarbeit aber nicht im Formulieren von Förderanträgen oder Entwickeln programmatischer Konzepte. Die SKE unterstützt unsere Konzerte mit österreichischen MusikerInnen, und als Mitglied der IG Jazz lukrieren wir einen Anteil deren Förderung durch die Stadt Wien für das jährliche Clubfestival „Vienna Jazzfloor“ im November. Unser Klavierfestival „Soundgrube 15“ wurde fallweise vom Bezirk unterstützt. Sponsoring durch Banken oder Firmen gibt es nicht.
Seit wann gibt es die Mitwirkung an den IG Jazz-Konzerten, bzw. seit wann und warum gibt es diese Interessensgemeinschaft überhaupt?
Das IG Jazz Clubfestival gibt es seit 1998, und wir haben dann auch bald darauf nach Anfrage mitgemacht. In erster Linie ging und geht es um das gemeinsame Auftreten und Aufzeigen, dass hier in Wien etliche Clubs zum Teil seit Jahrzehnten eine Bühne für alle möglichen musikalischen Spielarten der Richtung Jazz/Blues/World stellen und täglich Auftrittsmöglichkeiten für Musiker der Stadt bieten. Und eine IG mit zehn Mitgliedern tut sich beim Ansuchen um Förderung und der medialen Verbreitung leichter als die meisten Einzelclubs.
Warum tut ihr euch als gemütliches Lokal samt attraktivem Gastgarten die Veranstalterei überhaupt an? Gesteigerte Umsätze werden ihr wohl nicht dafür ins Treffen führen?
Wir sind, wie erwähnt, gern und vorwiegend Wirtsleut’ mit einem eingespielten Arbeitsablauf, der dann durch die Konzerte etwas aufgebrochen wird. Die Veranstaltungen fügen sich mittlerweile in ein gewisses zeitliches und saisonales Schema – wir haben ja während der Gastgartensaison Konzertpause – und sind ganz normaler Bestandteil vom Tomato geworden, aber doch spannend geblieben. Man fragt sich ja immer auch, ob das, was man selber für gut hält, auch anderen gefällt und das jemand hören will.
Manchmal ist es schon ein Eiertanz, wenn’s darum geht, Stammpartien zu halten, deren bevorzugter Tisch wieder einmal nicht frei ist wegen eines Konzerts, bei dem fast keine Leute sind und das genug Euronen gekostet hat. Und manchmal möchte man einfach irgendwo anders Eintritt zahlen und stressfrei zuhören. Aber die vielen lässigen Begegnungen mit beeindruckenden MusikerInnen rechtfertigen locker den Aufwand.
Was waren für dich konzertante Highlights in der 30-jährigen Veranstalter-Karriere?
Schwierige Frage, weil es doch viele besondere Abende für mich gegeben hat und ich kaum einen missen möchte. Es sind ja nicht immer die großen Namen eine Garantie für ein gelungenes Konzert. Oft liefern junge, auch und besonders heimische Musiker tolle Ergebnisse, die alle Erwartungen bei weitem übertreffen. Und meine Veranstalterei findet ja nicht seit 30 Jahren statt, sondern ich habe erst Mitte der 90er angefangen, nach einer mehrjährigen Pause, nachdem Wolfgang aus dem Lokal ausgestiegen ist. Bis dahin gehören international sicher die Konzerte mit dem David Murray Trio und das von Hans Falb hier veranstaltete Roscoe Mitchell Quartet zu den Höhepunkten. Position Alpha waren eigentlich auch immer ein Ereignis; später dann Spaceways Inc. und ein Doppelkonzert mit The Thing und Sonore. Heuer hat mich Mars Williams im Duo mit Tim Daisy schwer beeindruckt. Und wirklich dankbar bin ich, dass ich Menschen wie Hamid Drake und Joe McPhee kennen lernen durfte, der 2003 ein unglaubliches Solokonzert vor ganz wenigen Zuhörern spielte. Jetzt fehlen da natürlich ganz viele österreichische Freunde, die uns viel Spaß und heiße Ohren verpasst haben.
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