Schon zum 15. Mal findet heuer das “Internationale Komponistenforum Mittersill” (kofomi) statt. Mittlerweile eine weit über die Landesgrenzen hinaus hoch geschätzte Veranstaltung. Initiiert von der ARGE Komponistenforum Mittersill (Wolfgang Seierl und Hannes Raffaseder) geht es dabei schon lange nicht mehr nur um “Neue Musik”, sondern vor allem auch um das Überschreiten sowie Hinterfragen von Genre-Grenzen und um einem steten Gedankenaustausch vor Ort zwischen TeilnehmerInnen und BesucherInnen. Im mica-Interview mit Didi Neidhart spricht Wolfgang Seierl über die vergangenen 15 Jahre, das heurige Programm und die spezielle Atmosphäre des kofomi.
Das Komponistenforum Mittersill (kofomi) wurde 1996 “als lebendiges Denkmal für den Komponisten Anton Webern, der 1945 in Mittersill unter tragischen Umständen ums Leben gekommen ist”, gegründet. Was hat sich an dieser Ausgangssituation geändert? Ist Webern immer noch ein zentraler Eckpfeiler?
Wolfgang Seierl: An dieser Ausgangssituation hat sich insofern nichts geändert, als erstens Anton Webern nach wie vor in Mittersill begraben ist, zweitens Anton Webern nach wie vor eine Art Symbol- oder Schlüsselfigur für die junge Komponist/innengeneration ist und drittens seine Musik nach wie vor im Konzertleben eher unterrepräsentiert ist. Der Name Webern steht insofern paradigmatisch über dem Forum, als wir im Gedenken an ihn an dem Ort, an dem er seine letzte Ruhestätte gefunden hat, den Blick nicht in die Vergangenheit richten wollen, sondern in die Gegenwart bzw. in die Zukunft der Musik. Das ist unserer Meinung das, was ein Künstler seines Kalibers als Denkmal geschätzt haben würde – ein Denkmal, das sich stets verändert, erneuert, bewegt, das selbst Musik ist bzw. zu Musik wird. Ansonsten gibt es beim kofomi ja nicht einmal die Regel, dass jedes Jahr zumindest eines seiner Werke gespielt werden soll. Ganz im Gegenteil, da wäre uns eine Uraufführung wichtiger. Trotz dieser beinahe Enthaltsamkeit ist das Bewusstsein bezüglich des genius loci in Mittersill deutlich größer geworden. Heuer wird am 15. 9., dem Todestag Weberns, in Mittersill der Anton Webern Park eingeweiht. Weberns Todestag ist eigentlich das Einzige, was konstanter Webern-Anteil ist: wir planen stets so, dass der 15. 9. innerhalb des Forums liegt.
Wie hat sich zwischen 1996 und 2010 die Definition von “zeitgenössischer Musik” wie sie beim kofomi (aber auch allgemein) diskutiert und präsentiert wird verändert? Gab es da auch mal (vor Ort) entscheidende Brüche, Wechsel?
Wolfgang Seierl: Obwohl ursprünglich ein chronologischer Begriff, wird zeitgenössische Musik als Synonym für Neue Musik verwendet. Beide Begriffe sind heute unscharf geworden. Das hat sich auch im kofomi abgezeichnet, jedoch nicht in Form von Brüchen, sondern in Form einer kontinuierlichen Entwicklung. Zeitgenössisch, also mit Gegenwartsbezug, sollte ja alles von Anfang sein, und mit wenigen Ausnahmen gab und gibt es nur Zeitgenössisches im chronologischen Sinn. Das relativ eng abgesteckte Feld der so genannten Neuen Musik (bzw. der zeitgenössischen Musik als Wertbegriff) haben wir schon bald immer mehr in Richtung Improvisations- und Electronik-Szene, experimentellen Jazz etc. aufzubrechen versucht. Dieses Aufbrechen der Grenzen passierte aber auch generell, sodass unsere Entwicklung eine allgemeine abbildet. Eine sehr manifeste Entwicklung war die immer mehr wegfallende Unterscheidung von Komponist/in und Interpret/in. Das veränderte die Dynamik innerhalb des Forums stark.
Wie kam es zur Idee das kofomi auch durch ein Symposium zu bereichern? Ist das (auch) aus Praxiserfahrungen bzw. aus der Überlegung heraus entstanden, dass Musik, speziell zeitgenössische, die ja auch immer mit Vermittlungsproblemen zu kämpfen hat, nicht einfach so im luftleeren Raum entsteht?
Wolfgang Seierl: Sicher spielt da auch der Vermittlungsgedanke mit, doch in erster Linie die Überzeugung, dass Diskurse wichtig sind und heute vielfach fehlen, und zweitens der Umstand, dass wissenschaftliche Diskurse oft sehr weit von der künstlerischen Realität entstehen bzw. geführt werden. Dem wollen wir entgegenwirken, indem wir Wissenschaftler/innen und Künstler/innen an einen Tisch laden und so eine Verständnisebene aufzubauen versuchen. Damit ist natürlich auch der Versuch verbunden, die traditionelle Form des wissenschaftlichen Diskurses infrage zu stellen bzw. zu erweitern. Unser erstes Symposium war ein internationales Webern-Symposium im Webern-Jahr 2002. Obwohl die Vortragenden in erster Linie Wissenschaftler/innen waren, gelang uns durch die Einladung Gert Jonkes schon damals ein sehr deutlicher Akzent. Die Hintergrundthemen, die unsere Foren dezent zu begleiten versuchen, laden auch ein, auch diskursiv an ihnen zu arbeiten. Schließlich hat es sich aber immer wieder gezeigt, dass im Rahmen des Forums gezielt ausgedehnte Diskussionen in Anbetracht der Dichte des Geschehens kaum möglich sind, wenn man ihnen nicht von vorne herein Raum bzw. Zeit bereitstellt.
Gibt es bei den Symposien eine spezielle Einladungspolitik? Es treffen sich hier ja meist Aktive (aus dem Musikbereich) mit solchen, die eher von der reflexiven Seite (Journalismus, Theorie, Philosophie) her kommen.
Wolfgang Seierl: Wie bereits erwähnt, geht es uns um eine sehr breite, vielfältige und vielschichtige Diskussion im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Kunst, Theorie und Praxis. Es geht uns mehr um die kommunikativen Prozesse unter den Teilnehmenden als um Ergebnispapiere.
Was können wir heuer beim Symposium erwarten?
Wolfgang Seierl: Das heurige Symposiumsthema STROM ist ein sehr offenes, breites, aber auch sehr aktuelles in Bezug auf die Entwicklung der Musik wie auch der des Musikmarktes. Zum Beispiel im Bezug auf die Digitalisierung und die damit veränderten Hör- und Konsumverhaltensweisen. Strom meint den musikalischen Fluss, die musikalische Energie genauso wie den elektrischen, meint ein Phänomen, das unsere Welt wie kein anderes dominiert. Im Speziellen aber auch die elektroakustische Musik (vgl. die gleichnamige Konzertserie der IGNM). Die heurige Teilnehmer/innenliste ist zwar eher kunstlastig, jedoch wollen wir damit ja auch einen Diskurs über die Elektrizität in der Kunst anzetteln.
Rückblickend hat sich ja auch die Einladungspolitik verändert bzw. erweitert. Bildende Kunst (Inge Dick, Erik Hable), Literatur (Gert Jonke, Franzobel), Performance (Mariella Greil), Video/Visual Art (Hermann Peseckas, Markus Wintersberger) sind schon lange Teil des kofomi. Heuer wird etwa der Bereich Kunst und Design durch Vladimir Tarasov repräsentiert. Wie kam es zu dieser Öffnung hin zu anderen Kunstsparten?
Wolfgang Seierl: Der Umstand, dass ich selbst in zwei Kunstsparten (Musik und Bildende Kunst) tätig bin, hat meinen Blick dafür geschärft, dass hermetisch abgegrenzte Berufsgruppen in ihren Fachjargons gefangen bleiben. Zudem gibt es den schönen Ausspruch von Morton Feldman, dass ein Komponist, der keinen Maler zum Freund habe, ein Problem hätte. Es geht also um Bereicherung, um das Miteinbeziehen anderer Sicht- und Denkweisen, das sich sehr befruchtend auswirken kann. Die beiden heurigen Artists in Residence, Vladimir Tarasov und Bill Drummond, sind beide bildende Künstler und Musiker. Bill Drummond (Ex-KLF) hat seine Musikkarriere dezitiert als beendet erklärt und hat sehr interessante Gründe dafür. Die musikalische Seite von Vladimir Tarasov ist das Schlagzeug, französisch “batterie”, und als solches für den musikalischen Strom verantwortlich.
Das kofomi steht jedes Jahr unter einem Generalthema. Zwischen 1996 und 2003 ging es dabei immer dezitiert um Musik. Angefangen von “Musik und Natur” über “Musik und Medien” bis hin zu “Musikwissen” und “Musik & Kind”. Seit 2004 geht es um allgemeinere Begriffe. “Bewegt”, “Jetzt”, “Kult”, “Pole”, “Stimmen.Atem”, “Farben” und heuer eben “Strom”. Wie kam es dazu?
Wolfgang Seierl: Wie ich schon erwähnt habe, wollen wir diese Themen eher als Hintergrund verstanden wissen, als Angebot, nicht als Zwang oder Vorschreibung. Es sind Themen, um die es eigentlich immer geht, wenn es um Musik geht. Wenn nun jeweils eines speziell beleuchtet wird, sind alle anderen trotzdem nicht ungültig. Die Kombination “Musik und ….” war nach einer Zeit langweilig oder redundant. Sobald Vorschläge von außen kamen wie ihr könntet ja nächstes Jahr zum Beispiel “Musik und Film” machen, war es für uns an der Zeit, Neues anzudenken. Und es bedeutet auch einen erweiterten Fokus. “Musik und Strom” schränkt mehr ein als “Strom”. Die Musik (der Gegenwart/Zukunft) sollte nicht durch ein Konzept seiner selbst begrenzt sein.
Welche Überlegungen stecken hinter den jeweiligen Generalthemen? Wie werden sie gefunden? Sind das Reaktionen auf beobachtete Bündelungen, Diskurse, oder einfach Themen, die so zusagen eh auf der Straße liegen und vom kofomi halt einfach mal aufgehoben und zur Disposition gestellt werde?
Wolfgang Seierl: Die – wie schon gesagt – Hintergrundthemen sind Themen, die unserer Meinung nach immer eine Rolle spielen oder wichtige Aspekte sind, wenn es um Musik geht. Nach und nach stellt sich heraus – vor allem, seit sich der Musikbegriff entsprechend den Entwicklungen im Forum erweitert hat – dass Musik im Grunde mit allem zu tun hat, mit allem verbunden ist. Die neuen Themen beziehen sich besonders auf aktuelle, spürbare Entwicklungen im Musikleben, in der Kunst im Allgemeinen oder in der Gesellschaft schlechthin. Sie wollen auch auf aktuelle Fragen oder Probleme, die vielleicht noch nicht wirklich sicht- oder spürbar sind, aufmerksam machen. Das ist zum Beispiel beim heurigen Thema “Strom” der Aspekt. Elektrizität ist zwar ein wesentliches und unverzichtbares Element unseres Lebens geworden ist, gleichzeitig hinterfragen wir es jedoch immer weniger. Wir können das Phänomen Elektrizität immer besser beschreiben, wissen aber nach wie vor nicht was es ist. So wie die Indianer zum Beispiel das Erdöl, das für uns ein wichtiger Rohstoff zur Energiegewinnung ist, als das Blut der Erde bezeichnen, kann auch die Elektrizität in einem ganzheitlichen spirituellen Kontext gesehen werden.
Das heurige Thema “Strom” lässt ja vielfältigste Assoziationen aufkommen: Elektrizität, Strömungen (etwa ästhetische, philosophische), das Fließen, Verfließen von Dingen.
Wolfgang Seierl: Die Themen sind so ausgesucht, dass sie einen sehr breiten, vielfältigen Zugang erlauben. Das Wort “Strom” selbst ist mehrdeutig und die Bezüge zur Musik sind äußerst vielfältig. Da gehört die Wassermetaphorik in der Musik ebenso dazu wie die musikalischen Parameter Tempo und Rhythmus. Aber auch die Vorstellungen vom Klangfluss, von der musikalischen Bewegung und vom Atem. Auf der anderen Seite – und vielleicht ist diese Assoziation heute nahe liegender – die Elektroakustik, die elekronische Musik und die modernen technischen Medien.
Welche Higlights sind für heuer zu erwarten?
Wolfgang Seierl: Das Highlight, das in jedem Jahr an erster Stelle steht, ist die Kommunikation. Das, was passiert, wenn Menschen zehn Tage lang zusammen leben und arbeiten, also der Prozess an sich. Das zweite Highlight ist dann sicher das Ergebnis. Die Musik, die in Mittersill entstanden ist, von der Konzeption, Komposition angefangen, über die Erarbeitung bis zur Realisierung im Konzert oder einer konzertähnlichen Situation. Obwohl uns eigentlich jedes Detail des Programms wie auch jeder Name auf der Teilnehmer/innenliste gleich wichtig ist, gibt es natürlich Hervorstechendes (also Highlights). Unter den Teilnehmenden sind das Dieter Kaufmann, Vladimir Tarasov, Bill Drummond und das Ensemble “die reihe”. Im Programm sind das die beiden Konzerte der “reihe”, die Performance von Mia Zabelka auf der Bürglhütte und das Kofomi Lab III mit Annelie Gahl, Electric Indigo und Burkhard Stangl. Aber schon kommt es mir ungerecht vor, die Präsentation der Ergebnisse des Schüler/innenworkshops im BORG Mittersill mit Burkhard Friedrich nicht auch zu den Highlights zu zählen, und und und.
Die Liste der heurigen Gäste (u.a. Electric Indigo, Burkhard Stangl, Mia Zabelka, Hans-Joachim Roedelius, Wolfgang Schlögl) würde auch gut zu einem Electronic-Festival passen. Zudem kommt mit Bill Drummond ja eine der schillerndsten Figuren der Popmusik der letzten 30 Jahre nach Mittersill. Welche Intention steckt dahinter?
Wolfgang Seierl: Bill Drummond steht mit seiner Haltung wie mit seinen Projekten “The17” und “No Music Day” vor allem für eine sehr ungewöhnliche, kritische und meiner Meinung nach sehr wichtige Position in Bezug auf den Umgang mit Musik seit Beginn des letzten Jahrhunderts sowie in Hinblick auf die gegenwärtige wie zukünftige Entwicklung der Musik. Die übrigen Genannten sind eindeutig der Elektronik-Szene zuzuordnen, also genau diesem Aspekt von “Strom”. Es sind aber gleichzeitig auch Künstler/innenpersönlichkeiten, die sich über das Umfeld der Musik, also über Strukturen und und Netze Gedanken machen und diese auch leben. Wie Drummond wollen auch sie nicht in eine Schublade passen, sondern im künstlerisch-musikalischen Diskurs mitreden, mitarbeiten, mitspielen, mitträumen.
Was würdest du als Spezialität des kofomi bezeichnen? Es geht ja nicht nur um Musik. Viel eher liefert das kofomi ja auch ein einigermaßen zwangloses Setting (bedingt auch durch die eher abgeschiedenen Lage in den Bergen) innerhalb dessen sich die unterschiedlichsten Leute treffen und austauschen können.
Wolfgang Seierl: Die Spezialität des kofomi lässt sich nur schwer in Worte fassen, man muss das kofomi, glaube ich, erleben, um das Spezielle heraus zu spüren. Das ist auch der Grund dafür, dass das kofomi in den Medien nur wenig vorkommt. Das Wesentliche kann man in einem Pressetext nicht vermitteln. Es ist nichts Spektakuläres, nichts Lautes, eher etwas sehr Subtiles. Es ist eine Atmosphäre, die einerseits von unserer Vision getragen ist, andererseits auch von der Atmosphäre Mittersills, im Speziellen der des Schachernhofes. Es ist eine sehr familiäre, intime Atmosphäre, die von vorne herein Barrieren abbaut und Offenheit erlaubt. Und es ist die spezielle Situation, die Entfernung von der Großstadt, die Natur, die Berge rundherum, und nicht zuletzt die mit Liebe zubereiteten und gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten. Christian Heindl, der kofomi-Mitbegründer, hat das sogar einmal als “Wunder von Mittersill” bezeichnet.
Muss zeitgenössische Musik zwangsläufig einen elitären Touch haben (auch im Auftreten nach aussen gemeint)?
Wolfgang Seierl: Musik als solche ist ja schon etwas Elitäres. Sie war ja nicht immer allen zugänglich, wie das heute der Fall ist. Die so genannte zeitgenössische oder Neue Musik hat sich auch heute aus verschiedensten Gründen nicht allen erschlossen. Zum Teil sind die Musikschaffenden selbst für diese Barrieren verantwortlich, zum Großteil sind es aber Bildungs- bzw. Informationsdefizite. In den letzten Jahren hat sich aber im Zuge der Demokratisierung der Verbreitungsmechanismen, etwa durch das Internet, eine gewisse Öffnung (der “elitären” Neuen Musik zu anderen Genres und damit auch zu anderen Publikumsschichten) abgezeichnet. Auf der anderen Seite ist die neoliberale Politik und die daraus resultierende postdemokratische Struktur unserer Gesellschaft der Dynamisierung dieses Feldes eher hinderlich. Im Komponist/innenforum Mittersill hat sich der Fokus auf die so genannte zeitgenössische oder Neue Musik sehr bald so geweitet, dass wir heute diese Begriffe und Kategorien gar nicht mehr brauchen. Es sind vor allem die musikalischen Lager, die Gräben um sich ziehen. In Mittersill sind Grabenkämpfe von vorne herein kein Thema. Da geht es einfach um etwas Anderes. Oft gar nicht in erster Linie um Musik, sondern um Kommunikation und Kreativität, die gelebt werden will.
Neben dem kofomi gibt es (seit 1998) ja auch das Label ein klang_records (mit bisher über 40 CD-Produktionen), die Gesprächsreihe “Wohin?“ in Salzburg sowie eine monatliche Sendung bei der Radiofabrik Salzburg. Wie kam es dazu? Ist das mehr als “nur” Eigenweitervernetzung, oder geht es hier auch um ein gezieltes Weiterverknüpfen von Aspekten, die für sich alleine, dann doch eher in ihren Nischen bleiben würden?
Wolfgang Seierl: Das Label ein klang_records entstand aus dem Wunsch heraus, die Ergebnisse, vor allem also die Uraufführungen der in Mittersill entstandenen Kompositionen, zu dokumentieren und zu veröffentlichen. Das war uns deswegen wichtig, weil in Mittersill selbst doch nur ein relativ kleines Publikum an diesen Uraufführungen teilhaben konnte. Da unsere Forumsidee auf eine Dynamisierung des Musiklebens abzielt, war gleichzeitig ebenso intendiert, auf unserem Label auch andere Musik zu veröffentlichen, die unserer Meinung nach zu wenig Aufmerksamkeit hat. Mit dem Label ist es uns möglich andere Bereiche des Musiklebens zu betreten – und es gibt einen Synergieeffekt: das eine wirbt jeweils für das andere. Die Gesprächsreihe “Wohin?” begannen wir, um aktuelle Themen und Fragen des Musiklebens in Vorträgen und Diskussionen mit den in Salzburg ansässigen Musikschaffenden und Musikinteressierten zu erörtern. Es war der Versuch, die Forumsidee in die Stadt Salzburg zu bringen. Das Forum sollte nicht nur auf zehn Tage im September beschränkt sein, sondern eine Art Plattform in einem Netz von Veranstaltungsmodulen sein. Die Radiosendung in der Radiofabrik ist ein weiteres dieser Module. Die Idee des freien Radios ist unserem Forumsgedanken nahe und ist ein Medium, das für die Vermittlung und Vernetzung unsere Inhalte sehr gut geeignet ist. So gibt es Berichte über die Ergebnisse des kofomi, über die Gesprächsreihe “Wohin?” und über CD-Neuerscheinungen unseres Labels. Es ist also ein Ausnützen von verschiedenen zur Verfügung stehenden Kanälen, um gezielt zu verknüpfen, – dazu gehören natürlich auch unser beiden Webseiten www.kofomi.com und www.einklangrecords.com.
In meiner Wahrnehmung hat neben der Psychedelic der Sechziger (musique concrete-Experimente, Tonbandmanipulationen, Synthesizer) gerade die elektronische Popmusik der letzten 30 Jahre zu einem verstärkten Interesse an zeitgenössischer Musik beigetragen (nicht nur bezogen auf die Pioniere elektronischer, elektroakustischer Musik). Kannst du anhand von 15 Jahren kofomi diese (subjektive) Sicht bestätigen? Wo gehen hier Pop & Avantgarde zusammen, wo nicht?
Wolfgang Seierl: Diese Sicht wird nicht nur durch 15 Jahre kofomi-Erfahrung bestätigt, sondern in erster Linie durch die vielen musikgeschichtlichen Details bezüglich der Wechselbeziehungen zwischen Pop und Avantgarde fernab der breit ausgetretenen Pfade. Schüler von Stockhausen findest du ja u.a. in Band wie Can oder Kraftwerk. Sie hatten nicht nur das gemeinsam Interesse für elektronische Klangverfremdungen, sondern auch für die dahinter liegende Weltanschauungen. Vor 15 Jahren hat ein “ernsthafter” Komponist im Zusammenhang mit Popmusik vielleicht noch die Nase gerümpft, heute ist das nicht mehr so. Aber es lässt sich feststellen, dass das Interesse von Popmusiker/innen (oder gewisser Popmusiker/innen) an der so genannten Neuen oder experimentellen Musik immer schon größer war als umgekehrt. Pop war im Rahmen des Wertekanons der Neuen Musik ebenso verpönt wie der C-Durdreiklang. Auch im kofomi hat es Berührungen zwischen Pop und Avantgarde gegeben, obwohl der Ausgangspunkt des Forums eindeutig die Neue Musik war. Die Anwesenheit Bill Drummonds wird in diesem Zusammenhang extrem spannend, weil er – aus der Popmusik kommend – etwas zu sagen hat, was generell alle Musiker/innen angeht und weil er in seinen Aktionen und Projekten einen Kunstbegriff ansteuert, in dem die Unterscheidung zwischen Pop und Avantgarde keine Rolle mehr spielt.
Das ländliche Ambiente ist eine ganz besondere Spezialität des kofomi. Wie verhält sich das zum urbanen Image zeitgenössischer Musik? Oder ist das auch wieder nur so ein Klischee?
Wolfgang Seierl: Nein, das ist gar kein Klischee. Die zeitgenössische (oder Neue) Musik wird vorwiegend in den Städten produziert und konsumiert. Hier sind die Ausbildungsstätten, die Veranstaltungsorte und das große Publikum. Es ist eine Musik, die, wie Adorno schreibt, sogar die städtische Klangkulisse widerspiegelt. Das ländliche Ambiente schafft eine Ausnahmesituation, die für die meisten anregend und inspirierend wirkt. Das ist wie eine Sommerfrische, die ja auch nur die Großstädter wirklich notwendig brauchen. Wichtig ist die Abgeschiedenheit aber für die vielschichtigen kommunikativen Prozesse, für das jeweilige Sich-einlassen auf eine Situation, auf ein Gegenüber. In der Abgeschiedenheit kann man sich dafür halt auch viel mehr Zeit und Raum nehmen. Beides ist einfach da. Nur ist es heutzutage gar nicht mehr so leicht, sich zehn Tage in einem Stück frei zu nehmen bzw. auch frei zu halten. Ohne die Bereitschaft der Teilnehmer/innen, sich auch darauf einzulassen, würde es das kofomi nicht geben.
Was waren die persönlichen Highlights in 15 Jahren kofomi?
Wolfgang Seierl: Als erstes fällt mir Gert Jonkes Lesung seiner Webern-Novelle in der Ploch-Halle (die es heute nicht mehr gibt) ein. Vielleicht fällt mir das ein, weil Jonke ebenfalls sehr mit Webern und Mittersill verbunden war und er leider nicht mehr unter uns ist. Aber eigentlich war schon die Lesung selbst das unvergessliche Erlebnis. Literatur, Theater und Musik in einem, sehr intensiv. Ein wirkliches Highlight war auch der erste Besuch der “reihe” (die heuer das 3. Mal in Mittersill ist) und vor allem die Aufführung des “Frankenstein!” von und mit HK Gruber, ebenfalls in der Plochhalle. Spektakulär war auch die spontane Aufführung einer Traktoren-Performance von Sandeep Bhagwati am damaligen Marktplatz in Mittersill. Mein persönlichstes Highlight ist vielleicht das Konzert des indischen Dhrupad-Sängers Ritwik Sanyal in der St. Annakirche vor zwei Jahren. Oder das sehr berührende Statement des norwegischen Komponisten Magnar Am im Schlusskonzert 2003 wo er u.a. davon gesprochen hat, dass über die Gewichtlosigkeit, Zeitlosigkeit und Raumlosigkeit ausgedrückt werden kann und einerseits die Gesondertheit wichtig ist, andererseits aber auch eine Einheit ausgedrückt werden kann. Und das geht nur mit der Sprache der Musik.
Wenn man beim kofomi anwesend ist, scheint es teilweise gar nicht so kompliziert zu sein zeitgenössische Musik zu vermitteln. Es gibt Workshops mit Schulklassen, etc. Ist das wirklich so einfach (gerade am Land)? Wie viel Arbeit steckt da eigentlich dahinter bzw. welche Formen der Vermittlung werden angewandt? Ist ja alles ein nicht so einfaches und alltägliches Unterfangen (vom Thema mal ganz abgesehen).
Wolfgang Seierl: Grundsätzlich vermittelt sich Musik ja von selbst, indem sie sich in Form von Schwingungen auf uns zu bewegt. Unsere Vermittlung heißt ja dann oft nur, das wegzuräumen, was sich zwischen der Musik und uns dazwischenstellt und den Kontakt mit ihr verhindert. Die Barrieren für die Rezeption zeitgenössischer Musik sind Vorstellungen und Vorurteile. Bei Kindern sind die oft noch nicht ausgeprägt, und es geht weniger darum, sie als zukünftiges Publikum zu gewinnen, sondern sie ihrem Recht auf Musik der Gegenwart näher zu bringen. Es gibt zwei Modelle, die wir in Mittersill praktizieren. Im ersten kommen zwei Schulklassen quasi einen Vormittag lang auf Besuch, um die Künstler/innen kennen zu lernen, um in kleineren Gruppen über deren Arbeit zu erfahren, zu sprechen und Fragen zu stellen oder selbst unter Anleitung der Künstler/innen zu experimentieren und improvisieren und dann gemeinsam mit den Künstler/innen Fragen des Musiklebens (etwa wie schwer haben es Frauen heute, sich in der immer noch von Männern dominierten Musikwelt durchzusetzen) zu diskutieren. Im zweiten bereitet ein/e Künstler/in oder ein Künstler/innenteam ein Workshopkonzept vor, das im BORG Mittersill umgesetzt und im Rahmen des kofomi präsentiert wird. Die Künstler/innen sind meist Teilnehmer/innen aus den Vorjahren oder haben sonstigen kofomi-Bezug. Heuer wird dieser Workshop vom Komponisten Burkhard Friedrich geleitet, der 2006 das erste Mal mit seinem ensemble Intégrales in Mittersill war. Was den Aufwand oder die Arbeit betrifft, sind diese Aktivitäten vom Gesamtaufwand nicht zu trennen – sie sind vielmehr ein integrativer Bestandteil. Was aber hier besonders zu erwähnen ist, ist die Mithilfe und Kooperationsbereitschaft der Schule, des Direktors, des Lehrkörpers und der Schüler/innen, in diesem Fall des BORG Mittersill, in vergangenen Jahren auch der Hauptschule Uttendorf.
Gibt es auch Sachen, die gut gedacht waren, sich dann aber doch nicht bewährt haben?
Wolfgang Seierl: 15 Jahre Kofomi ist auch ein Prozess. Dinge, die einmal gut funktioniert haben, müssen nicht immer funktionieren. Das zu erkennen ist wichtig, um das Programm und den Ablauf lebendig zu halten. Dass etwas wirklich überhaupt nicht funktioniert hat, könnte ich jetzt gar nicht sagen, aber es gibt Elemente die sich verändert haben bzw. auch solche, die anderen gewichen sind. So war das kofomi in den ersten Jahren auf eine Woche begrenzt, die Ausweitung auf zehn Tage hat sich sehr bewährt. In den ersten Jahren haben wir intensiv mit Musiker/innen aus der Region zusammengearbeitet und sogar ein ein_klang-Ensemble gegründet. Einerseits hat das Interesse und die Verfügbarkeit der lokalen Musiker/innen nachgelassen, andererseits verlangten die Komponist/innen und auch wir selber nach anderen Besetzungen. Auch nach der Möglichkeit, verschiedene Ensembles aus dem In- und Ausland in das Forum mit einzubeziehen. Doch wie es am Anfang war, möchten wir sicher nicht missen. Was viellicht gut gedacht war, aber bis dato noch nicht funktioniert hat, ist die Initiierung eines Webern-Archives in Mittersill. Ein Lichtblick in dieser Hinsicht ist aber die Umbenennung des Postplatzes in “Anton Webern-Park”, – das wird am 15. 9. 2010 feierlich vollzogen.
Was wünscht sich das kofomi für die Zukunft?
Wolfgang Seierl: Vor allem: Das kofomi wünscht sich Zukunft! Und für die Zukunft wünscht sich das kofomi viele spannende, kontroversielle und befruchtende Begegnungen. Ganz einfach das Wachsen dieser Plattform bzw. dieses dynamischen Netzes nicht unbedingt nur “Gleichgesinnter” aber sehr wohl “Gesinnter” sowie die Kommunikation und den Austausch unter ihnen. Und schließlich Motivation, Neugierde und Offenheit für alles Gegenwärtige und für Veränderungen. Angelehnt an einen Ausspruch Peter Ablingers muss das kofomi immer wieder neu werden können, damit es bleibt, wie es ist.
Danke für das Interview.
KOFOMI