Die jüdische Musikszene manifestiert sich in Österreich in verschiedensten Formen: von jüdischen Musiker:innen, die Schlager, Chansons und Swing-Musik spielen bzw. gespielt haben bis hin zu nicht-jüdischen Künstler:innen, die Klezmer mit anderen Musikrichtungen wie zum Beispiel Tango verknüpfen. Das größte Klezmer-Festival des Landes heißt klezMORE und findet jedes Jahr im Herbst statt und deutet den Crossover bereits im Namen an. „Was die Klezmorim (Anm.: die Musiker:innen) gespielt haben, war immer transkulturell. Aber die Musik war immer in einer Kultur verankert“, sagt Esther Wratschko, die das klezMORE-Festival gemeinsam mit Isabel Frey kuratiert. So besteht die liturgisch-religiös konnotierte Musik weiterhin, gleichzeitig ist Klezmer heute Teil der so genannten Worldmusic.
„Klezmer ist heute ein Weltmusik-Label“ (Esther Wratschko, Kuratorin klezMORE-Festival)
Ich beginne meine Recherche zur jüdischen Musikszene in Österreich an einem unscheinbaren Ort: im Bezirksmuseum Meidling. Denn hier befindet sich eine der größten Sammlungen zum Sänger, Komponisten und Kabarettisten Hermann Leopoldi, der als Hersch Kohn im Jahr 1888 im zwölften Wiener Gemeindebezirk geboren wurde. Sein Vater Leopold war ebenfalls Musiker, die Namensänderung erfolgte 1911. Hermann tritt in die Fußstapfen des Vaters und wird zu einem der erfolgreichsten Musiker seiner Zeit. Er überlebt die Konzentrationslager der Nationalsozialisten, komponiert dort sogar die Melodie des Buchenwald-Liedes. Schließlich gelingt ihm die Flucht nach New York City, wo er an die Erfolge in Wien anknüpfen kann – aus dem Liedtitel „Ich bin ein stiller Zecher“ wird einfach „I’m just a quiet drinker“. Nach dem Krieg kehrt Hermann Leopoldi nach Wien zurück und feiert weiterhin große Erfolge; er stirbt im Jahr 1959.
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„Hermann Leopoldi ist eine große Inspiration“, sagt der jüdisch-russische Violinist Aliosha Biz, der seit rund 35 Jahren in Wien lebt und arbeitet. Auf seiner aktuellen CD „In gebrochenem Wienerisch“ finden sich gleich 3 Lieder von Leopoldi: Neben „Schön ist so a Ringlspiel“ auch „A guata Tropfen“ und „In einem kleinen Cafe in Hernals“. Zu Leopoldis Zeitgenossen gehörten bekannte jüdische Kabarettisten und Komponisten wie Fritz Grünbaum (gestorben im KZ Dachau) oder Fritz Rotter („Veronika, der Lenz ist da“), der im Exil überlebt und rund 1200 Lieder komponiert hat. Walter Jurmann („Cosi Cosa“) ist im US-Exil als Komponist gefragt. Fritz Löhner-Beda, der das Buchenwald-Lied getextet hat, wird von den Nazis ermordet.

Über einen Universal-Künstler nähern wir uns Schritt für Schritt der Gegenwart: der jüdische Maler und Dichter Arik Brauer landete in den 1970er-Jahren als Sänger Hits wie „Sie hab’n a Haus baut“ oder „Sein Köpferl im Sand“, die längst zu Gassenhauern geworden sind. Gewitzte Austropop-Lieder, die beim jüdischen Humor andocken.
Auch Brauers Tochter Timna Brauer ist Musikerin, eine ihrer Veröffentlichungen trägt den Titel „Yiddish Tango“ und zeigt ein Mal mehr: musikalische Grenzen sind da, um überwunden zu werden. Brauer engagiert sich gemeinsam mit ihrem Mann, dem Pianisten Elias Meiri, auch politisch: für die Initiative „Voices for Peace“ zur Förderung von Frieden, Versöhnung und Toleranz haben die beiden im Jahr 2005 den Thies-Knauf Kulturpreis für Musik bekommen.
Wie Arik Brauer prägen die Musiker Edek Bartz und Albert Misak die jüdische Musikszene der 1970er-Jahren in Österreich: Ab dem Jahr 1975 veröffentlichen die beiden, die einander seit der Schulzeit kennen, unter dem Pseudonym Geduldig Un Thimann vier Platten, auf denen sie sich mit jüdischem Liedgut auseinandersetzen. Sie mussten dafür zunächst Jiddisch lernen. Die Inspiration dazu sich überhaupt mit jüdischer Musik zu befassen, kam durch ein Wien-Konzert des singenden Rabbi Shlomo Carlebach. „Das Wort Klezmer existierte damals überhaupt nicht“, erzählt Bartz im Secession-podcast: „Das ist heute unvorstellbar, wo jeder weiß, was Klezmer ist.“ Daneben hat Edek Bartz die Musikszene Österreichs auf andere Weise mitgestaltet: schließlich hat er hier einst Konzerte von Bands wie The Clash, The Rollings Stones und Pink Floyd sowie das Festival „Töne/Gegentöne“ mitorganisiert. Und Patti Smith hat ihm eine Karriere als Rockstar prophezeit, wie man im Buch „Interessant, du, faktisch“ nachlesen kann.
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Die Szene heute
Über die Vorarlberger Gruppe Gebrider Moischele, die in den 1980er Schallplatten mit Jiddischen Liedern veröffentlicht hat, nähern wir uns der Gegenwart. Wie vielgestaltig die aktuelle jüdische Musikszene in Österreich ist, zeigt sich am bereits erwähnten Leopoldi-Lied „In einem kleinen Cafe in Hernals“: während Aliosha Biz seine Version in Richtung Wienerlied und Chanson ausgestaltet, legt die Sängerin Ethel Merhaut den Klassiker in Richtung Swing und Big Band aus. Merhaut singt auf ihrer dritten CD „Here & There“ (2025) einen Teil des Liedes in englischer Sprache, gleichsam als Erinnerung an Leopoldis Zeit im US-Exil, in der er eben Übertragungen seiner eigenen Stücke ins Englische gemacht hat. Für Merhaut ist „Alois“ eines ihrer Lieblingslieder von Hermann Leopoldi:
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Klezmer zeigt, dass religiös unterfütterte Traditionen nicht still stehen, sondern sich in eine weltliche Richtung entwickeln können: somit passt der Name klezMORE gut für ein Klezmer-Festival, das alljährlich in Wien stattfindet. Es wurde vom Tausendsassa Friedl Preisl mitbegründet und das in den Namen integrierte Wörtchen MORE deutet an, dass Crossover-Projekte und aktuelle Strömungen der Musikrichtung Klezmer auf die Bühne kommen: in diesem Rahmen waren bereits der New Yorker Musiker Frank London, der Kanadier Socalled oder die polnische Sängerin Ola Bilińska zu Gast. Von Bilińska werden jüdische Wiegenlieder auch mal in Richtung Elektro-Pop umgedeutet.
klezMORE-Festival 2025: Schwerpunkt Vokalmusik
Das klezMORE beginnt am 7. November 2025 unter dem Motto „Heyb uf dayn kol – Erhebe deine Stimme“. Die beiden Kuratorinnen Isabel Frey und Esther Wratschko legen somit heuer den Fokus auf Vokalmusik als Ausdruck von Erinnerung, Protest und Spiritualität. „Neu ist eine Kooperation mit Yung Yidish, das ist ein Kulturzentrum im zweiten Bezirk. Dort haben wir einen Shabbes Abend“, sagt Frey. Die inhaltliche Crossover-Ausrichtung des Festivals ist aber geblieben. „Klezmer ist heute ein Weltmusik-Label“, sagt Esther Wratschko: „Die österreichische Klezmer-Szene ist spannend, es kommen immer wieder neue Projekt zutage. Das zeigt, dass die Szene lebendig ist.“
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Isabel Frey und Esther Wratschko machen miteinander unter dem Namen Soveles Musik. Ihr gleichnamiges Debüt-Album ist im Jahr 2022 erschienen, die beiden widmen sich Revolutionsliedern genauso wie Wiegenliedern.
„Die aktive Klezmer-Szene ist von der jüdischen Gemeinde zum Teil getrennt. Wahrscheinlich bräuchte es da ein bisschen mehr Dynamik und Austausch“, so Frey. Das sei ein Unterschied zu Berlin oder New York, die klezMORE-Sessions versuchen diese Verbindung herzustellen. Isabel Frey: „Es besteht ein bisschen das Risiko zu sagen: ja, Klezmer war ja immer schon hybrid und transkulturell und deshalb gibt es keine Verantwortung. Wir sind heute in einer anderen Situation, gerade wenn wir von einem Weltmusik-Markt sprechen. Klezmer ist heute eine Marke und damit geht auch Verantwortung einher.“ Frey verweist folgerichtig auf einen wichtigen Punkt: „Man muss sich deshalb historisch bewusst sein, woher die Musik kommt.“

Einer, der sich dessen bewusst ist, ist Roman Grinberg, einer der wichtigsten Proponenten der jüdischen Musikszene in Österreich. Auch im Jahr 2025 hat er das Yiddish Culture Festival Vienna auf die Bühne gebracht. Er prägt seit mehr als 30 Jahren die jüdische Musikszene in Wien als Solist, mit eigenen Bands, als Chor- und Orchesterleiter und arbeitet auf diese Weise an der Erhaltung, Pflege und Verbreitung der jüdischen Musik. Von seiner Rolle als Brückenbauer hat er im ausführlichen mica-Interview erzählt. Grinbergs große Liebe gilt den alten jiddischen Liedern aus dem Schtetl, die er in eigenen Bearbeitungen mit viel Humor und Einfühlungsvermögen interpretiert.
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Seit dem Jahr 2002 besteht die Band Mandys Mischpoche, Sängerin Amanda Rotter erzählt: „Unser Fokus liegt auf jiddischen und sephardischen Liedern, aber auch das eine oder andere Wienerlied hat Platz, mitunter etwas balkanisiert, wie das ‘Ringelspiel’ von Hermann Leopoldi im 7/8-Takt. Ich habe eine Affinität zur spanischen Sprache und daher singe ich diese Lieder sehr gerne und sie sind ein wichtiger Bestandteil der jüdischen Musiktradition. Durch die Vertreibung der Sephardim aus Spanien 1492 flossen auch sehr viele Einflüsse aus den neuen Heimtländern (Anm.: Türkei, Griechenland, Bulgarien, Nordafrika) in die sephardische Musik ein.“ Als Sepharden bezeichnet man die Nachfahren der vertriebenen iberischen Jüd:innen.
„ES IST SCHÖN, DASS ES NEUE JUNGE GRUPPEN GIBT, DIE AUCH KLEZMER SPIELEN WIE BABA YAGA ODER MORITZ WEIß“ (AMANDA ROTTER)
„Die Szene ist recht überschaubar“, sagt Amanada Rotter über jüdische Musik in Österreich und ergänzt: „Es ist schön, dass es neue junge Gruppen gibt, die auch Klezmer spielen wie Baba Yaga oder Moritz Weiß.“
Der angesprochene Moritz Weiß sagt über seine Annäherung zur Klezmer-Szene: „Mein Zugang ist ein Blick von außen. Viele machen es wie ich: ich komme selbst nicht aus der jüdischen Kultur, sondern ich habe Klezmer als Weltmusik kennengelernt und mich als Musiker drauf geschmissen.“ Wie andere auch mischt er jüdische Musiktraditionen mit Einflüssen aus Ost-Europa, dem Orient und Lateinamerika. Klezmer ist für ihn insbesondere beim neuen Album „Wind“ eine abstrakte, stilistische Idee, wie er selbst sagt. Der Klezmer-Klarinettist Giora Feidman, dessen Familie aus Moldawien stammt und der nach Argentinien ausgewandert ist, hat Weiß seit seiner Jugend inspiriert. Moritz Weiß erzählt von einem weiteren Projekt, an dem er beteiligt ist: „Das klezMORE-Festival ist für mich eine spannende Institution. Es gibt uns Inspirationen für unsere Arbeit mit Klezmer in der Steiermark. Deswegen haben wir uns Styrian Klezmore Orchester genannt. Was Friedl Preisl da in 25 Jahren aufgebaut hat, finde ich sehr schön.“
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Was zeigt der Blick in die Zukunft? Das klezMORE-Festival steht unmittelbar bevor, es bewegt sich heuer auch nach Niederösterreich und ins Burgenland, die ehemaligen Synagogen in St. Pölten und Koberdorf werden bespielt. Dank Festivals und auch dank Initiativen wie dem neu geschaffenen Kulturzentrum Yung Yidish in der Leopoldstadt gibt es Impulse zur Bewahrung und Weiterentwicklung von jüdischen Traditionen. Die jüdische Musikszene wird in Österreich somit weiterhin sehr aktiv sein und heuer gab es bereits neue Alben von Ethel Merhaut, Moritz Weiß und Aliosha Biz. Fixpunkte wie die Roman Grinberg oder die seit dem Jahr 2000 agierende Gruppe Pallawatsch werden weiterhin aktiv sein. Mit einem Lied, das Lejb Rosenthal im Ghetto von Vilnius komponiert hat, ist man geneigt zu sagen: „Mir lebn ejbig.“
Jürgen Plank
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klezMORE-Festival
7.-16- November
Wien
Programm
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Weitere Links:
Klezmer – Yiddish Swing Music
Gentlemen Music Club
