„WIR WOLLEN UNSERE WURZELN ERGRÜNDEN“ – JÜTZ IM MICA-INTERVIEW

Die österreichisch-schweizerische Band JÜTZ befasst sich mit Volksmusiktraditionen des Alpenraums: Jürgen Plank hat mit ISA KURZ, PHILIPP MOLL und DANIEL WOODTLI über das neue Album „Süße Stille“ gesprochen, das vor kurzem in Schokoladenform erschienen ist. Die drei erzählen von der Haltbarkeit von Edelbitterschokolade, vom Pop-Weihnachtslied „Last Christmas“ und warum sie ihr Album eher als Winteralbum sehen – auch wenn es Interpretationen von klassischen Weihnachtsliedern enthält.

Wie war die Bandgründungsphase, habt ihr miteinander gejammt und schon gewusst in welche musikalische Richtung ihr gehen möchtet?

Isa Kurz: Zu unserem ersten Treffen als Trio hat jeder 5 Stücke mitgebracht, aus seiner Heimat oder aus der Kindheit. Mit diesen Stücken haben wir improvisiert. Dann war gleich mal die Frage nach dem Bandnamen da. Jütz ist eigentlich ein Nachname in der Schweiz, es ist der Name eines Komponisten, Berti Jütz, von dem wir auch ein Stück spielen. Wir verbinden inzwischen ganz viel mit diesem Namen, da steckt Jazz drinnen und das tirolerische jetzt. Zum Jauchzen sagen die Schweizer jutzen.

Die Richtung war also sofort klar?

Isa Kurz: Es war so, dass wir uns thematisch vorgegeben haben: wir wollen unsere Wurzeln ergründen. Es ging um Volkslieder oder Stücke aus der Kindheit. Die Richtung Neue Volksmusik war daher schon vorgegeben, aber was da musikalisch passiert, war total unvorbereitet. Wir haben gesagt: wir jammen und dann schauen wir was passiert. Und inzwischen ist viel passiert! An manchen Stücken arbeiten wir total viel, aus denen wollen wir etwas machen oder wir nehmen nur eine kleine Phrase aus einem Stück heraus. Bei anderen traditionellen Volksmusikstücken verändern wir auch mal gar nichts. Allein durch unsere Besetzung, durch unser Instrumentarium wird der Klang so speziell, dass man bei den Noten eigentlich gar nichts verändern muss. Und wir gehen auch nicht mit dem Ansatz an ein Stück heran, dass es anders werden muss.

„Es scheint sich so zu verhalten, dass Musik über Jahrhunderte hinweg auch weit gereist ist“

Warum ist aber dieser alpenländische Raum als musikalische Quelle für euch so besonders?

Philipp Moll: Volksmusik hat ja die Eigenschaft, dass sie über Generationen hinweg überlebt. Vielleicht interessiert sie uns auch aus diesem Grund. Wir wollen erforschen, warum Musik Hunderte Jahre lang überleben kann. Unser Beitrag ist vielleicht, das zeitgenössische Element hinzuzufügen. Es ist interessant, dass Liedgut entgegen gesetzt zu politischen Grenzen funktioniert. Man könnte zum Beispiel ein Lied aus Kärnten nehmen und es kann sein, dass es 800 Kilometer weiter westlich, im Wallis, auch existiert. Mit derselben Melodie, vielleicht mit anderen Worten. Es scheint sich so zu verhalten, dass Musik über Jahrhunderte hinweg auch weit gereist ist. Das finde ich sehr spannend.

Musik und Traditionen sind meist nicht fix, sondern verändern sich mit der Zeit.

Philipp Moll: Im Zusammenhang mit Traditionen geht es ganz groß um die Frage: Was bleibt? Wir haben zum Beispiel ein Projekt mit Peter Moser gemacht, der ist der Bandleader von der Gruppe Die Alpbacher Bläser, die es jetzt seit über 65 Jahren gibt. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Wir durften mal ein Stück von ihm arrangieren und er hat zu uns gesagt: Er macht sich keine Sorgen darüber, ob das, was Bands heute an Musik machen, bleibt. Er meinte, dass er so viele Versuche sieht, mit der Volksmusik frei oder experimentell umzugehen und dass Trends kommen und gehen. Es hängt auch davon ab, wie respektvoll man das Material behandelt.

Wie nähert ihr euch einem traditionellen Stück an?

Philipp Moll: Wir haben immer auch Humor im Gepäck, das ist ein subtiler Humor. Es ist immer viel Respekt dabei, aber wir nehmen uns alle künstlerischen Freiheiten. Wir würden uns aber nie anmaßen etwas zu verschandeln oder auf die Schippe zu nehmen. Vielleicht funktioniert gerade das und die Leute bemerken so unsere Musikalität, unseren künstlerischen Ausdruck.

In der Schweiz gibt es volksmusikalische Traditionen wie das Talerschwingen, bei dem eine Münze am Rand einer Schüssel kreist oder die Ländlermusik. Welche Einflüsse bringst du als Schweizer in die Musik von Jütz ein, Daniel?

Daniel Woodtli: Da Volksmusik meine erste musikalische Begegnung war, in der Familienkapelle, bringe ich sicher mehr oder weniger bewusst Schweizerisches in die Musik von Jütz. Wir arbeiten aber nicht mit dem traditionellen Instrumentarium und lassen Schüsseln oder Sennenkutteli weg, das wäre zu plakativ. Viel mehr interessiert mich Schweizerisches Liedgut zu erforschen und dieses in die Jütz-Ästhetik zu transportieren, welche dann eine neue, eigenständige Musik wird. Gewürzt wird dann beispielsweise eher mit dem indischen Traditionsinstrument Shruti-Box.

Jütz (c) Nyima Sauser

Wo habt ihr das neue Album aufgenommen?

Daniel Woodtli: Die Aufnahmen entstanden in einer historischen Synagoge in Hegenheim, in Frankreich. Das Haus wurde uns aufgrund seiner sensationellen Akustik empfohlen, wir wollten kammermusikalisch, quasi live, einspielen. Die Synagoge ist seit vielen Jahren in Künstlerhänden: für Ausstellungen, Performances und ähnliches und klingt im riesigen schuhschachtelförmigen Hauptraum wirklich perfekt für unsere Besetzung. Der sanierungsbedürftige, leicht chaotische Zustand, die Stimmung und der Charme des Hauses haben uns sofort angesprochen. Das mit der Stille hat sich dann aber als problematisch herausgestellt: bald bemerkten wir, dass sich der Standort in der Flugschneise vom Flughafen Basel/Mulhouse befindet und der Ferienverkehr unterdessen wieder hochgefahren war. Und „Leise rieselt der Schnee“ im Hochsommer aufzunehmen war auch speziell, alles etwas Rock’n’Roll. Das ist auch Jütz.

Wie habt ihr euch auf dem neuen Album bzw. auf der neuen Schokolade an den Weihnachtsliedern abgearbeitet?

Isa Kurz: Der Zugang ist gleich wie bei den anderen Stücken. Jeder von uns hat Stücke gewählt, zu denen er mehr Bezug hat. Wir bezeichnen das Album eher als Winteralbum und nicht als Weihnachtsalbum. Manche der Stücke, die jeder zu Weihnachten singt, arrangieren wir instrumental und betrachten das Stück nur musikalisch, weniger den Inhalt. Es ist überwiegend ruhigere, besinnliche Musik, die in eine stillere Zeit passt. Wir sind an die Stücke ganz offen heran gegangen und haben geschaut, was passiert, wenn wir die Stücke verjützen.

„STILLE NACHT“ HAT ES EINFACH NICHT IN DIE LETZTE RUNDE GESCHAFFT“

Weil du über die Stille der Stücke und über die Stille der Zeit gesprochen hast: Was hat denn gegen „Stille Nacht“ und was für „Leise rieselt der Schnee“ gesprochen?

Isa Kurz: Nichts explizit. „Stille Nacht“ hat es einfach nicht in die letzte Runde geschafft. „Stille Nacht“ wurde international schon sehr oft gespielt. Es ist ein österreichisches Lied, aber weltweit bekannt und vielleicht nimmt das dem Lied ein wenig die Regionalität, auf die wir doch den Fokus legen.

„Süsse Stille“ enthält mehrere Interpretationen von traditionellen Weihnachtsliedern. Was hältst du von Pop-Weihnachtsliedern wie „Last Christmas“?

Daniel Woodtli: Solche Songs sind für die kommerzielle Musikindustrie produziert worden und lassen die Kassen jedes Jahr wieder klingeln – wir lassen lieber die Glöcklein klingeln. Ich will das nicht werten, das sind teils großartige Songs, aber ziemlich das Gegenteil von den traditionellen Weihnachtsliedern, welche eher Kinderliedern nah sind. Diese Einfachheit und der sofortige Erkennungswert ist deutlich interessanter für uns und lässt viel kreativen Spielraum.

Gibt es für dich ein besonderes Stück auf dem Album?

Isa Kurz: Ich singe „Leise rieselt der Schnee“ sehr gerne, da singt Philipp auch mit und diesen Sound finde ich total super, live spiele ich das sehr gerne.

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Damit zur Schokolade: Es ist eine witzige Idee auf eine Seite der Schokoladenhülle einen QR-Code und auf die andere Seite das Coverbild zu drucken. Wie kam das?

Philipp Moll: Daniel hat auf einer Konferenz gespielt, bei der sich Schweizer Chocolatiers getroffen haben. Da war auch ein junger Typ aus Luzern dabei, der das Startup Schöki betreibt und der hat zu Daniel gesagt, er solle Musik und Schokolade miteinander verbinden. Das war eine schräge Idee! Als das Winteralbum konkret geworden ist, haben wir uns gedacht, dass das zusammenpassen könnte. Für Schöki hat für uns gesprochen, dass die viel Wert auf eine faire Lieferkette legen. Man kann also nachverfolgen, wo die einzelnen Bestandteile herkommen. Es gibt da keine Kinderarbeit und der einzelne Bauer verdient etwas damit. Wir wollten, dass wir mit so einem kommerziellen Produkt einen Standard setzen, denn wir auch für uns im musikalischen Bereich setzen. Wir wollten einfach mal etwas anderes machen! Dass man die Platte auch essen kann, ist cool. Daniel ist bei der Albumpräsentation in der Sargfabrik zum Merchandising-Stand gegangen und hat sofort jemanden gesehen, der ins Album hineingebissen hat! Das hat man nicht alle Tage als Künstler.

„MUSIK IST EIN VERGÄNGLICHES PRODUKT“

Was hat euch noch an dieser Form der Veröffentlichung gefallen?

Philipp Moll: Musik ist ein vergängliches Produkt. Sie entsteht bei einem Konzert und verschwindet wieder im Raum. Auch die Schokolade zergeht nach einigen Minuten auf der Zunge und verschwindet.

Und wie schmeckt die Schokolade?

Philipp Moll: Ja, Hammer! Es ist feinste Schweizer Bio-Schokolade, edelbitter.

Fairtrade ist ein interessanter Aspekt, den man auch in Richtung Musik denken kann. Es gibt ja digitale Vertriebsmodelle, bei denen nicht der einzelne Stream abgerechnet wird, sondern die am häufigsten Gestreamten bekommen mehr. Ist die Schokoladen-Veröffentlichung eine Gegenposition zu aktuell üblichen Vermarktungsmechanismen?

Philipp Moll: Ja, klar. Du musst dir als Musiker und Musikerin schon gut überlegen, ob du zu einem Label gehst. Wir hatten mit unserem Label eine gute Zusammenarbeit, bei den letzten drei Alben, aber jetzt mal ein Produkt zu machen, das wir in Eigenregie herausbringen, bedeutet, dass die Leute beim Kauf das Geld direkt in unsere Richtung fließen lassen. Wir können dann überlegen, was wir mit dem Rückfluss machen. Du sprichst das richtig an und es ist ein riesiges Problem unserer Zeit: du kannst nicht mit einem digitalen Vertriebsweg arbeiten, der fair funktioniert.

Isa Kurz: Das Album gibt es auch nicht auf den Portalen, das gibt es nur bei uns. Wir haben uns überlegt, wie wir das machen sollen, aber es funktioniert einwandfrei. Die Leute kaufen gerne die Schokolade.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Live:
14.1.2022, VZ Komma Wörgl
15.1.2022, Stromboli, Hall
20.1.2022, Bejazz Winterfestival, Bern

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