Das Quartett EXTEMPORE besteht aus Mark Holub (Schlagzeug), Villy Paraskevopoulos (Piano), Vinicius Cajado (Kontrabass) und Werner Zangerle (Saxophon) und widmet sich der improvisierten Musik. Jürgen Plank hat mit der Band über ihr Debüt-Album „Dream Of Frequencies“ gesprochen und nach den Unterschieden zwischen Free Jazz und improvisierter Musik gefragt. Und EXTEMPORE erzählen, wann ein Konzert gelingt und warum sie möglichst viele Konzerte mitschneiden.
Euer Album trägt den Titel „Dream Of Frequencies“. Wie ist der Titel zu deuten?
Villy Paraskevopoulos: Ich weiß nicht ganz genau, wie der Titel entstanden ist. In der frei improvisierten Musik versuchen wir miteinander zu kommunizieren und miteinander eine neue Ebene zu erschaffen. Wir spielen mit den Sounds, mit den Harmonien und kommunizieren auf diese Weise. Jeder hat sozusagen seine eigene Vorgeschichte und wenn wir miteinander spielen, kommt alles zusammen. So entstehen neue Ebenen. Manche der Stücke sind träumerisch, manche sind wild und laut, mit vielen Geräuschen. Deswegen habe ich mir gedacht, dass „Dream Of Frequencies“ ein guter Albumtitel wäre.
Frequenzen sind natürlich ein wichtiger musikalischer Begriff und können einander auch überdecken. Inwiefern berücksichtigt ihr das?
Werner Zangerle: Wenn ich beim Improvisieren den anderen zuhöre, überlege ich schon, ob ich wirklich etwas beizutragen habe. Muss ich etwas spielen? Oder wäre es redundant und ich mache etwas kaputt oder würde andere Frequenzen auslöschen. Wir spielen alle nicht einfach drauflos ohne Rücksicht darauf, was passiert. Ich überlege schon: habe ich dem Stück, diesem Traum, um beim Albumtitel zu bleiben, etwas beizutragen. Akustisch gibt es in Räumen das Problem, dass sich Frequenzen gegenseitig auslöschen, das passiert eher zwischen Basstrommel und Kontrabass. Aber dagegen kann man wenig machen.
In der Presseinfo zum Album wird die Spanne zwischen europäischer improvisierter Musik und American Free Jazz aufgemacht. Welche Unterschiede gibt es da?
Mark Holub: Uns war es immer wichtig, eine gemeinsame Sprache zu finden. Unser erstes Konzert war ein Trio-Konzert und ich habe vor dem Konzert mit Villy gesprochen und er hat gesagt: ich bin nicht sicher, was ich spielen soll? Eher jazzig oder eher frei improvisierte Dinge? Wir sind dort gelandet, dass die Bandsprache mit Jazz verbunden ist, auch mit Free Jazz. Was bedeutet Free Jazz im Gegensatz zu frei improvisierter Musik in Europa? Ich glaube das hat mit einem Momentum zu tun. Es gibt immer einen push nach vorne, man kann das schwer beschreiben. Aber man kann das hören: es gibt einen Unterschied zwischen Albert Ayler und Kenny Wheeler, wenn sie frei improvisierte Musik spielen.
Werner Zangerle: Ich würde dazu sagen: das sind natürlich nur grobe Vereinfachungen. Aber europäische improvisierte Musik kann auch ohne Wurzeln im Jazz funktionieren. Jede improvisierte Musik kann ohne Wurzeln im Jazz funktionieren. Man kann auch improvisieren ohne eine Jazz-Komponente zu haben und sich von der Klangwelt der Neue Musik beeinflussen lassen. Wenn es um Jazz geht: im Jazz gibt es diesen ganzen breiten Strom von New Orleans bis heute.
Villy Paraskevopoulos: Für mich heißt europäische improvisierte Musik, dass das Material manchmal mehr von der zeitgenössischen Musik oder von der klassischen Musik kommt. Wenn wir von amerikanischem Free Jazzreden, dann hat das viel mehr mit Jazz zu tun als mit zeitgenössischer Musik. Zum Beispiel gibt es in Europa das Label ECM, das sehr viele CDs mit Musiker:innen aus Skandinavien heraus gebracht hat. Diese Musik hat sehr viel zu tun mit dem Klang im Raum und damit, sich Zeit zu lassen, auch mit den Sounds: einen Akkord zu spielen und den einfach ausklingen zu lassen. Die amerikanischen Free Jazzer verwenden viel mehr Jazz-Elemente.
Anfangs habt ihr mit wechselnden Bassisten gespielt.
Mark Holub: Nach diesem Trio-Konzert haben wir ein paar Konzerte mit verschiedenen Kontrabassist:innen gespielt und haben gesagt, dass wir auch etwas in Richtung Jazz-Standards versuchen wollen. Ich glaube, das hat nicht so gut funktioniert, weil es zu fix war. Die Kontrabassist:innen konnten glaube ich nicht genau verstehen, was wir gemeint haben bzw. es könnte auch sein, dass wir uns nicht ganz sicher waren. Es war so: Wir wollen frei improvisierte Musik spielen, aber mit Jazz-Wurzeln. Dann haben wir ein Konzert mit Vini Cajado am Bass gespielt und es war schon zu sehen, dass er das verstehen könnte. Und es war klar, dass wir nicht so eine klare Verbindung zum Jazz haben.
Inwiefern besteht denn ein Widerspruch zwischen improvisierter Musik und deren Veröffentlichung auf CD. Wie geht ihr mit diesem Spannungsfeld um? Das Album wäre ja ganz anders, hättet ihr es einen Tag später aufgenommen.
Werner Zangerle: Ja, aber wir haben es eben an diesem Tag aufgenommen.
Mark Holub: Ich glaube, das ist ein Bild von diesem Tag. Das ist immer so im Jazz und bei improvisierter Musik. Würden wir heute aufnehmen, wären die Aufnahmen wieder anders. Es ist cool, diese Bilder zu haben: wir können sagen, dass wir vor 2 Jahren so und so geklungen haben. Heute klingen wir genau so und in 2 Jahren werden wir auch anders klingen.
Spielt ihr bei einer Album-Präsentation dann ein Stück wie „Travelling By Telephone“ überhaupt live? Reproduzierbar ist es ja nicht.
Mark Holub: Gar nicht. Alle Stücke auf der CD sind frei improvisiert. Die CD ist vorbei, sozusagen.
Villy Paraskevopoulos: Aber wir spielen bei der Präsentation sicher etwas Ähnliches. Denn wir haben unsere Vorlieben, unseren Geschmack und unsere Vorgeschichte. Die Musik wird sich über die Jahre ein bisschen, aber nicht grundsätzlich verändern.
Werner Zangerle: Es gibt Dinge, die wir gerne machen und Dinge, die wir gemeinsam gerne machen. Die passieren dann wieder und klingen dann aber natürlich nicht ganz gleich.
Ich habe es oft erlebt, dass aus dem Publikum nach einem Konzert die Frage kommt: auf welcher Platte ist dieses oder jenes Stück drauf. Wie ist das bei euch?
Mark Holub: Ja, das stimmt. Ich arbeite auch als Musiker, als Begleitung für Tanz und ich improvisiere alles. Manchmal kommen die Leute und sagen: Was war das für ein Stück? Ich sage dann: ich habe das improvisiert. Dann sind die Leute irgendwie enttäuscht, aber ich glaube, dass es für die Zuhörer:innen manchmal schwer zu verstehen ist, was improvisieren genau bedeutet.
Werner Zangerle: Ich finde es schön, ein Konzert zu spielen und das Konzert nicht zu dokumentieren. Es geht bei der Musik, die wir machen ja auch um den Moment. Und der hat einen eigenen Zauber, würde ich mal sagen.
„WENN MAN SACHEN ERZWINGEN WILL, FUNKTIONIEREN SIE MEISTENS NICHT“
Ihr wart mit dem Album auf Tour, wie ist es gelaufen?
Werner Zangerle: Wir haben eine kleine Tour gespielt, wir waren in Berlin, Breslau und in Wien. Die Konzerte waren alle total verschieden. Das beste Konzert haben wir eigentlich in Wien gespielt. Bei keinem der Konzerte haben wir versucht etwas zu reproduzieren. Das ist schwierig beim freien Improvisieren: wenn man Sachen erzwingen will, funktionieren sie meistens nicht. Man kann der Musik nicht auf Biegen und Brechen einen eigenen Stempel aufdrücken, weil man ja miteinander spielt.
Woran machst du aber fest, dass das beste Konzert in Wien war?
Mark Holub: Das ist ein Gefühl.
Werner Zangerle: Genau.
Mark Holub: Man merkt das beim Spielen. Nach dem Konzert in Polen haben wir eher gesagt: das war nicht so gut, vielleicht können wir beim nächsten Konzert etwas anders machen. Das Konzert in Wien war gut, weil sich die Bandsprache und etwas Neues gezeigt hat.

Villy Paraskevopoulos: Wenn wir ein Stück beginnen, gehen wir alle irgendwo hin. Und es gibt Momente, in denen wir uns sehr gut treffen. Und es gibt Momente, in denen man sagt: es war schön, aber vielleicht sind die Wellen, die unsere Musik macht, nicht so fließend wie wir wollen. Wenn wir ein Konzert spielen, in dem die Musik einfach fließt und wir wissen alle ganz genau, wohin die Musik führt, dann kann man sagen: das war ein gutes Konzert.
Probt ihr überhaupt und wenn ja: schneidet ihr jede Session mit, weil ja ein Stück gelingen könnte? Und schneidet ihr die Konzerte mit?
Villy Paraskevopoulos: Wenn es die Möglichkeit dazu gibt, wollen wir schon, dass ein Konzert mitgeschnitten wird. Manchmal machen wir aus diesem Material etwas und manchmal nicht. Für die CD haben wir Studio-Aufnahmen und Stücke von einem Konzert-Mitschnitt verwendet. Es ist immer verschieden: Wenn uns ein Stück gefällt, behalten wir es für eine zukünftige CD.
Erzählt noch ein bisschen über die Titel der Stücke, die heißen zum Beispiel „Skating On Shattered Glass“ oder „That’s A Wrap“. Werden die Namen von der KI generiert oder denkt ihr euch die aus? Wie macht ihr das?
Werner Zangerle: Das macht unsere natürliche Intelligenz, Mark Holub.
Mark Holub: Für mich haben die Titel keine echte Bedeutung: „Travelling By Telephone“ ist so ein Pink Floyd-Titel. Der Titel hat nur unbewusst mit unserem Stück zu tun. Ich weiß nicht, welche Verbindung es da gibt.
Werner Zangerle: Es geht darum eine Stimmung, Bilder oder Gefühle, die man im Kopf hat, während man die Musik hört, irgendwie in Worte zu fassen. Und dann fällt Mark zum Beispiel Pink Floyd als Assoziation ein. Der Titel „That’s A Wrap“ ist in einer e-mail-Konversation aufgetaucht und es war klar, dass der Name passt.
„DAS SCHÖNE AN DER FREI IMPROVISIERTEN MUSIK IST, DASS DIE GESCHICHTE IM MOMENT GESCHRIEBEN WIRD“
Musik ist natürlich eine eigene Form der Kommunikation. Aber wie schafft ihr es auf der Bühne – wie zum Beispiel beim Stück „Skating On Shattered Glass“ – in einer Phase miteinander eher lauter zu klingen und dann wieder zurück genommen. Gibt es da zum Beispiel auch Kommunikation mittels Blickkontakt? Oder weiß einfach jeder intuitiv, was wann folgen soll?
Villy Paraskevopoulos: Man hört einander einfach zu. Man spielt eine Idee und ein anderer nimmt diese Idee auf und spielt seine Idee und so öffnet sich ein anderes Feld. Aber es gibt keinen Blickkontakt oder andere cues. Es ist eine Frage des Zuhörens. Man stellt sich vor, wohin die Musik gehen könnte und stellt sich die Frage: Was würde ich gerne hören? Wie könnte die Musik weitergehen?
Werner Zangerle: Oder man fragt sich: wäre es jetzt gut, nicht zu spielen? Es kann auch sein, dass man selbst eine Art Plan im Kopf hat, der dann aber nicht funktioniert, weil die anderen einen interessanteren Plan haben. Dann muss man schauen, wie man miteinander zum Klingen kommt. Wenn Vini zum Beispiel mit dem Bass übrig bleibt und ein Solo spielt, entscheidet jeder selbst: kann ich das jetzt besser machen oder nicht? Und irgendwann fängt jemand wieder zu spielen an. Wir beginnen zu spielen oder hören auf zu spielen und machen das mit offenen Ohren und die Musik ist dann das Ergebnis.
Villy Paraskevopoulos: Ich stelle mir immer vor, wie die Musik klingen würde, wenn ich das eine oder das andere spiele. Wie die Musik sich im Moment verwandelt. Die Musik kann sich immer verwandeln. Wir kommunizieren miteinander und können auf Ebenen kommen, die man nicht planen kann. Jemand spielt eine Idee. Aha? Und dann geht die Musik in eine total andere Richtung. Das Schönean der frei improvisierten Musik ist, dass die Geschichte im Moment geschrieben wird.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank
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Links:
Extempore / Dream of Frequencies (bandcamp)
Klanggalerie
Werner Zangerle
Vinicius Cajado
Mark Holub