Den Grundstein für das 2022 entstandene Live-Projekt sweetlife von Yvonne Moriel, in dem sie Jazz mit Dub und Electronics verbindet, legte eine als genreübergreifendes Experiment geplante EP. Die Tiroler Saxophonistin, die beim heuer (erstmals seit 2009) verliehenen Österreichischen Jazzpreis zur Newcomerin des Jahres gewählt wurde, hat sowohl Klassik- als auch Jazz-Saxophon studiert. Sie spielte bereits mit international erfolgreichen Bands wie Shake Stew, dem Swiss Jazz Orchestra, Christian Muthspiels Orjazztra und zahlreichen anderen Formationen und war als Mitglied der Porgy & Bess Stagebands von Christoph Cech und Ralph Mothwurf von 2022-2024 monatlich dort zu hören. Bevor kommendes Jahr ein ganzes Album kommt, releast sie mit sweetlife eine äußerst gelungene weitere EP mit dem so einfachen wie logischen Titel “sweetlife II”. Mit Markus Deisenberger sprach sie über die Verbindung von Saxophon und Electronics, ihre musikalischen Einflüsse und den dubbigen Approach des Quartetts.
Die erste Frage ist fast logisch: Wieso eine EP?
Yvonne Moriel: Die EP ist als Zwischenschritt zum Album nächstes Jahr gedacht. Wir wollten das Bestehende einfach mal rausbringen, weil das Projekt noch relativ neu ist und es noch keinen Tonträger bzw. Aufnahmen gibt, die diesen Klang wiedergeben. Das Album ist dann noch einmal ein weiterer Schritt. Wir wollten mal zeigen, was es von uns bereits gibt.
Wie kamst du zu deinen Mitstreitern? Mit Stephanie Weninger arbeitest du ja schon länger zusammen.
Yvonne Moriel: Wir waren gemeinsam an der Uni, ja. Ich hatte eine Band und fragte sie damals, ob sie substituieren würde. Sie hat dann auch ein paar Keys für ein anderes Projekt für mich eingespielt. Mit Raphael Vorraber habe ich schon in einem anderen Projekt gemeinsam gespielt und dann gehört, dass er sich viel mit Hip Hop beschäftigt, was für das Projekt einfach gut passte. Er hat zwar Jazz studiert, sich aber auch viel mit Hip Hop und Rap beschäftigt. Lorenz Widauer habe ich über die Uni und übers gemeinsame Spielen kennengelernt. Irgendwann habe ich ihn spontan für ein Konzert angefragt, was dann so gut gepasst hat, dass wir beschlossen haben, intensiver zusammenzuarbeiten.
Wie wichtig waren für dich die Auftritte beim Jazzfestival Saalfelden und bei Kick Jazz im Porgy & Bess?
Yvonne Moriel: Sehr wichtig. Kick Jazz war noch sehr früh, das war 2022, als das Projekt noch nicht so ausgereift war. Wir haben da noch nicht genau gewusst, wie sich die Besetzung entwickelt. Damals waren wir noch ein Trio und haben dann mit verschiedenen Gastmusiker:innen herumprobiert. Den Kick Jazz-Gig haben wir damals mit Andreas Tausch gespielt. Wir wollten mit verschiedenen vierten Personen arbeiten, aber mit dem Lorenz hat es so gut gepasst, dass wir aus dem Trio kurzerhand ein Quartett gemacht haben.
Hast du Hip Hop als musikalischen Background oder ist Hip Hop einfach ein Beispiel deiner musikalischen Offenheit gegenüber vielen musikalischen Genres?
Yvonne Moriel: Einen Background hab´ ich im Hip Hop nicht wirklich, aber ich trug immer eine große Liebe für diese Musik in mir, habe seit jeher einen starken Bezug zu Bass und Rhythmus. Hip Hop ist für mich eine Musik der Melodien und des Grooves. Das hat mich immer sehr angesprochen, aber selbst habe ich nie Hip Hop gemacht, nein.
Jeder Track auf der EP hat eine sehr eigene Stimmung. Moderner Jazz mischt sich mit Dub und Hip-Hop-Sounds. Schon der zweite Track pulsiert aber mit sehr freiem Saxophonspiel
in Richtung Club. Was ist der rote Faden der EP? Ist es der Groove?
Yvonne Moriel: Ja und nein. Es ist schon auch relativ viel Offenes zu hören. Wir wollten das freie Jazzspiel nicht einfach nur mit jetzt gängigen Effekten anreichern, sondern die Elektronik in den Sound einflechten. Der dubbige Approach ist ein verbindender Faktor.
Und die Freiheit?
Yvonne Moriel: Auch die, auf jeden Fall, ja. Es ist ganz viel wirklich frei improvisiert.
Du verfügst am Saxophon über einen sehr warmen, jazzigen Sound. Daraus ergibt sich eine interessante Spannung zwischen den warmen Bläsern und dem freien Spiel. War das geplant oder hat es sich so ergeben?
Yvonne Moriel: Da hat sich viel ergeben. Wir hatten nicht von Anfang an ein Konzept, das wir dann einfach durchgezogen haben. Wir haben viel im Studio gespielt und herumprobiert. Wir sind eine Working Band, d.h. wir proben nicht kurz und spielen dann, sondern wir schauen, dass wir uns regelmäßig treffen und lang an Dingen arbeiten. So verändern sich die Nummern, es ist viel in Bewegung. Dadurch entsteht viel. Jetzt gerade ist der Lorenz in der Schweiz, deshalb spielen wir den kommenden Auftritt zur Preisverleihung im Porgy mit Tobias Meissl am Vibraphon. Wir wollten Lorenz nicht ersetzen, sondern seine Abwesenheit als Chance begreifen und etwas völlig Neues ausprobieren. Denn mit dem Vibraphon ist es schon sehr anders. Es hat aber den Vorteil, dass es sowohl melodisch als auch harmonisch arbeiten kann. Es kann teilweise Dinge übernehmen, die die Trompete gemacht hat, aber klanglich ist es natürlich ganz anders. Tobi hat auch einen völlig anderen Zugang. Ich finde es ganz spannend, sich auf die einzelnen Mitstreiter:innen einzulassen und mal zu schauen, was sie einbringen, quasi im Prozess zu schauen, wo es hingehen kann. Das macht Freude.
Spielt ihr auch neue Nummern oder alte, bestehende Nummern anders?
Yvonne Moriel: Wir spielen zwei neue Nummer und drei alte von der EP, d.h. wir nutzen die Möglichkeit, um neues Material zu präsentieren.
Wird die EP ein Teil des kommenden Albums sein, d.h. wird das Album eine erweiterte EP sein?
Yvonne Moriel: Nein, die Platte wird etwas ganz anderes sein.
Das klingt nach viel Output bzw. nach einer sehr kreativen Phase, in der du dich befindest.
Yvonne Moriel: Ja. Wir haben alle auf der EP befindlichen Nummern schon live gespielt, haben uns dann Anfang des Jahres im Studio getroffen und alle Nummern noch einmal eingespielt. Dabei haben sie sich mitunter noch stark verändert, wurden “geshaped”, in ein neues Kostüm gesteckt. Danach haben wir sofort angefangen, an neuen Dingen zu arbeiten. Seit Jänner schreibe ich an neuem Material. Ich schreibe sehr viel gerade, aber wir hatten immer wieder sehr kreative Phasen.
Wenn man sich auf deiner Homepage anschaut, was du alles machst – von Porgy & Bess Stageband bis Shake Stew – fragt man sich unweigerlich, wie und wann du noch Zeit zum Schreiben findest?
Yvonne Moriel: Das ist tatsächlich schwierig, weil ich unter Stress und Druck nicht schreiben kann. Ich kann viel unter Druck machen, aber Schreiben gehört nicht dazu. Dazu brauche ich Ruhe. Ich muss mir deshalb Zeiträume blocken. Heuer musste ich für andere Projekte schreiben und blockte mir Zeiten, nicht allzu knapp, sondern ein paar Wochen vorher. Das war schon ein Druck, aber auch eine gute Erfahrung, weil ich gesehen habe, dass ich das hinkriege. Ab Dezember bis Mitte März ist so eine Zeit, in der ich mich auf das künstlerische Schreiben konzentriere.
Klingt gut, aber was zahlt dann die Miete?
Yvonne Moriel: (lacht) Unter anderem werde ich dafür den Jazzpreis hernehmen.
D.h. durch Preise und Förderungen kauft man sich quasi Zeit für die kreative Arbeit?
Yvonne Moriel: So ist es. Wenn man eigene Musik macht, muss man extrem viel unbezahlte Arbeit leisten. Die ganze Organisation, das Booking. Mit etwas wie dem Newcomer Preis jetzt kann man nicht rechnen. Umso wertvoller ist es, weil ich das in kreative Arbeit investieren kann. Es öffnen sich Türen. Ich bin die Einzige in meinem Umfeld, die nicht unterrichtet. Ich probiere, dass ich möglichst wenig Job-Gigs spiele – gerade so viele, dass es sich ausgeht. Dazwischen kann ich coole künstlerische Sachen machen, die auch ganz gut bezahlt sind.
Du hast die Entscheidung, dich gegen das Medizinstudium und für die Musiker:innenkarriere entschieden zu haben, also nie bereut?
Yvonne Moriel: Nein, ich habe mich bewusst für diesen Weg entschieden. Mir ist bewusst, dass man zum Leben Geld braucht, aber mir ist auch bewusst, dass man, wenn man etwas aufbaut, irgendwann auch etwas zurückkriegen kann. D.h. eine Zeit lang muss man u.U. etwas opfern, aber eventuell geht es dann irgendwann etwas besser.
Hast du beim Saxophonspiel Vorbilder?
Yvonne Moriel: Direkte Vorbilder eigentlich weniger, aber ich fand von den alten Meistern immer Wayne Shorter und John Coltrane toll, obwohl beide Tenor spielten.
Warum Shorter?
Yvonne Moriel: Ich finde ihn als Gesamtkonzept faszinierend. Ich liebe seine Kompositionen. Ich finde auch, dass er sehr unkonventionell und gar nicht saxophonistisch spielt. In seinen frühen Arbeiten tat er das vielleicht noch, aber dann hat er sich sehr davon wegbewegt, wurde in seinem Spielen und in seinem Wahrnehmen von Musik sehr spirituell. Für mich sticht er sehr heraus. Aber in letzter Zeit finde ich auch Pharoah Sanders und Ornette Coleman cool.
Schade, dass da jetzt keine Frau dabei war.
Yvonne Moriel: Sehr, ja. Deshalb habe ich auch von den alten Meistern gesprochen. Aber ich war nie jemand, der reine Saxophonist:innen toll fand, ich fand immer eher Musiker:innen spannend.
Kommt daher auch deine Begeisterung für die Elektronik?
Yvonne Moriel: Ich glaube, die rührt daher, dass ich von der rein melodischen, typischen Saxophonrolle wegwollte. Im Jazz rutscht man ja gern mal in eine gewisse Art zu spielen rein. Ich wollte ausbrechen und habe deshalb relativ früh nach Mitteln dafür gesucht, habe mit einer kleinen Station angefangen, mich anfangs überhaupt nicht ausgekannt, mir das Knowhow, um elektronische Sounds zu erzeugen, Stück für Stück erarbeitet. Ich nutze Electronics nicht nur zur Klangveränderung, um dazu zu solieren, sondern legen Flächen, verbinde beides.
Journalist:innen wollen immer einordnen. Bei deiner Musik tue ich mir schwer. Manches erinnert mich an das eine oder andere, aber nie so, dass sich ein bestimmter Name aufdrängt. Am ehesten fühlte ich mich an Nubya Garcia erinnert, weil sie nicht nur Saxophonistin ist, sondern auch einen starken Drall in Richtung Dub und Electronics hat.
Yvonne Moriel: Ich kenne und schätze ihre Musik. Sie war aber kein Vorbild, weil ich ihre Musik erst kennengelernt habe, nachdem ich angefangen hatte, meine eigene Musik zu machen,genauso wie Shabaka Hutchings. Beide sind in einem Bereich tätig, der meine Musik beeinflusst. Die Londoner Jazzszene ist sehr von Afro und Hip Hop beeinflusst, deshalb gibt es da Ähnlichkeiten. Meine erste EP habe ich 2020 bewusst mit Leuten gemacht, die nicht so aus dem Jazzbereich kommen, weil ich schauen wollte, wo es hingehen kann. Ich arbeite gern mit Leuten, die einen völlig anderen Approach haben. Einen eigenen Weg zu gehen war mir immer schon sehr wichtig.
Du hast auch klassisches Saxophon studiert. Gehört hätte ich den klassischen Ansatz nicht.
Yvonne Moriel: Nein, in diesem Projekt gar nicht. In anderen Projekten, im Duett mit Sophie Abraham etwa, da habe ich eine Komposition geschrieben, die mehr in diese Richtung geht.
Ist dein Sound dann auch anders?
Yvonne Moriel: Ich spiele dafür Sopran mit einem teilklassischen Ansatz, und das klingt schon eher nach Klassik. Ich verwende also einen komplett anderen Ansatz und ein komplett anderes Setup. Aber wenn jemand zu mir sagen würde, ich müsste ein klassisches Saxophonkonzert spielen, würde ich erst einmal monatelang übern, um gut zu klingen. Ich habe da einen hohen Anspruch, schließlich habe ich das studiert. Klassisches Saxophon ist wie ein anderes Instrument. Von dem ist kaum noch etwas da. Den Jazz-Ansatz habe ich mir erarbeiten müssen. Das war eine lange Reise. Früher, als ich nur Klassik kannte, hatte ich auch ein völlig anderes Sound-Ideal.
Und zwar?
Yvonne Moriel: Ein ganz klarer und runder, störgeräuschfreier Sound, der in jeder Lage gleich und perfekt weich ist. Ganz kontrolliert. Goldig und strahlend. Wenn ich das jetzt höre, halte ich das kaum noch aus. Inzwischen finde ich den Jazz-Sound am Saxophon viel schöner.
Wenn du sagst, ihr verbringt viel Zeit im Studio, ist das etwas Privates, oder? So viel Zeit in einem Sound-Studio, in das man sich offiziell einmieten muss, könnte sich niemand leisten.
Yvonne Moriel: Wir haben uns mit anderen in eine Tonstudiogemeinschaft (Primitive in der Laudongasse, Anm.) eingemietet.
Das sieht in manchen Youtube-Videos nach einer richtig guten Atmosphäre aus.
Yvonne Moriel: Ja, wenn wir länger arbeiten, bauen wir auch Lichter auf, damit es einen besseren Vibe hat. Das Feeling ist mir sehr wichtig.
Wann wird das Album kommen?
Yvonne Moriel: Nächstes Jahr im Späherbst.
Du hast eine starke Schweiz-Connection, spielst dort immer wieder. Woher rührt diese enge Verbindung?
Yvonne Moriel: Ich habe einen Erasmus-Austausch gemacht. Über Umwege hat es sich ergeben, dass ich in Zürich gelandet bin. Die waren dort sehr offen und wertschätzend zu mir. Ich habe dann viel gespielt dort und mir Kontakte aufgebaut. Ab und zu bin ich wieder dort, um zu spielen.
Hast du zufällig mal Nik Bärtsch im Zürcher Club Exil gesehen, wo er jeden Montag spielt?
Yvonne Moriel: Ja, einige Male. Ein cooler Club mit gutem Licht ist das. Ich war bei ihm aber auch in einem externen Ensemble, das er geleitet hat. Ein Jahr lang. Wir haben bei ihm im Studio seine Musik erarbeitet.
Wow, das wusste ich nicht. Wie kamst du Nik Bärtsch?
Yvonne Moriel: Ich habe mitbekommen, dass er in Zürich wohnt und sehr involviert in die dortige Szene ist. Und dann habe ich mitbekommen, dass die Uni eine Partnerschaft mit ihm hat, wo man Student:innen wie mir einmal im Jahr ermöglicht hat, mit ihm zu arbeiten. Über ein Jahr hinweg. Dafür habe ich mich beworben. Das war quasi ein einjähriger Workshop mit intensiven Arbeitsphasen.
Wie war die Erfahrung?
Yvonne Moriel: Nik ist ein hochinteressanter Mensch, und es war toll, mit ihm zu arbeiten und in die Szene reinzukommen. Er hat mir sogar sein Buch geschenkt, das ich gerade lese. Ich habe ihn erst vor zwei Wochen in Zürich getroffen. Er ist sehr speziell, den gibt es kein zweites Mal auf der Welt.
Inwiefern speziell? Wegen seines fernöstlichen Einschlags?
Yvonne Moriel: Auch, aber nicht unbedingt. Die meisten Leute, die auf diesem Level arbeiten, sind irgendwie gestresst. Man nimmt gern zu viel an, ist nicht ganz organisiert, das Chaos ist also ganz normal in diesem Job. Er aber ist ein Mensch, der sich, wenn er etwas macht, auch die Zeit nimmt. Er hat sich sieben Stunden am Stück Zeit für uns Student:innen genommen. In der Mittagspause hat er uns eingeladen und mit uns Dinge besprochen. Ich habe selten erlebt, dass jemand so bewusst mit seiner Zeit umgeht. Das hat mich sehr beeindruckt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Markus Deisenberger
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