Pop und Politik. Geht das überhaupt noch zusammen? Wenn es nach der Wiener Band Sinuswelle geht, dann ist die Frage mit einem klaren „Ja!“ zu beantworten. Via Startnext haben sie zum Crowdfunding für ihr Debut-Album “Manifest” aufgerufen, das nicht nur so heißt, sondern sich als musikalisches Statement gegen gesellschaftliche Schieflagen und als Plädoyer für mehr Solidarität versteht. Ein etwa hundertseitiges tatsächliches Manifest gibt es als gedrucktes Buch dazu.
Bandleader und Kunstfigur Magister Bino und seine Mistreiter Julian und Chris Schaller verrieten dem mica – music austria, welche politischen Themen ihnen unter den Nägeln brennen, wie viel Wut es dafür braucht, und wieso Crowdfunding ein spannender Prozess ist.
Kunst sei immer Widerstand, hat der eben verstorbene Claus Peymann gesagt, und nicht nur das, auch Widerspruch, Dagegenhalten. In dem Moment, in dem das nicht mehr stattfinde, versiege die Kunst, so Peymann. Ich nehme einmal an, das entspricht eurem Denken?
Magister Bino: Das kann ich so vollinhaltlich unterschreiben, ja.
Popmusik galt jahrzehntelang als Spiegel der Gesellschaft. Wenn man sich aktuelle, international erfolgreiche Popmusik anhört, könnte man zum zynischen Schluss gelangen, dass unsere Gesellschaft ein wenig seicht und oberflächlich geworden ist, sich selbst genügt, aber vor allem eines ist: Unpolitisch. Und dann kommt eine Band namens Sinuswelle mit einem Album, das sich „Manifest“ nennt und ein ebensolches gleich in Form eines Buches mitliefert. Wie kommts?
Magister Bino: Auf der Welt gibt es so enorm viel Ungerechtigkeit, sodass es für mich als Musiker geradezu absurd wäre, über Frieden, Freude und Herzschmerz zu singen, wo es doch so viele wichtige Themen gibt, die uns unter den Nägeln brennen. Wir haben schon gemerkt, dass wir mit unserem Ansatz in der zeitgenössischen Popmusiklandschaft nicht unbedingt Chart-Platzierungen erreichen werden, weil es heiße Themen sind und ich das Gefühl habe, manche dieser Themen wären auch Sendern zu heiß. In der Besetzung mit Craig Milam, Julian und Chris Schaller, Andreas Oswald Hierzenberger und mir – ich schreibe die Texte und die Musik – bearbeiten wir aber sozialkritische Themen. Und immer wieder teilen uns Leute mit, wie super sie das finden, was wir machen, und geben auch gerne Likes, aber wenn es darum geht, eine handfeste Unterstützung zu geben, wird es schon schwieriger. Aber: Es schaut ganz gut aus. Wir haben bereits 90% der Funding-Summe erreicht, und die Kampagne dauert noch eine Woche. Ich hoffe, dass durch dieses Interview noch einmal eine Dynamik entsteht. Im Rahmen dieser Kampagne hat sich eine Metamorphose des Projektes ergeben…
Inwiefern?
Magister Bino: Label-Chef Walter Gröbchen hatte die Idee, ich solle doch statt eines Booklets ein Pamphlet schreiben. Die Idee war so gut, dass daraus ein Buch mit knapp hundert Seiten wurde. Es gibt einen Prolog, zu jedem der dreizehn Songs ein Kapitel und am Schluss noch einen Epilog.
Welche Themen behandelt „Manifest“?
Magister Bino: Themen wie Verteilungsungerechtigkeit, Faschismus, Femdenhass, Klimawandel, und Boulevardjournalismus. Wir haben das, was uns am Herzen liegt, auf den Punkt gebracht. Einerseits gibt es also das Musikalische, unsere Songs mit gesellschaftskritischen Texten, und andererseits gibt es auch das Buch, das die Quintessenz von Sinuswelle auf den Punkt bringt.
“Die Wurzel allen Übels auf dieser Welt sind Verteilungsungerechtigkeit und Patriarchat.”
Es geht auf dem Album ganz konkret u.a. gegen Klimaleugner und die FPÖ, aber wenn man sich das Video zu „Raumschiff“ anschaut, gewinnt man den Eindruck, der größte Gegner sind Big Money und Big Tech.
Magister Bino: Die Wurzel allen Übels auf dieser Welt sind Verteilungsungerechtigkeit und Patriarchat. Natürlich sind uns auch rechte Gesinnung und Faschismus ein großer Dorn im Auge, aber dieses Problem würde sich lösen lassen, denke ich, wenn die Verteilungsungerechtigkeit auf dieser Welt beseitig werden würde, weil dann das Substrat, der Nährboden fehlt, mit dem die Rechten ihre Anhänger gewinnen. Sie gewinnen ja nur dadurch Anhänger, dass sie die Unzufriedenheit, die sich eigentlich nach oben richten müsste, auf Minderheiten und Randgruppen, ob nun Ausländer, Schwule oder Klimaaktivisten, umlenken. Das ist meine Meinung. Aber auch das Patriarchat sollte kritisch beleichtet werden.
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Um Georg Sessleen zu zitieren: Ist es noch Pop oder schon Politik? Oder andersrum: Ist es noch Politik oder schon Pop?
Magister Bino: Sagen wir mal so: Wir haben sehr klare Meinungen zu sehr vielen Themen, messerscharf, und sie sind bis zu einem gewissen Grad auch politisch. Aber am Ende des Tages sind wir keine NGO und auch keine Weltverbesserer mit Spenden-Gütesiegel. Wir sind auch keine politische Partei, sondern eine Band. Bewaffnet mit Synthesizer, Gitarre, Bass und Schlagzeug. Walter Gröbchen hat uns ein einem seiner Postings mal als „Agit-Pop“ bezeichnet. Die Frage ist auch, ob Pop die 100%igr richtige Klassifizierung ist. Unsere Musik weist auch Rock- und Punk-Elemente auf. Aber wahrscheinlich sind wir, wenn man es weiter definiert und das kein Widerspruch ist in der heutigen Zeit ist, schon politischer Pop.
Angesichts der politischen Großwetterlage ist eine politisierte Öffentlichkeit wichtiger denn je. Kann ein Pop-Album wie eures diese Öffentlichkeit überhaupt befeuern?
Magister Bino: Ich habe schon das Gefühl, dass wir Themen ansprechen, die vielen wichtig sind. Aber es sind auch Themen, mit denen sich viele Menschen ungern auseinandersetzen, sich lieber Scheuklappen aufsetzen und sich einreden: „Ja, es ist eh alles nicht so schlimm.“ Wenn man sich den Klimawandel anschaut, sitzen wir metaphorisch gesehen alle gemeinsam im SUV, rasen mit verbundenen Augen auf den Abgrund zu und reden uns dabei kurz vor der Klippe ein, dass es schon gut gehen wird.
“Bis zu einem gewissen Grad ist es intellektuell, dann kommt die Wut.”
„Lieber um die Welt jetten als die Welt retten“ wie es so schön im Song „Raumschiff“ heißt…
Magister Bino: Genau. Dieser Widerspruch ist schwierig. Wir finden teilweise offene Ohren, was ich auch merke, wen ich meine Meinungen in sozialen Medien kundtue. So fing es ja an: Ich habe meine Meinungen geteilt und positives Feedback dazu erhalten, was mich motiviert hat, die Idee aufzugreifen und ein Buch darüber zu schreiben. Aber die Illusion, dass wir mit der Art von Themen einen Mega-Bestseller, landen, mache ich mir ehrlich gesagt nicht. Dafür ist es ein gutes Gefühl, wenn man merkt, dass man bei einigen Leuten einen Denkanstoß gesetzt hat. Dass manche aufwachen oder sich bestärkt fühlen nach dem Motto: Das hab´ ich mir auch schon immer gedacht, aber nicht zu sagen getraut. Das ist für mich persönlich schon viel wert. Natürlich würde ich mich über einen großen Erfolg freuen und unsere Musik hat Potenzial, aber die Wahl der Themen macht es nicht unbedingt einfacher, Erfolg zu haben.
Sinnstiftung ist dir wichtiger als Erfolg?
Magister Bino: Mir ist es wichtig, etwas von Belang zu machen und etwas zu bewegen, ja. Aber natürlich: Je mehr Menschen wir bewegen können, desto besser.
Im Pitch-Video für das Crowdfunding sprichst du davon, dass du stolz auf das Album bist. Wieso?
Magister Bino: Es ist gut gelungen. Wir haben sehr viel selber gemacht, aber in den essenziellen Bereichen tolle Leute an Bord geholt, z.B. den Alex „Feia“ Thomann für den Sound und den Martin Scheer für das Mastering. Wir haben uns die Besten geholt, es ist top-produziert und musikalisch die Quintessenz dessen, was mir persönlich taugt. Ich persönlich gehe musikalisch keine Kompromisse ein. Wenn jemand Änderungen verlangt, muss ich die immer mit dem vereinbaren können, was mir gefällt. Mit den beiden Schallers ist auch neuer Wind reingekommen, eine neue Dynamik. Durch die beiden habe ich eine Weiterentwicklung erfahren.
Wie kamst du zu deinen Mitstreitern?
Magister Bino: Karli Braun hat mich auf Julian Schaller gebracht. Der hatte Lust und wir haben gemeinsam angefangen, an den ersten Songs des Albums zu arbeiten. Und dann stieß sein Bruder Chris dazu. Beides sind sehr quirlige Typen mit einem hohen Energie-Level. Was das Songwriting anbelangt, habe ich dadurch eine Entwicklung erfahren. Bis dahin habe ich sehr einfache Strukturen bevorzugt, durch die beiden ist da mehr Abwechslung reingekommen.
In der Hochzeit des pop-politischen Diskurses während der 1980er engagierten sich Leute wie Billy Bragg und Paul Weller offen parteipolitisch. Manche Bands wir die Redskins sangen sogar für die Minenarbeiter. Die Zeit scheint aus heutiger Sicht lange vorbei zu sein. Viele sehen im Handshake von Noel Gallagher mit dem frisch gewählten Tony Blair 1997 den Endpunkt der Entwicklung. Das sei der Sargnagel des politischen Pop gewesen, hieß es oft. Seht ihr euch in einer Tradition des Agit-Pop und der Protestkultur, an die ihr andocken könnt?
Magister Bino: Von der Protestkultur kann ich mich eher mit Rage against the Machine identifizieren als mit den Genannten, auch weil sie den Protest schon im Namen tragen. Ich wäre aber immer vorsichtig, sich als Band politisch gebrauchen zu lassen. Das würde ich nicht machen, auch wenn ich Sympathien für eine Bewegung oder Partei hätte. Ich konkretisiere auch in keinem meiner Songtexte Vorlieben für eine bestimmte Partei. Konkret ist die Ablehnung gegen gewisse andere Parteien, ja. Aber sich definitiv zu positionieren ist trotz allen Protestes tabu.
Dennoch ist die Kritik mitunter durchaus forsch und direkt: „Ich sag´s jetzt ganz forsch, geht´s in Orsch“ heißt es da etwa, was wütender klingt als es das Wort “Manifest” suggerieren würde. Wie viel Wut war beim Entstehen der Musik dabei?
Im Logo haben wir eine Faust, die aus dem Sinuswelle-Logo rauskommt. Da ist also durchaus eine kämpferische Grundintention da. Bis zu einem gewissen Grad ist es intellektuell, dann kommt die Wut. Das Manifest ist eine 100-seitige Wutrede. Es ist voll von Apellen.
Inzwischen sind auch Chris und Julian Schaller ein getroffen, die im Stau steckten.
Und ihr beiden teilt diese Wut?
Chris Schaller: Ich finde es gut, dass auch von der linken Seite mal was Polemisches kommt. Grundsätzlich glaube ich zwar, dass Liebe mehr Leute erreicht als Wut. Aber Wut gehört zum Leben dazu.
Julian Schaller: Wir teilen das im Wesentlichen, klar, sonst könnten wir in der Nähe gar nicht zusammenarbeiten. Es sind viele Menschgen sehr sauer auf Politik, Digital-Feudalismus und KI. Dummerweise suchen viele nach einfachen Antworten. Dafür, wütend zu sein, gibt es viele Gründe.
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Vielleiht noch mal zum Crowdfunding: Im Video zum Pitch wird thematisiert, ob es im Zeitalter von Streaming, Algorithmen und der ständigen Verfügbarkeit von Musik denn überhaupt noch Sinn mache, Tonträger zu produzieren. Offenbar seid ihr zum Schluss gekommen: Ja. Sonst hätte ihr die Kampagne nicht gestartet. Was gab den Ausschlag?
Und ist es ein Akt der Auflehnung oder Anpassung?
Magister Bino: Wir wollten mit dem Crowdfunding auch einmal den Bedarf abchecken. Im Laufe der Kampagne haben wir ganz pragmatisch bemerkt, dass der Bedarf an Vinyl für unsere Zielgruppe quasi nicht existent ist. Wir hatten nur ein paar Bestellungen, aber weit nicht genug. Deshalb haben wir uns entschlossen, auf eine Vinylpressung zu verzichten und dafür eine CD zu machen, die gemeinsam mit einem richtigen Buchdruck auf den Markt kommt. Das war nicht von Anfang an geplant. Da liegt jetzt der Fokus drauf.
Das heißt, die Kampagne hat eure Wahrnehmung für die Bedürfnisse eurer Fans geschärft?
Julian Schaller: Genau so ist es. Das war ein sehr spannender Prozess. Gerald (Magister Bino) ist nicht nur in der Gesprächsführung, sondern auch in der schriftlichen Prosa ein geniales Talent, und es wurde uns klar, dass wir in diese Richtung gehen müssen. Deshalb werden wir das auch in den Kompositionsprozess der gerade neu entstehenden Songs integrieren: Wir gehen weg von Reimstrukturen und fokussieren auf die schriftstellerische Qualität. Ideen, Texte und Kernmelodien stammen von Gerald. Chris und ich sind für die Arrangements und die Umsetzung zuständig.
Vermarktungstechnisch habt ihr auch ein paar andere Ideen in Pakete geschnürt. Es gibt auch Wohnzimmerkonzerte und personalisierte Songs zu kaufen.
Magister Bino: Was die Schallers immer machen, ist pro geplantem Konzert einen Song vorab zu komponieren und als Konzertankündigung auf Instagram zu veröffentlichen. In dem Stil werden wir auch einen Song, für den- oder diejenige, die ihn gebucht hat, komponieren.
Julian Schaller: Wichtig ist, dass das ein handgemachter Song ist, der eine Qualität hat und witzig ist. Für 299 Euro können wir aber nicht ins Studio gehen und vollprofessionell aufnehmen.
Chris Schaller: Das Wohnzimmerkonzert spielen wir unverstärkt im Wohnzimmer.
Magister Bino: Wir haben für eine geplante Akustik-Session im Loft morgen die erste unverstärkte Probe. Wenn wir das drin haben, können wir das auch für jedes Wohnzimmer adaptieren.
Ist denn schon ein Wohnzimmer-Konzert gebucht worden?
Magister Bino: Bis jetzt nicht, aber ich lege es jedem nahe, es zu tun, denn das wird urleiwand.
Wie wäre es mit „Lieber um die Welt jetten als die Welt retten“- T-Shirts?
Julian Schaller: Gute Idee, wir werden dich als Miturheber beteiligen
Magister Bino: Eines muss man vielleicht noch erzählen: Wir veranstalten auch Konzerte unter dem Titel „Wien is uroarsch“, was die ambivalente Hassliebe des typischen Wieners, die er seiner Stadt gegenüber empfindet, ausdrücken soll.
Ihr veranstaltet euch selbst?
Chris Schaller: Nein, grundsätzlich eher andere. Es haben u.a. schon Kahlenberg, die Buben im Pelz, Low Life Rick Kids, Ezra, Kommando Elephant und viele andere gespielt.
Es ist eine Musikplattform mit erfolgreicher Spotify-Playlist. Das Konzept ist: Jeweils vier Bands aus der Playlist treten gemeinsam auf. Nächstes Jahr wird es eine Fortsetzung der Serie im Flucc geben.
Habt ihr auf dem Album ein Lieblingslied?
Julian Schaller (nach einigen Nachdenken): Klopapier.
Chris Schaller: Das ist auch meins.
Magister Bino: Trifft sich gut, denn das wird die nächste Single. Wir suchen für das Video gerade nach dem passenden Klo.
Vielen Dank für das Gespräch.
Markus Deisenberger
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