Vom Bedürfnis immer besser werden zu wollen – MILE im mica-Interview

MICHAEL LECHNER aka MILE ist ein Mensch der vielen Talente und einer, der sich nicht auf ihnen ausruht. Vor zwei Jahren haben Tiefparterre Records dem jungen Grazer die Türen geöffnet und in zwei Wochen releasen sie sein erstes Album, „Apple Juice & Lemon Trees”.

Und von diesem Album werden wir noch viel hören und lesen. Denn hier wurde von allen Seiten an einem außergewöhnlichen Stück Musik gearbeitet. Es vereint eine Mischung aus Herkunft, Erfahrung, Erlebnissen und dem guten Quäntchen Erzählkunst zu einer wahren Symbiose. Entstanden ist ein unangepasster, eigenständiger, nicht dem heißesten Shit nacheifernder Wurf, der unter anderem von Szenegrößen wie Testa getragen wird. Ganz vorne allerdings steht eine Stimme, die sich in die Ohren brennt, eine Charakteristik, die Eigenständigkeit beweist. Mit Lucia Laggner sprach Michael Lechner über die Liebe zum Sprechgesang, seine Zeit als Leistungssportler und seine Kindheit in Nigeria.

Wenn ein Album passiert

Das letzte Jahr scheint ein extrem Produktives gewesen zu sein! Man macht ja nicht von einem Tag auf den anderen ein Album. Wie ist der Prozess abgelaufen?

mile: Ursprünglich hatten wir den Plan, eine EP zu produzieren. Irgendwann bin ich dann aber mit sechzehn Tracks dagestanden. Ein Album hatte ich in diesem Prozess niemals im Kopf, es ist einfach passiert. Die Produktivität des letzten Jahres rührt wohl daher, dass ich mich absolut auf das Musikmachen konzentriert habe. Es sind zwar einige Dinge um mich herum passiert, aber ich konnte mich gut abgrenzen und mich in die Arbeit vergraben. Dazu kam, dass ich mich online mit vielen Leuten verknüpft habe, herumgefahren und in diversen Studios gestanden bin und viele Lyrics entstanden sind. In diesem intensiven Prozess sind mir die Texte auch beim Spazierengehen eingefallen. Ich merke, dass ich unglaublich profitiert habe und viele Dinge noch einfacher und besser von der Hand gehen als davor.

Gibt es eine bestimmte Arbeitsweise, Tagesstruktur, gewisse Rituale? Passiert alles ganz natürlich oder müssen Sie sich in gewisser Weise auch disziplinieren?

mile: Am Anfang bin ich am Tisch gesessen und habe mich ganz bewusst dazu gezwungen, so lange sitzen zu bleiben, bis ein Wort, eine Zeile, ein Reim entsteht. Mittlerweile setze ich mich hin, schalte Musik ein und beginne einfach irgendwas zu brabbeln. Teilweise ergibt es überhaupt keinen Sinn, aber mit der Zeit entsteht ein Text. Das passiert sehr fließend und ungezwungen. Dadurch kann ich noch produktiver sein als vorher. Eine Zeit lang bin ich in der Früh aufgestanden und habe meinen Tag wie einen Bürojob strukturiert, um dem Schreiben einen klaren Rahmen zu geben. Es ist gut, solche Dinge auszuprobieren, aber eigentlich betten sich die Kreativität und das, was aus ihr entsteht, ganz einfach in den Alltag ein. Da muss ich mir gar nicht viel vorschreiben.

Welche Sounds beeinflussen Sie?

mile: Im Moment versuche ich, mich viel auf Soundcloud herumzutreiben und nach neuen, jungen Produzentinnen und Produzenten zu suchen. Das ist wichtig, denn ich will in Zukunft auch melodischere und grobmaschigere Musik machen. Das müssen nicht immer klare musikalische Schemata sein: 16 Bars – Chorus – 16 Bars – Outro, und aus. Schön wäre es, da noch mehr in den Hip-Hop zu gehen und an längeren und komplexeren Konstrukten zu arbeiten. Ich höre wahnsinnig viel Musik aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Natürlich ist Hip-Hop die große Liebe, weil ja, ich rappe, aber da gibt es so viel mehr und damit setze ich mich auch auseinander. Melancholische Sounds üben definitiv eine Anziehung auf mich aus. Aber gerade deshalb versuche ich momentan, auch fröhlichere Musik zu machen. Wenn man jeden Tag an Stimmungen arbeitet, die einen runterziehen, dann ist man kaum mehr alltagstauglich. Man muss sich schließlich in die Musik hineinversetzen, die man macht. Da ist es oft schwer, einfach mal Freundinnen und Freunde zu treffen und die Laune zu wechseln.

Vom Fußball zum Hip-Hop

Steht Ihre konsequente Arbeitsweise im Zusammenhang mit Ihrer Vergangenheit als Leistungssportler?

mile: Ja, das glaube ich durchaus. Das Bedürfnis, immer besser werden zu wollen, begleitet mich auch im Musikmachen. Früher bin ich stundenlang am Fußballplatz gestanden und habe tausendmal auf das Tor geschossen, heute sitze ich nächtelang am Schreibtisch und tüftle an meinen Texten. Für mich ist es ganz klar, dass man sich nur so steigern kann. Ich reime jetzt viel besser als noch vor ein paar Monaten. Man spielt immer mehr Kombinationen durch, hat das Gefühl, vieles schon mal gedacht und gedichtet zu haben.

Sie sind in Afrika aufgewachsen. Was haben Sie für Erinnerungen an diese Zeit und inwiefern prägen diese Ihre Kunst?

mile: Die Kultur hat mich sicher geprägt. Da ich auch in meiner Musik Erfahrungen und Erinnerungen verarbeite, findet sich diese Zeit in Afrika natürlich auch in meiner Musik wieder. Das Aufwachsen war damit verbunden, viel Armut zu sehen, indem ich die Ungleichheiten innerhalb eines Landes ständig vor Augen geführt bekommen habe. Meine Mutter ist schwarz, mein Vater weiß. Meine Hautfarbe hat irgendwie nicht in das Land gepasst. Für die Schwarzen war ich der Weiße, für die Weißen ein Schwarzer. Es dauert immer eine Zeit, bis man sich die Akzeptanz erarbeitet hat. Die Vorurteile und auch Ablehnungen haben mich sehr geprägt. Sowohl in Afrika als auch in Europa. Gelebt haben wir in einem Camp, das für reiche Arbeiter gebaut wurde. Rund um das Camp gab es einen Zaun und innerhalb haben Menschen aus der ganzen Welt gelebt. Dadurch bin ich mit Kindern aus Asien, Europa und den USA in Berührung gekommen. Die meisten Familien sind aber nicht lange im Camp geblieben und irgendwann waren kaum mehr Kids in meiner Umgebung. In dieser Zeit war ich viel allein, bin mit unserem Hund durch das Camp spaziert und habe meiner Fantasie freien Lauf gelassen.

„Inspirationen findet man überall …“

Graz ist eine kleine, aber musikalisch sehr produktive Stadt. Mit Tiefparterre haben Sie ein Label gefunden, das sich über die letzten zehn Jahre Namen und Standing erarbeitet hat. Wie empfinden Sie das Leben als Künstler in dieser Stadt und was verbindet sie mit Tiefparterre?

mile: Es war ursprünglich nicht das Ziel, Musik für andere zu machen. Als ich dann doch meine Arbeit zu Tiefparterre geschickt habe, ist alles ganz schnell gegangen. Alle Kolleginnen und Kollegen haben mich unterstützt und tun es immer noch. Man trifft sich im Studio, feiert sich gegenseitig und packt auch bei den Projekten der anderen an. Ausgehend vom Bedroom Producing hat sich die Qualität meiner Arbeit in den letzten zwei Jahren irrsinnig gesteigert. Graz ist zwar keine große Stadt, aber ich kann hier mit großartigen Leuten zusammenarbeiten. Inspirationen findet man überall, dafür muss man nur aus dem Fenster schauen.

Überzeugt vom natürlichen Wachstum

So kurz vor dem Release des Albums hat man sicher gewisse Erwartungen, Träume, Visionen? Wo soll die Reise hingehen?

mile: Meine Musik soll sich verbreiten und natürlich wachsen. Das ist mir wichtig. Die Sache muss nicht von heute auf morgen durch die Decke gehen. Das kann gefährlich sein, weil ein Hype oft schnell wieder vorbei ist. Ich will mich ständig steigern und aus meinen Erfahrungen lernen. Ich kann nicht in die Zukunft sehen und die Reaktion der Menschen, die meine Musik hören werden, voraussagen. Aber in jeden Fall bin ich überzeugt davon, dass dieses Album gut ist, und ich bin stolz darauf, es gemacht zu haben.

Wenn Sie an die Liveumsetzung Ihrer Nummern denken, wie könnte dann das optimale Set-up aussehen?

mile: Mir sind Visuals sehr wichtig. Ich selbst mache mein Ding auf der Bühne, heize die Leute an oder vergrabe mich in Emotionen. Natürlich hängt der Umfang eines Bühnen- Set-ups davon ab, wie erfolgreich mile ist und wie viel Geld man zur Verfügung hat. Jedenfalls arbeite ich schon intensiv an meiner Bühnenperformance. Das verbessert wiederum meine Stimme. Ich habe gelernt, mein Zwerchfell einzusetzen und bewusster zu atmen. Alle Bereiche beeinflussen einander. Das ist großartig.

Danke für das Gespräch.

Lucia Laggner

Fotos: Jasmin Schuller und Maximilian Schmid

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