„Stimme und Klavier“: Lukas Haselböck und Kaori Nishii mit Uraufführungen

Die “cercle – konzertreihe für neue musik”  ist eine von Gernot Schedlberger und Lukas Haselböck begründete Veranstaltungsreihe, die sich als offene Plattform für Uraufführungen Neuer Musik versteht. Im gut besuchten Off-Theater in der Kirchengasse gab es am Montag 14.6. diesmal neueste Werke für „Stimme und Klavier“ von Gernot Schedlberger, Michael Amann, Dana Probst, Christian Utz und dem Sänger (und Komponisten) Lukas Haselböck himself zu hören, weiters ein Stück von Gerald Resch aus dem Jahr 1997. Es ging so gut wie immer um Texte aus Lyrik und Literatur.

Gefördert wird die cercle-Reihe von der Kulturabteilung der Stadt Wien und von der GFÖM. Die am gestrigen Abend aufgeführten Werke neuer Vokalmusik für Bass (bzw. tiefe Stimme) und Klavier, auch für Stimme allein oder Klavier allein (als „Programm-Musik“ die einen kurzen Prosatext oder Bildende Kunst illustriert) waren enorm eindrucksvoll, zum Teil sehr gut. Und man eilt darnach (nach Gesprächen im angeschlossenen Buffet mit den beteiligten Komponisten – ca. 6 pro Quadratmeter) zur eigenen Bibliothek bzw. zum Internet um zu erfahren, wer die Verfasser der gebotenen lyrischen Texte – man konnte sie beim Konzert auch mitlesen –  überhaupt sind. Oder kannten bzw. kennen Sie bereits die Namen Anja Utler, Andrea Heuser oder Wolfgang Herrmann, deren Gedichte bei Verlagen in Wien, Düsseldorf und Salzburg erschienen sind? Na eben. Die erste Frage, um das zu erkunden, konnte natürlich den Komponisten selbst gestellt werden. Aber nun der Reihe nach.

Gernot Schedlberger war der erste Täter des Abends.  Er vertonte unter dem Titel „balancen – zugriffe – übernahmen“ Gedichte aus Anja Utlers „münden – entzüngeln“, erschienen 2004 in einem Wiener Verlag sowie (als Endpunkt des Programms) weitere 5 Texte aus „Ins Tagesinnere“ von Wolfgang Hermann, herausgegeben in Salzburg-Wien 2002. Beides Uraufführungen. Die Stimme ist vom „espressivo“ bis zum hastigen Flüstern gefordert, das Klavier begleitet in eigenem Rhythmus und oft sehr virtuos. Kunststück: Gernot Schedlbeger (geb. 1976)  ist auch als ausübender Musiker sehr aktiv, u. a. als (Solo-)Korrepetitor im Musikverein Wien sowie beim Wiener Singverein und als Pianist (das Spielen überließ er aber natürlich der aus Tokio gebürtigen jungen und hervorragenden Karo Nishii). Seit 2003 übt er eine Unterrichtstätigkeit an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien im künstlerischen Hauptfach Harmonielehre/Kontrapunkt bzw. Historische Satztechniken aus. Auf dem Tatkonto des Komponisten – er stammt aus Steyr – finden sich bereits viele Lieder, Schauspielmusiken, er war auch am Perutz-Zyklus des Sirene-Operntheaters im vergangenen Jahr mitbeteiligt („Der Heinrich aus der Hölle“). „Witz ist dabei, Mystik, schöne Musik und jede Menge Albträume“ – das schrieb die „www.kulturwoche.at“ über das damalige Verbrechen.

Jetzt aber Nachhilfe-Unterricht über Anja Utler: „Für ihre Gedichte aus ‚münden – entzüngeln’ wurde Anja Utler die wichtigste Auszeichnung für junge Lyrik im deutschsprachigen Raum, der Leonce-und-Lena-Preis, verliehen. Die Jury würdigte die gespannte Balance ihrer Gedichte als ,Sprachspiele gesteigerter Weltwahrnehmung, die aus der Substanz der Wörter jene Leuchtstreifen entwerfen, an denen sich unsere Neugierde, aber auch unsere Verstörungen im Erkunden der Sprache entlang tasten’. Daher die sibyllinische Klarheit und der bestürzende Reichtum ihres Gedichts. Ich kenne jetzt kaum jemanden, egal in welchem Alter, der Anja Utler das Wasser reichen könnte.“ Schreibt Thomas Kling über sie.

Und: „Anja Utler empfindet die Sprache. Daher schreibt sie so hart und so blitzend, so mitleidend genau. Das gilt auch für die hoch entzündliche Präzision ihres Vortrags. Respekt“. Dem Urteil können wir uns bezüglich des konzentrierten Vortrags von Haselböck/Nishii und Schedlbergers Vertonung nur anschließen. „Anja Utler, geboren 1973, die als Slavistin und Stimmpädagogin die Tücken und Freuden der physischen Artikulation kennt, situiert ihre Gedichte in einer Sprache, die Kehle und Landschaft als „stimmschlund“ ununterscheidbar werden läßt.“ Schreibt etwa die FAZ über die Autorin; wir können das auch für Haselböcks Vortragskunst behaupten. „Anja Utler, wie gesagt, fängt an einem imaginären Punkt an; der ist ein Konstrukt, aber ein überzeugendes: Da, wo Artikulation als physisch-expressiver Vorgang beginnt und zugleich die hervorgebrachten Wörter eben doch etwas bezeichnen, etwas Physisches, etwas Bildhaftes, Bedeutungsfelder, wo auch einander ähnelnde Wortarten sich häufen, zueinander zu gehören scheinen. Sie schafft „verflechtungen“, bis man oder damit man nicht mehr weiß, ob da die Rede von einem Abschnitt eines Bachs oder von einem Körper ist“ meint eine weitere Pressestimme (NZZ). „So gliederlösend muss die Liebe klingen“ steht in der „Süddeutschen“. Und wir fragen hier: Kennen Sie einen Komponisten/eine Komponistin aus Österreich, der/die  auf 14 pdf-Seiten derartige hochrangige Besprechungen der besten Zeitungen im Lauf eines Jahres (2004/05) auf seiner Website versammeln könnte? So endet jedenfalls Schedlbergers Vertonung: „die rohr kolben speise röhre /schließlich zur deckung gebracht – eine ver-/zahnung? – bis in die spaltöffnung, frisch/gerissen, … luft/ holt man schon noch allein.“

Der zweite Autor, für den und mit dem Schedlberger „nach innen“, sein op. 26 komponierte, ist Wolfgang Hermann („Ins Tagesinnere“). Über den nur soviel: Für 2010 ist an der Oper Erfurt die Uraufführung der neuen Oper von Johanna Doderer geplant. Libretto: Wolfgang Hermann, er ist gebürtiger Dornbirner, freier Schriftsteller, hat eine wissenschaftliche Arbeit über Hölderlin verfasst. Doderer hat übrigens auch Gedichte aus „Ins Tagesinnere“ vertont, weitere Musiker und Komponisten, die mit Hermann arbeit(et)en: Peter Herbert, Wolfgang Sauseng, Peter Madsen sowie Jakub Sarwas (Polen, er vertonte das Theaterstück „Bruno“ von Hermann).

Michael Amann

, auch er gebürtiger Dornbirner, in seiner Stilbeschreibung (mica-Musikdatenbank): „Ausgangspunkt für meine Musik sind häufig sinnliche Wahrnehmungen oder deren (literarische) Beschreibungen. Aus diesen entwickle ich die physische, materielle Gestalt eines Werkes.“ Seine gut zum Programm des Abends passende Komposition „Die Wolfshaut“ für Klavier (mit metal chimes) wurde 2004 in der Alten Schmiede erstmals aufgeführt. Die Textstelle, auf die Amann sich bezog, stammt aus dem Neunten Kapitel des gewaltigen Romans „Die Wolfshaut“: „… das Leuchten in den Höhen war erloschen, als sei ein Windstoss in ein Fest hineingefahren, … und nur noch im Westen gloste eine Art Notlicht, … Und abermals die dumpfen Paukenschläge.“ Am Ende: „eine breite Woge schwarzen Klanges …: der Trauermarsch Gottes verbreitete sich in der Nacht.“ – Amann komponierte eine sehr gute „Programm-Musik“, ohne den Text überzuillustrieren, eher ihn mit rein musikalischen Mitteln zu vergegenwärtigen. Kaori Nishii spielte das toll, mitsamt mehrmaligem Anschlag der neben dem Klavier befindlichen Metallröhren, die länger nachklingen, zu Beginn des Stücks. – Hans Leberts Roman „Die Wolfshaut“ von 1960, in der der „Wehrkraftzersetzer“ heftige Kritik an der ländlichen Gesellschaft im Österreich der unmittelbaren Nachkriegszeit und dem Unterbleiben einer Aufarbeitung des Nationalsozialismus übt, zählt zu den bedeutendsten österreichischen „Antiheimatromanen“. Für Elfriede Jelinek, die die Lektüre als „eines der größten Leseerlebnisse ihres Lebens“  bezeichnete, ist „Die Wolfshaut“ der „erste radikal moderne Roman der österreichischen Nachkriegsliteratur.“

Stimmlich virtuos und ungemein vielschichtig interpretierte, sprach und sang Lukas Haselböck als weitere Uraufführung eine eigene Komposition: „vor dem verschwinden“, ein siebenteiliger Zyklus für Bassstimme solo nach Texten von Andrea Heuser, die 1972, also im selben Jahr wie er selbst geboren wurde. Nach dem guten Amann-Stück ein weiterer Höhepunkt des Abends. „sie sammelt, als schwänden/ mit jedem tag mehr die konturen/ unter ihren halbmondnägeln, glanz der [ab jetzt nach dem Gesprochenen Singen:] / kiesel, murmeln / fäden, in ihren augen / las sich der krieg, lang schon bevor.“ Das Ende des Zyklus: „DREHEN, wenn sich dann umdrehen, dann / diesen einen herzschlag lang nicht mehr wo / und wo zu leben einen ort es /noch, noch einmal DREHEN, sich drehen, und“. Andrea Heuser lebt in München, neben zahlreichen anderen Aktivitäten im literarischen Bereich gründete sie die „Autorenwerkstatt“ des Münchener Lyrik-Kabinetts sowie das Projekt „Lust auf Lyrik. Gedichte an Schulen“ und moderiert die Veranstaltungsreihe „Lyrik-Plattform“ zusammen mit ihrer Autorinnengruppe Lyrinx (Karin Fellner, Gabriele Trinckler und Augusta Laar).2008 erschien ihr Lyrikdebüt vor dem verschwinden bei onomato, Düsseldorf. Die zweite Eigenkomposition, die Haselböck zu diesem Abend beisteuerte heißt „aquarell: hommage an kandinsky“, entstand 2005 und ist für Klavier solo.

Kommen wir zum letzten, ungemein guten Stück vor der Pause. Es stammt von der aus Rumänien gebürtigen, seit 1993 in Wien lebenden Dana Probst. In „am Orte des Lichtes“ für Klavier und tiefe Männerstimme verwendete sie auch besonders eindrucksvolle, ungewohnte Texte, nämlich den im Programm auch mit hebräischen Schriftzeichen „mitzulesenden“ Psalm 23 aus den Psalmen Davids („aus rein kompositorischen Gründen werden im ersten Teil des Werkes Phoneme auf Hebräisch verwendet“): Da heißt es etwa: „Bin’ot deshe yarbitzeini, ´al-mei menuchot yenahaleini – (übersetzt:] He leads me resting beside waters He makes me lie down of grass in pastures.“ Im zweiten Teil folgt ein Stundengebet der (rumänisch-) orthodoxen Kirche in deutscher Übersetzung: „… die Ruhe der Seele am Orte des Lichtes, am Orte des Ergrünens, am Orte der Erquickung, wo entflieht aller Schmerz, alle Trübsal und alle Klage“. – Es gibt seit 2001 übrigens auch in Wien-Simmering  eine rumänisch-Orthodoxe Pfarrkirche (Zur heiligen Auferstehung), den Wunsch nach einer solchen äußerte die rumänisch-orthodoxe Glaubensgemeinschaft in Wien bereits 1908.  Die rumänisch-orthodoxe Kirche ist eine autokephale (selbständige) Kirche in voller dogmatischer, liturgischer und kanonischer Einheit mit den anderen orthodoxen Kirchen. Sie ist als Patriarchat mit dem Sitz in Bukarest organisiert. Ihre Selbständigkeit erlangte sie 1885 und sie wurde 1925 zum Patriarchat ausgerufen. So ist das in einem romanisch-sprechenden Land und westlich-lateinisch geprägten Land. Und in dem ist Dana Cristina Probst aufgewachsen, genoss dort eine qualitätsvolle Ausbildung in Klavier sowie in Komposition und Musiktheorie u. a. bei Anatol Vieru, Harald Müller, Stefan Niculescu, Myriam Marbe.  „Von allen wurde ich unterrichtet, aber auch belehrt, ermutigt. “ Nach der Wende 1989 wurde Dana Probst, die schon zuvor im Verein „Junge Komponisten“ arbeitete und in einer Provinzstadt Klavier unterrichtete, Assistentin für Rumänische Volksmusik an der Akademie für Musik in Bukarest. 1992 lernte sie ihren zukünftigen Ehemann in Bukarest kennen, „was mit einem ÖAD-Stipendium (1993-1994) und der Geburt einer Tochter (Juni 1994) dazu führte, dass ich nach Wien übersiedelte, wo ich die schwer erreichbare Freude einer Komponistin und Lehrerin mit Herz (in einer an Geld orientierten Welt) jeden Tag erlebe.“

Nach der Pause folgten „Drei Gilgamesch-Gesänge“ für Bass und präpariertes Klavier – in Uraufführung – von Christian Utz.  Das Gilgamesch-Epos aus dem  babylonischen Raum ist bekanntlich eine der ältesten überlieferten literarischen Dichtungen, die ursprüngliche Fassung stammt reicht mindestens in das 18. Jahrhundert v. Chr., wahrscheinlich sogar in das 24. Jahrhundert v. Chr. zurück. (die Abfassungszeit des Etana-Mythos). Utz vertonte drei der erhaltenen Texte: liebesspiel  (I:180.187), trauer (X: 232-237 / 242-248) sowie „Das gewächs des herzschlags“ (Xi: 295-300, 311-315). Haselböck artikulierte sorgfältig den von Utz vertonten Originaltext. Ich habe allerdings nicht wahrnehmen können, ob sein Altbabylonisch nicht manchmal in die  akkadische, hurritische oder hethitische Sprache verfallen ist, zum Glück gab es aber ausgedruckte Übersetzungen der Originalsprache(n). Etwa „Enkidù ibri itemi tittiš / anaku ul kí šašumà anèlamma …“, ach so, das könnten Sie nicht richtig übersetzen also: Das stammt aus dem Trauergesang für Enkidu, den über alle Maßen geliebten Freund: „Enkidu, mein Freund, den ich liebte, ist zu Erde geworden! / Werd ich nicht auch wie er mich betten / ul attebbá dúr dár – Und nicht aufstehn in der Dauer der Ewigkeit?“ – Das „Gewächs des Herzschlags“ heißt übrigens Urschanabi, das ist vielleicht leichter zu übersetzen: „Uršanabi šammu annû šammu níkiti“ („Urschanabi, dies Gewächs ist das Gewächs des Herzschlags“, eh klar. Leider tat der Überbringer „dem Erdlöwen einen Gefallen / jetzt steigt zwanzig Doppelstunden weit die Flut.“ Christian Utz ist viel im Bereich „Musik und Interkulturalität“ beschäftigt … Haselböck war in diesem Stück ein vokaler Referent, das Klavier rhytmisch pulsierend, wiederholend, mit Veränderungen und Anreicherungen. Und es ist ein gutes Stück.

Von Gerald Resch gab es ein „Frühwerk“  von 1997, ebenfalls für Stimme solo: „Bruchstücke“ nach Textfragmenten aus den „Magischen Blättern II“ von Elfriede Mayröcker.
Heinz Rögl