
Chaplin Operas

Experimentelle und surrealistische Stummfilme der 20er Jahre

In diesem Sinne ist auch das Biennale-Projekt des Ensemble ascolta zu verstehen, für experimentelle und surrealistische Stummfilme der 20er Jahre neue Musik schreiben zu lassen und damit zu den eindrucksvollen Filmvorlagen musikalische Gegengewichte zu schaffen, durch die Visuelles und Akustisches in Dialog oder gar Wettstreit treten können. Zu Filmen von Walter Ruttmann, Hans Richter, Oskar Fischinger, László Moholy-Nagy, Luis Buñuel/Salvador Dali und René Clair gibt es Musik von Oliver Frick, Friedrich Schenker (Uraufführung), Ludger Brümmer, Clemens Gadenstätter (Uraufführung), Sven-Ingo Koch,Carola Bauckholt, Caspar Johannes Walter, Iris ter Schiphorst, Georg Katzer sowie Erik Satie.
Lotte Reininger
Fast als Weiterführung der Errungenschaften der frühen Experimentalfilme könnten ebenfalls in der ARGEkultur am 12.03. Lotte Reinigers „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ abgesehen werden (Beginn: 16.00 Uhr). Angeregt von den Special Effects in Georges Méliès fantastischen Science-Fiction-Filmen und nachdem sie auf Anregung von Paul Wegener (“Der Golem”) bei Max Reinhardt in Berlin Schauspielunterricht genommen hatte, produzierte Reininger 1919 ihren ersten Scherenschnittfilm. 1923 begann sich dann u.a. zusammen mit Walter Ruttmann, der sich bis dahin schon einen Namen als abstrakter Experimentalfilmer gemacht hatte (“lichtspiel opus 1 & 2”) und 1927 mit “Berlin: Sinfonie einer Großstadt” sein Meisterwerk ablieferte, an der Arbeit zu “Die Abenteuer des Prinzen Achmed”, dem ersten, in drei Jahren aus abertausenden von einzelnen Scherenschnitten zusammengefügten, abendfüllenden Silhouetten-Animationsfilm der Filmgeschichte. Das fantastisch-bezaubernde Märchen ist pures Imaginationskino und gehört nicht umsonst zu Reiningers bekanntesten und beliebtesten Produktionen. Im Rahmen der Biennale wird das oenm. österreichische ensemble für neue musik zum Silhouettenfilm „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ die Musik von Wolfgang Zeller in der Bearbeitung von Jens Schubbe spielen. Diese Veranstaltung sei auch extra für Kinder ab 6 Jahren empfohlen.
Dämonische Leinwände
Drei deutsche Stummfilmklassiker stehen dann an drei weiteren Abenden auf dem Programm. So gibt es am 17.03. im Salzburger Filmkulturzentrum Das Kino ab 21.00 Uhr als Sonderveranstaltung ein spannendes Wiedersehen mit einer der legendärsten Figuren des dämonischen Kinos, diesmal musikalisch umrahmt vom in Salzburg ansässigen französischen Komponisten und Musiker Thierry Zaboitzeff. “Das Cabinet des Dr. Caligari” (Robert Wiene, 1920), die Geschichte um das somnambules Medium Cesare (kongenial gespielt von Conrad Veidt), das vordergründig vom dämonischen Irrenhausdirektor Dr. Caligari für dessen Allmachtphantasien missbraucht wird, stellt den expressionistischen Film par excellence dar. Das innere Seelenchaos der Figuren spiegelt sich in einem von Spiegeln verzerrten, deformierten, jegliche natürliche Perspektive auf den Kopf stellenden Dekor wieder. Die vom Expressionismus beeinflussten Bühnenbildner Hermann Warm, Walter Röhrig und Walter Reimann schrieben gleichsam eine aus den Fugen geratene Welt des Wahnsinns, der Halluzinationen und des Unbewussten direkt in die Gestaltung der Erscheinungen der Protagonisten, der Kulissen und der Kostüme mit ein. “Caligarismus” war das Wort, mit dem diese Art des Kinos der Angst bedacht wurde, das 1924 mit Robert Wienes ebenso verstörendem Film “Orlacs Hände” (erneut mit Conrad Veidt, diesmal in der Rolle eines Konzertpianisten, der nach einem grauslichen Unfall die Hände eines Mörders transplantiert bekommt) seinen Schlusspunkt fand. 1933 wurde der Film von den Nazis verboten und war schließlich 1937 Bestandteil der Ausstellung “Entartete Kunst”. In seinem 1947 erschienen Buch “Von Caligari zu Hitler” machte Siegfried Kracauer jedoch auch auf einen gerne übersehenen Aspekt aufmerksam: Stellt sich doch durch die Rahmenhandlung des Films am Schluss all das zuvor Gesehene als Wahnvorstellung des Schlafwandlers Cesare heraus, wodurch sich der scheinbar dämonische Dr. Caligari nun in sein gutes und um Cesare besorgtes Gegenteil verkehrt. Dadurch wird, lt. Kracauer, im Grunde die ganze Story ideologisch in ihr Gegenteil verkehrt: Caligari ist nun der eigentliche good guy (auch seine Autorität ist wieder herstellt) während Cesare am Ende als der eigentlich Wahnsinnige (also der bad guy) übrig bleibt.
Bei der Biennale kommt es dabei zur Österreichischen Live-Uraufführung der von Thierry Zaboitzeff für Cello, Bass, Gitarren, Keyboards, Perkussion, Vocals, Samples, Computer geschriebenen musikalischen Neuinterpretation des Stoffes.

Bei seiner Neuvertonung greift der spanische Komponist José Maria Sánchez-Verdú auf Bruchteile der Original-Musik von Hans Erdmann zurück, verfremdet diese jedoch und macht die Bilder-Symphonie Murnaus (wie überhaupt die hier exemplarisch dargestellten psychologischen Dimensionen des Mediums Film) durch eine zeitgenössische Klangsprache neu und jenseits gewohnter Muster unmittelbar erfahrbar. Unterstützt wird er dabei vom oenm . oesterreichisches ensemble für neue musik.

Zuvor hatte jedoch schon der argentinische Komponist Martin Matalón 1995 im Auftrag des IRCAM Paris eine neue Filmmusik für 16 Musiker und Elektronik zu “Metropolis” komponiert. Entstanden ist dabei eine äußerst farbige, die Nähe zum Jazz nicht verleugnende Musik, die die rhythmische Struktur des Films nutzt, um ein kontrapunktisches Netz zwischen Bildern und Klängen zu knüpfen. Es spielt das Ensemble Modern.
Hanns Eisler
Einem ganz Großen, dessen abenteuerliche wie wechselhafte Biografie sich auch in sein Musikschaffen eingeschrieben hat ist am 26.03. ab 19.30 Uhr im Republic dann ein ganzer Abend gewidmet. Unter dem Titel “Hanns Eisler – Musik für Film” zeigt die Biennale rare und großteils eher unbekannte Arbeiten des Komponisten, der nicht nur der politisch engagierten Musik (Arbeitersängerbewegung, Bertolt Brecht, Karl Kraus, Ernst Busch), sondern auch der Filmmusik innovative und kritische Impulse gegeben hat. So auch bei jenen Arbeiten, die Eisler im amerikanischen Exil von 1940 bis 1942 im Rahmen eines Forschungsprojekts durchführte. Die Mittel dazu hatte er als Professor für Musik an der New Yorker New School for Social Research von der Rockefeller Foundation erhalten. Ein Hauptinteresse des Projekts war es, das filmische Potential der neuen Musik auszuloten, doch ging die Blickrichtung auch auf generelle dramaturgische und ästhetische Fragen sowie die prinzipielle Beziehung von Film und Musik. Die Auftraggeber wünschten „experimentelle Demonstrationen der Musik in der Filmproduktion“ und Eisler (der schon Ende 1938 für einen Film von Joris Ivens eine streng der Zwölftonmusik verpflichtete Komposition geschrieben hatte) enttäuschte sie nicht. Bei der Biennale stellt das Kammerensemble Neue Musik Berlin als Österreichische Erstaufführung nun seine intensive Auseinandersetzung mit diesem filmmusikalischen Werk Eislers vor und präsentiert die Werke zu Filmen von Joris Ivens, Charlie Chaplin (mit dem Eisler auch privat sehr gut befreundet war) und Frontiers Films sowohl im filmischen Kontext wie auch in konzertanter Form als kammermusikalische Meisterwerke.
Magische Polaroids und optische Wunderscheiben
Auf zwei mit Spannung erwartete Abende mit cineastischen Arbeiten jüngeren Datums, sei hier noch extra hingewiesen. So gibt es am 19.03. im Filmkulturzentrum Das Kino um 22.00 die Filmpremiere von Sina Mosers neuester Arbeit “Simon S. goes Hollywood oder das Genie Simon Stampfer” (DE, 2011). Die Salzburger Künstlerin und Filmemacherin, bekannt für ihr akribische Spurensuche in Sachen von offiziellen Geschichtsschreibungen ignorierten Biographien, widmet sich auch diesmal einem gleichsam von der Geschichte Übersehenen. „Simon S. goes Hollywood oder das Genie Simon Stampfer (DE, 2011)“ ist das Porträt des fast vergessenen österreichischen Physikers, Mathematikers und Filmpioniers Simon Stampfer, der im Jahr 1833 die stroboskopische Scheibe (den so genannten “Optometer”) erfindet. Der Film erzählt von der steilen Karriere Stampfers, der vom Hirtenbub zum Professor am k.k Polytechnischen Instistut (heutige Technische Universität) in Wien avanciert. Als der Malen und Lehrer Otto Beck eher zufällig auf die Scheibe stößt, bringt er unermüdlich die Nachbildwirkung und den stroboskopischen Effekt Schülern und Erwachsenen näher.
Am 23.03. steht dann ebenfalls in Das Kino um 22.00 Uhr die Uraufführung von “Polaroids”, einer Videoarbeit der beiden Salzburger Künstler Bernhard Braunstein und Manuel de Roo (Musik) auf dem Programm. Braunstein begab sich dafür mit seiner Polaroidkamera auf eine Suche, die ihn von der Westküste der USA über Island nach Österreich führte. Auf seiner Reise fotografierte er zu verschiedenen Jahreszeiten menschenleere, von der Zivilisation unberührte Landschaften. Den langsamen Entwicklungsprozess dieser Polaroids filmte er zusätzlich mit einer Videokamera ab. Alle, die so etwas schon einmal gesehen haben wissen, dass es sich dabei um einen durchaus magischen Prozess handelt, bei dem sich zu zuvor diffuses Grau langsam zu einem farbigen Bild wandelt. Manuel de Roo hat dazu eine Musik gemacht, die gleichsam den Prozess umdreht. Den entstehenden, sich herausbildenden Bildern werden sterbende, ver- und ausklingende Töne gegenübergengestellt; Das Verklingen wird zum Motiv. Ein Versuch, die Erfahrung des Hörsinns im Vergehen von einzelnen Tönen und komplexeren Klängen anzuregen.
