„RUND 80 PROZENT DER MITWIRKENDEN KENNE ICH ÜBER MEIN PRIVATES UND BERUFLICHES NETZWERK“ – MICHAEL LINSBAUER (SERENADENKONZERTE) IM MICA-INTERVIEW

Seit mehr als 60 Jahren besteht in Niederösterreich die Klassik-Reihe SERENADENKONZERTE. Als MICHAEL LINSBAUER vor rund 14 Jahren mit der Programmierung begonnen hat, gab es noch drei Spielorte und nur mehr wenige Besucher:innen. Im Gespräch mit Jürgen Plank berichtet der künstlerische Leiter was seitdem passiert ist und erzählt von der heuer auftretenden Klarinettistin Andrea Götsch, die auch Komponistin und Fußballerin ist. Die SERENADENKONZERTE wurden ins Leben gerufen, um an musikhistorischen Orten den Werken des jeweiligen genius loci ein Podium am „Originalschauplatz“ zu bieten. Etwa: Musik von Josef Haydn in dessen Geburtshaus in Rohrau oder Werke von Beethoven in Baden, wo der Komponist regelmäßig gekurt hat. Das ist mit „Musik am Ursprung“ gemeint, ein Slogan der auf die SERENADENKONZERTE zutrifft.

Der Begriff „Serenade“ meint eine abendliche, unterhaltsame Musikdarbietung. In der Wiener Klassik ist damit auch ein mehrsätziges Instrumental-Stück gemeint. Welche Bedeutung verwendet ihr für die Serenadenkonzerte?

Michael Linsbauer: Die Bedeutung hängt davon ab, welcher Übersetzung man den Vorzug gibt. „La serena“ steht für ein heiteres Ständchen, für ein abendliches Ständchen. Es muss nicht immer abendlich sein, aber heiter sollte es schon sein. Idealerweise abendlich und heiter, wenn sich hin und wieder eine Matinee ergibt, dann soll diese zumindest heiter sein.

Ihr deutet Serenade also schon in Richtung „heiter“.

Michael Linsbauer: Ja, schon. Einmal hatten wir in Baden am Vormittag die Gellert-Lieder von Beethoven. Das war dann auch für mich eine Themenverfehlung. Wir wollen die Leute nach einem Konzert mit einem wohlig-heiteren Gefühl entlassen. Das bedeutet nicht, dass das Programm nicht trotzdem anspruchsvoll sein kann. Werke von Krenek oder Gottfried von Einem sind keine seichte Unterhaltung.

Die Aufführungsorte sind besonders gewählt. Erzählen Sie bitte von den Locations, die jeweils mit einzelnen Komponisten verknüpft sind.

Michael Linsbauer: Grundsätzlich ist es so: Die Reihe gibt es seit den 1960er-Jahren, und einige Orte, die meine Vorgänger ausgewählt haben, waren Fixstarter. Das waren Rohrau mit Haydn, Atzenbrugg mit Schubert, Baden mit Beethoven und Wiener Neustadt mit Neukloster wegen des Mozart-Requiems. Im Laufe der Jahrzehnte hat das immer wieder gewechselt. Einmal war Mödling mit Schönberg dabei. Als ich im Jahr 2010 übernommen habe, waren es nur mehr drei Orte: Rohrau, Perchtoldsdorf mit Hugo Wolf und Baden mit Beethoven.

Wie lief die Konzertreihe bevor Sie übernommen haben?

Michael Linsbauer: Die Serenadenkonzerte waren die einzige Reihe, die es in den 1960er und in den 1970er-Jahren in Niederösterreich gegeben hat. Da gab es nur die Stadttheater, aber keine Festivals oder Konzertreihen. Der berühmte Korrepetitor Erik Werba hat Künstler:innen wie Christa Ludwig und Walter Berry hinaus aufs Land gebracht. Das hat eine Geschichte. Und ich habe mir gedacht: Wenn es das Festival gibt und ich es geerbt habe, dann muss man es wieder hinaufbringen.

Wie ging es weiter, nachdem Sie übernommen haben?

Michael Linsbauer: Ab 2010 habe ich immer mehr Orte dazu gebracht, die es früher schon als Spielorte gegeben hat. Bis zum Jahr 2017 waren wir bei rund sechs bis sieben Orten, und dann habe ich mir gedacht, dass es noch mehr interessante Orte gibt, an denen man etwas machen könnte. Dann kam Frau Trimmel von der Randhartinger-Gesellschaft und hat auf Randhartinger verwiesen, der ein wichtiger Komponist war. Krenek hat sich aus dem Kontext heraus ergeben, weil es spannend war, die Brücke ins 20. Jahrhundert zu schlagen. Carl Zeller ist mit St. Peter in der Au dazu gekommen, dort sind wir heuer zum dritten Mal und die Präsenz dort wird gut angenommen.

Wie Sie eben beschrieben haben, lag das Festival Anfang der 2010er-Jahre darnieder. Was hat sich seitdem geändert?

Michael Linsbauer: Die Vorgabe lautet seit den 1960er-Jahren – und die will ich nicht umstoßen, obwohl es manchmal ganz praktisch bei der Programmerstellung wäre –, dass die Singstimme im Zentrum steht. Das ist natürlich nicht ganz einfach, weil nicht jeder der Komponisten ein ausgesprochener Liedkomponist ist. Die Vorgabe der Vorgänger sollte man weiterführen, denn Konzertreihen mit reiner instrumentaler Kammermusik gibt es auch genug. Gerade das Lied ist eine heikle und schwierige Gattung, bei der man das Gefühl hat, dass es schwierig ist, es an das Publikum zu bringen.
Ich habe immer die Vorgabe: 30 bis 40 Prozent muss vom genius loci sein, wenn es mehr ist, ist es schön. Manchmal suche ich zusammen mit den Sänger:innen jedes einzelne Lied aus. Manche Mitwirkenden wollen sich aktiv beteiligen, das ist ganz verschieden.

Im Pop-Bereich ergibt sich das Booking aus einem Zusammenwirken von Agenturen, einzelnen Bookern, Bands, die sich selbst organisieren bzw. Anfragen von Veranstalter:innen an Auftretende. Wie läuft das Booking im Klassik-Bereich?

Michael Linsbauer: Bei den Serenadenkonzerten ist es so, dass man an die Sänger:innen, die meist schon eher arriviert sind, herantritt. Die rennen einem nicht die Türen ein. Wir sind ja kein großes Opernhaus, das mit unglaublich großem Renommee in Verbindung steht. Sagen wir es so: rund 80 Prozent der Mitwirkenden kenne ich über mein privates und berufliches Netzwerk. Mit ihnen mache ich mir die Auftritte direkt aus. Meistens auch ohne Einbindung von Agenturen. Manche Sänger:innen sagen, dass sie ihre Agentur einbinden müssen, das ist dann für mich auch okay.

„MAN MERKT SCHON, DASS ES MIT DEN LEUTEN ETWAS MACHT, WENN SIE AM URSPRUNG MUSIZIEREN“

Welche finanziellen Rahmenbedingungen gibt es für die Serenadenkonzerte?

Michael Linsbauer: Die Serenadenkonzerte sind ein Projekt, das ohne öffentliche Subventionierung nicht auskommen würde. Vor allem geht es darum: Wir haben keine riesigen Konzertsäle. Wir führen, dort wo es geht, in authentischen Räumen auf. Ins Schönberg-Haus passen 50 Leute hinein. In den Konzertraum in St. Peter in der Au passen 150 Leute, ins Schloss Laxenburg rund 250 Leute. Ins Haydn-Geburtshaus nur rund 80 Leute, da kann man nicht so viel an Eintrittsgeldern bekommen. Ich bin also schon darauf angewiesen, dass die Auftretenden mir entgegenkommen. Wobei es für die Interpret:innen, so habe ich das Gefühl, immer ein sehr schöner Mehrwert ist, an solchen Orte zu musizieren. Es ist oft so, dass die Musiker:innen nach dem Konzert noch für 1 oder 2 Stunden am Ort bleiben und sagen: hier hat es eine tolle Atmosphäre. Man merkt schon, dass es mit den Leuten etwas macht, wenn sie am Ursprung musizieren. Wenn sie dort musizieren, wo die Komponisten gewirkt haben.

Bild Schönberg Haus Mödling
Schönberg Haus Mödling (c) Lalo Jodlbauer

Inwiefern ist es auch ein Ansatz der Serenadenkonzerte den Nachwuchs zu fördern?

Michael Linsbauer: Ich versuche schon bei den Instrumentalist:innen und manchmal bei den Sänger:innen, den Nachwuchs zu engagieren. Weil ich auch immer wieder bei Gesangswettbewerben in der Jury sitze, habe ich hin und wieder die Möglichkeit, für einen Liederabend einen Preis zu vergeben. So kann man wirklich tolle Leute bekommen. Die Gewinnerin vom Brahms-Wettbewerb vor drei Jahren haben wir mit eingebunden. Letztes Jahr hatten wir Anja Mittermüller, das ist eine junge niederösterreichische Mezzo-Sopranistin. Sie ist gerade 25 Jahre alt und hat eine unglaubliche Stimme. Sie habe ich mit Michael Schade kombiniert. Man muss also immer schauen, dass man ein Zugpferd im Programm hat, damit die Leute kommen. Dieses Zugpferd mit Nachwuchs-Stimmen zu kombinieren, gibt der Reihe eine frische Note. Ich gehe oft schon nach den Wettbewerben auf die Künstler:innen zu und spreche mögliche Auftritte an.

Warum ist diese Nachwuchs-Förderung noch wichtig?

Michael Linsbauer: Ich habe manchmal das Gefühl, dass Student:innen aus dem Studium kommend ein bisschen eindimensional aufgestellt sind, was die Literatur betrifft. Da kommen meistens nur Schubert, Brahms und ein bisschen Richard Strauss vor, und das war’s eigentlich. Oft geht es durch die Spezialisierung im Master-Studium ein bisschen mehr ins Detail. Auch wenn ich an unseren Haydn-Wettbewerb in Rohrau denke: Das ist Literatur, die zu wenig propagiert und gelehrt wird. Durch die konkreten Programmvorgaben bei den Serenadenkonzerten kann man von den jungen Sänger:innen fordern, sich mit einer neuen Literatur auseinander zu setzen. Das ist immer für alle ein positives Aha-Erlebnis, etwa zu sagen: wow, Randhartinger hat auch Texte von Dichtern wie Heine oder Eichendorff vertont, die auch Schubert vertont hat. Er hat das anders gemacht, aber zur gleichen Zeit und qualitativ nicht schlechter.

„ABGESEHEN DAVON, DASS ANDREA GÖTSCH EINE TOLLE FUSSBALLERIN IST, IST SIE AUCH DIRIGENTIN UND KOMPONIERT“

Bild Andrea Götsch
Andrea Götsch (c) Julia Frank

Bei der Beethoven-Serenade am 13. Oktober 2024 in Baden ist die Südtiroler Klarinettistin Andrea Götsch beteiligt, die auch Fußballerin beim Wiener Sportclub (WSC) ist – eine ungewöhnliche Kombination. Wie kam sie zum Festival dazu?

Michael Linsbauer: Sie ist ein Multi-Talent und tritt regelmäßig mit dem Pianisten Eduard Kutrowatz auf. Mit ihm habe ich sicher auch schon an die zehn Projekte gemacht. Da habe ich mir gesagt: letztes Jahr hatten wir in Baden Michael Dangl in Kombination mit Stimme, er hat gelesen. Zur Sopranistin Miriam Kutrowatz habe ich heuer die Klarinettistin Andrea Götsch kombiniert. Sie ist Philharmonikerin. Sie ist breit aufgestellt. Abgesehen davon, dass Andrea Götsch eine tolle Fußballerin ist, ist sie auch Dirigentin und komponiert.

Bild Haydn Geburtshaus Innenhof
Haydn Geburtshaus Innenhof (c) Lukas Lorenz

Bei der Haydn-Serenade im Haydn-Geburtshaus in Rohrau wird ein Countertenor zu hören sein. Was ist für diesen Abend geplant?

Michael Linsbauer: Auf diesen Abend freue ich mich ganz besonders, vor allem weil es das letzte nachgeholte Corona-Konzert ist. Dieses Konzert haben wir zwei Mal verschieben müssen. Thomas Lichtenecker ist ein grandioser Countertenor, den wir vor 4 Jahren als Solist bei der Haydnregion hatten. Bei einer halb-szenischen Aufführung von Michael Haydns „Der Traum“. Das ist ein Pantomime-Stück, mit Orchester, Tanz und zwei Sängern. Da ist er mit Engelsflügeln an Seilen über die Bühne geflogen und hat dabei eine Arie gesungen. Das war unglaublich! Ich bin mit ihm in Kontakt geblieben und er ist offen und experimentierfreudig, auch was die Formate betrifft. Lichtenecker arbeitet mit der Münchner Kammeroper zusammen, und dort ist eben Dominik Wilgenbus beschäftigt, der Pianist und Regisseur ist. Ich habe gesagt: Schade, dass es in den Haydn-Opern eigentlich keine Kastraten-Rollen gibt. Von einigen Zeitgenossen von Haydn und im Barock wurden Rollen für Countertenöre geschrieben. Aber das hört mit Haydn auf. Wir haben gesagt: Was wäre gewesen, hätte Haydn einen Kastraten gekannt, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbunden hätte? Welche Rollen oder welche Lieder hätte er dem vorgelegt? Daraus ist ein Zwei-Personen-Stück geworden, bei dem sich Lichtenecker und Wilgenbus aus der Opern- und Liedliteratur von Haydn die Werke ausgesucht haben, die sich dramaturgisch in einen roten Faden bringen lassen und die sich für eine Countertenor-Stimme eignen. Das Publikum erwartet: eine Revue an Haydn-Vokalmusik.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

++++

Serenadenkonzerte: 25. August bis 27. Oktober 2024
www.serenadenkonzerte.at

++++

Verlosung

mica – music austria verlost je 1×2 Gewinnkarten für folgende Konzerte:

  • Schloss-Serenade, Schlosstheater Laxenburg, am So. 8. Sept.
  • Hugo-Wolf-Serenade, Burg Perchtoldsdorf, am So. 22. Sept.
  • Gottfried-v.-Einem-Serenade, Kirche Oberdürnbach bei Maissau, am So. 29. Sept.
  • Schönberg-Serenade Mödling, Stadttheater Mödling, am Fr. 25. Okt.

Um an der Verlosung teilzunehmen, senden Sie bitte bis zum 4. September eine Mail an office@musicaustria.at: im Betreff die jeweilige Serenade.