Reihe "Zukunft der Festspiele": Zeitgemäße Vermittlungsformen einbinden – Katharina Wagner im mica-Interview

Musikfestivals und Festspiele gibt es hierzulande inzwischen wie Sand am Meer. Und das in allen Genres. Wohl selten zuvor hatten Musikliebhaber eine solch große Auswahl wie heutzutage. Was macht eine solche Veranstaltung aber zu etwas Besonderem? Womit locken die Organisatoren und IntendantInnen ihr Publikum? Wie haben sich überhaupt in den vergangenen Jahren die Anforderungen an die Programmatik eines Festivals geändert? Katharina Wagner, Intendantin der Bayreuther Festspiele, im Gespräch mit Markus Deisenberger.

Wie progressiv darf/muss ein weltbekanntes Musik-Festival sein, um schwarze Zahlen zu schreiben?
Katharina Wagner: Gerade die großen und sehr bekannten Musik-Festivals haben nicht allein die Chance, sondern sogar die Verpflichtung, meine ich, im Künstlerischen progressiver und wegweisender zu sein als andere. Bezogen auf die Bayreuther Festspiele kann das im Idealfall nur heißen, an der Spitze der zeitgenössischen Wagner-Interpretation zu stehen. Allerdings ist dabei natürlich immer die Frage zu beantworten, auch ganz allgemein, wie weit geht die ästhetische Konsequenz? Was kann, was darf, was muss ich an Neuansatz, an Nichtkonventionellem, an Experiment wagen und wobei stecke ich zurück, um das Publikum nicht zu verlieren. Bei aller Innovation darf ich die Realität nie aus den Augen verlieren. Es ist eine Gratwanderung, ohne Zweifel, denn die Bereitschaft, sich auf Unvertrautes, Ungesehenes wie Unerhörtes, einzulassen, ist seitens des Publikums nicht gleichmäßig ausgeprägt. Das heißt: Wagnis und Mut ja, unbedingt, aber stets ein kontrollierbares Risiko, das nicht aus dem Ruder läuft, künstlerisch ebenso wenig wie finanziell.

Erfolgreiche Festspiele müssen Maßstäbe setzen, was die Interpretation der gespielten Komponisten anbelangt. Gibt es ein Rezept, wie das gelingen kann?
Katharina Wagner: Ein Rezept gibt es sicherlich nicht, jedenfalls ist mir keines bekannt. Auf alle Fälle gehört zum Maßstabsetzen dazu, ohne jede Art von Scheuklappen oder innerer Selbstzensur (à la „das darf man nicht“) an die Arbeit zu gehen und sich auf dem subjektiv für richtig erkannten Weg nicht sogleich wieder beirren zu lassen. Wichtig ist, denke ich, den Festspielen ein so markantes Profil zu geben, dass sie in keiner Weise austauschbar erscheinen, dass sie authentisch bleiben und doch stets entwicklungsfähig sind.

Sie haben mehrfach die Notwendigkeit einer Öffnung der Bayreuther Festspiele angesprochen. Was genau meinen Sie damit und wie soll diese Öffnung von statten gehen?
Katharina Wagner: Die Festspiele hatten sich in der jüngeren Vergangenheit leider mehr und mehr nach außen abgeschottet und dadurch auch manche Entwicklungen mehr oder weniger absichtlich ignoriert, was einen beträchtlichen Nachholbedarf entstehen ließ, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Technologisch, administrativ-organisatorisch, strukturell, kommunikativ, um nur einige Aspekte zu nennen.  Auf manche Beobachter wirkte das Festspielhaus wie etwas hermetisch Abgeschlossenes, wie eine geschlossene Gesellschaft. Zum einen galt und gilt es also, das entschieden zu ändern, Transparenz zu schaffen, Durchlässigkeit nicht allein zuzulassen, sondern gezielt ins Werk zu setzen. Zum anderen ist mit „Öffnung“ auch gemeint, zeitgemäße Vermittlungsformen in die Festspielarbeit einzubinden, Neuerungen auszuprobieren und zu etablieren. Knapp gesagt bedeutet „Öffnung“, die Festspiele auf die Höhe der Gegenwart zu bringen und sie so zu gestalten, dass sie im 21. Jahrhundert fest verankert sind.

Stichwort Public Viewing. Wie volksnah darf sich ein Musikfestival geben, um nicht Gefahr zu laufen, das „heilige Kulturgut“ zu entwerten?
Katharina Wagner: Wir haben in keiner Weise irgendwelche Indizien, dass durch Public Viewing oder dergleichen eine Entwertung stattfinden würde, ganz im Gegenteil. Wir sehen uns da ganz auf der Linie der Intentionen Richard Wagners, der ja „Alle“ erreichen wollte. Außerdem ist es ein wichtiger Schritt, die Festspiele aus der Ecke des Elitären zu ziehen. Um eine vordergründig intendierte „Volksnähe“ geht es uns gar nicht, vielmehr darum, zu zeigen, dass Theater, Oper, Festspiele etwas sind, was für viele Menschen aufregend, spannend, unterhaltend sein kann.

Wie wichtig sind Aspekte des Marketing, um ein Festival wie dieses im Weltmarkt zu positionieren?
Katharina Wagner: Dass die Bayreuther Festspiele haben das Glück, nach wie vor in der Welt als „Marke“ wahrgenommen und rezipiert zu werden, ist kein ein für allemal geschenkter Dauerzustand ist, sondern etwas Fragiles. Darum nehmen wir das Marketing für die Festspiele sehr ernst. Noch müssen wir in Bayreuth keine lauten Werbetrommeln rühren, aber das entbindet uns ja nicht von der Aufgabe, die Festspiele immer aufs neue gut und aktuell sowie nachhaltig zu positionieren, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, nur noch als pittoreskes Relikt der Vergangenheit zu gelten. Für mich ist das Marketing ein Werkzeug, um das tradierte Image der Festspiele step by step zu verändern.

Wie wichtig ist die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit für die Zukunft der Bayreuther Festspiele?
Katharina Wagner: Die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit ist überaus wichtig. Natürlich, das muss man sehen, hat es bereits zahlreiche Untersuchungen und Darstellungen zur Geschichte der Bayreuther Festspiele gegeben, wodurch die Entdeckung wirklich neuer Fakten oder gar entscheidend veränderter Einsichten, die die Gesamtbeurteilung wesentlich verschieben würden, wahrscheinlich eingeschränkt ist. Doch existieren etliche ‚Bruchstellen‘, die analysiert werden müssen, einfach schon deshalb, um die Vergangenheit besser zu begreifen. Es geht daher durchaus nicht um Enthüllung spektakulärer Details, sondern um nüchterne und lückenlose Aufklärung des Gewesenen, aus der Sicht unserer Gegenwart. Nichts soll unterschlagen, nichts aus Rücksichtnahme verschwiegen werden. Das Große ist oft sehr nahe beim Niedrigen, das Progressive beim Regressiven, die Lebendigkeit der Geschichte erweist sich im Widersprüchlichen, in dem sich Entwicklung vollzieht, dies ist das Spannende. Es geht nicht um Rechtfertigung und nicht um Arbeit an einem oft genug verhängnisvollen Mythos, sondern allein um Wahrheit, so dürftig, unangenehm banal oder irritierend diese auch sein mag.

Foto: bayreuther-festspiele.de

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