Zum zweiten Mal erobert das am 20. Oktober beginnende Polyamory Sound Festival für experimentelle und genreübergreifende Musik die europäischen Metropolen. 2010 von Lukas Kranzelbinder ins Leben gerufen, basiert das Festival auf der Idee, über einen bestimmten Zeitraum mit mehreren MusikerInnen aus verschiedenen Szenen gleichzeitig zu arbeiten. Ganz im Sinne des polyamoren Faktors wird bei dieser musikalischen Viel-Liebelei eine Grundlage für einen regen Austausch zwischen KünstlerInnen aus unterschiedlichen Städten geschaffen, in einer Form und Intensität, die sonst nur selten möglich sind.
„Polyamory ist ein Oberbegriff für die Praxis, Liebesbeziehungen zu mehr als einem Menschen zur gleichen Zeit zu haben. Dies geschieht mit vollem Wissen und Einverständnis aller beteiligten Partner. Die angestrebten Beziehungen sind langfristig und vertrauensvoll angelegt.“ (Wikipedia)
Das Polyamory Sound Festival versucht das Konzept der polyamoren Liebesbeziehung mit der Idee eines zeitgemäßen Netzwerk-Festivals in Europa, bei dem der traditionelle Festivalablauf Ankommen-Spielen-Abreisen (Künstler) beziehungsweise Tickets kaufen-Zuhören-Heimgehen (Publikum) durchbrochen wird und sowohl Musiker als auch Hörerschaft intensiver in den Gesamtprozess involviert werden.
Ablauf
Das PASF besteht nicht nur aus dem „klassischen“ Konzertprogramm, sondern teilt sich in 4 Abschnitte auf: [hang], [lab], [in concert], [nightline]
Während Letztere (in concert, nightline) in der gewohnten Set-Form organisiert sind, bieten vor allem die ersten beiden Programmpunkte Möglichkeiten zum Austausch. Das [lab] steht als akustisches Laboratorium für jeweils 2 Künstler pro 10 Minuten zur Verfügung und bietet einerseits den Artists die Chance, vielfältige Kollaborationen mit den anderen Musikern zu verwirklichen und den kreativen Austausch zu fördern, andererseits gibt es dem Publikum einen intim-akustischen Einblick in die verschiedenen Schaffensgebiete der diversen Künstler, außerhalb der am Abend präsentierten Sets.
Der Programmpunkt [hang] im Restaurant FINKH (Eszterhazygasse 12, 1060 Wien) dient für beide Gruppen als Ort der Kommunikation und des Austausches. Speziell erstellte PASF-Menüs laden zum Verweilen und gemeinsamen Essen ein und schaffen dadurch den passenden Rahmen, um mit Zuhörer oder Musiker ins Gespräch zu kommen.
Genre
Auf Genre-Grenzen wurde auch in diesem Jahr keine Rücksicht genommen – einziges Kriterium ist die kreative Offenheit. Ein besonderer Schwerpunkt liegt 2011 jedoch auf der Fusion von elektronischer Club-Musik und elektronisch-akustisch-improvisierten Acts. So werden bei [in concert] diverse Sets mit improvisiertem Background stattfinden und in der von Elektro Guzzi programmierten [nightline] dann stärker in Richtung Club-Act gearbeitet werden. Ziel dabei ist die Verdeutlichung, dass beide „Genres“ in dieselbe musikalische Richtung arbeiten – auch wenn das eine Set tanzbarer ist als das andere.
Das Publikum hat im Laufe des PASF die Möglichkeit, eine enorm große Bandbreite an verschiedenen Stilen und Genres – oft auch von ein und demselben Musiker – zu hören und sich dadurch ein Bild von der kreativen Vielfältigkeit der heutigen Musikszene zu machen. So kann es beispielsweise passieren, dass derselbe Drummer an einem Abend im [lab] akustische Klangflächen im Duo mit einem Pianisten erschafft, nur um dann bei [in concert] mit seiner Noise-Punk Band keine ästhetischen Fragen mehr offen zu lassen.
Get a stirnband!
Das Stirnband ist das Symbol des Polyamory Sound Festival. Es steht für die Partnerschaft von Künstlern & Publikum, diversen Genres & Stilen, Essen & Austausch, Kollaboration & Kreativität und soll alle Teilnehmer auch physisch spüren lassen, dass sie Teil eines großen Ganzen sind. Aus diesem Grund inkludiert jeder gekaufte Festivalpass auch ein Gratis-Stirnband.
Get a stirnband! [OFFICIAL TEASER] from Lukas Kranzelbinder on Vimeo.
Lukas Kranzlbinder im Gespräch mit Michael Ternai über das Festival
Die Etablierung einer Marke
Der Grundgedanke, ein Festival wie dieses auf die Beine zu stellen, war, dass für meine Generation, zwischen 20 bis 35, es eigentlich fast schon eine Routine darstellt, jeden Freitag und Samstag in die Pratersauna, ins Market oder in andere Clubs zu gehen. Auf ein Konzert zu gehen ist dagegen immer noch etwas Spezielles, besonders wenn es sich nicht um Popkonzerte handelt. Ich bin aber der Überzeugung, dass es in erster Linie daran liegt, an welchem Ort so ein Event stattfindet. Man betrachte nur die Pratersauna, wie dort ein Event, auch optisch, gestaltet ist. Ein gutes Beispiel dafür ist auch das sound:frame Festival. Ich wage zu behaupten, dass dort 90 Prozent der Leute außer den ganz großen Headlinern wahrscheinlichen keinen der anderen DJs oder Visualkünstler kennen. Ich bin mir sicher, viele gehen dorthin, weil es eben unglaublich hip wirkt, weil das Festival aussieht wie eine fette Party. Der Punkt aber ist, wenn die Leute aber erst einmal bei einem solchen Event sind, dann gefällt ihnen fast alles was Qualität hat. Und das völlig genreunabhängig.
Das haben wir auch bei unserem Festival festgestellt. Da haben sich zufällig Leute bei den Konzerten eingefunden, die mit dem Festival rein gar nichts zu tun gehabt haben und haben sich die Noise- Impro-Sets reingezogen. Und es hat ihnen getaugt. Nur der Punkt ist, wer geht von Haus aus in ein Noise-Impro-Konzert. Unser Konzept war im letzten Jahr daher, ein Festival für so eine Musik zu machen, das nach außen hin aussieht wie ein Clubevent in der Pratersauna. In erster Linie war das eine marketingtechnische Strategie. Wir haben schon am Anfang ein komplettes Corporate Design entwickelt. Beginnend bei der Schrift über die Logos bis hin zur Homepage und den Flyers. Und das hat letztes Jahr sehr gut funktioniert.
Ein Stirnband als zusammenschweißendes Symbol
Eigentlich zufällig ist in dieser Zeit auch die Idee mit den Stirnbändern geboren worden. Alles was im vergangenen Jahr passiert ist, hat letztlich dann mit den Stirnbändern zu tun gehabt. Alle haben sie getragen, die Künstler genauso wie die Besucher. In irgendeiner Form hat dieses ganze Ding einen zusammenschweißenden Effekt gehabt. Basierend auf dieser Idee haben wir heuer die Stirnbänder zu einem zentralen Punkt gemacht. Die diesjährige Ausgabe des Festivals ist ungefähr das Hundertfache des letzten Jahres. Und das in jeder Hinsicht. Das Brut als Veranstaltungsort ist viel größer, es sind deutlich mehr Leute an dem Festival beteiligt, das Programm ist länger und, und, und. Auch liegt der Fokus heuer noch mehr auf diesem Marketing- und Werbefaktor. Wir haben schon früh begonnen, unsere Sticker mit dem Slogan „Get a stirnband!“ zu plakatieren. Dieses Stirnband, das inzwischen zu einer Art Symbol geworden ist, soll die Hippness ausstrahlen, die die Leute in irgendeiner Form an das Festival bindet. Sie sollen sich durch dieses mehr als Teil des Festivals verstehen.
Besonders wichtig ist uns, dass die Leute mit den Künstlern zusammenkommen. Das Ding bei anderen Festivals ist, dass die Musiker und Bands anreisen, spielen und wieder abreisen. Ein richtiger Austausch zwischen den Künstlern und dem Publikum findet eigentlich nicht statt. Genau das wollen wir durchbrechen. Wir wollen versuchen, beide Seiten in das Ganze mehr zu involvieren. Sie sollen mehr zueinanderfinden. Das passiert symbolisch durch die Stirnbänder und realistisch durch das Programm.
Der Versuch eines Brückenschlags
Eine Schiene, die in diesem Jahr dazugekommen ist, ist die [nightline], die von Elektro Guzzi programmiert wird. In dem Moment, in dem wir das Brut als Location ausgewählt haben, war klar, dass es heuer stärker in die Richtung Elektronik gehen wird, da es mehr ein Club denn ein Konzertraum ist. Mein Versuch ist, die Bands, die am Abend die Konzerte spielen und die stilistisch eher im Impro, Jazz und Elektronik Bereich agieren, mit den Clubacts, welche anschließend das nächtliche musikalische Programm weiterführen werden, zusammenzubringen. Denn der Punkt ist, dass zwischen den beiden Seiten vom Spirit und der ideologischen Richtung her eigentlich keine Unterschiede bestehen. Alle musizieren aus derselben Idee heraus. Es ist also der Versuch eines Brückenschlags zwischen Leuten, die zum Beispiel nur in der Pratersauna spielen, und diesen, die nur im Porgy spielen. Und natürlich auch der zum Publikum, welches die Gelegenheit erhält, zunächst eine Band der einen Richtung live zu hören, die genauso voll, nur auf eine andere Art loslegt, und dann Elektro Guzzi anzuschauen.
Spannend verspricht auch die Schiene [hang] im Restaurant FINKH zu werden, wo sich am Freitag und am Samstag den Konzerten die Künstler mit dem Publikum in entspannter Atmosphäre und bei gutem Essen unterhalten können. Von dort geht es dann weiter in in die strenge Kammer des Porgy & Bess, wo im Rahmen des Programmpunktes [lab] ein einstündiges akustisches Laboratorium stattfindet, in dem die Künstler bunt zusammengewürfelt und ziemlich impromäßig musikalisch austauschen werden. Spannend an dem Ganzen ist, dass es total offen ist, wer sich mit wem zusammentun wird. Und für das Publikum bietet sich die Möglichkeit, die Bandbreite eines Musikers kennenzulernen.
Es geht generell auch darum Musiker vorzustellen, die hier nur wenige kennen. Das Festival sollte schon auch eine Art Vehikel für sein, für eine europäische Vernetzung von Projekten, Musikern und Bands, die in anderen Ländern nicht so präsent sind, obwohl sie in ihrem eigenen Land seit Jahren hochqualitative Sachen machen.
Programm
Donnerstag, 20.10.2011
[in concert]
Brut im Konzerthaus, Lothringerstrasse 20, 1010 Wien, ab 22 Uhr:
MA [London]
Tom Challenger – Saxophone
Matt Calvert – Electronics, DJ
Dave Smith – Drums
Hold your Love [Vienna/Paris]
Ritsche Koch – Trumpet
Jeanne Added – Voice
Lukas Kranzelbinder – Bass
TBA – Drums
Brut im Konzerthaus, Lothringerstrasse 20, 1010 Wien, ab 00.30 Uhr:
Zanshin [Affine Records] Live-Set
Elektro Guzzi DJ-Team
DJ-Set
Freitag, 21.10.2011
[hang]
FINKH, Esterhazygasse 12, 1060 Wien, 16 – 18 Uhr:
Meet & Hang with the Artists.
Möglichkeit des Austausches zwischen Künstlern und Publikum. Öffentlicher Zugang für alle. PASF-Menü verfügbar.
Jeweils 2 Künstlern wird ein Block von 10 Minuten zur Verfügung gestellt, um ihre Musik zu präsentieren:
Ritsche Koch – Trumpet
Georg Vogel – Keys
Leo Riegler – Electronics
Lukas Kranzelbinder – Bass
Lukas König – Drums
Jeanne Added – Voice, Bass
Tom Challenger – Saxophone
Dave Smith – Drums
Matt Clavert – Electronics
Jeanne Added plus Matt Calvert [Paris/London]
Jeanne Added – Voice, Electric Bass
Matt Calvert – Electronics
The Hunch Factory feat. Ritsche Koch [Vienna]
Ritsche Koch – Trumpet
Georg Vogel – Keys
Leo Riegler – Electronics
Lukas Kranzelbinder – Bass
Lukas König – Drums
Brut im Konzerthaus, Lothringerstrasse 20, 1010 Wien, ab 00.30 Uhr:
antiehdas [viennese soulfood] Live-Set
BNCKD [Praterei, RUN VIE]
DJ-Set
Samstag, 22.10.2011
[hang]
FINKH, Esterhazygasse 12, 1060 Wien, 16 – 18 Uhr:
Meet & Hang with the Artists.
Möglichkeit des Austausches zwischen Künstlern und Publikum. Öffentlicher Zugang für alle. PASF-Menü verfügbar.
Jeweils 2 Künstlern wird ein Block von 10 Minuten zur Verfügung gestellt, um ihre Musik zu präsentieren: Line-up siehe oben. [in concert] Brut im Konzerthaus, Lothringerstrasse 20, 1010 Wien, ab 22 Uhr:
Linnake [Paris]
Jeanne Added – Voice, Bass
Julien Desprez – Guitar
Seb Brun – Drums
Orchester der Liebe [Vienna/London/Paris]
Ritsche Koch – Trumpet
Georg Vogel – Keys
Leo Riegler – Electronics
Lukas Kranzelbinder – Bass
Lukas König – Drums
Jeanne Added – Voice, Bass
Julien Desprez – Guitar
Seb Brun – Drums
Tom Challenger – Saxophone
Dave Smith – Drums
Brut im Konzerthaus, Lothringerstrasse 20, 1010 Wien, ab 00.30 Uhr:
Elektro Guzzi [Macro Recordings] Live-Set
Patrick Pulsinger [Cheap, Disco B] DJ-Set
Foto Tom Challenger: Steve Challenger
http://www.polyamorysound.com/