Ort der Freiheit und des Experiments: Mirela Ivičević leitet die Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik

Im vergangenen Jahr verabschiedete sich Clara Iannotta nach zehnjähriger Tätigkeit als künstlerische Leiterin der Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik (btzm). Gleichzeitig stellte sie ihre Nachfolgerin vor, die sie selbst als Kuratorin vorgeschlagen und angesprochen hatte. Künftig wird die Komponistin Mirela Ivičević ihre Expertise einbringen und das Programm der btzm gestalten – die kommende Ausgabe läuft von 18. bis 21. September 2025. Die 1980 in Split geborene Künstlerin arbeitet unter anderem mit Samples und bringt dabei „subversive Potenzial des Klanges“ an die Oberfläche. 2019 war Mirela Ivičević als Stipendiatin Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. Sie lebt und arbeitet in Wien.

Schon öfter habe sie Konzerte und Festivals kuratiert, erzählt die Künstlerin und vergleicht diese Tätigkeit mit dem Komponieren. „Man ordnet schlussendlich Klang in der Zeit. Es ist eine wichtige Arbeit, denn oft hängt die Rezeption der einzelnen Stücke vom Kontext ab, in dem sie erklingen. In dieser Hinsicht können Kurator:innen sehr viel bewirken. Deshalb hat mich diese Arbeit immer sehr angezogen.“ 

Pluralismus trotz angespannter finanzieller Situation

Ihre wichtigsten Überlegungen bei der Programmkonzeption bestanden darin, trotz der äußerst angespannten finanziellen Situation ein aktuelles und qualitativ hochwertiges Programm zusammenzustellen. Als künstlerische Leiterin ist ihr ein ästhetischer Pluralismus wichtig. „Ich bin auf der Suche nach kompromissloser Musik, starken, authentischen, klangorientierten künstlerischen Ideen. Außerdem möchte ich mich selbst auch manchmal überraschen und etwas für mich Neues, ganz anders erleben“, erläutert sie Grundgedanken der Werkauswahl. In diesem Zusammenhang betont Mirela Ivičević ihre Offenheit gegenüber allen ästhetischen Richtungen. „Konzerte, die ich kuratiere, sind Visionen einer Welt, die ich mir für uns alle wünsche. Grenzen bricht man immer mit mutigen, kompromisslos guten und möglichst einzigartigen Programmen auf. Ich bin überzeugt, dass gute Musik immer einen Weg findet, aber auch dass jedes Publikum von neuer Musik profitieren kann, auch die Neuankömmlinge.“

Wege ausprobieren und Möglichkeiten bieten

Überdies sollen die btzm ein „Ort der Freiheit“ sein. „Das war bei Clara Iannotta schon so und ist für mich auch ein wichtiger Punkt. Man darf träumen, man darf neue Wege ausprobieren, man darf auch dabei scheitern. Dies alles ist notwendig für die Entstehung des magischen Neuen. Auch das Miteinbeziehen der lokalen Musiker:innen in das Festival ist mir wichtig. Ich werde jedenfalls schauen, welche Möglichkeiten sich da ergeben können“, kündigt Mirela Ivičević an.

Die Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik leiden seit Jahren unter dem eher spärlichen Publikumsinteresse. Zahlreiche Initiativen wurden gestartet, unter anderem die Zusammenarbeit mit der Stella Privathochschule, die im Vorjahr jedoch scheiterte.

Mirela Ivičević ist guter Dinge, denn sie habe Erfahrung mit schwierigen Ausgangsbedingungen. „Vor 15 Jahren habe ich in meiner Heimatstadt Split ein viertägiges Festival für neue Musik mitbegründet. In Split war die Situation, was die neue Musik betrifft, ähnlich wie in Vorarlberg. Manche Kinder, die damals beim Festival zum ersten Mal die Neue Musik erlebt haben, spielen sie nun selbst und gestalten auch eigene, sehr erfolgreiche Projekte ähnlicher Art. Einige sind zum Stammpublikum geworden. Man muss Geduld haben und dranbleiben. Auch ein einziges ‚Wow‘ oder sogar ein ‚WTF‘ im Publikum ist ein Kern, aus dem musikalische Zukunft wachsen kann.“

Black Page Orchestra
Black Page Orchestra © Igor Ripak

Black Page Orchestra

Vor elf Jahren war Mirela Ivičević Mitgründerin des Wiener Black Page Orchestras (BPO). Es besteht aus zahlreichen Komponierenden, die sich der neuesten, technisch und medial herausfordernden Musik widmen und nach dem Konzept „Composer-Performer“ arbeiten.

Für die btzm habe sie energetische Werke gesucht, die in ihrem Ansatz möglichst unterschiedlich sind, erzählt die neue Leiterin. Wolfgang Maurer vom Verein allerArt habe sie zudem motiviert, sich mit einem eigenen Werk in Bludenz vorzustellen. So erklingt als erstes Mirela Ivičevićs Komposition „Case Black“, das für das BPO entstanden ist. Es sei ein bedeutsames Werk von ihr, aber sicher das einzige, das bei den btzm zu hören sein werde, merkt Mirela Ivičević an. Denn sie ist der Meinung, dass man seine eigenen Werke nicht kuratieren sollte.

Jungen ein Podium bieten

Die Bludenzer Tage verstehen sich als eine Art Talenteschmiede. Oftmals sind Werke von Komponierenden zu hören, die am Beginn ihrer Karriere stehen. Dies verlangt den Zuhörenden mitunter Geduld ab, denn bereits etablierte Werke namhafter Komponist:innen sind oft bessere Garanten für qualitätvolle Musikdarbietungen. Darauf entgegnet Wolfgang Maurer, dass es seit den Anfängen in den 1990er Jahren Teil der DNA von allerArt sei, in allen Bereichen auch jungen, bislang nicht arrivierten Künstler:innen eine Bühne zu bieten.

Sechs Komponierende in den Meisterklassen

Clara Iannotta hat eine Meisterklasse für junge Komponierende ins Leben gerufen, die auch Mirela Ivičević weiterführen wird. 60 Bewerbungen sind eingelangt, von denen sechs Komponist:innen nach Bludenz eingeladen werden. Die Kompositionsklassen seien der sensibelste und potenziell magischste Teil des Festivals, „immer mit einem großen Fragezeichen versehen“, so Mirela Ivičević. „Denn man weiß nicht, was für Stücke man bekommen wird, ob sie funktionieren, wie sie miteinander funktionieren, aber es ist gleichzeitig auch wunderbar bereichernd für alle Beteiligten. Die Motivation ist außerordentlich hoch und oft entstehen in solchen Situationen die spannendsten Stücke überhaupt. Es lohnt sich auf jeden Fall, sich auf diese Abenteuer einzulassen, für das Festival, für die Teilnehmer:innen und für das Publikum.”

Silvia Thurner

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, im September 2025 erschienen.

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Termine:

Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik, Remise Bludenz

Donnerstag, 18. September 2025, 20 Uhr
Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik #1
Black Page Orchestra, Friederike Scheunchen, Dirigentin

Freitag, 19. September 2025, 20 Uhr
Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik #2
Sophie Schafleitner, Violine; Krassimir Sterev, Akkordeon

Samstag, 20. September 2025, 20 Uhr
Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik #3
Kaja Farszky, Manuel Alcaraz Clemente, Music for Two Suitcases

Sonntag, 21. September 2025, 17 Uhr
Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik #4
Blaurenz Duo, Rebecca Blau, Flöten; Rebeca Lawrence, Kontrabass

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Links:
allerart-bludenz.at
Mirela Ivičević