Die Wiener Truppe Gewürztraminer hat sich für ihr neues Album Zeit gelassen. Vier Jahre sind vergangen, seit sie mit „A bissl übertrieben“ den Begriff des Gypsy Jazz fulminant in andere Stilrichtungen erweitert haben. Nun meldet sich die vielköpfige Band mit einem neuen Album zurück. Und wie man es von ihr erwarten kann, lässt sie sich auch diesmal musikalisch in keinster Weise einschränken. Mehr noch: Auf „Bussi Bussi“ scheint musikalisch alles erlaubt zu sein. Die Songs strotzen vor Energie, sind extrem tanzbar und machen Spaß, berühren jedoch auch mit einer eindringlichen, melancholischen Note und vermitteln durchaus Tiefsinn. Im Interview sprechen Gidon Oechsner, Daniel Schober und Martin Schiske über ihren Wunsch, ihre Musik noch stärker in Bezug zu Wien zu setzen, darüber, dass sich Humor und melancholische Stimmung nicht unbedingt ausschließen, und darüber, was sie an der Arbeit in einer Band besonders schätzen.
Das letzte Mal als wir uns getroffen haben, war anlässlich eures letzten Albums, das zu einem wirklich ungünstigen Zeitpunkt, nämlich kurz vor Beginn der Pandemie, erschienen ist. Kürzlich ist mit „Bussi, Bussi“ euer neues Album herausgekommen. Warum hat es so lange gedauert?
Gidon Oechsner: Wir haben eigentlich schon während Corona, als es eh für keinen etwas zu tun gab, damit begonnen, die nächsten Songs aufzunehmen. Irgendwann aber, so ungefähr zwei Jahre nach dem Release, war das Livegeschäft dann wieder offen und wir dachten uns, dass wir erst einmal mit dem damals aktuellen Album Konzerte spielen. Wir hatten davor ja keine Möglichkeit, es zu promoten und außerdem hatten wir Schulden und mussten die erst abbauen, um überhaupt ein neues Album machen zu können. Das heißt, wir mussten erst einmal viel spielen. Deswegen hat es sich mit dem neuen Album etwas gezogen. Auf der anderen Seite war es aber dann doch cool, einmal wirklich Zeit zu haben, an den Sachen zu arbeiten, was davor ja eher nicht so der Fall war.
War dieses Mehr an Zeit dann doch vielleicht ein positiver Aspekt an Corona?
Gidon Oechsner: Naja, sagen wir es einmal so. Wäre das Geschäft normal weitergelaufen, hätten wir das Album schon viel früher rausgebracht. Aber man muss das Positive sehen. Lieber wäre es mir gewesen, wenn es anders gelaufen wäre.
Im Grunde ist „Bussi, Bussi“ eigentlich genau das Album geworden, das man sich von euch erwarten konnte. Ein Album, das alle Stückerl spielt. Wobei ich den Eindruck habe, dass es stilistisch nochmals vielfältiger und breiter geworden ist.
Gidon Oechsner: Für mich war es immer schon interessant, viele Stile miteinander zu vereinen. Bei „Bussi, Bussi“ wollte ich jedoch noch mehr einen Wien-Bezug herstellen – Wien tatsächlich als Schmelztiegel der Kulturen darstellen und auch die Nähe zum Balkan anklingen lassen. Es ist total spannend, mit dem Instrumentarium, das wir haben, also mit akustischen Instrumenten, viele neue Dinge zu machen, auszuprobieren und andere Musikrichtungen zu spielen. Beim letzten Album war es auch schon spannend zu sehen, was eigentlich alles möglich ist, und darauf noch etwas aufzusetzen, war eigentlich die logische Konsequenz.
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Ihr habt ja eigentlich als Gypsy Band begonnen und seid jetzt auf eurem neuen Album zum Teil schon im beim Hip-Hop. Eure stilistische breite ist wirklich enorm. Inwieweit ist diese musikalische Offenheit mittlerweile das Markenzeichen der Band?
Gidon Oechsner: Bei mir persönlich ist es einfach so, dass mir extrem viele unterschiedliche Sachen gefallen. Wenn ich mich nur in eine Richtung bewegen würde, würde mir etwas fehlen. Auch innerhalb der Band sind die Geschmäcker der einzelnen Musikerinnen und Musiker sehr unterschiedlich. So gesehen, warum sollen wir diese verschiedenen Geschmäcker nicht vereinen.
Was gibt bei euch dieser stilistischen Faden eine Richtung? Was ist in eurer Musik der rote Faden?
Gidon Oechsner: Ich denke, dass schon durch das Instrumentarium ein roter Faden gegeben ist. Und auch die Freude am Livespielen und am Musikmachen ist Teil unserer musikalischen Richtung. Ebenso wichtig sind humor und Spaß, die alles miteinander verbinden.
Daniel Schober: Unsere Musik drückt in gewisser Weise auch die Vielseitigkeit des Lebens aus. Es gibt ja nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch viele andere Farben. Sich musikalisch nur in eine bestimmte Richtung zu bewegen, finde ich irgendwie unspannend. Es ist doch interessanter, offen für alles zu sein und sowohl das Leben als auch die Musik vielseitig zu gestalten. Wenn man etwas Neues hört, lässt man es gleich in die eigene Musik einfließen. Letztlich geht es darum, sich weiterzuentwickeln. Und das gelingt nicht, wenn man stur auf einer Linie bleibt.
Gidon Oechsner: Ich denke, dass zurzeit – sowohl politisch als auch musikalisch – eher der Wunsch nach Monokultur ausgeprägt ist, besonders wenn man sich die jüngsten Wahlen anschaut. Dem möchte ich aktiv entgegenwirken. Ich finde all die verschiedenen Einflüsse großartig, ich finde alles Neue spannend und bin der Meinung, dass man dies als Chance und Bereicherung sehen muss. Sich davor zu verschließen, halte ich für den falschen Weg.
Eure Musik lebt auch sehr von Gegensätzen. Auf der einen Seite sind die Lieder voller Energie und tanzbar, auf der anderen schwingt aber auch immer etwas Melancholie mit. Die Texte sind voller Humor, aber regen auch zum Nachdenken an. Es geht bei euch nicht nur um gute Stimmung, sondern sehr wohl auch um Tiefgang.
Daniel Schober: Nur weil wir Spaß haben und Blödsinn machen, heißt das ja nicht, dass nicht jede und jeder von uns auch mal traurig ist oder gerade intensive emotionale Geschichten durchlebt, die auch mal für ein Lied aufgegriffen werden können. Andererseits geht es auch nicht, immer nur traurige Lieder zu machen. Es muss alles irgendwie Platz finden. Ohne Melancholie gibt es keine Freude, und beides bildet sich in unserer Musik ab. Deswegen ist sie auch so vielseitig.
Gidon Oechsner: Ich finde es schon auch wichtig, dass bei all dem Geblödel und Kabarett, die auch Teil unserer Musik sind, unsere Lieder trotzdem auch die Möglichkeit bieten, sich Gedanken zu machen.
Stichwort Monokultur. Wie sehr ist eure Musik auch das Spiegelbild aktueller Ereignisse und Entwicklungen. Seht ihr euch auch als politische Band?
Gidon Oechsner: In unseren Liedern finden sich definitiv einige politische Anspielungen. Aber was wir auf keinen Fall tun, ist uns hinzustellen und zu predigen – das ist überhaupt nicht mein Ding. Deshalb ist es mir wichtig, dass all das auf eine subtile Weise vermittelt wird und nicht zu offensichtlich ist. Ich stelle mich nicht hin und frage direkt, was mit euch Leuten eigentlich los ist. Es soll schon lustig sein, aber trotzdem die Idee dahinter transportieren, generell zu fragen: Was ist eigentlich los?
Ihr seid in der Band ja recht viele Köpfe. Wie kann man sich bei euch den songwriting-prozess vorstellen?
Gidon Oechsner: Bisher war es eigentlich immer so, dass ich eine Idee für eine Hookline habe und eine Grundstruktur für einen Song aufbaue. Dann treffen wir uns alle im Proberaum und arbeiten das Stück gemeinsam aus. Im Fall von „Mercedes Benz“ zum Beispiel hat Atanas (Dinovski; Anm.) die gesamte Musik geschrieben, und ich habe den Text dazu verfasst. Es gibt also verschiedene Wege, wie bei uns ein Song entsteht.
„Bussi, Bussi“ ist mittlerweile euer fünftes Album. Inwieweit ist bei euch Routine eingekehrt, im Sinne von Erfahrung, oder geht ihr immer noch mit dem gleichen Spirit an die Sache heran wie in den Anfangstagen?
Daniel Schober: Was man auf alle Fälle sagen kann, ist, dass wir richtig eingespielt sind. Es ist einfach schön, dass es die Band mittlerweile schon so lange gibt und wir uns schon so lange kennen. An der Leidenschaft hat sich bis heute nicht verändert …
Gidon Oechsner: Das Angenehme ist, dass wir mittlerweile die Kompetenzen der einzelnen Bandmitglieder gut kennen. Wir wissen, wer worin stark ist und wie wir die Stärken jeder und jedes Einzelnen hervorheben können, ohne etwas zu erzwingen, das nicht da ist. Gleichzeitig lernen wir immer wieder Neues dazu und stehen vor neuen Herausforderungen. Die Dinge verändern sich eigentlich ständig.
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Euch gibt es mittlerweile seit vielen Jahren. Und ihr seid zu einer mittlerweile recht großen Band angewachsen. Ich stelle mir vor, dass es nicht ganz so leicht ist, das Ding am Laufen zu halten, vor allem, weil viele von euch ja auch in anderen Projekten tätig sind.
Gidon Oechsner: Meine Idee war schon immer, die Musik an ein breiteres Publikum zu bringen. Wenn man im Kontext von Gypsy Jazz bleibt, bewegt man sich mehr oder weniger immer nur in Jazzclubs – vor allem in Österreich und Deutschland. Es hat mich auch immer gestört, dass im Grunde nur ältere Menschen diese Musik zu schätzen wissen, obwohl sie viel mehr Potenzial hat.
Dann stand natürlich auch die große Frage im Raum, wie man seine Zeit nutzen möchte. Und obwohl wir alle in mehreren Projekten spielen, ist es genau diese Band, in die die meisten von uns die meiste Zeit investieren. Wir stehen ja nicht nur zusammen auf der Bühne, sondern verbringen viele Tage und Nächte miteinander. Und es macht riesigen Spaß, Zeit mit dieser Band zu verbringen und gemeinsam unterwegs zu sein. Das ist wirklich ein entscheidender Punkt.
Daniel Schober: In unserer Band sind alle professionelle Musikerinnen und Musiker. Wir leben mehr oder weniger alle von der Musik. Und es ist natürlich viel angenehmer, wenn man seinen Beruf mit Menschen ausüben kann, mit denen man befreundet ist, mit denen man einfach gerne Zeit verbringt und mit denen man die eigene Musik spielen kann. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man ständig mit verschiedenen Projekten unterwegs ist und immer mit neuen Leuten zu tun hat. Eine so tiefe Verbundenheit entwickelt sich da nur schwer. Natürlich tun wir das auch, weil wir Geld verdienen müssen, aber die größte Freude bereitet uns die Zeit mit Gewürztraminer.
Und daher war es auch immer der Plan, die Band so groß zu machen, dass wir so wenig wie möglich andere Sachen spielen müssen.
Gidon Oechsner: Wir haben uns auf jeden Fall vorgenommen, nicht aufzugeben, bis wir drei Tage Arena Open Air ausverkaufen …
Daniel Schober: Das hast du gesagt (lacht). Drei Tage Arena Open Air ausverkaufen, genau …
Gidon Oechsner: Es ist eine Utopie.
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Wann war eigentlich der Moment, als ihr gemerkt habt, dass Gewürztraminer größer wird und es von den kleinen Locations auf die größeren Bühnen geht?
Daniel Schober: Ich würde sagen, ab „Tanzverbot“. Auch weil da musikalisch einfach viel mehr passiert ist. Plötzlich erklangen Disco-Beats in unserer Musik. Wir haben in gewisser Weise die Musik verjüngt und damit ein breiteres Publikum angesprochen. Wir haben den Jazz in unsere Musik einfließen lassen, ohne dass die Leute gemerkt haben, dass da etwas Jazziges ist. Wobei bei Liveshows ein wichtiger Aspekt schon ist, dass soliert wird oder auch Teile offengelassen werden. Ein klassisches Jazzkonzert sieht definitiv anders aus. Ich würde sagen, dass das ganze mehr Show geworden ist.
Martin Schiske: Man kann es vielleicht darauf runterbrechen, dass die Band super Party machen kann, aber wenn es sein muss, kann jede und jeder virtuos sein.
Daniel Schober: Es steht bei uns der Bandsound im Vordergrund. Und der ist bei uns sehr speziell. Ich kenne keine band in unserer instrumentalen Besetzung, die irgendwie etwas Ähnliches macht.
Nachdem euer letztes Album unter eher widrigen Umständen erschienen ist, stehen die Zeichen jetzt auf jeden Fall deutlich besser, dass ihr mit dem neuen Album gleich durchstarten könnt. Wie sind eure Erwartungen?
Gidon Oechsner: Da wir alle Livemusikerinnen und -musiker sind, wünsche ich mir einfach, dass wir so viel wie möglich spielen und dass das Projekt Gewürztraminer weiterwächst und noch mehr Leute anspricht.
Daniel Schober: Es geht um Gigs, Gigs, Gigs…
Vielen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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Gewürztraminer live
23.11.2024 Steyr, Röda
05.12.2024 Wien, Karlsplatz
26.12.2024 Wien, Porgy & Bess
31.12.2024 Dresden, Sozietätstheater
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