„ÖSTERREICH IST KEIN NORMALES LAND” – CYON FLEX IM MICA-INTERVIEW

CYON FLEX ist eine 37-jährige Rapperin aus Bristol. Seit einigen Jahren lebt sie in Wien, demnächst erscheint ihr drittes Album. „Into The Night” (6. September 2024) ist Sound, Comic und ein Anfang unter neuem Namen. Über Erfahrungen wie Erwartungen hat CYON FLEX mit Christoph Benkeser geplaudert.

Wie geht es dir?

Cyon Flex: Ich bin gerade dabei, aus meiner Wohnung auszuziehen. Es ist wegen einer meiner Nachbarn …

Das tut mir leid.

Cyon Flex: Das ist jetzt Teil meiner Musik, auch wenn mein Projekt nie politisch war. Als ich von Großbritannien nach Österreich gezogen bin, habe ich aber gemerkt, dass dieses Land extrem politisch ist. Und dass das hier normal ist.

Wie gehst du damit um?

Cyon Flex: Antidepressiva, dankeschön! 

Der Bundeskanzler fände das gut.

Cyon Flex: Die Sache ist die: Deswegen habe ich eine posttraumatische Belastungsstörung. In Österreich darf man sich nicht wehren, obwohl … Na ja, eigentlich schon. Aber dann gehst du zur Polizei und wirst das Problem. In England würden wir einfach ins Pub gehen und uns prügeln.

Warst du schon mal in eine Prügelei verwickelt?

Cyon Flex: Manchmal! Die Leute tun immer überrascht, wenn ich ihnen davon erzähle, weil sie noch nie in einer Schlägerei waren. Und ich bin schockiert, wenn ich das höre. 

Ich hätte zu viel Angst, ganz ehrlich.

Cyon Flex: Ich nicht.

Da scheint einiges zu sein, worüber du dich aufregen kannst?

Cyon Flex: Ich habe gelernt, mein Temperament zu kontrollieren. Aber es ist crazy, eine Frau und Schwarz in Wien zu sein. Deshalb verteidige ich mich selbst. Dadurch habe ich eine härtere Haut bekommen. Und ich bin zu der Frau geworden, die ich heute bin.

Das ist …

Cyon Flex: Schrecklich, ja. Und es ist crazy, eine Frau und Schwarz in Wien zu sein. Deshalb verteidige ich mich selbst. Dadurch habe ich eine härtere Haut bekommen. Und ich bin zu der Frau geworden, die ich heute bin.

Welche Frau ist das?

Cyon Flex: Sagen wir so: Die Menschen in Österreich haben eine Vorstellung davon, wie sich Männer und Frauen kleiden sollten. Ich habe diese Vorstellungen nicht, weil ich in England aufgewachsen bin. Wir haben dort einfach eine größere Modekultur. Man hat also mehr Möglichkeiten, seine Identität auszudrücken, während man …

In Österreich …

Cyon Flex: Eine Menge Hass dafür abkriegt. Gut, ich bin sowieso mit Hass konfrontiert. Wenn ich aber mit meinen schwulen Freunden ausgehe, bekommen sie mehr Hass ab als ich. Es ist fast so, dass ich diese Idioten ansprechen muss, um den Fokus auf mich zu lenken: Hey, schaut mich mal an, ich bin Afrikanerin! 

Du lachst.

Cyon Flex: Ja, das ist mein Sinn für Humor.

Bild Cyon Flex
Beide Beine auf dem Boden: Cyon Flex (Foto: Molnar Photography) 

Du bist in Bristol aufgewachsen, wie war das?

Cyon Flex: Da gab es keinen Humor. Kämpfen war Teil des Lebens. Traurigerweise habe ich dadurch ein paar Freunde verloren. Deshalb bin ich nach Österreich gekommen. Vom ersten Moment an habe ich gemerkt, dass es ein seltsames Land ist, aber ich fand es besser als das UK. 

Empfindest du es immer noch so?

Cyon Flex: Auf jeden Fall, sogar mit all dem Bürokratie-Bullshit! Ich kann hier leben und als Musiker arbeiten. Das ist etwas, was ich vorher nicht konnte.  

Du machst jetzt seit Anfang der 2010er Jahre Musik.

Cyon Flex: Erst vor kurzem habe ich den Namen meines Projekts geändert. Vorher hieß es Zion Flex, aber als der Krieg in Gaza größer wurde als Reggae, entschied ich mich für einen anderen Namen: Cyon Flex.

Das ist reflektierter als das meiste, was man sonst dazu liest.

Cyon Flex: Na ja, wir sollten vernünftig weitermachen – oder den Hass zumindest auf Länder wie England richten, die als Zentrum des Teufels überhaupt erst für diese Scheiße verantwortlich sind. 

„KANNST DU NICHT SEHEN, DASS ICH AFRIKANERIN BIN, ODER BIST DU DUMM?”

Dabei gibt es im UK einen besonderen Stolz auf ein längst vergangenes Empire. 

Cyon Flex: Weißt du: Die Leute haben mich immer als Briten gesehen. Dann kam der Brexit und sie fragten mich: Woher kommst du wirklich? Ich antwortete: Kannst du nicht sehen, dass ich Afrikanerin bin, oder bist du dumm?

Lass mich das kurz zusammenfassen: Dein neuestes Projekt Cyon Flex ist wie eine Antithese zu deinen persönlichen Erfahrungen, die du hier erzählst, richtig?

Cyon Flex: Ja, ich habe ein ganzes Comic-Skript mit verschiedenen Charakteren und einer Geschichte geschrieben. Es ist wie eine eskapistische, fantastische Welt, die ich erschaffen habe – eine Loslösung von meiner Realität. Auf diese Weise kann ich meine Erfahrungen vermenschlichen. Das macht es nicht zu einem fröhlichen Projekt. Es ist eher düster – ob es nun einem bisexuellen Mann folgt, der mit seiner Bisexualität zu kämpfen hat. Oder es eine queere Person thematisiert, die Fußball spielt und sich im Ego verliert. 

Welchen Vorteil verschafft die Visualisierung deinem künstlerischen Ausdruck?

Cyon Flex: Die Leute können sich einfacher damit identifizieren, eben weil sie meine Realität sehen. Cyon Flex ist kein fröhliches Projekt, auch wenn es euphorische Momente gibt, besonders beim Video zu  „Watch Me Rise”. Aber der Rest des Projekts ist … bittere Realität. 

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Wo siehst du dich, in der Realität oder in einer euphorischen Traumwelt?

Cyon Flex: In der euphorischen Traumwelt. Die Realität ist nur hart. Aber als Künstler kann ich meine Realität als Traumwelt erschaffen.

Du bist keine Kämpferin, wie du am Anfang gesagt hast: Du bist eine Traumwelterschafferin.

Cyon Flex: Das bin ich wirklich, aber die meisten Leute sehen mich eher als Kämpferin. Und ich verstehe das. Deshalb ist dieser Comic ein Gamechanger, er kann die Perspektive auf mich verändern. 

Es ist ein Blick in …

Cyon Flex: In die Tiefen meiner Seele. Und ja, es gibt eine Menge Dunkelheit in mir. Daraus stammt mein Humor. 

Du sagst das wieder mit einem Lächeln.

Cyon Flex: Weil es wirklich so ist. Das Projekt wird so zu einem Safe Place, an dem ich mich meinen Gefühlen stellen kann. Es ist auch kathartisch. Deshalb heißt das neue Projekt „Into The Night”. Es ist eine Reise in die Dunkelheit. Und was kann man in der Dunkelheit finden?

Bild Comic von Cyon Flex
Eher kein lustiges Taschenbuch ist der Comic von Cyon Flex (Foto: Cyon Flex & S.R.Ayers)

Vielleicht geht es weniger darum, was man in der Dunkelheit findet, sondern um das Gefühl, dass man in der Nacht verschwinden kann.

Cyon Flex: Genau, man kann sich verirren und verlieren, aber sich auch darin wiederfinden. Zumindest ist es das, was ich mit dem ersten Teil des Albums anstrebe. Teil zwei ist dann etwas ganz anderes.

Warum?

Cyon Flex: Weil ich mit einem anderen Produzenten gearbeitet habe, Gran Bankrott. Er ist ein wirklich netter Typ. Ich bin durch Susi Schwarz zu ihm gekommen, die übrigens meine Karriere verändert hat. Die Szene ist schließlich umkämpft. Mit ihr kann ich mich daraus zurückziehen und bin nicht in das direkte Handgemenge verwickelt, das nur darauf abzielt, wen man kennt.

Hallo Vitamin-B-Land.

Cyon Flex: Ja, man muss sich nur mal den Amadeus Award anschauen. Die FM4-Kategorie ist absolut überfüllt, in den anderen Kategorien sind immer dieselben. Wie oft soll Raf Camora noch nominiert werden? Na ja, ich sage nicht, dass er nicht verdient, was er bekommen hat. Aber come on, er taucht nicht einmal mehr bei der Veranstaltung auf.

„ES SEI DENN, WIR BEKOMMEN ES MIT EINER INVASION VON AUSSERIRDISCHEN ZU TUN.”

Würdest du gerne einen Amadeus gewinnen?

Cyon Flex: Auf jeden Fall! Aber ich habe das Gefühl, dass das, was ich mache, im Vergleich zu anderen Artists sehr am Rande steht. Außerdem wird die Arbeit von People of Color oder extravaganteren queeren Menschen immer noch an den Rand gedrängt – einfach weil in Österreich eine falsche Idee von Normalität existiert. Ich habe aber Neuigkeiten: Österreich ist kein normales Land! Und Künstlerinnen wie Bex ändern den Blick darauf.

Wie?

Cyon Flex: Schau dir an, wie sie sich in einer neuen Realität präsentiert. Natürlich, ihre Musik ist sexueller als meine, aber dafür bewundere ich sie. Da ich als Christin aufgewachsen bin, war es nämlich schwierig, mich von dieser Indoktrination zu befreien. Inzwischen habe ich mich entschieden, Atheistin zu sein.

Wie lange bist du schon Atheistin? 

Cyon Flex: Seit diesem Jahr. Ich habe einfach aufgehört zu beten, weil ich das Gefühl hatte, dass ich selbst aktiv werden muss. Jetzt glaube ich an uns. Wenn ein Gott jemals zu mir kommen sollte, dann würde er zu mir als Mensch kommen – es sei denn, wir bekommen es mit einer Invasion von Außerirdischen zu tun.

Das würde ich gerne erleben.

Cyon Flex: Ja, dabei scheint es doch, als würden sowieso schon Aliens dieses Land regieren.

Danke für deine Zeit!

Christoph Benkeser

++++

Links:
Cyon Flex (Bandcamp)
Cyon Flex (YouTube)
Cyon Flex (Instagram)
Cyon Flex (Facebook)