Von 12. bis zum 21. April geht das SALAM MUSIC FESTIVAL an verschiedenen Spielstätten in Wien in seine nächste Runde. Mit dem Fokus auf die Musik, Kunst und Kultur aus dem arabischen Raum bietet das von KATRIN PRÖLL geleitete Festival einmal mehr viel Aufregendes und Neues zu entdecken. Im Interview mit Michael Ternai spricht KATRIN PRÖLL unter anderem über ihre Zusammenarbeit mit dem namhaften Gastkurator BRAHIM EL MAZNED, über die musikalische Weitentwicklung des Festivals in den letzten Jahren und warum der Begriff „Orient“ im Namen des Festivals ausgedient hat.
Ihr habt für diese Ausgabe des Festivals mit Brahim El Mazned ja einen wirklich großen Namen der afrikanischen Musikszene als Gastkurator an Bord geholt.
Katrin Pröll: Brahim El Mazned ist der künstlerische Leiter des Timitar Festivals in Agadir, einem der zehn größten Festivals in Marokko. Die Dimension dieses Festivals ist beeindruckend, mit etwa 200.000 Besucherinnen und Besucher pro Tag, was wirklich eine andere Größenordnung ist als hier in Österreich. Daneben hat er auch das Showcase Festival Visa for Music in Rabat gegründet, was ihm in den letzten Jahren ermöglicht hat, sich international zunehmend zu vernetzen. Es ist sozusagen das Pendant zur WOMEX. Für mich ist dieses Festival sogar viel spannender als die WOMEX, weil es genau die Bands präsentiert, die für meine Festivals interessant sind. Ich habe bereits Bands für mein Afrika Festival, das ich 12 Jahre lang im Waldviertel veranstaltet habe, gebucht, auch aufgrund der herausragenden Videos, die sie von den Künstlerinnen und Künstler produzieren.
Wie konntest du ihn für die Zusammenarbeit gewinnen?
Katrin Pröll: Er ist in der Tat extrem gefragt. Unter anderem hat die Elbphilharmonie bei ihm angefragt. Er sitzt auch in unzähligen Jurys, unter anderem bei Babel Music. Er ist ständig auf Reisen, wenn ich mit ihm telefoniere, und ich muss sagen, dass ich auch ein bisschen überrascht bin, dass er zu Salam Music so commited ist. Ich glaube, er kennt meinen persönlichen Bezug zu Marokko. Ich war schon vor 20 Jahren sehr viel in dem Land und hatte mit meinem Label damals auch einen Vertriebspartner dort. Er weiß das und ich kann mir vorstellen, dass das vielleicht auch der Grund dafür ist, dass er jetzt bei Salam Music mit an Bord ist.
Ich habe mich wirklich gefreut, dass von seiner Seite aus bis zum Schluss so ein Engagement da war. Und vieles hätten wir ohne ihn auch nicht geschafft. Einerseits hat er ganz am Schluss sogar noch eine Unterstützung vom marokkanischen Kulturministerium für uns organisiert. Das ist eigentlich unglaublich, dass das gegangen ist. Andererseits hat er echte Stars aus Marokko nach Wien gebracht. Wie zum Beispiel die Sängerin Nabyla Maan, die mit Orwa Saleh in einer einwöchigen Residency ein Programm erarbeitet hat. Sie ist in Marokko ein echter Star und braucht es ganz ehrlich gar nicht, dass sie in Europa spielt. Die Kommunikation läuft über Brahim einfach ganz anders. Ich wäre ohne ihn nie an Nabyla Maan herangekommen. Aber Brahim kennt natürlich alle und wird auch von allen geschätzt. Und immer wieder, wenn so kleine Malheurs passiert sind, wie etwa mit Visa und dergleichen, ist er sofort eingesprungen und hat versucht, das Problem zu lösen. Er hat wirklich viel Zeit investiert und freut sich jetzt auch schon wahnsinnig auf Wien.
Wien dürfte für viele marokkanische Künstlerinnen und Künstler generell eine neue Erfahrung sein, so wie für das Electronic-Duo Aïta Mon Amour, das am 18. April im Flex spielen wird. Ich habe die Band im letzten November beim “Visa for Music” Festival live gesehen, und sie waren wirklich großartig. Als ich mit ihrem Manager gesprochen habe, meinte dieser: “Was, ein Wiener Festival interessiert sich für uns?” Wien hat in Marokko zwar auch einen Ruf als Musikstadt, aber eher einen für klassische Musik. Dass hier auch andere Musikrichtungen gehört werden, scheint für manche eine Überraschung zu sein.
Gegenseitige Vorurteile abzubauen ist ja auch die Hauptidee von Salam Music.
Katrin Pröll: Genau. Jede und jeder hat irgendein Bild, oft unbewusst. Und das ist auch gar nichts Verwerfliches. Aber ich finde, wenn es Möglichkeiten gibt, dass Leute ins Gespräch kommen und sich kennenlernen und auf der Bühne etwas sehen, dass ganz anders ist als das, was sie kennen, hilft es, ein breiteres Bild zu bekommen und zu verstehen, dass wir im Grunde alle sehr ähnlich sind.
Salam bedeutet ja Frieden. Das unterstreicht ja zusätzlich das Motto des Festivals.
Katrin Pröll: Salam ist auch eine Begrüßung und bedeutet verkürzt ausgesprochen einfach Hallo. Aber ja, das Wort heißt übersetzt Friede. Und ich finde, das ist auch eine sehr schöne Bezeichnung dafür, wofür das Festival seht. Ich habe jetzt zwar keine Friedensmission, aber ich glaube schon, dass man Kunst und Kultur durchaus dafür nützen kann, um wieder näher zusammenzukommen und einen Dialog zu führen. Leider erleben wir im Moment die genau gegenteilige Strömung, indem man dieses Cancel Culture betreibt. Künstlerinnen und Künstlern plötzlich den Mund zu verbieten, halte ich für sehr problematisch und nicht für sehr zielführend.
Das Festival ist ja ewig unter dem Namen Salam Orient – Music & Arts Festival gelaufen. Heuer heißt es erstmals Salam Music & Arts Festival. Warum die Namensänderung?
Katrin Pröll: Wir haben uns über eine Namensänderung schon 2017 Gedanken gemacht. Wir wollten ein etwas neues Design und in eine neue musikalische Richtung gehen. Aber bezüglich des Namens haben wir uns, ehrlich gesagt, dann zunächst doch nicht getraut. Das wäre in dem Moment einfach zu viel gewesen. Außerdem war es mir damals auch noch nicht so ein Bedürfnis. Ich habe es zu diesem Zeitpunkt noch nicht so gespürt, dass das nicht wirklich passt. Aber im Laufe der Entwicklung des Programms weg von der Weltmusik und der steigenden Zahl an Konzerten zum Beispiel im Flex ist mein Wunsch, diesbezüglich etwas zu ändern, doch immer stärker geworden. Wir haben zwar nach wie vor klassische und traditionelle Musik aus dieser Region im Programm, aber weniger von Fusion-Projekten, die oftmals unter der Bezeichnung Weltmusik gelaufen sind. Wie haben uns sehr in Richtung auch anderer Genres geöffnet. Unter anderem zur Elektronik.
Ich habe während dieser Zeit auch viele Gespräche mit Künstlerinnen und Künstler darüber geführt, ob der Begriff Orient überhaupt zeitgemäß ist.Es macht ja einen Unterschied, ob sich ein libanesisches Label „Alt-Orient“ – wobei „Alt“ für Alternative steht nennt, oder ich ein Festival hier Salam Orient nenne. Und viele Künstlerinnen und Künstler haben gemeint, dass sie sich freuen würden, wenn sie bei einem Festival auftreten könnten, das nicht Orient im Namen hat. Sie sehen in diesem etwas Romantisierendes, dass vor allem vom Westen dieser Region klischeehaft zugeschrieben wird. Diese Länder haben viele turbulente Zeiten, wie etwa den arabischen Frühling, erlebt. Und es gab viele Bands, die diese Ereignisse aufgegriffen und in ihrer Musik verarbeitet haben. Und dazu passt dieses romantische Bild einfach nicht.
Mit der Programmentwicklung der letzten Jahre ist mir dann immer bewusster geworden, dass sich das einfach nicht mehr ausgeht. Und nach dem letzten Konzert von Bab L’Bluz beim Festival 2022 habe ich mir wirklich gedacht, jetzt ist es vorbei. Das war ein so cooles Konzert im WUK. Die Band hat wahnsinnig gerockt. Das Konzert hat mir wirklich vor Augen geführt, welch riesiges Potenzial diese Bands eigentlich hätten, ein weltweites Publikum zu erreichen. Und nicht nur eines, das auf das Wort Orient reagiert. Beziehungsweise gibt es sehr viele, die die Musik gerade wegen dieser Zuschreibung von sich wegschieben. Daher habe ich mich entschieden das Wort Orient aus dem Titel des Festivals rauszunehmen.
Die Ausrichtung des Festivals hat sich seit deiner Übernahme 2017 wirklich stark merklich verändert. Es ist stilistisch tatsächlich wahnsinnig breit.
Katrin Pröll: Ich glaube, es ist uns auf schöne Weise gelungen, uns langsam von einem reinen Weltmusikfestival wegzuentwickeln. So sehe ich Salam Music jetzt eigentlich überhaupt nicht mehr. Es ist ein spartenübergreifendes Musik-, Kunst- und Kulturfestival. Der Fokus richtet sich natürlich weiterhin auf Musik aus dem arabischen und afrikanischen Raum, aber in diesen Regionen gibt es viel mehr als das, was wir hier in Europa kennen. Mich interessiert oft, wenn in der Musik ein Hauch von der kulturellen Vielfalt der jeweiligen Region zu spüren ist. Genau diese Musik möchte ich dem Publikum näherbringen.
Daher kann man nicht wirklich sagen, dass alles, was aus diesem Raum kommt, Weltmusik ist, weil sich viele Künstlerinnen und Künstler von dort niemals diesem Genre zuordnen würden. Wenn ich da an Gaye Su Akyol denke, die in ihrer Musik so viele verschiedene Elemente verbindet – von Surf Disco bis Post Punk. Gleichzeitig liebt sie die türkische Klassik. Und dieser einzigartige Mix spricht mich an. Wenn es jetzt nur elektronische Musik oder nur Hip-Hop ist, der auch aus Amerika oder Europa kommen könnte, dann fehlt mir die Spannung. Aber wie gesagt, das Programm in diese Richtung zu entwickeln, war ein langsamer Prozess, auch weil wir das Stammpublikum, das bei Salam Orient ja riesig war, nicht verlieren wollten. Im Gegenteil, wir wollten es auch für neue Genres begeistern.
Und das hat wirklich funktioniert. Es waren plötzlich Leute ab 70 im Flex. Einige von ihnen meinten, dass sie sich nie gedacht hätten, dass sie in ihrem Leben noch einmal das Flex von innen sehen würden. Und das finde ich super, wenn alle Generation und Leute mit unterschiedlichen Interessen zusammenkommen und offen für etwas Neues sind.
Etwa für eine Künstlerin wie Rasha Nahas. Sie ist eine Palästinenserin, die in Haifa geboren wurde und den israelischen Pass besitzt. Sie lebt mittlerweile in Berlin. Und bevor sie dorthin gezogen ist, hat sie auf Englisch gesungen. Der Umzug aber hat sie sehr stark dazu gebracht, sich mit ihrer eigenen Identität auseinanderzusetzen, was dazu führte, dass sie begann, auf Arabisch zu singen. Sie ist eine ganz feine tiefsinnige Künstlerin, die das Ganze sehr locker, cool und annehmbar präsentiert.
Mir ist es schon auch wichtig, dass es keine Bands oder Künstlerinnen und Künstler sind, die ihre Messages mit dem Vorschlaghammer oder Zeigefinger rüberbringen.
Das ist interessant, dass du das ansprichst. Die Situation im Nahen Osten mit dem Gaza-Krieg spielt bei der Programmierung eines Festivals wie Salam Music natürlich in der einen oder anderen Form hinein. Wie sehr ist es ein Balanceakt, auf der einen Seite Künstlerinnen und Künstleraus der Region einzuladen und auf der anderen dabei nicht angreifbar zu werden?
Katrin Pröll: Das muss man natürlich absolut im Auge behalten.Ich habe das viel mit Kollegen vor allem aus Deutschland diskutiert, für die sich die Situation viel, viel schwieriger darstellt als für uns. Einige haben uns geraten, dass wir das Festival heuer überhaupt nicht machen sollten. Andere wiederum, dass wir es vermeiden sollten, palästinensische Künstlerinnen und Künstler einzuladen. Aber ich habe Rasha Nahas dennoch eingeladen, ganz einfach, weil ich sie künstlerisch wahnsinnig spannend finde und ich das, was sie sagt und in ihren Texten behandelt, total großartig finde. Sie erzählt Geschichten, die einem verdeutlichen, wie das Leben für manche Leute in bestimmten Situationen ist. Mir geht es auch darum, dass die Leute einfach mal eine andere Perspektive sehen. Mir kommt es vor, dass gerade in der jetzigen Situation mit dem Krieg in Gaza viele Leute eine sehr klare Meinung zu diesem Thema vertreten. Und ich frage mich dann oft, woher sie diese eigentlich haben. Reden sie mit beiden Seiten, kennen sie die Realitäten?
Ich habe mit Rasha Nahas darüber gesprochen. Und sie war total erfreut darüber, dass ich sie aus musikalischen Gründen gebucht habe und nicht um irgendein Statement zu setzen. Und auch, dass ich mit ihr darüber spreche, wie die ganze Situation für sie ist. Die Lage ist gerade sehr schwierig. Aber trotzdem möchte sie nur über ihre Musik sprechen. Und das ist überhaupt nicht radikal. Sie erzählt ihre Geschichten, ohne mit dem Zeigefinger auf andere zu zeigen. Es sind ihre Geschichten, die gleichzeitig die vieler anderer sind. Solche Künstlerinnen und Künstler finde ich interessant, und ich hoffe, dass sie auch unser Publikum inspirieren.
Auch wenn Salam Music jetzt kein politisches Festival ist, hat es doch einen gesellschaftspolitischen Aspekt und daher muss man einfach immer aufpassen. Denn das Wichtigste ist, dass die Künstlerinnen und Künstler geschützt sind.
Das Festival bietet neben den Konzerten auch spannende Programmpunkte wie ein Kinderprogramm und Filmvorführungen. Erstmals gibt es auch eine Festivalzentrale im Spektakel in der Hamburgerstraße.
Katrin Pröll: Das Festival war schon immer interdisziplinär angelegt. Für mich hat vielleicht die visuelle Kunst etwas gefehlt, und auch Film möchte ich noch stärker integrieren, weil es ein Medium fürs Geschichtenerzählen ist. Dieses Jahr steht sogar ein Film auf dem Programm. Vor drei oder vier Jahren hatte ich das große Glück, Christine Bruckbauer kennenzulernen. Sie besitzt den Art-Space philomena+ und konzentriert sich genau auf die MENA-Region (Middle East and North Africa). In ihrer Galerie bringt sie immer Künstlerinnen und Künstler von hier mit Leuten aus zum Beispiel Marokko, Tunesien oder Pakistan zusammen. Sie kennt wahnsinnig viele interessante Leute und Künstlerinnen und Künstler und macht mir immer wieder Vorschläge. Über sie lerne ich auch viel Neues kennen.
Dieses Jahr haben wir eben den Marokko-Schwerpunkt, und die Ausstellung “Emotional Lands” hat einen Ko-Kurator sowie einen Künstler aus Marokko, der gemeinsam mit einer österreichischen Künstlerin eine Ausstellung konzipiert hat. In dem Kunstraum wird es dieses Jahr ein intensives dreitägiges Programm geben, zu dem wir mit Majid Bekkas einen echten Starmusiker für eine Soloperformance eingeladen haben. Er spielt am Samstag davor im Porgy ein Konzert mit einem super Quartett und wird eben für diese Performance ein bisschen länger in Wien bleiben. Ich finde es toll, solche verehrten Musiker auch einmal in so einem intimen Rahmen erleben zu können.
Die Festivalzentrale war mir ein sehr großes Anliegen. Wir wollten auch schon seit 2017 eine machen, nur hat es nie wirklich geklappt. Letztes Jahr hatten wir dann den Gastkurator Orwa Saleh, der übrigens in diesem Jahr das Eröffnungskonzert spielt. Er hat vorgeschlagen, eine Festivalzentrale zu organisieren, in der Musikerinnen und Musiker auch aus anderen Communities, die nicht aus der Schwerpunkt-Region des Festivals kommen, eingebunden werden in Form von Konzerten und auch einer offenen Jam Session. Das war eine super Idee und die Festivalzentrale ist bei freiem Eintritt auch für jeden leicht zugänglich. Darüber hinaus nutzen wir die Festivalzentrale auch für Künstler- und Künstlerinnengespräche. Die Verpflegung mit Essen läuft über ein spezielles Projekt vom Verein Mosaic, bei dem Frauen mit Fluchthintergrund kochen und so in einen Austausch kommen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Michael Ternai
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Das gesamte Festivalprogramm finden Sie unter https://www.salam-music.at/programm/
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