Im Herbst 2007 ereignete sich auf einer Aftershowparty der Berliner Popkomm etwas Ungewöhnliches: Fünf junge, österreichische Musiker zogen sich nackt aus, und wurden nach ungemütlichen Diskussion der Bar verwiesen. Auf die Frage nach dem Grund der Aktion lautete die simple Antwort: Langeweile. Dass dieser Begriff eine vielseitig Selbsterklärungsquelle ist, beweisen Ja, Panik seitdem immer wieder öffentlich. Ennui ist nicht nur das elegantere Wort dafür, sondern drückt auch eine gewisse Lebenshaltung aus, die zwar mit Laissez-Faire, aber nicht mit Gleichgültigkeit zu tun hat. Denn gleichgültig sind den fünf Burgenländern das Politische und das Öffentliche nicht, nur dass ihre Herangehensweise an den Protest eine etwas andere ist.
Erst zwei Jahre vor dem Nackedei hatten sich die jungen Musiker zusammengetan um professioneller Musik zu machen. Als Mastermind der damaligen Band Flahbax, benannt nach dem Oasis Klassiker, etablierte sich schnell Andreas Spechtl. Mit seinen Kollegen Stefan Pabst, Christian Treppo und Manuel Dinhof produzierten sie das Album „Ja, Panik“, dem sie auch ihren späteren Bandnamen verdanken. In dem letzten Song finden diese zwei scheinbar unabhängigen Worte einen Sinn: „Ja, Panik treibt mich / Whatever get’s you through the night / It’s alright, it’s alright.” Diese Zeilen sind schon eine Kostprobe von der eklektizistischen Dichtung von Spechtl, der sich als deutschsprachiger Musiker nicht scheut, Englisches einzubauen. Nach der Veröffentlichung des Albums kommt Dynamik in die Bandstruktur denn Manuel Dinhof geht und Sebastian Janata stößt dazu. Thomas Schleicher, der auf der ersten Ja, Panik-Tour als Roadie dabei ist, nimmt dann bis 2012 einen fixen Platz als Gitarrist ein. In eine Schublade kann ihre Musik nicht gestopft werden, dafür kombinieren sie zu verschiedene Stile und Ideale. Die Balance zwischen Rock’n’Roll und Hamburger Schule, Lou Reed und Bob Dylan halten sie bravourös, ohne dabei allzu brav zu sein. Ja, Panik ist keine Punkband, wenn es nach der allgemeingültigen Vorstellung von Punk geht, aber die querdenkerische Lebenshaltung haben sie sich zur Gänze einverleibt.
Wien ist der Mittelpunkt ihrer musikalischen Arbeit, die nicht nur das Schreiben und Vertonen ihrer Songs umfasst. Ja, Panik ist eine richtige DIY-Band – vom Marketing bis zur Produktion – die fünf legen bei jedem Schritt selber Hand an. Und so entsteht 2007 „The Taste and the Money“, dessen Titel neckisch Verwirrung stiftet. Wie der Bandname sind auch diese zwei Begriffe aus dem Kontext genommen. „The taste is familiar and so is the sound, it burns all my money, it turns me down“ Dass die namensgebende Zeile ein wenig rätselhaft ist, ist von Spechtl und seinen Kollegen genauso beabsichtigt. Wer durch die Texte einen raschen Blick auf die echten Personen dahinter werfen will, findet sich bei Ja, Panik in einem Spiegelkabinett wieder. Zwar fängt das Schreiben mit den eigenen Erfahrungen an, doch dann werden sie so lange durch fremde Ideen gefiltert bis sie nicht mehr auf den Ursprung zurückgeführt werden können.
Wer sich so präzise Gedanken über die Konzeption der eigenen Texte macht, dem kann es nicht egal sein. Und das ist es Spechtl nicht, auch wenn er als Motivation gerne Langeweile mit einem Hauch von Verbitterung nennt. Mit der Attitude eines Pete Doherty und dem nostalgischem Ideal einer immerwährenden Jugend à la David Bowie, ist Andreas Spechtl ein Original des deutschsprachigen Musikraumes. Vergleiche mit der Wortgewandheit eines Helmut Qualtinger oder der Coolness von Falco, zieren mediale Reaktionen auf das Phänomen Ja, Panik und dessen Bandleader. Und obwohl sie schon die Provinz hinter sich gelassen haben, um die Vorzüge einer Großstadt zu genießen, finden sie dort nicht so richtig ihr persönliches Glück. Sie packen ihre Zelte und ziehen in eine noch größere Stadt mit vielen Potenzialen. Dass sie dies als Einheit beschließen und auch umsetzen, spricht für ihre Jugend und den Glauben an ihr Potenzial. In ihrer neuen Wahlheimat Berlin nehmen sie 2009 „The Angst and the Money“ auf.
Das Album ist nicht nur vor der Veröffentlichung vieldiskutiert. Ja, Panik haben sich einen Namen gemacht, der im selben Atemzug mit den Diskurs-Pop-Größen Blumfeld und Tocotronic genannt wird. Man spricht vom Alter jener Legenden und der jugendhaften Frische von Ja, Panik
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Und wieder starten sie unter dem Deckmantel der Langeweile Diskurse. Ihre Reaktion auf Jochen Distelmeyers Video von 2009 „Lass uns Liebe sein“ schwebt noch immer zwischen Hommage und Parodie. Und das nur aufgrund des Fehlens einer offiziellen Stellungnahme ihrerseits. 2010 sind sie zu Gast am Donaufestival in Krems, wobei sie kein Konzert spielen, sondern den Auf- und Abbau des Equipments mit inszenierten Buh-Rufen performen. Es ist eine Provokation auf hohem Niveau, eine die eher zum Nachdenken als zum Naserümpfen anregt.
Mit „The Angst and the Money“ manifestieren Ja, Panik ihre Stellung als Diskurs-Popper. Dieses Genre hat seine Wurzeln in einer engen Kooperation von Hamburger Musikern und dem Kulturmagazin Spex. Die deutsche Band Blumfeld war – und ist – die Gallionsfigur dieser Musikrichtung, die nicht nur selbstreflexiv sondern auch feinfühlig für politisches und kulturelles Geschehen ist. Mit „Alles hin, hin, hin“ öffnet „The Angst and the Money“ ein Manifest der Selbstreflektion, nur, dass die Worte wieder verdreht und aus dem Kontext genommen sind.
So wie die zehntägige Tour durch Afrika in 2010, dauern auch die Aufnahmen zum vierten Studioalbum nur zehn Tage. Unter der Produktion von Moses Schneider kehren Spechtl und Kollegen zu dem DIY der frühen Tage zurück und nehmen die Songs selber auf. „DMD KIU LIDT“ wird von den Medien fast noch mehr antizipiert als „The Angst and the Money“. Zu Recht, denn der Reifungsprozess zwischen den zwei Alben ist deutlich zu spüren. Wie immer ist der Titel ein Rätsel, nur diesmal ein fast unlösbares, wenn man sich nicht einer tiefgehenden Recherche hingibt. „Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit“, ist eine melancholische Einstellung zum Kapitalismus. Selbst Pop, das immer glückliche Kind des Kapitalismus, muss der Tatsache ins Auge sehen, dass Schluss ist mit Friede, Freude, Eierkuchen.
„DMD KIU LIDT“ lässt keinen Zweifel an seiner Eigenständigkeit. Selbst die einzige Coverversion am Album hat eine neue Persönlichkeit bekommen. Roxy Music`s Version von „Bittersweet“ war schon damals keine handzahme, da schaufelt Ja, Panik noch eine Portion Nervosität und Exzentrik hinein. Für Bryan Ferry wäre es vielleicht zuerst ungewohnt, aber schon bald würde er die Schönheit der Ausdrucksstärke erkennen. Die Zweisprachigkeit des Klassikers kommt Spechtl besonders zu Gute, denn auf diesem Album wechselt er noch häufiger zwischen Englisch und Deutsch hin und her. Die sprachliche Detailverliebtheit geht soweit, dass selbst die Songtexte im Booklet vertauscht sind, sprich Deutsch Gesungenes wird als Englisch angeschrieben.
Mit „DMD KIU LIDT“ wurden sie nicht das erste Mal für den Amadeus Award nomiert, nur eben immer in anderen Kategorien. 2009 war es die Kategorie „Alternative/Rock“, 2010 „Song des Jahres“ sowie „Alternative, und schließlich 2012 „Alternative“ und „Album des Jahres“. Dass es immer nur bei einer Nomination blieb, ist auf der einen Seite unverständlich. Auf der anderen Seite wäre ein solcher Preis nur eine mindere Kür für die intellektuelle Arbeit, die Ja, Panik seit 2005 verrichtet. In den Augen der Betrachter ist die Band jetzt schon eine ganz große, und das nach „nur“ vier Alben. Die vermeintlich schrullige Aufmüpfigkeit der fünf Burgenländer ist nur Fassade für eine zutiefst kulturell interessierte Truppe. Aber um es mit ihren eigenen Worten zu sagen: „Unsere Methoden sind umstritten und sind es wiederum auch nicht.” So viel Dadaismus muss sein.
Anne-Marie Darok
Foto Ja, Panik: Christoph Voy
http://ja-panik.com/