Am 17. Februar wird in der „Alten Schmiede“ mit Thomas Pernes als Vortragendem dessen „5. Klangtheater“ (Weltspektakel) uraufgeführt, allerdings noch nicht als Endfassung. Das mica hat bereits vorberichtet. Dem Klangtheater näherte Thomas Pernes sich in immer neuen Anläufen. Friederike Mayröcker oder Ernst Jandl standen seit 1988 häufig Pate. Den Durchbruch als Komponist erzielte Pernes schon in den achtziger Jahren u. a. mit einer Einladung nach Donaueschingen. Heinz Rögl führte mit ihm im Cafè ¾-Takt unterhalb der Johann Strauß-Gedenkstätte in der Praterstraße das folgende Interview.
H. R.: Wurde das „5. Klangtheater“ schon einmal vorgestellt?
Thomas Pernes: Teile wurden schon gesendet, es gab eine virtuelle Vorproduktion des Materials für den ORF.
Was soll in der Alten Schmiede vorgeführt werden?
Ich mache einen Einblick in die Entstehung. Das wird ein Vortrag mit Hörbeispielen – davon gibt es genug, weil ich die ORF-Produktion schon habe –da man kann dann sehen, wie die Geschichte weitergehen soll, was da alles geplant ist. Das soll ein großes Klangtheater werden und braucht sicher noch Zeit, bis es dann auf die Bühne kommt, wo, das wird sich weisen. Die Klangtheater sind Projekte, die sich über Jahre entwickeln, das war schon beim ersten (1987 und 1988) so der Fall. Ich konnte seither dann alle 4, 5 Jahre ein Klangtheater machen.
Kürzlich stellte Ursula Strubinsky im zeitton die „Trilogie“ („Aus der Fremde“, „Erinnerung“, „Die Humanisten“) vor, die vor kurzem im Musikverein mit dem Ensemble „Kontrapunkte“ aufgeführt worden ist.
Das war die Jandl-Trilogie, das ist wieder eine ganz andere Schiene. Klangtheater ist ganz anders gebaut als diese Sachen.
Es waren sehr schöne Texte – auch von Ingeborg Bachmann – und die Musik, wenn es man im Radio hört, erlebt man sehr im Hintergrund und horcht genau auf den Text.
Ich habe in der Trilogie die Musik ganz bewusst so gehalten, dass sie ganz selten quasi „ausbricht“, sich vordrängt …
… aber im Vordergrund steht vor allem bei Jandl der Sprachwitz der Texte.
Das war mir wichtig und es war eine eigene Erfahrung für mich, mich einmal so zurückzunehmen. Im Feedback haben mir auch viele Theaterexperten und Literaturinteressierte gesagt, dass darin die Stärke des Projekts liegt. Ich mag Ernst Jandl sehr und habe ihn auch selber gut kennen gelernt, leide erst ziemlich spät.
Er war ja immer bereit, mit Musikern zusammenzuarbeiten und aufzutreten.
Genau. Wir haben darüber noch gar nicht geredet, das war überhaupt kein Thema – 1996 oder ’97. Vier Jahre später ist er gestorben. Die Idee mit „Aus der Fremde“ und mit Stimmen Musiktheater zu machen ist erst viel später entstanden, 2008 war die Uraufführung. „Aus der Fremde“ ist eigentlich meine „Tristan“-Musik, „Die Humanisten“ sind das Feuerwerk. Das kommt zum Schluss, weil es aus allen Richtungen heraus – auch mit den typischen Lauten – herausschießt; der polternde und sprachwitzige Jandl … das musste auch virtuos umgesetzt werden, für das Orchester ist das mörderisch schwer zu spielen. Jandl hat sehr viel von Musik verstanden und er hat ein großes musikalisches Gespür gehabt.
Der Zugang zu Jandl war Friederike Mayröcker, wie ich annehme, die sie schon länger persönlich kannten?
Ja, schon ziemlich lang. Beziehungsweise, sie kennt mich ziemlich lang. Ich war vierzehn, so lange geht das schon zurück. Und dann ist 1986 schon und 1987 dieses erste Projekt gekommen und da hat sich das dann intensiviert. Für das zweite Klangtheater habe ich auch einen Text von ihr genommen und im dritten hat sie extra einen für mich geschrieben.
Welche Texte gibt es im 5. Klangtheater?
Noch keinen defintiv, die Readymades gehören zum Klangtheater dazu, wie Abdrücke von Klängen von außen. Beim „Weltspektakel“ muss ich ganz aufmachen, da kommt Englisch, Französisch, Spanisch, Japanisch, natürlich Deutsch, ein bisschen Kunstsprache, ganz wenig. Die meisten Sachen sind Fundstücke.
Das sind radiophone Samples sozusagen. Soll das dann auf einer Bühne mit Instrumenten und Schauspielern aufgeführt werden. Die haben damit eine Funktion, aber nicht zentral, sondern mit allem anderen?
Jaja, klar. Zum Klangtheater-Konzept, bei dem ich seit 1987 geblieben bin, gehört auch, dass ich andere andere einlade, da mitzumachen. Auch beim 5. lade ich andere Künstler ein mitzumachen und ihren Beitrag zu bringen. Gerade das finde ich sehr befruchtend und spannend. Da wird es dann sehr genau komponierte, aber auch freie Sachen geben. Es ist eine sehr „tolerante“ Form, offen ist sie insofern nicht, als Klangtheater immer ein geschlossenes Ganzes sei soll. Bei allen Freiheiten – es wurde vieles oft und wiederholt aufgeführt – das Gesamtergebnis ist immer gleich. Man hat immer das gleiche Erlebnis.
Kommen wir vielleicht zurück auf Sie als Komponist. Ein Zentrum ihrer Tätigkeit sind seit über 20 Jahren diese Klangtheater, aber Sie haben auch vielfältige andere Interessen bei Neuer Musik. Sie haben Klavier studiert …
… beim legendären Bruno Seidlhofer …
… und bei Haubenstock-Ramati Komposition, Sie haben lange vor „Cross-over“-Schlagworten versucht, den Begriff der klassischen Avantgarde zu erweitern, kann man das so sagen, auch mit Volksmusik, Jazz, Improvisation, natürlich Elektronik?
Ja, in gewisser Hinsicht. Ich habe beim Staatsopern-Auftrag von Lorin Maazel in „Alpenglühn“ auch die Volksmusik hineingebracht in die Staatsoper, und zwar echte Volksmusik, das war schon eine Novität, das hat’s glaube ich vorher noch nicht gegeben. Und Jazz? … Ja … wie soll man das sagen: in der Neuen Musik ist Jazz oft in der Form, dass er so verballhornt wird, dass man ihn gerade noch erkennt. Aber in dem Moment, wo man sagt, ich trete beim Jazzfest Wiesen auf, da hat man die Hölle los. Da haben sich Leute den Mund zerrissen und haben gesagt: das war ein Tabubruch. Ich stehe aber zu diesen Sachen unbedingt, weil es Unsinn wäre, solche Phänomene zu verleugnen. Man muss sie aber so nehmen, dass die Kraft erhalten bleibt, das ist total wichtig.
Es gibt von Ihnen aber auch Instrumentalwerke neuer Musik der herkömmlichen Gattungen – Stücke für Klavier, Solocello, vier Streichquartette (Uraufführungen durch das Arditti Quartett und Artis-Quartett), Symphonie und … dann die radiophonen Sachen.
Ja, ganz strenge Formen auch, natürlich! Meine Arbeit ist sehr vielschichtig. Ich finde, das entspricht der Zeit. Ich möchte mich nicht einschränken. Aber wie die Musik gebaut ist, wie ich Sachen zueinander stelle, wie ich Spannung erzeuge, die Form bilde, ist im Prinzip immer gleich. Wenn man genauer hinhört kann man das schon heraushören, merkt man das.
Ja … „Immer gleich“, was bedeutet, das, wenn Sie sagen, dass Sie immer gleich komponieren? Das kann ja auch abwertend klingen.
Der gleiche Pinselstrich. Nein, drücken wir es statt „immer gleich“ anders aus. Das bin ich. Ich selbst. Und ich hab den musikalischen Pinselstrich.
Aber Sie sind sehr hellhörig nach außen, beziehen auch „Readymades“ mit ein usw. …
Das ist sehr wichtig, aber mir geht es auch da immer um Qualität. Und: Ich nehme ja nichts Fremdes her, alles ist dann von mir. Ich halte es auch für einen Humbug, wenn ich oft lese, „das alles ist eh schon passiert“. Das stimmt nicht. Es ist im Gegenteil einfach noch nicht eingelöst. Die „Offenheit“ vieler Leute muss man hinterfragen, was meinen die mit Offenheit? Oft ist es Pseudo-Offenheit, jeder meint was anderes damit. Ich wurde zornig, als ich einmal von einem bekannten Journalisten gelesen habe, das und das braucht man nicht mehr zu sagen.
Es ist eine Frechheit, die Diskussion so abwürgen zu wollen. Ich bleibe jedenfalls drauf und werde es auch weiterhin sagen. Weil meiner Meinung nach ist das noch nicht eingelöst. Und: Ich möchte weg von dunkel gefärbten, negativ gefärbten Musiken, wie sie heute oft gemacht werden. Das ist bestenfalls Krimimusik, davon möchte ich weg. Ich möchte auch mit dem Entertainmentfaktor arbeiten, um die Qualität von Entertaiment zu heben. Dann haben wir gewonnen. Weil dann haben wir ein Publikum und zwar ein begeistertes. Und nicht nur ein Insider-Publikum. Vielleicht ist das ja nur ein Traum. Aber vielleicht auch nicht.
John Cage sagte einmal. Macht die Fenster auf in den Konzertsälen. Heute gibt es viele Komponistinnen und Komponisten, die sagen, macht sie wieder zu, konzentriert euch mehr auf die Musik, aufs Hören, auch auf die Stille. Wir sind heute zugemüllt mit Klängen und so genannter Musik. Hören wir wirklich zu!
Ok. Es war sehr geschickt, dass die Avantgardisten damals mit Erfolg versuchten Cage in die Neue Musik zu integrieren. Aber Cage hat eben bewiesen, dass man auf genau dieselbe Weise wie strenge serielle Komponisten zum gleichen Ergebnis durch reinen Zufall kommen kann. Und diese waren geschickt genug ihn zu integrieren, damit sie ihn nicht als Gegner haben – das ist meine Theorie (lacht). Sie haben ihn auf diese Weise neutralisiert.
Höre ich da eine gewisse Kritik und eine Distanzierung heraus von einem allzu strengen E-musikalischen „Avantgarde“-Begriff?
Was ist Avantgarde? Avantgarde ist das was vorn ist. Und streng? Ich bin sehr streng. Und zwar unglaublich, dass kommt aus meiner Abstammung aus der Zweiten Wiener Schule. Im Werk selber. Das Strenge besteht darin, dass man alles perfekt macht, es muss kompositorisch hundertprozentig stimmen, es darf kein Fehler drinnen sein. Da lege ich an mich aber auch an andere die strengsten Maßstäbe, die ich überhaupt anlegen kann. Die Freiheit ist ganz woanders und das ist kein Widerspruch.
Wo ist die Freiheit?
Die Freiheit ist in der Aussage selbst. Dass man eben nicht die „Fenster zumacht“, wie Sie gerade gesagt haben. und sich einkastelt, sondern weit offen hat. Die Kunst ist ein Spiegel der Zeit. Das war schon immer so. Und das ist mir ein Bedürfnis, ich bin ja mit dem allem aufgewachsen.
Sie erstellten etwa Webern-Liedbearbeitungen, die Ildiko Raimondi gesungen hat.
Das hat ja auch eine große Tradition. Webern hat Schubert bearbeitet, ich bearbeite Webern (und Schubert auch). Das hat alles eine Tradition. Und es kommt zustande. Vor der „Zauberflöte 06“ konnte ich mir nicht vorstellen, Oper zu schreiben, dann kam das dazu. Streichquartett, symphonische Sachen …
… Klangtheater, Readymades …
… das ist aber keine Beliebigkeit, das steht alles in einem Kontext. Das passiert nicht aus einem Kalkül heraus, sondern ist mir ein Bedürfnis. So bin ich. Man erkennt meine Musik immer.
Sie wurden in der Staatsoper aufgeführt, schon vor vielen Jahren in Deutschland (Donaueschingen), dann sind Sie aber auch etwa in der Brauerei Ottakring auf dem Hefeboden gewesen mit einem Stück …
Das war der Raum ganz einfach, der mir beim Konzept des zweiten Klangtheaters sehr entgegengekommen ist. Es hat ja auch mittlerweile Mode gemacht, Musiktheater in Räumen aufzuführen, die überhaupt nicht dafür geplant sind.
Aber das braucht auch ein entsprechendes akustisches Design und die richtige Beschallungstechnik. Machen Sie das auch alles selber?
Da hab ich schon ein Team, ich stelle mir für jedes Klangtheater ein Team zusammen. Und sag’ zwar genau was ich will, aber ausgeführt wird die Technik von Fachleuten, deren Job das ist und die das hundertmal besser können als ich.
Um zum Ende zu kommen: Was gibt es sonst für wichtige Projekte von Ihnen in der nächsten Zeit?
Es gibt ein sehr wichtiges Projekt, aber über das darf ich noch nicht reden, weil noch ein paar Copyright-Fragen nicht ganz geklärt sind, jedenfalls wird dieses Projekt sehr viel Platz einnehmen. Dann gibt’s noch ein Projekt mit „Faust“-Opernfragmenten mit Schubert als Basis, weil Schubert ja drei Szenen aus „Faust“ vertont hat: Gretchen am Spinnrad, dann Gretchen im Dom und einen Chor der Engel. Und das als Ausgangspunkt genommen kann man Opern-Fragmente machen, das würde mich sehr reizen. Eine schwierige, aber sehr verlockende Aufgabe. Und die Kraft, die man dazu benötigt – ich habe es immer gerne, diese „Achttausender“ zu besteigen, das kann zur Sucht werden. Die dünne Luft da oben, aber wenn es gelingt, dann hat man wieder einen Augenblick des Lebens gekriegt.
Trotz des Wunsches nach dünner Luft – ist Wien mit all seinen musikalischen Traditionen der Ort, in dem Sie gern arbeiten und bleiben?
… Ich weiß nicht wohin es mich vielleicht noch verschlägt, aber momentan fühl ich mich ganz wohl da. … Ich werde mit zunehmendem Alter immer „radikaler“, ich war es schon 1983/84 bezüglich der notwendigen Öffnung der Oper. Ich habe auch einige Sachen ins Netz gestellt und kriege sogar Fanpost aus Paris, wo mir ganz junge Leute schreiben, dass sie toll finden, was ich mache, dass das „a Wahnsinn“ ist. Bei einer solchen Bewunderung kommt man fast in Verlegenheit. Das war auch bei der „Zauberflöte“ so, da war eine Gruppe von 16/17jährigen, die am Ende begeistert weggegangen ist. Und das bestärkt mich in meinem Denken, weil ich finde, das ist die Zukunft. Das wichtigste ist mir, dass es positiv ist. Weg vom Negativen, das Negative als Entertainment verkaufen zu wollen oder so, wie es manche Komponisten machen, das finde ich einfach verlogen.
Lieber Thomas Pernes, danke dir für das Gespräch.
http://www.pernes.net/