mica-Interview mit Son Of a Velvet Rat

Für sein im letzten Jahr erschienenes Album “Lost and Love” erhielt Georg Altziebler aka Son Of a Velvet Rat breite mediale Anerkennung. Im mica-Interview mit markus Deisenberger erzählt der vielseitige Musiker über Nashville, assoziative Texte und spontanes Verstehen.

“Ein Rucksack voll mit Ängsten”

Wie kam es dazu, dass Dein neues Album in Nashville produziert wurde?
Mit Starfish habe ich schon lange ein Label in Los Angeles. Silvia Ryder und Benny Böhm, zwei langjährige Freunde, haben meine letzte Platte dann einfach an Ken Coomer (Ex-Schlagzeuger von Wilco, Anm.) geschickt. Daraufhin rief er gleich zurück und meinte, dass er das nächste Album gerne produzieren würde. Dann kam die Sache ins Rollen: ich hab ich mich einmal erkundigt, was er so macht, er hat Ideen geschickt und so weiter und so fort.

Ideen in welcher Form?
Musikalische Ideen, Arrangement-Vorschläge.

Das heißt, da ist auch viel an musikalischen Ideen eingeflossen.
Schon, ja, Er hat ja auf dem Album dann auch Schlagzeug gespielt.

Bist Du eigentlich ein Fan von Wilco?
Eigentlich gar nicht. Ich war es nicht und ich bin es auch nach wie vor nicht. Uncle Tupelo gefiel mir besser. Die neue Wilco ist mir zum Beispiel zu harmlos, die davor zu strange. So ganz haben sie mich einfach nie erwischt.

Geht es in Deiner Musik nicht auch darum, genau das Gegenteil von “harmlos” zu sein?
So kann man das nicht planen. Das heißt, bewusst die Nicht-Harmlosigkeit anzustreben, wäre unmöglich.

Dein USA-Konnex ist ein lang andauernder, tief verwurzelter
Boris, Schlagzeuger der Band Die Brüder, und einige andere Freunde von mir leben schon länger dort. So habe ich dort einfach immer eine Art Homebase gehabt.

War es auch dieser persönliche Kontakt, der Dich dazu bewegte, in einem Stadium, in dem Dich nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande noch niemand kannte, durch dieses weite Land zu touren?
Genau. Meine Freunde haben das einfach für mich organisiert und los gings.

Aber außer diesen persönlichen gibt es auch musikalische Querverbindungen in die USA?
Das würde ich gar nicht so eng sehen. Mein Haupteinfluss ist einfach englischsprachige Pop-Musik, die aber nicht notwendigerweise aus den USA kommen muss, ebenso aber auch Chanson oder englischsprachige Musik, die aus Irland kommt. Eigentlich möchte ich gar nicht amerikanisch klingen.

Das Skurrile ist doch, dass Du in den Rezensionen meist ins Americana-Eck gestellt wurdest und im gleichen Atemzug Leonhard Cohen, Nick Drake oder die Tindesticks – allesamt nicht US-amerikanisch – als Referenzen genannt wurden.
Jounalisten machen das bewusst.

Wie meinst Du das?
Sie öffnen bewusst eine Schublade, in die sie Dich rein stecken können

Findest Du das positiv oder negativ?
Beides. Einerseits wirst Du kategorisiert, andererseits wird dem Leser uU etwas an die Hand gegeben, was ihn motiviert weiter zu lesen. Trotzdem werde ich nicht gerne verglichen.

Aber es gab doch sicher auch Musik, die dafür verantwortlich war, dass Du angefangen hast Musik zu machen.
Natürlich. Da gibt es eine ganze Menge. Wenn ich da anfange, reden wir morgen noch. Von den US-amerikanischen Leuten aus dem Singer-Songwriter-Fach war das ganz sicherlich Townes van Zandt, der mich inspirierte.

Wie war es, in den USA zu touren?
Finanziell war das natürlich zunächst einmal überhaupt nicht lukrativ. Im Gegenteil: Das musst du drauf zahlen, was aber von vorneherein klar war. Für den Auftritt selbst bekommst du nämlich nichts oder nur sehr wenig.

Das heißt, man spielt für Kost und Logie?
Nicht einmal das. Aber das Tolle an diesen Auftritten ist, dass die Sprachbarriere, die wir im deutschsprachigen Raum haben, wegfällt. Dort sprechen dich die Leute nach dem Konzert auf die Texte an, wollen das eine oder andere mit dir diskutieren, erzählen dir ihre Version oder wollen im Gespräch ermitteln, ob das, was sie für sich gehört haben mit deiner persönlichen Sicht der Dinge, die du beim Schreiben hattest, übereinstimmt. Das ist insgesamt eine völlig andere Erfahrung als bei uns, wo die Leute, die zu den Konzerten kommen, die Texte meist erst dann voll und ganz verstehen, wenn sie sich damit im Booklet der CD oder auf der Homepage auseinander gesetzt haben. Das spontane Verstehen, worum es textlich geht, fällt völlig weg.

Ist das auch ein Grund dafür, dass diese Art von Musik bei uns nicht die Tradition hat.
Schon, natürlich. Dieses – ich nenne es jetzt einfach einmal so – “Chansoniertum”, dh dass sich jemand mit der Gitarre auf die Bühne stellt und lossingt, hat bei uns einfach nicht diese Tradition. In seiner ganz frühen Phase hatte vielleicht am ehesten noch dieser seltsame Austropop etwas davon. Natürlich bevor er ins geschmacklos Seichte abdriftete.

Ist durch dieses bessere Verständnis der textlichen Ebene auch die Aufmerksamkeit eine andere?
Nein, glaube ich nicht. Mittlerweile kommen auch hier durchwegs Leute zu meinen Konzerten, die sehr ambitioniert und interessiert sind. Gerade bei meinen letzten Auftritten hätte man eine Stecknadel fallen hören können.

Du sagst mittlerweile. Hat es denn eine Zeit gedauert bis es so war wie jetzt?
Ja. Jetzt wissen die Leute einfach schon, was sie erwartet. Die Leute kommen zu mir und wissen, dass ich keine laute Musik mache. Zumindest wenn ich sie allein betreibe, ist das so. Wenn Schlagzeug dabei ist, wird es ja sowieso immer ein wenig treibender.

Wie kamst Du überhaupt dazu, leise Musik zu machen. War das einfach eine Entwicklung oder war das von Anfang an auch eine Abgrenzung gegen das, was so rundherum passierte?
Ich hab früher schon auch laute Musik gemacht, aber irgendwann ist das Gefühl immer stärker geworden, dass dieser Weg nichts ist für mich. Dass es umso besser für mich ist, je weniger Lärm um mich herum ist.

Weil die Botschaft direkter rüber kommt?
Je konzentrierter und klarer es ist, desto besser funktioniert es für mich.

Nun ist das neue Album aber doch wesentlich druckvoller ausgefallen als das letzte.
Stimmt. Das hab ich gar nicht so erwartet. Aber nachdem das doch eine sehr spontane Aufnahmesession war und die Ergebnisse sehr gut klangen, dachte ich, wehre ich mich auch nicht dagegen. Ich steh total drauf. Die Nummern sind zwar – da gebe ich Dir recht – stellenweise rockiger, aber nie rockistisch, dh poserhaft.

War die Produktion in den USA denn insgesamt mit mehr Aufwand verbunden als wenn du sie hier gemacht hättest?
Eigentlich nicht. Die Studios drüben und auch die Studiomusiker sind viel billiger als hier. Einfach, weil es in Nashville über dreitausend Studios und wahrscheinlich zwei-dreihunderttausend Musiker gibt und daher ein wahnsinniger Konkurrenzdruck herrscht. Die ganze Stadt lebt vom Country. Von Mainstream bis Underground.

Das bedeutet natürlich auch, dass du für sehr wenig Geld fabelhafte Musiker bekommst.
Bestimmt.

Ist Nashville nicht auch ein sehr skurriler Platz?
Auf jeden Fall. Nashville ist eine Stadt, die voll und ganz von der Musik lebt. Man muss sich dort nur die Türschilder anschauen. Das sind einfach zum weitaus überwiegenden Teil Firmen, die mit Musik zu tun haben. Sonst ist es eine Stadt wie viele andere in den USA mit einer mehr oder weniger interessanten Donwtown, ein paar Wolkenkratzern, den üblichen Suburbs. Könnte genauso irgendwo in Texas sein.

Das heißt doch eigentlich auch, dass es für jemanden, der einmal nichts mehr mit Musik zu tun haben möchte, keine Rückzugsmöglichkeit gibt.
Wenn man einmal nichts mehr mit Musik tun haben möchtest, muss man die Stadt verlassen.

Und hat es sich der Gang nach Nashville insgesamt ausgezahlt? Jetzt kannst Du natürlich schlecht nein sagen.
Stimmt. Ich würde aber auch nicht nein sagen. Das Ganze ging einfach irrsinnig schnell. In einer Woche war das gesamte Album fertig. Dieses spontane Gefühl gefiel mir eigentlich sehr gut. Im Vergleich zur letzten Platte, an der ich alles in allem wohl eineinhalb Jahre herum gebastelt habe, war das ein starker Kontrast. Einfach ein ganz anderer Prozess…

Und diese Spontanität übte wohl auch eine gewissen Faszination aus?
Auf jeden Fall. Ich kannte auch die Musiker alle nicht. Die saßen da und warteten. Dann kam ich, spielte ihnen die Nummern im Regieraum auf der Akustikgitarre vor. Einen der drei ersten Takes nahmen wir dann jeweils.

Ist das dort von der Arbeitsweise her üblich?
Ja. Angeblich ist das dort so üblich.

Du bemühst in Deiner Musik Motive wie Trennung, Schmerz und Tod, die mit Mainstream-Country herzlich wenig zu tun haben. Hattest Du den Eindruck, verstanden zu werden oder war es schwer, diese Inhalte musikalisch begreiflich zu machen.
Ich glaube, dass auch diese Motive im Country, zumindest abseits des Mainstreams, nicht ganz unüblich sind. Und meine Musiker kamen nicht aus dem Mainstream. Das waren eher Leute aus der Underground-Schiene, die sehr schnell erfassten, worum es mir geht und sehr genau auf den Text eingingen. Wir haben gemeinsam Passage für Passage darüber gesprochen, wie man die eine oder die andere spielen oder ausdrücken müsste, um den Text bestmöglich zu transportieren. Die ganzen Aufnahme-Sessions liefen überhaupt sehr sehr textbezogen ab.

Wie war das anfangs bei Dir? Kamst Du über den Text zur Musik oder umgekehrt?
Bei mir waren beide Teile immer gleichberechtigt.

Also es war immer klar, dass Du Deine Texte musikalisch umsetzen willst.
Sagen wir so: Ich würde nicht Englisch schreiben, wenn ich nicht Musik machen würde. Wäre das der Fall, würde ich sicherlich auf Deutsch schreiben. Aber nachdem der Text mit der Musik zusammenhängen soll, ist für mich Englisch die beste Sprache, die einem außerdem, weil sie eben nicht Muttersprache ist, eine gewisse Distanziertheit gibt, die es einem wiederum ermöglicht, die Sprache gleichzeitig als Material und als Werkzeug zu verwenden. Das ist ein äußerst interessantes, aber gleichzeitig ungemein schwer auszudrückendes Phänomen.

Wie würdest Du die Grundstimmung Deiner Musik, die ja oft mit “depressiv”  verwechselt wird, beschreiben. Oder anders gefragt: Was macht die Faszination der dunklen Seite oder daran, die dunkle Seite hervor zu kehren, aus?
Es ist schon so, dass jeder einen Rucksack voll mit Ängsten mit sich herumträgt. Ich habe eben diese Methode gewählt, um damit umzugehen. Ich bin nicht depressiv. Vielleicht aber wäre ich es, wenn ich nicht diese Art von Musik machen würde.

In Deinen Texten geht es meistens um besondere Momente, um die Fokussierung auf einen ganz bestimmten Augenblick, den es festzuhalten gilt. Du betreibst eher Momentlyrik als dass Du Geschichten erzählst.
Genau. Die Texte sind sehr assoziativ, haben aber – so hoffe ich zumindest – immer auch viele verschiedene Ebenen, die man anstechen kann, an denen man sich reiben und die man sich als Stimmungen aneignen kann. Wo einen das Lied dann erwischt.

Wie textest Du? Kommt der Text vorher oder die Musik?
Ganz verschieden. Derzeit bin ich dabei, Lieder zu schreiben, bei denen ich von Melodien ausgehe. Oft aber ist es auch umgekehrt.

Das heißt Du hast schon wieder etwas im Köcher?
Das Schreiben ist ein ständiger Prozess, auch ohne Platten. Aber wahrscheinlich werde ich schon im nächsten Jahr wieder ein Album angehen.

Es gab einen breiten Konsens bei den Kritikern, dass die jetzige und auch deine letzte Platte hervorragend waren. Drückt sich dieser “universal acclaim by the critics”, wie man im Englischen so schön sagt, auch in Zahlen auf Deinem Bankkonto aus? Oder steht das auf einem ganz anderen Blatt geschrieben?
Das steht eindeutig auf verschiedenen Blättern geschrieben. In Österreich können dich alle Kritiker extrem loben, aber dein Konto wird das nicht im geringsten in Bewegung bringen. Das liegt wohl daran, dass der Markt so klein ist. Wenn man bei uns 2.000 Platten verkauft, gilt man schon als erfolgreich. Wie viel bei selbst 2.000 verkauften Platten für einen Künstler übrig bleibt, kann sich jeder ausrechnen. Aber Gott sei Dank ist der Plattenverkauf ja nicht die primäre Einnahmequelle, sonst sähe es ganz schön düster aus.

Was ist Deine primäre Einnahmequelle?
Live-Auftritte.

Machst Du Deine Musik hauptberuflich?
Sagen wir mal so: Eigentlich schon. Ich muss aber immer wieder nebenbei arbeiten. Vor allem weil ich zwei Kinder habe, die leider nicht bei mir wohnen, für die ich aber Unterhalt zahlen muss.

Hat die Finanzspritze des Musikfonds etwas bewirkt?
Bei der ersten Platte “Playgrounds” schon, indem ich einfach etwas entspannter arbeiten konnte.

Bewegt sich denn auch in Deutschland etwas?
Wir erhielten sehr gute Kritiken im Visions und auf Plattentest.de und auch in diversen anderen Foren. Ob sich das allerdings dann in Plattenverkäufen niederschlägt: Keine Ahnung. Ich für meinen Teil glaube, dass wirklich flächendeckend eins ins andere greifen muss, damit sich wirklich etwas bewegt.

Du hast das Live-Geschäft angesprochen. Son Of A Velvet Rat gibt es als Band. Man kann Dich aber auch einzeln oder als Duett buchen. Ist dieser Variantenreichtum den doch recht unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten der Klubs geschuldet?
Ja. Ich spiele sehr gerne auch alleine wie erst neulich im WUK oder auch zu zweit. Wenn mehr Geld zur Verfügung steht, spiele ich aber recht gerne auch in größerer Besetzung. Alles hat seinen ganz eigenen Reiz.

Was ist als nächstes geplant?
Wir werden die Platte demnächst in Süddeutschland präsentieren und touren. Kommendes Jahr geht es ab Februar dann durch ganz Deutschland.

Hast Du vor, das nächste Album wieder in Nashville zu machen?
Keine Ahnung. Einerseits hatte diese Spontanität schon ihren eigenen Reiz, andererseits kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt wirklich noch nicht sagen, welche Vorgehensweise ich für die Songs des nächsten Albums für angebracht halten werde. Aber wenn ich wieder drüben aufnehmen würde, dann nur mit diesen Musikern. Ich würde Ken Coomer anrufen und ihn bitten, das Gleiche noch einmal zu machen. Ich weiß aber nicht, ob das finanziell noch einmal möglich sein wird. Aber wenn, dann genau so.

Foto Georg Altziebler 1: M. Nemeskal
Foto Georg Altziebler 2: H. Binder
Foto Georg Altziebler 3: M. Wegscheidler

Son of the Velvet Rat

 

 

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