mica-Interview mit Roland Neuwirth

Dialekt in der Jazz- und Popmusik Österreichs erfreut sich wieder höchster Aktualität. Dieser erfrischende Versuch, Authentizität mit künstlerischer Freiheit zu paaren, ist Anreiz genug, sich näher damit zu beschäftigen. Anfang der Feldforschung sei bei den Schmieds des Wienerliedes zum Thema Dialekt in Wien / Wiener Musik / Wienerlied selbst gemacht, was sie bewegt hat, Musik obriger Kategorie u.ä. zu spielen, wie sie gegenwärtige Musiken wahrnehmen und einschätzen. Herr Roland Neuwirth (Extremschrammeln) hat sich freundlicherweise zu einer Befragung bereit erklärt. Das Interview führte Alexandra Leitner.

Sehr geehrter Herr Neuwirth! Sie haben Jazz studiert, eine Musik die extrem von gegenseitiger Befruchtung verschiedenster Kulturen lebt, sprachlich aber oft auf „englisch“ reduziert wirkt. Wie kamen Sie zum Dialekttexten bzw. führte die Mundart zur Auseinandersetzung mit, Erneuerung  von und Liebe zu Wienerlied?

Roland Neuwirth: Ich habe nicht Jazz, sondern (1973-77) klassische Gitarre studiert. Vorher spielte ich – noch als musikalischer Analphabet – Kontrabass in einer Swing- & Dixie-Band, sang dann Blues, irgendwann dann auch mit Franz Bilik, dem ersten Wiener Liedermacher. Das Bluesspielen hatte eine Identitätskrise und schließlich die Erkenntnis mit sich gebracht: Englisch ist nicht meine Sprache, meine Hautfarbe nicht schwarz, sondern weiß und ich komme nicht aus Louisiana, sondern aus Wien.

Erst als spätberufener Student, ich war schon 23, lernte ich Notenlesen, Harmonielehre und vieles andere, machte meinen Abschluss als Gitarrelehrer und konnte meinen Brotberuf Schriftsetzer endlich aufgeben und unterrichten. Es war aber bald auch klar: Wenn man kein Segovia ist, hat man mit der klassischen Gitarre keine große Möglichkeit. Als Schrammelgitarrist hatte ich aber mit einem Mal eine wichtige Funktion, konnte meine Sprache singen, Lieder schreiben und auch auftreten. Ich vertiefte mich in alte Partituren und entdeckte durch den Schellacksammler Johnny Parth historische Blues,- vor allem aber alte Schrammelaufnahmen. Diese waren so unglaublich inspirierend, dass ich von dieser Musik nicht mehr loskam. Eigene Lieder schrieb ich deswegen, weil die alten nichts mit mir und meiner Zeit zu tun hatten. Und weil das „Dichten“ schon seit frühester Kindheit ohnehin meine Passion war. 1974, während meines Musikstudiums, gründete ich die „Neuwirth-Schrammeln“, 1978 spielte ich meine 1. LP mit eigenen Wienerliedern ein.

Was braucht es, um Volksmusik ansprechend zu „verjazzeln“ ohne den „Biss“ herauszunehmen? Was verstehen Sie unter künstlerischer Integrität (MusikerInnen)?

Roland Neuwirth:
Man darf das „Wienerlied“ als solches nicht generell mit der „Schrammelmusik“ gleichsetzen. Während man die Lieder mit allen möglichen Instrumenten begleiten kann, ist das Schrammelquartett eine spezielle Besetzung. Mit ihr kann orchestrierte Musik gespielt werden, wobei die Streicher klangbildend sind. Ich habe daher beim Komponieren immer gleich auch die Stimmen des Quartetts im Ohr, meine Lieder wurden daher immer für eine bestimmte Besetzung geschrieben. Sie für andere Instrumente zu bearbeiten bedeutet für mich eine Reduzierung bzw. Notlösung, ist jedenfalls nicht in meinem ursprünglichen Sinne.

Volksmusik zu „verjazzeln“ hatte ich nie im Sinn. Es ging, im Gegenteil, darum, der verkitschten Wienermusik das Ursprüngliche entgegen zu halten. Erst nach und nach erweiterte ich die Harmonien und es drängten sich auch neue musikalische Strömungen in meine Musik. Anfangs beeinflusste mich auch der Austropop. Er stellte sich aber bald als zu oberflächlich und musikalisch beschränkt heraus. Ich formierte (1982?) für 3 Jahre eine rockige Schrammelband. Die Verstärkungstechnik war damals aber noch viel zu rückständig, um laute Musik zu machen, die auch gut klang. Wir klangen rotzig und schrill. Ein Journalist gab uns daraufhin den Namen „Extremschrammeln“. Die Geiger regten sich natürlich auf, dass ein Piano immer vom Verstärkerbrummen gestört wurde. So fand ich wieder zur Originalbesetzung zurück. Mit der Entwicklung der Tontechnik wurde es langsam möglich, unsere akustischen Instrumente brauchbar zu verstärken und damit nicht nur saaltauglich zu machen, sondern überhaupt einen neuen Sound zu entwickeln. Zudem wurden meine Schrammelarrangements anspruchsvoller und immer genauer. Das alles zusammen ließ schließlich den „Neuwirth-Stil“ entstehen. Und auch der Blues ging plötzlich – wie aus einem Guss – mit dem Wienerlied zusammen. Ich wollte davon aber weg. Viele Jahre später erst gelangen mir ein paar Würfe, von denen ich meine, dass sie die Musik schon ziemlich verändert bzw. weitergebracht haben.

Worin sehen Sie Gründe, dass fast zwei Generationen nach dem Austropopboom Umgangssprache  bzw. Crossover mit österreichischer Volksmusik beliebter ist denn je? Was gefällt Ihnen besonders gut?

Roland Neuwirth: Wenn von den Medien und Plattenfirmen ganze zwei österreichische Generationen mit Großteils englischsprachiger und bundesdeutscher Unterhaltungsmusik zugeschüttet werden, hat das dementsprechende Auswirkungen. Das – und als einzige Alternative dazu der volkstümliche Schlager –  führt bei jedem halbwegs intelligenten Hörer zu Frustration. Die Sehnsucht nach eigener Sprache und musikalischer Ausdrucksform wird sich entweder verstärken oder aber die Identität durch zu viele anglikanische und bundesdeutsche Idiome gänzlich ausgelöscht. Was den Dialekt betrifft, zeigt sich ja längst, dass er zunehmend durch deutschen Slang ausgetauscht wird. Nicht ersetzt, sondern ausgetauscht, denn Mundart ist ja unersetzlich. Wie die Eltern, so werden logischerweise auch die Kinder sprechen und die gewachsene Sprache sich daher weitgehend dem Bundesdeutschen angleichen. Sie wird dann nie wieder gesprochen, daher auch nicht gesungen werden. Da gewachsene Musik aber immer sprachbezogen und also von ihrer Sprache abhängig ist, wird beides zusammen verschwinden.

In allerletzter Zeit fällt mir jedoch – gottseidank – bei den Jungen eine starke Besinnung auf die eigene Sprache auf. Zu eigener Musik ist es dagegen ein längerer Weg, denn diese erfordert nicht nur Haltungsänderung, sondern einschlägige, intensive Beschäftigung und Übung, das ist mit großem Zeitaufwand verbunden.

Wenn es aber erst einmal „gefunkt“ hat, wird sich eine wahrlich große Welt auftun. Als musikalisch interessante Erstschritte machend empfinde ich Jungformationen, wie die „Foischn Weana“, textlich vielversprechend z. B. die „Zwa Voitrottln“, man darf gespannt sein, was noch auf uns zukommen wird. Zwar haben die „Extremschrammeln“ durch ihre Pionierrolle schon sehr viele Wienerlied- und auch ein paar Schrammelgruppen entstehen lassen, doch erst der jetzigen Generation traue ich es zu, nicht nur interpretatorisch, sondern auch wieder schöpferisch stark genug inspiriert zu sein, um wirklich Neues auf die Welt zu bringen, das man, ungeachtet bloßen Interpretierens als wirkliches „Werk“ bezeichnen kann. Vorausgesetzt, die Leute können wirklich spielen, haben das Handwerk gelernt.

Wenn Sie einen Begriff „Neues Wienerlied“ definieren sollen, wie würde der ausschauen? Wie darf das musikalisch klingen? Von wie viel „Welt“ darf „Neues Wienerlied“ sein?  Welche Qualitäten gehen mit Wienerlied, ob neu oder traditionell, einher Ihrer Meinung nach?  „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder“. Aus der Geschichte weiß man, dass Musik  wirksames Instrument sein kann um Veränderungen zu bewirken und an Werte zu erinnern. Wie soll man mit dieser Möglichkeit umgehen, was wird gebraucht?

Roland Neuwirth:  Bis jetzt die beste Frage! Nämlich: Wienermusik – von dem klassischen, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Begriff hergeleitet – kann man nicht neu erfinden. Sie ist ja längst da. Sie ist auch nicht mehr zu entwickeln, weil sie längst entwickelt ist. Man kann sie nur weiter tragen, sie verändern, „bereichern“, ausweiten. Sie definiert sich durch ihre spezifische Melodik. Diese typische Melodieführung kann man nun über ein Fundament bauen, das rhythmische Neuerungen bringt, sie kann klanglich verändert werden, Harmonisch erweitert, verändert, umgedeutet, aber ebenso auch extrem minimalisiert werden (siehe Ernst Kölz und seine Artmann-Vertonungen). Sie darf alles Mögliche, nur eines nicht: ihr melodisches Gesicht so weit verändern, dass sie in ihrer Melodie nicht mehr als Wienermusik erkennbar ist. Fusionen kann es ebenfalls in Vielzahl geben, diese werden aber immer verwässernd wirken und die Konturen verwischen. Es braucht das richtige Maß, dass die eigenständige Ausgangsbasis noch deutlich genug durchzuhören ist.

Vielmehr geht es um echte Innovation, welche naturgemäß nicht von vornherein bestimmbar sein kann. Was weiß man, wie dieser „göttliche Funke“ einmal klingen wird? Rein sprachlich ist das „klassische“ Wienerlied jedenfalls weniger als solches klassifizierbar als durch seine Melodik und Harmonienfolge. Nur weil Wolfgang Ambros in der (breiten) Wiener Mundart singt, kann man noch lange nicht von einem Wienerlied reden. Er singt Dialektsongs, nichts weiter. Dagegen ist ein Wienerlied auch dann noch als solches zu erkennen, wenn es chinesisch gesungen wird. Weil es eben die spezifische Wiener Melodik hat, der wienerisch gesungene Austropop hat sie dagegen nur äußerst selten. Seine Musik hat typisch amerikanische Grundzüge. Es handelt sich bei ihm um regionalen Pop. Vergleicht man allein dessen Satzweise mit der der Wienermusik, so kommt letztere eher aus der klassischen Schule. Ihre Melodieführung und Harmonik kann sehr einfach sein, hat aber selbst dann noch einen völlig anderen Beweggrund, nämlich den der verinnerlichten, „unbedingten“ Melodie, samt ihren unverwechselbaren stilistischen Floskeln, während, umgekehrt, in den ersten Austropop-Nummern die Melodie oft erst durch ein zugrunde gelegtes Akkordschema entstanden ist.

Im Übrigen – ganz wichtig! –  zählen zum Wienerlied viele Sujets, wie das Walzer-, Marsch-, das Heurigenlied (Trinklied), das lansame, erzählerische, ländlerhafte und das Gstanzllied, das Couplet, das Duettlied, der Dudler… Ganz zu schweigen davon, dass der Gesang immer in geistiger Verbindung mit den „Weanatanz“ bzw. überhaupt mit der reichhaltigen wienerischen Instrumentalmusik sowie der Tanzmusik steht.

Wienermusik ist also eine sehr komplexe, weitgespannte Kultur (die noch dazu mit der Weinkultur in enger Verbindung steht). Das Wienerlied ist nur ein Teil davon, wenn auch ein wichtiger. Wenn man aber „Wienerlied“ sagt, muss man sich immer die ganze Welt der „Wienermusik“ dazu denken. Und diese entstand im Schmelztiegel der Kronländer, in einer ganz gewissen Stimmung, einem Lebensgefühl, als man noch stolz war, ein Wiener zu sein und einem kaiserlichen Imperium anzugehören. Es war der Nährboden, aus dem eine selbstbewusste, nämlich eine ganze Musikepoche gewachsen war. Dieser Stolz, samt dem Imperium, ist längst dahin.

Unser Nährboden ist ein gänzlich anderer. Die Frage: Ist er überhaupt noch Nährboden genug, um nachhaltiges entstehen zu lassen? Denn die Ringstraßenzeit ist als allumfassende Kultur, in der eines ins andere griff, zu verstehen, in welcher die Musik nur deshalb so berühmt werden konnte, weil sie dieser Kultur angehörte. Wir aber gehören ihr nur mehr historisch an. Wir sind umorientiert. Unsere Tradition ist eine gebrochene. Man muss sie erst suchen, dass man sie finden kann. Die meisten Wiener kennen sie gar nicht. Das bedeutet: Unser Selbstverständnis ist nicht mehr selbstverständlich. Eigentlich schreiben wir unsere Lieder auf einem Scherbenhügel, jeder für sich allein.

Was ist das Geheimnis an der Musik, dass man, scheint es, (Gott sei Dank) nicht mehr  Aufhören kann, wenn man einmal Blut geleckt hat?

Roland Neuwirth:
Dieses Geheimnis soll nicht entzaubert werden. Es soll eines bleiben. Ohne Musikalität jedenfalls kann man davon nicht süchtig werden, das steht fest.

Herzlichen Dank!

Foto Roland Neuwirth © Johannes Cizek
Foto Extremschrammeln © Johannes Cizek
Foto Roland Neuwirth live © Ernst Schauer

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