„MEINE ROLLE ALS DIRIGENTIN IST: ‘HELP, BUT NEVER DISTURB!’.” – ALJA KLEMENC IM MICA-INTERVIEW

Die aus Slowenien stammende Dirigentin Alja Klemenc absolviert derzeit ihr Masterstudium Dirigieren an der Gustav-Mahler-Privatuniversität für Musik in Klagenfurt sowie ihr Postgraduiertenstudium für zeitgenössisches Repertoire am Conservatorio della Svizzera italiana in Lugano. In der Saison 2024/25 hat sie mit der Slowenischen Philharmonie das Werk “Voie” für Chor und Orchester” von Vinko Globokar aufgeführt und das Familienabonnement mit Werken slowenischer Komponist:innen dirigiert.

Klemenc ist auch Gründerin des Alma Mahler Musikvereins, ein Kammerorchester mit Zentrum in Klagenfurt, das sich vorwiegend aus Student:innen und Absolvent:innen der Gustav-Mahler-Privatuniversität (formals Konservatorium) rekrutiert. Neben groß besetzten Aufführungen wie Pergolesis “Stabat Mater” setzt der AMMV auch in der Kammermusik Akzente: zurzeit findet unter dem Titel “Konzertreihe Vol. 2” ein Festival der kleinen Besetzungen statt, das auf einen Mix aus zeitgenössischer und klassischer Musik setzt und sich wachsender Beliebtheit erfreut.

Gustav Mahler hatte mehrere sogenannte Komponierhäuschen, wo er im Sommer Ruhe zum Schreiben fand. Dort hat auch die Geschichte Ihres Kammerorchesters, dessen Gründerin Sie sind, den Ausgang genommen.

Alja Klemenc: Eines von Mahlers Komponierhäuschen ist eben in Maiernigg beim Wörthersee. Hier hat er unter anderem an der 4., 5., 6. und 7. Sinfonie gearbeitet; daher seine Bedeutung für Kärnten und daher auch der Name der Privatuniversität. Unser offizielles Gründungsjahr ist 2022, aber schon im Oktober ’21 hatten wir das erste Projekt. Das war eigentlich ein Zufall: ich wurde gefragt, ob ich Mahlers “Vierte” am Klavier spiele, und ich schlug vor, dass wir das mit einem Orchester machen könnten. Und so habe ich alle meine Freunde von der Uni in einer Kammerbesetzung zusammengetrommelt, und wir spielten beim Komponierhäuschen von Gustav Mahler.

Bid des Kammerorchesters des Alma Mahler Musikvereins, Aufführung von Mahlers 4. Symphonie in seinem Komponierhäuschen in Maiernigg
Kammerorchester des Alma Mahler Musikvereins, Aufführung von Mahlers 4. Symphonie in seinem Komponierhäuschen in Maiernigg © Valentina Belej Šon

Im Freien?!

Alja Klemenc: Ja, “open air” – mitten im Wald! Das war ein ganz besonderes Konzert. Danach waren viele Musiker und Musikerinnen so Feuer und Flamme, dass sie weiter machen wollten. Ich wollte ganz offiziell einen Verein gründen, und so ist das entstanden.

Und der Name des Alma Mahler Musikvereins?

Alja Klemenc: Ich habe den Namen ganz bewusst ausgesucht, denn alle sprechen über Gustav Mahler, aber kaum jemand weiß, dass auch Alma Komponistin war, zumindest bis zu ihrer Heirat mit Mahler. Sie war für mich eine sehr beeindruckende Person, eine für ihre Zeit kontroverse Frau, die sehr viele verschiedene Künstler inspiriert hat, eigentlich nie frei war, aber immer frei sein wollte. Und ich dachte, das ist eine gute Inspiration für unseren Verein – denn ich bin selbst eine Frau, wir haben viele Musikerinnen, und wir möchten Menschen inspirieren und verschiedene Kunstformen miteinander verbinden.

Wie wird man Dirigentin?

Alja Klemenc: Ich habe mit dem Klavierspielen angefangen, aber bereits mit 13 Jahren in Slowenien den Kirchenchor und verschiedene Ensembles dirigiert – natürlich noch ohne viel Wissen darüber, wie man eigentlich dirigiert. Während meines Studiums wurde mir dann wohlmeinend davon abgeraten, Dirigentin zu werden, da dies ein sehr schwieriger Beruf für eine Frau sei. Es ist zwar eine Frage der Autorität, denn im Orchester gibt es immer eine gewisse Hierarchie – natürlich nicht mehr so stark wie im letzten Jahrhundert. Dennoch trägt der:dieDirigent:in die Leitung und die Verantwortung.Ich habe mich aber nicht entmutigen lassen, denn ich liebe Dirigieren, ich liebe neue Musik und ich habe ganz einfach weitergemacht. Meine Rolle als Dirigentin ist: Help, but never disturb. Wenn man das schafft, dann ist man schon zu 90% am Ziel. Es ist allerdings ein ganz schmaler Grat…

Das stelle ich mir unglaublich schwierig vor, weil das ja im Moment passiert. Man muss also sehr geistesgegenwärtig sein.

Alja Klemenc: Intuition ist auch wichtig. Und man muss auch gerne mit Menschen arbeiten.

„die Studierenden erwarten, dass sich nach dem Studium plötzlich die Möglichkeiten auftun. Das ist der falsche weg.”

Ein Orchester auf die Beine zu stellen, ist auch keine leichte Übung.

Alja Klemenc: Am Anfang von meinem Studium habe ich bemerkt, dass ich, wenn ich Dirigentin werden will, selbst ein Ensemble oder Kammerensemble ins Leben rufen muss. Daher habe ich alle meine Freunde aus der Universität eingeladen, mitzuwirken, und jetzt gibt es uns schon fast fünf Jahre! Manche sind am Anfang von ihrem Studium, manche schon fünf Jahre fertig. Das ist eine sehr schöne Kombination, denn die Jungen können von Älteren lernen und umgekehrt. Oft erwarten die Studierenden, dass sich nach dem Studium plötzlich die Möglichkeiten auftun. Aber ich finde, das ist der falsche Weg, denn nach dem Studium ändert sich nichts.

Bild des Projekts Stabat Mater - Aufführung in Stadthauptpfarrkirche Villach-St.Jakob
Projekt Stabat Mater (2025) – Aufführung in Stadthauptpfarrkirche Villach-St.Jakob © Valentina Belej Šon

Würden Sie sagen, es ist hier in Klagenfurt leichter als zum Beispiel in Wien oder Graz? Dadurch, dass alles vielleicht informeller ist?

Alja Klemenc: Also Klagenfurt ist schon eine große Stadt, und es gibt Platz für alle. Und vielleicht ist es in gewisser Weise einfacher, weil es nicht so viel Konkurrenz gibt wie z. B. in Wien. Dort ist es natürlich schwieriger, Förderungen zu bekommen und auch Publikum. Man muss ja immer wissen: warum und für wen mache ich so ein Projekt. 

„Wir haben klein angefangen, aber wir wachsen.”

Um die Osterzeit haben Sie das “Stabat Mater” von Pergolesi mit Ihrem Orchester und Sängern aufgeführt – ein großes Projekt.

Alja Klemenc: Wir haben das heuer an drei Orten aufgeführt: Ossiach, Klagenfurt und Villach. Das “Stabat Mater” war jetzt schon das dritte Mal auf dem Programm, weil wir dieses Stück lieben und wir versuchen es jedes Jahr zu machen. Wir laden über Auditions neue Sängerinnen und Solist:innen ein, denn wir möchten auch anderen eine Starthilfe bei ihrer Karriere geben. Bei diesem Konzert haben wir auch “Adoration“ von Florence Price aufgeführt und das Cello-Konzert von Max Bruch, für das wir den jungen Cellisten Leonard Razboršek aus Ljubljana gewinnen konnten.

Wie wurden die Konzerte angenommen?

Alja Klemenc: Es war überraschend gut. Wir machen ja alles allein, Plakate, Flyer, Zeitungsannoncen. Wir haben ganz klein angefangen, aber wir wachsen.

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Im Moment läuft gerade die von Ihnen initiierte “Konzertreihe Vol. 2” im Mittleren Saal des Konzerthauses, in dem ja auch die Gustav-Mahler-Privatuniversität untergebracht ist. Eine Serie von Kammermusikkonzerten mit breitgefächertem Repertoire.

Alja Klemenc: Wir haben bemerkt, dass es nicht so viel Angebot für Solo- und Kammermusik gibt. So haben wir beschlossen, diese Reihe zu machen, bei freiem Eintritt, jeden Mittwoch von 7. Mai bis 4. Juni. Das Ziel ist, dass jedes Mitglied unseres Ensembles, das bereit ist, ein größeres Programm zu spielen, auch die Möglichkeit dazu bekommt. In diesem Jahr haben wir versucht, bei jedem Konzert neben klassischer Musik auch zeitgenössische Werke zu präsentieren. Ganz neu ist die Schiene „Composer in Residence“ – in diesem Jahr war das Anastasia Romanova, die für diesen Anlass zwei Werke komponiert hat. Für sie war es die erste Gelegenheit, sich als junge Komponistin zu präsentieren und dem Publikum etwas über sich selbst und ihre Kompositionen zu erzählen.

Beim diesjährigen “Mahler Forum”, das am 13. und 14. Juni stattfindet und bei dem zentrale Fragen unserer Zeit aus der Perspektive von Musik, Kunst und Wissenschaften erörtert werden, zeichnet das Ensemble des Alma Mahler Musikvereins unter Ihrer Leitung erneut für die musikalische Gestaltung verantwortlich.

Alja Klemenc: Wir sind jetzt schon das dritte Jahr dabei beim Mahler Forum. Das Thema ist heuer “Zuhören als politische Kraft”. Wir werden am 13. 6. ein neues Stück von der jungen Komponistin Tinkara Zupan, die an der Gustav Mahler Privatuniversität studiert, uraufführen. Ganz toll bei diesem Konzert ist, dass das Werk zweimal gespielt wird – zu Beginn und am Ende der Veranstaltung. Beim ersten Hören wird man vielleicht noch nicht alles verstehen. Nach dem Gespräch mit der Komponistin wird manches klarer und man bekommt beim zweiten Mal ein anderes Hörbild.

Das ist dann die “transformative Kraft des Zuhörens”.

Alja Klemenc: Genau. Der zweite Tag des Mahler Forums findet dann übrigens beim Komponierhäuschen statt.

So schließt sich der Kreis. Wir danken herzlich für das Gespräch.

Philipp Tröstl

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