Andere zieht es nach Berlin, ELENA SHIRIN begann direkt mit den USA: Die Wienerin hat bereits in den Anfangsjahren ihrer Karriere die volle Dröhnung des Artist-Daseins durchlebt und ist über zwei Jahre lang mit der Band MOON HOOCH quer durch die Vereinigten Staaten aufgetreten. Zurück in Wien, mitten im Arbeitsprozess von ihrem nächsten Album, blickt ELENA SHIRIN auf diese prägende Zeit zurück und spricht im Interview mit Katharina Reiffenstuhl über die Erfahrungen in den USA, die Relevanz von Communities und Nachhaltigkeitsansätze im Musikbusiness.
Du hast sehr früh begonnen zu schreiben. Woher hat dein 12-jähriges Ich seine Inspirationen genommen?
Elena Shirin: Das war schlicht und ergreifend ein Coping-Mechanismus und ein Versuch, Wunden durch Schreiben zu heilen. Es hat mir sehr viel Orientierung gegeben, was ich fühle und warum ich es fühle.
Wie hat sich dein Zugang zum Schreiben über die Jahre verändert?
Elena Shirin: Bis 2019 habe ich mir am leichtesten getan, Songs mit Schmerz und Trauer als Quelle zu schreiben. Aber eigentlich bin ich ein Mensch, der so viel Lebensfreude spüren kann und so viel Liebe zu geben hat, irgendwann gab es diesen Punkt, wo ich mir gedacht habe, dass ich gerne aus Positivität und Liebe schöpfen würde. Das war dann eine sehr bewusste Entscheidung, ich habe probiert, die positiven Erfahrungen mindestens genauso wichtig zu nehmen. Jetzt mache ich beides. Man kann das ja auch gar nicht so trennen.
Deine Musik kommt trotz verschiedenster Einflüsse ziemlich aus der elektronischen Ecke. Was waren deine ersten Berührungspunkte damit?
Elena Shirin: Die ersten elektronischen Dinge, die ich gehört habe, waren, als mir meine Mama KRUDER & DORFMEISTER oder BONOBO gezeigt hat. Ich hatte viele Berührungspunkte mit verschiedenster Musik. Essentials wie die BEATLES habe ich extrem spät erst entdeckt, was jetzt im Nachhinein total absurd ist. Aber für mich war alles Musik. Alles, was mich berührt, ganz egal in welchem Genre, gibt mir Inspiration. Ich kann auch vier Stunden am Boden liegen und BACH hören. Musik passiert nicht in Genres, sondern in Lebensphasen und Emotionen.
Du bist zu Beginn deiner Karriere erstmal in die USA gegangen. Was hast du dort erlebt?
Elena Shirin: Man muss damit anfangen, dass ich an den Staaten selbst eigentlich nie wirklich interessiert war. Aber das Leben schupft einem ganz lustige Sachen zu und es hat sich dann ergeben, dass ich eine Tour als Opener spielen durfte, mit einer Band, die in den USA schon recht groß war. Zu der Zeit habe ich gerade in Linz studiert, aber war mir bei dem sowieso nicht sicher, ob das gerade das Richtige für mich ist. Dann war dieses Tour-Angebot und da habe ich gewusst: “Passt, tschüss. Ich mach diese Tour”. Dann bin ich dort hin. Wir haben 26 Shows in einem Monat gespielt, also es war hart. Ich habe mir da echt ein Bootcamp ausgesucht. Ich habe in der Zeit in den USA so viel gelernt, über mich selbst, über Musik, über Menschen und mein Surrounding. Gleichzeitig hat es mich auch so viel gekostet, egal ob Nerven, Geld oder Tränen. Aber ich werde immer dankbar sein für die Zeit. Sie hat mich dorthin getragen, wo ich jetzt stehe.
Wie lange warst du weg?
Elena Shirin: Zweieinhalb Jahre. Und dann war Corona. Dann wurde es noch spannender, weil dann bin ich auch steckengeblieben. Nach der Tour hatten wir eine Pause. Da haben wir bei den Eltern von meinem damaligen Freund im Wohnwagen gewohnt für geplanterweise zwei Wochen – diese zwei Wochen haben sich dann in vier Monate verwandelt, weil eben Pandemie war. Wir sind vier Monate mitten in der Pampa gewesen, da gab es nichts, außer Puma-Spuren und Geier. Es war ein bisschen wie “Into The Wild”. Ich war immer schon ein Mensch, der Herausforderungen und Abenteuer liebt.
„IN ÖSTERREICH HAT MAN HALT SCHNELL EINMAL SÄMTLICHE LOCATIONS, MAGAZINE ODER RADIOS DURCH“
Wie hast du die Community und den Vibe dort empfunden?
Elena Shirin: Auf das bezogen, was ich genremäßig mache, ist dort der Markt einfach viel größer und viel mehr Interesse da. In Österreich hat man halt schnell einmal sämtliche Locations, Magazine oder Radios durch. Die Erfahrung mit meiner Musik in den Staaten hat mir sehr viel Bestärkung gegeben. Diese Kultur und die Art und Weise, wie die Leute durchs Leben gehen, ist der Musik oft so nah. Ich habe gemerkt, wie viel Wertschätzung für die Musik da ist. Das liegt sicherlich auch an den Kreisen, in denen ich unterwegs war. Bei den Rednecks brauchst nicht anklopfen und fragen: “Und wie steht’s ihr zu Jazz?”. (lacht) Drüben gibt es ein bisschen dieses Vergöttern von Musiker:innen, das haben wir hier nicht so. In Österreich wird Musik schon gefeiert, aber es ist nicht so ein Wahnsinn dahinter. Ich sage nicht, dass diese Vergötterung gut ist, im Gegenteil. Aber es ist schön zu sehen, dass der Beruf wertgeschätzt wird und du nicht erst einmal gefragt wirst: “Aha, aber was hast du studiert? Kann man davon leben?”. Aber ich möchte das nicht in einen Topf werfen. Ich hatte einfach das Glück, in den USA in Communities zu landen, die ein riesiges Verständnis, große Dankbarkeit und Respekt zu Musik hatten.
Wenn es dort so toll war – was hat dich wieder zurück nach Wien gebracht?
Elena Shirin: Es war Corona. Nach zweieinhalb Jahren merkst du, du hast deine Familie und deine Freunde ewig nicht mehr gesehen. Das ist schon eine lange Zeit. Ich habe dann eine Trennung durchgemacht und musste von einem Tag auf den anderen alleine klarkommen. Ich habe dann als Klavierlehrerin in einer Musikschule in Kalifornien gearbeitet – das war ur schön. Aber es war einfach eine schwierige Zeit. Für uns alle. Ich war noch dazu auf einem anderen Kontinent, und wusste auch nicht, wie lange ich dort bleiben darf. Ich hatte einen Greencard-Status, bei dem man mir nicht sagen konnte, wie lange ich bleiben darf oder wann ich nachhause fliegen kann. Also bin ich festgesteckt und wusste aber auch nicht, ob ich mir hier was aufbauen kann. Da bist du mit einem Fuß in der Tür und traust dich nicht, sie ganz aufzureißen. Ich habe dann ein Konzertangebot für ein Festival in Vorarlberg bekommen, als Opener von ALICE PHOEBE LOU. Ich finde sie grandios und mein Bauchgefühl hat mir gesagt, dass ich das machen und diese Möglichkeit nutzen muss. Auch, wenn das vielleicht bedeutet, dass ich danach nicht mehr einreisen kann.
Und danach bist du auch nicht mehr zurück.
Elena Shirin: Nein. Ich bin hier in Wien aufgewachsen und kann Wien jetzt nach dieser ganzen Reise ganz anders schätzen. Angefangen beim Leitungswasser. Ich habe mich aber nie zuhause gefühlt und war immer auf der Suche nach irgendetwas. Ich hatte immer das Gefühl, es gibt etwas, das hier keinen Platz hat. Diese Sicherheit hat mich ein bisschen wahnsinnig gemacht. Wir leben in einer Bubble, uns geht es hier so gut, aber gleichzeitig bekommst du in den Nachrichten mit, wie Teile der Welt einfach komplett zerfallen. Ich wollte das irgendwie ein bisschen spüren und eine Nähe dazu haben, um das fassen zu können. Ich sage nicht, dass es in den Staaten am schlimmsten zugeht, aber es ist ein gutes Beispiel dafür, wie es sich anfühlt, als Bewohnerin null Support-Netz unter dir zu haben. Das einzige Support-Netz, das es in den USA gibt, sind die Communities, die du dir aufbaust. Das müssen wir in Österreich gar nicht.
„DIE ERSTEN PAAR MALE, WO ICH MIT FRAUEN MUSIKALISCH ZUSAMMENGEARBEITET HABE, WAR DAS EIN FEST FÜR MEINE SYNAPSEN“
Wie fühlt sich das Dasein als Künstlerin in Wien jetzt an für dich?
Elena Shirin: Ich sehne mich auf jeden Fall nach einer gewissen Mentalität von “Hey, halten wir doch zusammen”. Aber man muss es so vorleben, wie man es sehen möchte. Österreich gibt einem als Künstler:in sehr viele Möglichkeiten, die muss man so gut es geht nutzen. Gleichzeitig merke ich, dass genrespezifisch einfach gewisse Einschränkungen da sind, weil sie wissen, dass man dorthin investieren muss, wo das Geld wieder reinkommt. Und das Geld kommt dort wieder rein, wo die deutsche Sprache in irgendeiner Form präsent ist oder in Richtung Indie geht. Ich bin auf jeden Fall in einer Nische hier. In den USA ist es keine Nische. Das ist der Unterschied, und das spüre ich natürlich.
Nichtsdestotrotz bin ich ein großer Fan von den Potenzialen des Internets, dass man hier wohnen kann, aber woanders mit Leuten zusammenarbeitet. Das ist auch mein Ziel. Nach dem ganzen Abenteuer ist jetzt mal die Zeit, mein zweites Album fertigzumachen und mir was aufzubauen. Außerdem habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, hier Community-Building anzufangen. Ich habe eine Gruppe gestartet mit lauter FLINTA-Menschen in der Kunst- und Musikszene, wo wir uns regelmäßig treffen und uns unterstützen und austauschen. Ich schaue mich um in meiner Arbeit und sehe meistens nur Männer. Die ersten paar Male, wo ich mit Frauen musikalisch zusammengearbeitet habe, war das ein Fest für meine Synapsen. Es hat mich so berührt, diese weibliche Energie und Zugangsweise zum Schaffen zu teilen. Wir sind zu so viel fähig. Ich finde es unheimlich wichtig, dass da die Frauen einfach zusammenhalten, sich austauschen und miteinander arbeiten statt gegeneinander.
Von genau diesem Thema – Zusammenhalt, Support und Miteinander – handelt auch deine neue Single, “Army Of Love”.
Elena Shirin: Ja, als ich diesen Song geschrieben habe, war ich gerade frisch getrennt und nach Santa Cruz gezogen. Ich war am Boden zerstört. Sämtliche Freund:innen dort waren so entzückend und haben mich so aufgefangen. Liebe hat so viele Facetten. Romantische Liebe ist eine Sache, aber Freundschaft und Gemeinschaft ist das, was bleibt.
Wieso hast du den Song jetzt erst veröffentlicht?
Elena Shirin: Ich habe den Song gemeinsam mit E-SWERVE, einem Produzenten aus LA, in Zusammenarbeit mit JAMES MUSCHLER, dem Ex-Drummer von MOON HOCH, gemacht. E-SWERVE hat mir das Instrumental geschickt und meinte, wenn ich das fühle, dann kann ich da gern Vocals drüberlegen. Da hat sich dann schnell ein Song entwickelt, wo wir alle gesagt haben, “Geil, das bringen wir definitiv raus”. Das war 2020. 2021 bin ich dann zurück nach Wien mit diesem Song im Gepäck. Und dann sitze ich in Wien im Studio, wollte die Vocals nochmal neu aufnehmen, und habe mir das einfach nicht mehr abgekauft. Es war einfach ein Welten-Switch, ich konnte diesen Song nicht so mitnehmen, dass er beim Einsingen immer noch authentisch ist. Im Endeffekt haben wir ganz viele neue Vocals aufgenommen und sind zu dem Entschluss gekommen, dass wir trotzdem Teile von den Original-Vocals nehmen müssen. Es ist also im Großen und Ganzen bei dem geblieben, was es war, plus ein paar Verfeinerungen.
Letztens habe ich dann ein Solo-Konzert gespielt, wo die Leute eine Zugabe nach der nächsten wollten, und dann hatte ich irgendwann keine Zugaben mehr. Also habe ich auf meinem Laptop geschaut, diesen Song gefunden, und mir gedacht “Scheiß’ drauf, ich spiele den jetzt einfach”. Und die Leute haben den geliebt. Das hat mich dann dazu motiviert, den jetzt endlich, vier Jahre später, rauszubringen.
„DAS SYSTEM ARBEITET GANZ KLAR DEM KAPITALISMUS UND NICHT DER NATUR ENTGEGEN“
Wie ist der „World Song“, den du gemeinsam mit anderen Künstler:innen in Hinblick auf die Klimakrise veröffentlicht hast, entstanden? Ist der Gedanke dahinter ein aktivistischer?
Elena Shirin: Der Song ist auch 2020 entstanden und kam aus meinem eigenen Weltschmerz heraus. In den Staaten bekommt man das noch einmal viel direkter mit, alles ist zugemüllt, jedes Gewässer ist verpestet und voller toter Fische. Das System arbeitet ganz klar dem Kapitalismus und nicht der Natur entgegen. Hier in Wien sind wir schon noch ein bisschen naturorientierter. Beim Schreiben des Songs habe ich dann gemerkt, dass ich den gerne zu etwas machen würde, wo mehrere Menschen ihren Senf dazugeben und ihre Perspektive schildern. Also habe ich intuitiv Leute gefragt und so hat sich das dann entwickelt, dass es da ganz stark um Kollaboration ging. Es geht ja nicht um mich – es geht darum, dass wir da was machen müssen.
Hast du das Gefühl, die Musikbranche kann nachhaltig sein?
Elena Shirin: Puh, schwierig. Fängt beim Internet an. Internet ist alles andere als nachhaltig. Es ist unfassbar, welche Auswirkungen ein einziger Account auf Social Media hat. Wie viele Daten da gespeichert werden, wie viel Kühlung das braucht. Man generiert jeden Tag, ohne darüber nachzudenken, so viele Daten, weil das so normal geworden ist. Es gibt schon ein paar Möglichkeiten, wie recycelte Vinyls oder coole Initiativen, aber auch da bräuchte es eine systematische Veränderung.
Eine Sache, wo man bestimmt mehr einsparen könnte, ist das Touren. Man könnte booking-technisch ein bisschen mehr darauf schauen, wie viel Fliegen beispielsweise da wirklich notwendig ist. Ich habe es bei der Band-Tour in den USA mitbekommen, da werden innerhalb von zwei Wochen Distanzen hingelegt, das ist unglaublich. Wir sind an einem Tag von Colorado irgendwo an die East Coast geflogen, und am nächsten Tag direkt wieder zurück, weil wir wieder in Colorado eine Show hatten. Da denk ich mir: “Leidln, das muss doch nicht sein”. Aber man muss es sich in unserer Welt leider leisten können, nachhaltig zu sein. Vor allem, wenn man das in einem Business-Rahmen machen möchte. Es ist ein Luxus, sich da überhaupt die Gedanken machen zu können, und daher tragen wir die Verantwortung. Ich finde es einfach wichtig, dass wir uns alle damit auseinanderzusetzen, woher die Dinge kommen und was dahintersteckt. Das allein ist schon eine Aufgabe. Probier’ mal eine Auflage von 500 Platten zu pressen und versuchen zu verstehen, woher das Öl kommt, wie das transportiert wird, usw. Das ist so komplex. Es ist ur schwierig, ich weiß nicht, ob ich diese Frage insgesamt beantworten kann. Da müsste ich mich wahrscheinlich mit ganz vielen Themen genauer auseinandersetzen.
Im Winter soll dein nächstes Album kommen. In welche Richtung wird es gehen?
Elena Shirin: “Army Of Love” ist ein ganz guter Orientierungspunkt, glaube ich. Obwohl der Song noch ein bisschen elektronischer gedacht ist, es gibt sehr klare Loops und so. Und es wird ein bisschen mehr live. Die Richtung ist schon so R’n’B, New Soul, aber mit etwas mehr Live-Charakter. Beim ersten Album war ja das Konzept, dass es total bunt ist, die Songs habe ich alle in der Zeit zwischen 12 und 22 geschrieben und so ist das eine ganz wilde Mischung geworden. Beim zweiten Album ist die Intention, mir selbst und auch all meinen Hörer:innen eine Richtung zu geben. Weil ich Bock darauf habe.
Wir sind gespannt. Danke dir für das nette Gespräch!
Katharina Reiffenstuhl
++++