Der neue Song knallt, aber wie bringe ich SPOTIFY, APPLE MUSIC oder AMAZON dazu, ihn auf ihre ganz großen Playlists zu setzen? Ein Guide.
Gute Musik setzt sich durch. Wer so denkt, hat vielleicht verpasst, wie kurz ein durchschnittlicher Homo sapiens heute aufmerksam ist oder wie selten Songs in den Top 40 wirklich einzigartig klingen. Aber es gibt einige Dinge, die einem guten Song auf die Sprünge helfen. In Zeiten von Streaming bedeutet das Playlist-Marketing. Also die Kunst, auf die großen und einflussreichen Playlists zu kommen, um dann mit einem Schlag viele neue Fans zu gewinnen. Gerade bei Spotify – aber nicht nur – gibt es dafür ein paar Hebel, die sich in Bewegung setzen lassen.
Warum überhaupt Playlists?
30 Millionen Songs können einen schnell überfordern. Deshalb bieten alle großen Streamer Listen an, die einem durch den Tag helfen. Zum Trainieren, Lernen, Chillen, Autofahren, Putzen, Gaming oder Schlafen gibt es sie, genauso wie für Genres, Subgenres und Subsubgenres, für einzelne Jahrzehnte, Jahreszeiten oder wolkige Tage. Einen Überblick über alle Playlists mitsamt den jeweiligen Zahlen gibt es leider nicht. Manche werden händisch kuratiert, von jeweils rund hundert angestellten Expertinnen und Experten, andere werden durch Algorithmen automatisch zusammengestellt. Zwischen beiden kann es natürlich zu Feedbacks kommen. Die Wirkung von Listen ist jedenfalls ganz eindeutig. 50 Prozent mehr Aufrufe soll es durch sie häufig geben, bei den großen Listen manchmal sogar mehr als das Doppelte.
Spotify in Zahlen
Bei dem Service aus Schweden lässt sich leicht nachverfolgen, wie wichtig Playlists heute sind (Stand Ende 2016):
140.000.000 User, davon zahlen 50 Millionen
60 Länder weltweit verfügbar
5.000.000.000 Euro an Labels bisher ausgeschüttet, 1,6 Milliarden alleine letztes Jahr
540.000.000 Euro Schulden letztes Jahr gemacht
52% aller Minuten werden mobil gehört
1.500.000 Playlists verfügbar
184 der 200 stärksten Playlists wurden von Spotify selbst erstellt
100 Kurator_innen erstellen die Playlists
1.000.000.000 Streams kamen im Mai 2016 über Playlists zustande
5.000.000.000 Streams kamen über discover weekly insgesamt zustande
20% aller Streams kommen über Playlists zustande
Die Major Labels betreiben eigene Playlists. Universal gehört Digster, Sony betreibt Filtr und Warner Topsify. Auf YouTube sind diese Marken teilweise sehr stark, auf Spotify sind sie mit jeweils ein paar Hunderttausend Followern ebenfalls wichtig. Sie stellen das Repertoire des Labels ins Rampenlicht, zur Hälfte sind dort aber auch andere Songs vertreten. Alle Majors sind mit jeweils rund fünf Prozent an Spotify beteiligt. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass ihr Material auf den großen Playlists besonders berücksichtigt wird. Der Indie-Verband Merlin ist übrigens auch mit ca. einem Prozent an Spotify beteiligt, er sorgt dabei für über zehn Prozent aller Streams.
Wie mache ich Spotify auf mich aufmerksam?
Es gibt einen typischen Ablauf. Die Musik muss zuallererst verfügbar sein. Das geht typischerweise über ein Label und dessen Vertrieb oder direkt über einen Aggregator. Danach kann man sich bereits ab zehn Followern auf Spotify über einen eigenen Künstlerzugang einloggen und ab 1.000 Plays diverse Statistiken ansehen (Link). Ein paar Follower mehr sind nötig, um mit einem blauen Häkchen verifiziert zu werden (Link). Dafür braucht es außerdem Twitter und idealerweise weitere soziale Profile. Hinterher bekommt man die Möglichkeit, Spotify direkt zu kontaktieren (Link, promote artist auswählen).
Die artist ambassadors sind als Ansprechpartner für KünstlerInnen da. Carina Sattlberger von „Ink Music“ empfiehlt, die Redaktion nicht zu nerven, sondern ganz gezielt Leute anzusprechen und abschätzen zu lernen, was auf welcher Playlist funktioniert. Es gibt eine Adresse, um an alle Kuratorinnen und Kuratoren gleichzeitig zu schreiben. Diese kommen aber auch immer wieder gezielt auf KünstlerInnen zu.
Wie kann ich die für mich passende Playlists finden?
Es gibt leider keine praktische Übersicht, sondern nur spärliche Rankings. Etwa die Top-25-Playlists von 2014, die Top 5 von John Bowditch oder eine Liste mit 42 unabhängig kuratierten Playlists. Es braucht also ein wenig Detektivarbeit, welche Listen sinnvoll sein können und wer diese kuratiert. Dazu hilft … das Suchfeld. Man muss nur ein wenig kreativ sein, um zu wissen, ob man zu einem bestimmten Song eher weinen, Gewichte pumpen oder ins Lagerfeuer starren will. Eine weitere Möglichkeit ist nicht ganz billig. Mit dem Analyse-Tool Soundcharts lassen sich sehr detaillierte Statistiken bekommen, auf welchen Radiosendern ein Song, ein Künstler oder eine Künstlerin gespielt wurde und auf welchen Playlists diese vertreten waren. Das ist nun praktischerweise auch möglich, wenn man keinerlei Rechte an der Musik besitzt. Man kann also sehen, welche Listen für MusikerInnen, deren Musik ähnlich wie die eigene klingt, relevant sind. „Today’s Top Hits“ ist übrigens mit aktuell über 16 Millionen Followern die bei Weitem größte Liste.
Erfolgsgeschichten kann Spotify bereits einige vorweisen. So wie die Arctic Monkeys mit Myspace berühmt wurden, schaffen es heute neue Namen über Spotify. „Royals“ etwa war ein sehr unbekannter Song, bis er von Sean Parker auf „Hipster International” gesetzt wurde und Lorde damit aus dem kleinen Neuseeland in die Welt katapultierte. Die Glass Animals wiederum bezeichnen Streaming als unbezahlbar für ihre Karriere, ihr Song „Gooey” fand vor allem über die viralen Charts enorme Verbreitung. „Undressed” von Vérité erzielte allein über „New Music Friday“ eine halbe Million Plays innerhalb einer Woche. Ähnlich steht es um Lukas Graham. Sein Song „7 Years“ stand in Österreich und acht weiteren Ländern auf Platz eins. Erst der Support von Streamern habe bei ihm dazu geführt, dass das unabhängig veröffentlichte Album später von Majors lizenziert wurde. Zara Larsson, Starley, Timeflies, Anne-Marie und so weiter. Manche führen sogar die neue Popularität von Reggaeton auf die Playlists von Guerrero Colombo zurück, dem Chef des „Latin Content“ bei Spotify.
Es gibt auch beeindruckende Fälle aus Österreich. Allen voran James Hersey. Ab Oktober 2016 stand „Miss You” auf YouTube, ohne besonders aufzufallen. Im Mai 2017 wurde derselbe Song auf einer EP veröffentlicht und steht heute bei … 84 Millionen. Vier und achtzig. Millionen. Man sich leicht vorstellen, wie der Song auf allen Chill- und Sommer-Playlists dieser Welt runtergeht wie Mojito. Mittlerweile spielt James Hersey Konzerte mit den britischen Honne und in den USA. Gar nicht unähnlich verhält es sich mit dem Urban Contact Remix der Nihils. salute wiederum erzählt davon, wie er nach London zu Spotify eingeladen wurde, hinterher fand sich „Light Up” auf elf nationalen New-Music-Friday-Listen, der Song steht bei zwei Millionen Plays nach zwei Monaten. Farewell Dear Ghost sind als Nummer eins der FM4 Charts einer Kuratorin aufgefallen und in viele Playlists übernommen worden.
Gibt es Payola?
Also Platzierung auf Playlists gegen Geld? Die Gerüchte halten sich hartnäckig. Rund 2.000 Dollar für eine Playlist mit fünfstelliger Anzahl der Follower, bis zu 10.000 Dollar für noch größere Listen hieß es 2015, als solche Vorwürfe erstmals laut wurden. Spotify dementierte heftig. Denn es geht wie damals in den Payola–Skandalen der 1950er-Jahre um das Vertrauen der Musikfans, also genau um das, was Spotify Konzernen wie Google, Amazon und Apple voraushat. Heute bieten zwar nach wie vor diverse Leute auf fiverr.com an, für 20 bis 100 Dollar Songs auf ihren Playlists unterzubringen, ihre Seriosität darf allerdings bezweifelt werden.
Tatsächlich geplant ist, ganz offiziell eine bezahlte Platzierung auf Playlists zu testen. Diese Songs werden gekennzeichnet sein, zudem soll man als zahlende Kundin bzw. zahlender Kunde rausoptieren können. Dass man damit genau jene Denkweise bei Kuratorinnen und Kuratoren schafft, die man doch streng unterbinden will, scheint dabei noch niemanden zu stören.
Wie erhöhe ich meine Chancen?
Es kommt darauf an. Einen Königsweg gibt es nicht, aber ein paar erprobte Trampelpfade. Einige österreichischen Labels fliegen zur Spotify-Zentrale nach Berlin, um dort unveröffentlichtes Material vorzustellen. Im Wesentlichen ist das dann ein Pitch, bei dem man beispielsweise erklärt, wie Streaming in eine größere Kampagne um den Release eingebunden sein wird, was mittelfristig für die Künstlerin bzw. den Künstler geplant ist, welche Playlists oder Stimmungen man sich dafür vorstellen kann. Dabei kann es helfen, eigene Playlists zu veröffentlichen, weil man damit sein Interesse an der Plattform zeigt. Es müssen nicht viele sein, diese sollten dafür regelmäßig upgedatet werden. Es ist möglich, kleine Kampagnen um eine selbst kuratierte Playlist zu bauen. Prodigy und Demi Lovato haben das bereits recht erfolgreich getan.
Follower auf Spotify zu sammeln, ist langfristig ohnehin sinnvoll. Diese Follower sehen automatisch, wenn neue Songs veröffentlicht werden, man bleibt dadurch länger am release radar und die Chancen steigen, weiteren Leuten aufzufallen. Spotify arbeitet zudem an Tools, um Künstlerinnen und Künstlern bald einen besseren Draht zu ihren Fans zu bieten. So sollen Follower limitierte Konzerttickets kaufen oder neue Songs vorab hören können.
Neben den Playlists von Spotify und den Major Labels gibt es natürlich zahlreiche unabhängige Kuratorinnen und Kuratoren mit eigenen Playlists. Man sollte ihre Listen und ihren Geschmack kennenlernen, bevor man sie ganz gezielt anschreibt. Ein Dankeschön oder eine Empfehlung posten, wenn man auf ihrer – oder einer anderen – Liste landet, schadet ganz klar nicht, vor allem dann, wenn man sich in Zukunft erneut melden möchte.
Und es gibt natürlich zahlreiche Industrie-Shows und Showcase-Festivals. Wer dort besonders auffällt, wird womöglich von Spotify oder einem anderen Musikstreaming-Dienst kontaktiert.
Am einfachsten ist es, fantastische Musik machen. Es gibt Fälle, in denen sich Spotify sehr darum bemüht hat, mehr Songs von bereits bekannten Künstlerinnen und Künstlern zu bekommen. Dabei wurden spezielle Releases für Spotify geschnürt, die es nicht im regulären Handel gab – das können Best-ofs sein, eigene Sessions oder Track-für-Track-Kommentare eines Albums. Im Gegenzug wurde der nächste Release über Werbung, bessere Platzierungen oder Playlists promotet.
Wie sieht es mit den anderen Streamingdiensten aus?
Fast alle Streamingdienste verwenden Playlists. Mal sehr reduziert in der Form von Empfehlungen, Favoriten oder Genre-Listen, mal in der ganzen Bandbreite. Ob nun Amazon, Google, Apple oder Tidal – Listen helfen den Hörerinnen und Hörern, ihren individuellen Musikmix in Millionen von Songs zu entdecken. An Deezer kann man Material schicken. Wohin genau, das ist bei Deezer nicht öffentlich sichtbar. Ein gutes Label oder ein Vertrieb kann das aber erledigen. So wie bei den großen US-Konzernen, allen voran Apple und Amazon.
Die Optionen liegen also auf dem Tisch. Es gibt bereits zahlreiche Beispiele für Karrieren, die durch die Möglichkeiten des Streaming-Zeitalters entstanden sind. Es wäre also an der Zeit zu handeln, bevor alle auf den fahrenden Zug aufspringen.
Stefan Niederwieser
PS: Mein Dank für die Hintergrundgespräche gilt u. a. Carina Sattlberger von Ink Music, salute, Gerard von futuresfuture und Max Zeller von Konvoi.