Seine Musik ist rau und weich zugleich, abstrakt und doch greifbar – wie ein Blick in eine Erinnerungskapsel, die die Großeltern vor Jahrzehnten vergraben haben. Wenn Melancholie eine Stimmlage hätte, klänge sie wohl wie ANDI LECHNER. Und doch helfen Vergleiche nur begrenzt, um die fragile Kraft zu fassen, die THE GHOST AND THE MACHINE in ihrem neuen Album „Sorrows” (VÖ: 14.11.2025) entfalten. Im Gespräch mit Ania Gleich spricht LECHNER über künstlerische Haltung im Streaming-Zeitalter, magische Songwriting-Momente und warum Brüche für ihn essentiell sind – in Songs wie im System.
Wie war dein Release-Konzert?
Andi Lechner: Es war ein schöner Abend, ich war wirklich happy. Man arbeitet ja oft ein Jahr lang auf so einen Moment hin. Das ist schwer zu erklären, wenn man selbst nie ein Album gestemmt hat – wie viel Arbeit im Hintergrund steckt, die niemand sieht. Umso schöner ist es dann, wenn das Schiff endlich den Hafen verlässt.
Du hast sicher schon einige Release-Shows hinter dir. Hat sich dieser Abend irgendwie von früheren unterschieden?
Andi Lechner: Total. Diesmal war die Band gar nicht am Songwriting-Prozess beteiligt. Ich habe diesmal alles selbst eingespielt und dann anderen Musiker:innen erklärt, was ich da eigentlich gemacht habe. Das war für mich ein ganz neuer Workflow: selbst komponieren und dann fast wie eine Ensembleleitung agieren. Das war überraschend geil. Ich hätte nicht gedacht, dass mir das so viel Spaß macht.
Mit wem hast du gespielt?
Andi Lechner: Mit Martti (Anm. Winkler) – die spielt Synth, wir kennen uns aus dem Burgtheater. Die anderen waren alle neu für mich. Hannes (Anm. Wirth), der Gitarrist, ist der einzige, den ich schon länger kenne – wir teilen so ein Nerdtum rund um Gitarren. Aurora (Anm. Timón Hackl) hat früher bei Petra und der Wolf gespielt. Und Lina (Anm. Neuner) ist eine super Bassistin. Das hat sofort gut funktioniert – die Chemie war von Anfang an da. Das hat den Abend definitiv besonders gemacht.
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Klanglich wirkt dein neues Album ja sehr reduziert, kühl fast. War das ein Grund, den Produktionsprozess diesmal eher allein anzugehen?
Andi Lechner: Ja, das hat sicher mitgespielt. Ich wollte das mal ausprobieren – rein als Komponist zu arbeiten. Und ich habe diesmal viel mit Drum-Computern gemacht, das war ein bewusst gesetztes stilistisches Mittel. Diese Kühle, dieses Stripped-Down-Mäßige hat mich gereizt. Da habe ich beim Vorproduzieren gemerkt: Ich muss viel weniger machen, als ich glaube. Das war ein gutes Learning.
Wenn du dich mit dir von vor zehn Jahren vergleichst – was ist heute anders?
Andi Lechner: Ich versuche, eine brutal ehrliche Haltung mir selbst gegenüber zu entwickeln. Früher – also beim ersten Album, das ist jetzt fast zehn Jahre her – war da noch viel mehr poetischer Schleier drüber. Ich habe viel mit Metaphern gearbeitet, um Dinge zu verschleiern oder zu abstrahieren. Ich hatte oft gar kein klares Thema pro Song.
Und heute?
Andi Lechner: Heute werde ich konkreter – auch wenn das Folgende vielleicht paradox klingt: Ich will kein klassisches Storytelling machen, aber ich will in der Abstraktion greifbarer werden. Es soll immer ein mysteriöses Element im Song bleiben, etwas, das jede:r für sich entschlüsseln kann. So ein kleines Päckchen, das man aufmacht.
Ein schöner Vergleich.
Andi Lechner: Danke. Ich finde auch: Musik sollte eine Projektionsfläche sein. Ich mag es nicht so, wenn Songs vorher groß erklärt werden. Ich will, dass die Musik selbst etwas auslöst – ohne Anleitung. Und je älter ich werde, desto mehr wird dieser Prozess für mich selbst ein Mysterium. Früher dachte ich oft: „Krass, wie geil das ist, was ich da mache.“ Heute bin ich da viel demütiger. Weil ich merke, wie vielschichtig und unerklärbar das alles eigentlich ist.
Gerade durch Wiederholung und technisches Know-how wird Spontanität eigentlich erst möglich. Würdest du sagen, dass deine Musik dadurch heute fast intuitiver wirkt als früher?
Andi Lechner: Ja, total. Ich glaube, das ist ein natürlicher Prozess. Man entwickelt sich dahin, dass Dinge sich magischer anfühlen – obwohl sie vielleicht viel technischer durchdacht sind, als sie wirken. Es ist dieses Spannungsverhältnis zwischen Innen und Außen, das ich total spannend finde. Und natürlich kuratiert man als Künstler:in auch eine gewisse Persona – über Pressetexte, Social Media, all das. Aber dann kommt Feedback von außen und zeigt dir ganz andere Blickwinkel.

„DU BRAUCHST DEINE TOOLS. ABER IRGENDWANN MUSST DU SIE AUCH WIEDER LOSLASSEN”
Inwiefern?
Andi Lechner: Bei der Pressearbeit zum aktuellen Album kamen viele Bandvergleiche, die ich überhaupt nicht kannte. Drei Viertel davon habe ich entweder nie gehört oder nie bewusst gehört. Das finde ich spannend – wie viel da von außen reininterpretiert wird.
Hast du das Gefühl, dass das früher anders war? Dass die Referenzen dir damals noch näher waren?
Andi Lechner: Schwer zu sagen. Es gibt einfach mehr Berichterstattung jetzt als beim ersten Album. Aber auch damals schon gab’s Vergleiche – etwa zu „16 Horsepower“ – von denen ich null Ahnung hatte. Ich hab mir die dann angehört und dachte: cool, war aber natürlich kein Einfluss. Es ist lustig, wie stark im Musikjournalismus oft mit Referenzen gearbeitet wird.
Ich finde, dass das manchmal mehr über die schreibende Person aussagt als über die Musik selbst.
Andi Lechner: Ja, voll. Es wirkt oft wie ein bisschen oldschooliger Musikjournalismus. Ich verstehe, woher das kommt, aber als Künstler:in stehst du dem manchmal eher so mild widerstrebend gegenüber. Weil: Du willst nicht in irgendeine Schublade gepresst werden. Und oft klingt es dann so, als hätte man sich bei Song XY was von XY „ausgeborgt“. Dabei ist das oft gar nicht so.
Ich arbeite da auch lieber aus der Intuition – das Gefühl ist oft viel näher an der Wahrheit als jede stilistische Analyse.
Andi Lechner: Absolut. Es geht um Resonanz, nicht um Technik. Ich sehe das wie beim Handwerk: Du brauchst deine Tools, klar. Aber irgendwann musst du sie auch wieder loslassen. Es ist wie beim Malen – du weißt, wie du Zinnoberrot mischst, aber du entscheidest intuitiv, wann du es einsetzt. Und dadurch wird der kreative Akt wieder zu einer spontanen Geste.
Wann ist für dich so ein kreativer Akt abgeschlossen? Wann weißt du: Der Song ist fertig?
Andi Lechner: Schwierige Frage. Meistens kommt der Druck von außen – von Daniel Pepl, meinem Produzenten, oder durch Deadlines. Aber ich merke es auch selbst, wenn ich beginne, Dinge zu verschlimmbessern. Dann ist der Punkt erreicht, wo der Song eigentlich fertig ist. Wenn ich ihn mir in einer Skizze allein anhöre und mir denke: „Ja, das ist ein guter Song“, dann passt das. Das ist so meine innere Watermark.

Wenn du jetzt auf das Album als Ganzes schaust – abseits von Produktion und Technik – was ist für dich das emotionale Grundgefühl dahinter? Was war der Ausgangspunkt?
Andi Lechner: Eigentlich ist der Name fast schon das Programm. Es ist diese Mischung aus persönlichem Erleben und Weltschmerz: Israel, Gaza, Trump, Rechtsruck – dieser ganze Mist, der täglich auf uns einprasselt, hinterlässt einfach Spuren. Wenn dann noch private Umstände dazukommen, ist der Moment gekommen, wo das Fass überläuft und genau dann ist oft die beste Zeit, um ein Album zu machen. Weil man all das in was Produktives verwandeln kann.
Also auch ein persönlicher Verarbeitungsprozess?
Andi Lechner: Total. Ich lerne da auch viel über mich selbst. Wenn ich bei einem Song mal nicht weiterkomme, notiere ich einfach Gedanken, Zeilen, was auch immer. Das ist fast wie eine kleine Selbsttherapie. Und ich mag diesen Zugang auch bewusst – so ein bisschen inspiriert von den Surrealisten, dieses automatische Schreiben. Einfach losschreiben, ohne Filter. Und manchmal kommt dann dieser eine Satz, der wie ein Ventil wirkt – als würde etwas aus einem raus, was man vorher nicht fassen konnte.
Aber ein Song ist ja nochmal mehr als nur Text. Wie findest du da die Balance zwischen Sprache und Musik?
Andi Lechner: Genau das ist der spannende Teil. Du suchst nach einer Brücke – zwischen Text und musikalischer Resonanz. Welche Tonlage passt? Wie klingt die Gitarre, wie das Schlagzeug, wie der Bass? Für mich braucht ein Song immer mindestens ein Element, das einen Bruch erzeugt. Sonst kippt es in eine Richtung und verliert die Spannung. Das kann eine unerwartete Stimme sein, ein unerwarteter Klang. Aber dieser Bruch: der ist für mich essenziell. Unsere Aufgabe als Künstler:innen ist es nicht, gefällige Unterhaltung zu liefern. Dann wären wir Entertainer. Nichts gegen Entertainment, aber das ist nicht meine Baustelle. Kunst braucht für mich ein subversives Element. Sonst ist sie überflüssig. Und klar: Viele Leute wollen das vielleicht gar nicht. Aber das ist mir ehrlich gesagt egal.
Ich habe oft das Gefühl, dass junge Musiker:innen heute viel zu schnell in eine schnell wirksame Entertainer-Rolle gedrängt werden.
Andi Lechner: Ja, total. Der Rhythmus wird schneller, gerade durch Streaming, TikTok und jetzt auch KI. Aber ehrlich gesagt: mich interessiert das alles nicht wirklich. Weder KI noch Streaming. Ich mache mir da keine großen Gedanken, weil es am Ende eh der gleiche kapitalistische Mechanismus ist: Konzerne verdienen auf dem Rücken von Künstler:innen. Und das Schlimme ist, dass niemand dagegen etwas unternimmt – im Gegenteil, alle steigen auch noch mit ein.
„ICH GLAUBE, ES WIRD IMMER MENSCHEN GEBEN, DIE HANDGEMACHTE MUSIK HÖREN WOLLEN”
Und gerade junge Leute sind da besonders gefährdet, oder?
Andi Lechner: Ja, weil du in dem Alter natürlich auch auf Bestätigung von außen hoffst. Vielleicht gibt es sogar einen Vorschuss, aber wenn die Tour dann nicht genug verkauft, ist es schnell wieder vorbei. Es ist einfach eine krasse Wegwerfmaschine. Und das Schlimme ist: Die wenigsten, die dich da reinholen, tun das, weil sie deine Kunst feiern. Sie sehen meist nur das monetäre Potenzial.
Was ist deine persönliche Strategie, ein alternatives Modell zu leben – jenseits des klassischen Musikbusiness?
Andi Lechner: Haltung bewahren. Auf allen Ebenen. Ich glaube, es wird immer Menschen geben, die handgemachte Musik hören wollen. Dieses berühmte „Nischige“ – ich hasse das Wort – wird sich, denke ich, wieder mehr öffnen. Und wer unbedingt in den Mainstream will, den hole ich halt nicht ab. Das ist okay.
Wie sieht das konkret aus bei dir?
Andi Lechner: Ich habe mit Conny Ochs – der mich auch bei der Show in Graz supportet und das Album-Artwork gemacht hat – ein paar neue Formate überlegt. Zum Beispiel einen Songwriter-Circle: Mehrere Leute auf der Bühne, man spielt sich gegenseitig Songs vor, erzählt Geschichten, spricht über Einflüsse. Wie eine intime Freundesrunde mit Musik. Ich glaube, es braucht wieder mehr solche Räume, wo das Publikum Teil des Prozesses wird.
Also wirklich neue Formate ausprobieren?
Andi Lechner: Genau. Weirdere Formate. Vielleicht mal wieder Kassetten machen. Nicht dem nacheifern, was andere schon getan haben. Ich glaube, man darf sich nicht korrumpieren lassen – nicht zu sehr dem aussetzen, was andere erwarten. Es geht darum, die eigene Vision zu kultivieren. Und ja, manchmal reicht ein Blick auf Instagram und man denkt sich: „Oh Gott.“ Aber da gilt es, gegen sich selbst zu arbeiten.
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Voll. Dabei sollte es doch um was anderes gehen als Selbstpräsentation.
Andi Lechner: Eben. Und man darf nie vergessen: Instagram ist nicht für uns gemacht. Die wollen nur, dass du Content lieferst, damit Leute länger am Bildschirm bleiben. Das ist super unpoetisch, aber leider Realität.
Ja. Aber belassen wir es vielleicht bei dem. Sonst verquatschen wir uns wieder!
Andi Lechner: Voll, sonst öffnen wir die nächste Flasche Wein. Aber danke dir – das Gespräch hat echt Spaß gemacht.
Danke dir auch.
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Ania Gleich
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