Kritische Klavierspielerin – MANON-LIU Winter im mica-Porträt

Die Musik wurde ihr, wenn schon nicht in die Wiege, dann wenigstens in den Namen gelegt. Aus ihrer Begeisterung für Puccini-Opern machten die Eltern von Manon-Liu Winter, beide übrigens selbst leidenschaftliche HobbypianistInnen, insofern kein Hehl, als sie ihre Tochter nach zwei Figuren daraus bedachten. Dermaßen geprägt, absolviert Manon-Liu Winter   ein klassisches Klavierstudium. Auf den so gelegten Schienen war ihr musikalischer Werdegang vorgezeichnet – hätte sie nicht Begegnungen erlebt, die ihr die Augen für andere Aspekte öffneten, sie vom Weg abbrachten.

Der erste wichtige künstlerische Kontakt zu einer offeneren Welt war jener zu Oleg Maisenberg. „Er veränderte mein Klavierspiel fundamental, auch weil er ein konzertierender Vollblutpianist war und überhaupt nicht akademisch“, erzählt Winter im mica-Gespräch. Eine andere Person, mit dessen revolutionärem Werk sich Winter schon früh beschäftigt hat, ist John Cage. Über den erklärten Feind des klassisch tradierten, des unhinterfragten Musikbetriebs hat sie ihre Magisterarbeit verfasst, im Zuge derer sie Cage auch persönlich kennengelernt hat. „Das war eine Zäsur für mich“, sagt Winter. Sowohl was die Musikauffassung betrifft als auch meine Rolle als Interpretin. „Cage hat Grenzen aufgehoben und durchlässig gemacht. Das hat in meinem Verständnis von Musik grundlegende Veränderungen bewirkt.“

Mit dieser Vorgeschichte ist es nicht verwunderlich, dass Manon-Liu Winter sich stark der improvisierten Musik zuwendet. Ein Terminus, den sie allerdings gegen jenen des instant composing austauscht. Der Grund dafür: „Der Begriff Improvisation ist mir viel zu ungenau. Das kann alles Mögliche heißen.“ Diese freie Musizierpraxis erforderte sofort neue Techniken. „Ich musste nach meiner klassischen Klavierausbildung vieles quasi wieder verlernen – obwohl mir das Handwerk oft  auch nützlich war“, erklärt Manon-Liu Winter. So begann sie vermehrt, den Klavierinnenraum zu bespielen, wofür sie spezielle Spieltechniken entwickeln musste. „Wenn ich nur Tasten spiele“, sagt Winter, „gibt es zu viele Fallen, Einschränkungen und Muster.“ Um ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern, beschäftigt sie sich fortan mit dem Clavichord. Sie reist eigens nach Holland zu verschiedenen Instrumentenbauern und lässt sich schließlich ein eigenes Clavichord  anfertigen. Darauf spielt sie sowohl auf den Tasten als auch auf den Saiten wie auch am Korpus, mit Präparierungen oder Cellobögen etc., und überträgt diese Erkenntnisse zurück aufs Klavier.

Als weiteren wichtigen Einfluss nennt sie die von ihr mitorganisierten Wiener Tage der zeitgenössischen Klaviermusik. Vor allem deshalb, weil namhafte Persönlichkeiten wie György Kurtág, Christian Wolff oder Peter Ablinger jeweils eine Woche lang vor Ort waren, also zum Austausch zur Verfügung standen. Winter: „Das ergab viel Input für eigene Ideen.“ Zum Beispiel jenen der universitären Verankerung improvisierter Musik. So erfand Winter das Schwerpunktfach Improvisation und neue Musikströmungen, das sie an der Wiener Musikuniversität durchsetzen konnte und das Mitte Mai sein zehnjähriges Jubiläum feiern wird.

Im Lauf der Zeit wurden auch immer wieder Kompositionen für Manon-Liu Winter geschrieben, sei es von Radu Malfatti, von Katharina Klement, von Christoph Herndler, sei es von Klaus Hollinetz, mit dem sie das Klavier-und-Elektronik-Album Soundfishing einspielt; aber auch von Elisabeth Schimana, deren Werke sie uraufführt und deren Stück Höllenmaschine für Max-Brand-Synthesizer Winter auf chmafu nocords veröffentlicht.

Von ihrer Beschäftigung mit notierter Musik sorgten vor allem zwei Einspielungen für Aufsehen, eine mit Kompositionen von Earle Brown, eine mit Klaviersonaten von Galina Ustwolskaja. „Ustwolskaja finde ich besonders wichtig“, sagt Winter, weil sie so absolut kompromisslos ist.“ Beide Interpretationen sind auf ein_klang records erschienen.

Aus den vielen Kooperation mit namhaften improvisierenden MusikerInnen ist jene mit Franz Hautzinger herauszugreifen. Immer wieder spielt sie mit dem Trompeter, zu zweit und in diversen Konstellationen, oft auch ohne Konzertsituation. Zu nennen ist vor allem ihr Duo Brospa, das auf vielen internationalen Festivals vertreten gewesen ist und auch eine gleichnamige CD herausbrachte. Zuletzt wirkten die beiden am großartigen Poet Congress-Album Weltallende federführend mit. Gegenwärtig fasziniert sie am meisten eine Initiative von Simon Reynell, der in London das Label Another Timbre leitet. Er stellt unter dem Titel anonymous zone jeweils zwölf Musikstücke ohne irgendeine Information über die dahinter stehenden KomponistInnen ins Netz, ua auch von Manon Liu Winter selbst. Das schärfe die Wahrnehmung auf das Wesentliche der Musik und führe zu hochinteressanten Diskussionen und Reaktionen der Musikkritik. „Ich will überhaupt keine CDs mehr machen“, sagt Manon-Liu Winter abschließend, „die verkaufen sich sowieso nicht.“ Stattdessen will die Musikerin mit der Lust am kritischen Denken nur  mehr Downloads anbieten, demnächst könne man sich welche auf chmafu nocords herunterladen.
Andreas Fellinger

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Manon-Liu Winter