Der in Oberösterreich geborene Schlagzeuger RUDI FISCHERLEHNER spielt in unzähligen Konstellationen von improvisierter und experimenteller Musik, Jazz und Post-Rock. Der Wahl-Berliner schreibt und produziert darüber hinaus auch Musik für Bands, Filme und Performances.
Geboren 1977, übte er sich schon sehr früh am Schlagzeug. Als Teenager begann er mit Bands in und um Linz aufzutreten, anschließend zog er nach Wien, bereiste Afrika und China, verbrachte einige Monate in New York und lebt nun schon seit Jahrzehnten in Berlin.
RUDI FISCHERLEHNER veröffentlichte bereits zwei hypnotisch-reduzierte Schlagzeug-Solo- Alben: „Spectral Nichts“ und „15 8 SLUM“ (beide beim Londoner Label Not Applicable). Weiters produzierte er Soundtracks zu Filmen von Ella Raidel, Johanna Kirsch und Katharina Lampert, und kollaborierte im Video- und Performancebereich mit den Künstler:innen Alterazioni Video, Katrin Plavcak, Wilhelm Groener und Rainer Kohlberger.
Michael Franz Woels trommelt ein paar Fragen zusammen, um mehr über das Engagement für Zivilcourage, das werbefreie Stadtbild afrikanischer Städte sowie das logische Einfangen von Leerstellen-Geistern zu erfahren.
Du bist vor zwanzig Jahren nach Berlin gezogen. Was hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten für dich als Musiker geändert?
Rudi Fischerlehner: Die Frage umfasst eine lange Zeitspanne, in der sehr viel passiert ist, und es fällt mir insofern nicht ganz leicht, sie halbwegs kurz zu beantworten. In meinen Berliner Anfangsjahren war ich mit Bands wie Blendwerk und Erste Stufe Haifisch sehr aktiv in der Indie-Rock-Szene, und auch mein eher im Jazz verortetes Quartett Pinx, für das ich damals die Musik schrieb, war stark von diesen Stilen beeinflusst und hat diese mit improvisatorischen Elementen verbunden. Von da ausgehend sehe ich über die Jahre einen wachsenden Fokus auf eine sehr kollektive, abstrakte Musik, stark auf zusammen erzeugten Mustern, Überlagerungen und Texturen beruhend. Typisch dafür stehen zum Beispiel Bands wie Xenofox und Der Dritte Stand.
Mit vielen Konstellationen habe ich über lange Zeit intensiv zusammengearbeitet, und so haben diese ihren eigenen Sound und Zugang gefunden. Berlin war ein guter Ort für diese Art von Herangehensweise.
Es gibt bereits eine beachtliche Diskografie von dir, unzählige Formationen, hier eine Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Fischerlehnertrio, Xenofox, Erste Stufe Haifisch, Gorilla Mask, La Tourette, Fiium Shaarrk, Blendwerk, Roh, Der Dritte Stand, SOG, RUPP KNEER FISCHERLEHNER, Ohlmeier Khroustaliov Fischerlehner, Grid Mesh, Julie Sassoon Quartet, Zsolt Sőrés, RMF. Viele Platten sind auf dem Label Not Applicable oder auf deinem eigenen Label Farai Records erschienen. Welche Band-Konstellationen habe ich übersehen oder vergessen zu erwähnen? Wie organisiert oder strukturierst du diese vielen Projekte?
Rudi Fischerlehner: Was Organisation und Struktur anbelangt, ist das von Band zu Band sehr verschieden, jede Gruppe ist gewissermaßen eine eigene musikalische und soziale Welt. Grob gesagt gibt es Situationen, in denen ich eigene Ideen umsetze, wie in meinem Soloprogramm, kollektive Ensembles, die frei improvisieren oder gemeinsam Musik schreiben, und außerdem Projekte, in denen ich als Schlagzeuger die Stücke von jemand anders spiele.
Immer wieder gab es auch Bands, die ich sehr mochte, die aber ausschließlich live gespielt haben und daher in keiner Diskografie auftauchen. Zwei Beispiele dafür wären Parrot’s Feathers mit Matthias Schubert und Antonio Borghini und das Quartett mit Tristan Honsinger, Olaf Rupp und Antonio Borghini.
„… ZU SEHEN, DASS ES ANDERNORTS ANDERS LÄUFT ALS BEI UNS UND ES ALSO VERSCHIEDENE MÖGLICHKEITEN GIBT, GESELLSCHAFT UND LEBEN ZU GESTALTEN.“
Du hast auch Soundtracks für Videoarbeiten und beim Film wie zum Beispiel „Von hier aus“ von Johanna Kirsch und Katharina Lampert den Abspann-Track komponiert, begleitest musikalisch Performances von Wilhelm Groener. Gibt es kommende Aufträge in diesem Bereich?
Rudi Fischerlehner: Tatsächlich hatte ich immer wieder die Möglichkeit zu Filmen und Videoarbeiten befreundeter Künstler:innen Stücke beizusteuern oder generell am Soundtrack mitzuarbeiten. Meine letzte Filmbeteiligung war der Sound zu „Frames Fragments Frequencies“, einem experimentellen Tanz/Performance-Film von Wilhelm Groener. Mit dieser Gruppe arbeite ich seit zehn Jahren bei Bühnenstücken zusammen, eine sehr inspirierende Kollaboration. In einem Stück habe ich bei jeder Aufführung durch Trommeln eine Miniaturstadt aus Kreide zum Einsturz gebracht.
Du hast eine Zeit lang Musikwissenschaft und Ethnologie studiert, auch Reisen nach Amerika, Afrika und China unternommen. Welche wichtigen musikalischen und gedanklichen Souvenirs hast du von diesen Studien(-reisen) mitgenommen?
Rudi Fischerlehner: Um Missverständnissen vorzubeugen: Diese Reisen hatten nichts mit meinem vorübergehenden Ethnologie-Studium zu tun, also ich war nicht auf Feldforschung, bei Ausgrabungen oder ähnlichem. Aber ich hatte das Glück, durch Reisen, Tourneen und einen New-York-Aufenthalt Einblicke in den Alltag verschiedener Länder zu gewinnen, was definitiv meinen Horizont erweitert hat. Zu sehen, dass es andernorts anders läuft als bei uns hat mir ein Gefühl dafür gegeben, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, Gesellschaft und Leben zu gestalten. Als einfaches Beispiel fällt mir ein, dass man in Mozambique und Zimbabwe damals kaum Werbung im Landschafts- oder Stadtbild gesehen hat und als ich zurück nach Wien kam, war ich förmlich erschlagen von dieser Flut an Werbebildern, die mir davor kaum mehr auffielen.
Schon in Kindergartentagen hast du ein Walt-Disney-Schlagzeug bearbeitet. Dein Vater, ein Kapellmeister der Blasmusik in Alberndorf in Oberösterreich, deinem Geburtsort, hat dich vermutlich in deinem perkussiven Schaffen gefördert. Hätte es dich auch gereizt, andere Instrumente zu erlernen?
Rudi Fischerlehner: Ein musikalisches Umfeld in der Kindheit ist natürlich ein großer Vorteil, und mit Ingrid Oberkanins, Hari Ganglberger und Franky Hueber hatte ich gleich drei außerordentliche Schlagzeuger:innen in der Umgebung, die mich inspiriert und zu unterschiedlichen Zeiten an Drumkit, Mallets und Percussion unterrichtet haben. Ich spiele darüber hinaus andere Instrumente zum eigenen Vergnügen und gut genug, um mit genügend Zeit selbst Sachen einzuspielen, aber live vor Publikum bleibe ich lieber bei meinen Leisten.
„DAS EXPERIMENT, DIE UNBEWUSSTE LOGIK EINER FREIEN IMPROVISATION IN EINEM WIEDERHOLBAREN STÜCK EINZUFANGEN.“
Es gibt auch ein paar Solo-Drum-Alben von dir. „Spectral Nichts“ heißt dein letztes Album, ich würde es ein unheimlich gutes, poltergeistiges Mimikri-Schlagwerk-Sammelsurium nennen. Das Spektrum hat im lateinischen ja die Bedeutungen Bild, Erscheinung oder auch Gespenst. Gespenstisch und unberechenbar wandeln deine Drum-Stücke beim Hören durch den Raum. Was verbirgt sich hinter der Bezeichnung „Spectral Nichts“? Worauf hast du bei der Soundästhetik geachtet?
Rudi Fischerlehner: Danke für deine Worte. Deine Analyse trifft es schon sehr gut, ich habe den Titel auch eher intuitiv gefunden und dann als sehr passend ausgewählt. Es könnte um eine Leerstelle gehen, die für etwas Unbekanntes steht, die unheimlich ist und einen mit seinen eigenen Geistern konfrontiert, aber auch um einen ruhigen Ort, an dem ein Soloalbum entstehen kann.
Die Stücke auf den Alben entstanden aus klanglichen oder konzeptuellen Ideen, die mich interessieren und die ich über die Jahre weiterentwickelt und zu Stücken ausgearbeitet habe. Das können polyrhythmische Ideen sein wie bei „Stasia“ und „Rhythm Sculpture“, „Kleßheim“ spielt mit den Möglichkeiten von Drones und stehenden Klängen oder „Semta“ mit einer freien Rhythmik, die sich aus bestimmten Präparationen entwickelt. „Intuition Repeat“ ist das Experiment, die unbewusste Logik einer freien Improvisation in einem wiederholbaren Stück einzufangen.
Das Logo „kein mensch ist illegal“ findet sich auf deiner Website, ein wichtiges politisches Statement. Auf der Seite von „Kein Mensch ist illegal“ findet sich folgende Beschreibung: „Die Aufgabe eines Gegen-Narratives ist es, extremistische Botschaften zu diskreditieren, zu zerlegen und zu entmystifizieren. Die kann geschehen, indem logische oder sachliche Argumente oder aber auch Satire und Humor genutzt werden.“ Ein paar Klicks weiter bin ich auf der Startseite von #ichbinhier und stoße auf die Frage: „Wo bist Du? Digitale Zivilcourage für eine bessere Diskussionskultur.“ Wie ist dein Umgang mit politischen Fragen rund um diese Themen?
Rudi Fischerlehner: Ich sehe in dem Slogan den Versuch, der Illegalisierung und Anfeindung von Menschen auf der Flucht auf sprachlicher Ebene etwas entgegenzusetzen. Die heutige Situation ist in vielerlei Hinsicht erschreckend, tausende Menschen sterben jährlich auf der Flucht im Mittelmeer, das Recht auf Asyl wird zunehmend unterhöhlt etc. und ich möchte mit dem Sticker auf meiner Website zumindest auf bescheidene Weise meine Betroffenheit über diese Zustände und die Dringlichkeit nach Veränderung ausdrücken.
Herzlichen Dank für das Interview!
Michael Franz Woels
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Rudi Fischerlehner