„You don’t enjoy my body while I’m not“ – diese und andere direkte, dringliche Gesellschaftskritik weht einem, in Poesie verpackt und sphärische Soundscapes gehüllt, vom Debütalbum von LITHA entgegen. Unwohlsein und dissonante Emotionen werden hier in wohlig-warmen elektrisierenden Soul-Pop und R’n’B getaucht, ein mitreißendes, tief vibrierendes Timbre durchdringt sämtliche Hautschichten. Im mica-Interview mit Florentina Finder spricht die niederösterreichische Sängerin und Songwriterin Lisa Lurger, alias LITHA, über den Mut, Mutterschaft und Fehlgeburten in Musik zu thematisieren, von geträumten Songideen und darüber, wie Musik zum Werkzeug der Selbstermächtigung werden kann.
Du bist ja schon lange auf vielfältige Weise musikalisch tätig, hast Jazzgesang studiert, in Bands gespielt und warst auch mal Backgroundsängerin – wann kam für dich der Moment, wo du wusstest, jetzt muss ein Solo-Album her?
Litha: Das hat sich erstmals im Jahr 2020 zugespitzt, den Drang danach verspürte ich aber schon lange Zeit davor. Da war auf jeden Fall so ein Punkt, wo für mich das Thema Selbstbestimmung von Frauen und vor allem auch in Bezug auf Geburten so präsent wurde. Daraufhin habe ich meine erste Single geschrieben, „Mercy“, und bin zu Andreas Lettner ins Studio gegangen, wo wir eine Listening Session gemacht haben. Ab da war klar: Okay, wir machen das.
Wir waren beide von Anfang an total committed, wollten beide nach etwas Wahrhaftigem suchen. Nach „Mercy“ wussten wir, dass das die Art von Tiefe ist, die das Album braucht. Wäre dieser Song nicht gleich mal da gewesen, wäre das Album vielleicht schon früher gekommen, aber es hätte nicht diesen Boden, diesen Mut gehabt. Der ganze Prozess war dann noch sehr durchwachsen, teilweise extrem fordernd und hat viel Hinschauen und Dranbleiben gekostet.
Was war das Fordernde daran?
Litha: Die komplette Ehrlichkeit zu allen Themen. Ich wollte es wirklich wissen. Die Neugier nach dem Kern der Themen, die ich da angestoßen hatte, war so riesig. Und dann waren dazwischen auch mal Lieder dabei, die konnten nicht mithalten. Es hat Phasen in dem Prozess gegeben, wo ich wieder loslassen musste. Also insofern, die Ehrlichkeit war einfach sehr fordernd.
„Da kommt die Rebellin in mir heraus, die sagt: Sicher nicht. Das müssen wir verändern”
Im Albumtitel und im titelgebenden Song wird bereits ein Thema angedeutet, das sich durch deine Songs zieht, nämlich der Umgang mit Mädchen und Frauen in der Gesellschaft, diese limitierende „Good Girl“-Rolle, in die man als weiblich zugeordnete Person oftmals gedrängt wird. Wie gehst du mit dieser Rolle in deinem Leben um?
Litha: Ich bin in meinem Alltag immer wieder mit Situationen konfrontiert, wo ich andere Menschen beobachte, egal ob das jetzt im Wartezimmer einer Ordination oder am Bahnhof ist, wo ich immer wieder mal staune über genau diese Rollenzuschreibung.
Ich habe mich immer wieder daran gestoßen, weil da etwas nicht stimmt, weil da irgendwas absurd ist, weil diese Menschen nicht gesehen und verbogen werden. Hauptsache, es ist irgendwie angenehm und ruhig und wir haben es alle vielleicht gemütlicher miteinander. Eigentlich geht es nur darum, eine Erwartung zu erfüllen, die von jemand anderem kommt. Auch im Austausch mit Freundinnen sind wir alle auf das Gleiche gekommen – das hat uns geprägt, das sitzt tief. Ich finde, man kann den Bogen so weit spannen, dass die Aussage Realität wird: „Wenn ich brav bin, werde ich geliebt“. Und das ist natürlich zutiefst traurig. Da kommt dann die Rebellin in mir heraus, die sagt: Sicher nicht, das müssen wir verändern.
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Schreibst du deine Musik dann auch in erster Linie, um diese negativen Gefühle und Erlebnisse zu verarbeiten? Oder schreibst du hauptsächlich mit der Intention, andere auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen?
Litha: Beides. Es ist ein Spiegel von dem, was mich gerade beschäftigt, in meiner Welt. Aber dann habe ich doch ein starkes Bedürfnis danach, es hinauszutragen, überhaupt darauf aufmerksam zu machen. Es ist auch so, dass die Perspektive, die ich in dem Song gewählt habe und die stark aus den Lyrics hervorgeht, die Absurdität dieser Rolle so stark rauskommen lässt. Und das macht was Eigenartiges mit Menschen, die den Song hören. Die Aufforderungen in dem Song berühren Menschen unterschiedlich. Ich schreibe das jedenfalls nicht nur für mich und meine Verarbeitung, damit es mir besser geht. Ich sehe es als Gedankenanstoß und auch als Aufforderung für andere.
„Das 100. Lied über gescheitere Liebesbeziehungen holt mich nicht ab“
Dazu passt ja auch, dass du Mutterschaft und traumatische Erfahrungen während der Geburt thematisierst. Es kommt ja nicht oft vor, dass solche Themen in der Popmusik abgehandelt werden. Sollte deiner Meinung nach Pop politischer sein?
Litha: Sollte etwas so oder so sein? Das kann ich nicht beantworten. Aber mir gibt es mehr. Mir gibt es mehr zum Nachdenken, wenn Musik auch gesellschaftliche Themen aufgreift. Ich merke das vor allem, wenn ich das 100. Lied über gescheiterte Liebesbeziehungen höre – ich verstehe, dass es verarbeitet werden will, aber das holt mich gerade nicht ab. Es gibt so viele Themen, die uns gerade betreffen. Und Kunst ist ja immer auch ein Spiegel der aktuellen Zeit.
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Wie läuft bei dir der Songwriting-Prozess ab? Ist dir dabei eine gewisse Autonomie wichtig oder kollaborierst du auch gerne?
Litha: Grundsätzlich schreibe ich die Songs und nehme sie dann im jeweiligen Status quo ins Studio mit. Andi (Lettner) war sehr eingebunden, die ganzen Soundscapes haben wir miteinander geschaffen. Das Album haben wir auf jeden Fall gemeinsam gemacht, das Songwriting liegt aber in erster Linie bei mir.
Die Harmonien bei einem Song entstehen bei mir hauptsächlich durch Stimmen, da schreibe ich dann oft gar nicht am Klavier. Am Handy habe ich tausende Sprachmemos von Momenten, etwa beim Autofahren oder in der U-Bahn, wo auf einmal eine Idee im Kopf aufgetaucht ist, die ich festhalten wollte. Ich habe mir schon ein paar Mal gedacht, „die Melodie merke ich mir“, aber dann ist sie natürlich gleich wieder weg. Sprachmemos sind daher sehr wichtig für mich (lacht).
Hast du auch manchmal eine Song-Idee „geträumt“, also einfach einen überragend guten musikalischen Einfall im Traum gehabt, der dann leider wieder weg war beim Aufwachen?
Litha: Ja, das ist mir auch schon passiert. Ich bin aufgewacht und habe ein ganzes Orchesterstück im Kopf gehabt und mir gedacht, ich will ich es jetzt zu Papier, oder in irgendeiner Form aus meinem Mund herausbringen, sodass ich die Melodie laut höre.
…aber man kann sich dann im Schlaf halt nicht hinsetzen und eine ganze Partitur schreiben.
Genau (lacht).
Vor ein paar Jahren hast du deine Musik noch Swag Pop genannt. Bist du bei dieser Bezeichnung geblieben? Und wenn ja, was bedeutet diese „Genre-Schöpfung“ für dich?
Litha: Ich habe mich mittlerweile davon gelöst. Swag Pop kam zu einer Zeit, wo ich mir gedacht habe, das ganze Album geht in eine andere Richtung. Und dann ist es immer mehr zu seinem eigenen Kern vorgedrungen. Es waren die Themen, die plötzlich das Album gemacht haben. Der Inhalt hat den ganzen Sound bestimmt. Mit Swag Pop hat es begonnen, dann bin ich auf Deep Dive Pop umgestiegen – Deep Dive einfach deswegen, weil man gut tief reintauchen kann. Hat man mal Lust auf einen Tiefgang, dann empfehle ich das Album. Darum die Zuschreibung. Aber ich hänge überhaupt nicht daran. Mittlerweile denke ich mir, es dürfen unterschiedliche Laden geöffnet werden.
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„Es gibt oft kein Werkzeug, wie eine Grenze abgesteckt werden kann. Insofern ist das ein Angebot.”
Welche Lieder auf dem Album liegen dir besonders am Herzen?
Litha: „Manifesto“, der offizielle Abschluss vom Album, ist eigentlich die jüngste Nummer. Die ist in Zusammenarbeit mit Jay Choma und Manu Diem entstanden, nach einem Austausch, der über ein halbes Jahr gegangen ist, über all unsere persönlichen Erfahrungen und Erfahrungen aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis. Es war so dringend, in irgendeiner Form ein Werkzeug zu schaffen, das wir benutzen können, das uns hilft, zu sagen: „Das machst du nicht mit mir“. Ich finde, manchmal gibt es Situationen, wo jemand überrollt wird. Und dann gibt es eine Starre und es gibt kein Werkzeug, wie eine Grenze abgesteckt werden kann. Insofern ist das ein Angebot.
Ich finde das jetzt voll gemein den anderen Nummern gegenüber (lacht), aber „Manifesto“ ist ein Herzstück vom Album, nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich. Die Dringlichkeit des ganzen Themas macht es einfach dazu, weil die Forderung, dass das alles aufhört, so stark ist. Für Jay, Manu und mich ist es so klar: Die ganze Gewalt, die sexualisierte Gewalt, die Grenzüberschreitungen müssen JETZT ein Ende haben.
Auch „Gone“ ist eine Nummer, die mir sehr nahe ist, weil es um stille Geburt geht und um Menschen, die wir nie kennenlernen werden und das, was wir dann aber haben, ist einfach die Idee von den Menschen.
Wie geht es dir damit, wenn du so tiefschürfende, persönliche Themen in deinen Songs nach außen trägst?
Litha: Die Themen gehen ja über mich hinaus. Tabuthemen wie Fehlgeburten betreffen so viele Frauen. Auch das Thema Gewalt im Kreißsaal, Gewalt im Krankenhaus, aufgrund von Systemfehlern, weil die Regierung nicht darauf schaut, dass würdevolle, selbstbestimmte Geburten passieren können, betrifft nicht nur mich persönlich, sondern extrem viele Menschen. Öffentliche Debatten darüber verebben schnell. In kleineren Gruppen wird das Thema schon besprochen, aber dass dann tatsächlich eine Umsetzung passiert und dass das auch respektvoll diskutiert wird, das fehlt mir. Darum würde ich mich sehr freuen, wenn meine Musik auch Anstoß sein kann für genau solche Diskussionen.
Ich nehme an, deine Geschichten sind noch nicht auserzählt. Was sind deine musikalischen Pläne für die Zukunft? Kannst du dir ein weiteres Album vorstellen?
Litha: All meine Ideen in Musik zu packen und auszuarbeiten, den Prozess liebe ich sehr. Das ganze Setting rundherum, wie anstrengend es ist, in Österreich überhaupt Gehör zu finden, in Radios gespielt zu werden – bis jetzt war der Mut, was meine Musik betrifft, noch nicht so da – das lässt mich ein bisschen zögern. Es ist schon echt ein zähes Business, das habe ich in den letzten Jahren gelernt, daher möchte ich die Entscheidung gut treffen, wie lange ich das in der Form umsetzen will. Ich würde es mir wünschen, aber es ist natürlich abhängig vom ganzen System.
Ich zahle ganz viele andere Menschen von einem Geld, das ich mir von einer anderen Arbeit erarbeite. Der Ausgleich ist in der Form einfach überhaupt nicht da. Ich kann da nur denen, die an den Hebeln sitzen, eine herzliche Einladung dazu aussprechen, viel mehr Unterstützung zu geben. Oder auch den Mut zu haben, ein System zu verändern.
Stehen bei dir in nächster Zeit Live-Auftritte an?
Litha: Nächstes Jahr werden wir auf jeden Fall im Spielboden Dornbirn und im Treibhaus Innsbruck spielen. Offiziell, neben allem, was derzeit im Hintergrund läuft, ist ein Konzert am 8. März in der Bühne im Hof, gemeinsam mit Panik Deluxe und Cousins Like Shit.
Herzlichen Dank für das Interview.
Florentina Finder
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