Das neue Album von Renate Reich heißt „Bad Habits“ und wird am 26. September 2025 im Radiokulturhaus in Wien präsentiert. Im Gespräch mit Jürgen Plank erzählt sie wie Reisen nach Afrika oder in die Karibik ihre Musik inspirieren. Aufgewachsen ist die Jazz-Sängerin in Kabul, Afghanistan und in anderen Ländern des Orients. Reich berichtet wie die Eindrücke der Kindheit heute noch auf ihr künstlerisches Tun wirken. Und es geht im Interview um die großen Fußstapfen von Sänger:innen wie Ella Fitzgerald, Frank Sinatra oder Carmen McRae, in die man als Jazz-Sängerin bei der Interpretation von Jazz-Standards tritt.
Du singst im Eröffnungsstück „Bad Habits“ deiner gleichnamigen CD von crazy ideas. Worauf beziehst du dich?
Renate Reich: Das ist eine sehr persönliche Geschichte. Ich bin ein Mensch, der manchmal sehr spontane crazy ideas hat. Zum Beispiel setze ich mich ins Auto und fahre nach Triest oder ich fahre für 4 Wochen nach La Reunion, weil es sich gerade ausgeht. Oder ich male etwas Komisches. Ich bin ein künstlerisch veranlagter, spontaner Mensch und nicht immer heilig, sagen wir es mal so. Mit „Bad Habits“ meine ich: man hat irgendwelche Macken und ich stelle mich ein bisschen dagegen, immer perfekt zu sein und der Gesellschaft zu entsprechen. Ich sage: ich bin jetzt einfach so und möchte mit einer Sache anders umgehen oder vielleicht eine blöde Bemerkung machen. Oder mich einfach anders verhalten und nicht alle sind immer so heilig und jeder hat seine Ecken und Kanten.
Du hast auf La Reunion auch ein Konzert gespielt, wie war das?
Renate Reich: Sehr heiß, ich habe mit einem Pianisten und einem Bassisten gespielt. Vier Wochen in den Tropen sind schon ein bisschen heftig. Ich habe La Reunion gewählt, weil es zu Frankreich gehört und weil es dort sicher ist. Ich kann als Frau dort ganz gut unterwegs sein. Über Freunde habe ich Kontakte zu Musikern bekommen, das Konzert war großartig. Wir haben 1 bis 2 Mal geprobt und die waren total begeistert einen internationalen Gast zu haben. Es war das heißeste Konzert, mir ist sämtliche Schminke davon geronnen, die Luftfeuchtigkeit ist dort irrsinnig hoch, aber es war eine schöne Geschichte.
Inwiefern fließen diese schlechten Angewohnheiten, diese Bad Habits, auch in die Musik ein oder ist das nicht der Fall?
Renate Reich: Da würde ich eher auf die crazy ideas eingehen. Ich bin mit einem Musiker verheiratet und der schätzt an mir, dass ich manchmal spontane Ideen habe. Musikalisch ist es im Stück „Bad Habits“ so, dass es am Anfang wie ein Popsong ist und am Schluss gibt es chromatische Läufe, das sind die crazy ideas.
Ich habe bei einem Vocal-Summit nur mit Stimmen improvisiert. Die Gelegenheit ergibt sich selten, aber ich habe mal auf der mdw (Anm.: Universität für Musik und darstellende Kunst Wien) unterrichtet und wir waren vier Frauen und haben dann völlig crazy ideas einfach vokal umgesetzt. Das liebe ich auch. Mit der Jazz-Band auf der Bühne mache ich das weniger, da halte ich mich schon an die Songs, weil mir die Formen und die Geschichten wichtig sind. Da lasse ich die Jungs improvisieren.
Auf dem Album ist ein Jazz-Standard aus dem Jahr 1947 enthalten, den auch Doris Day gesungen hat. Wie bist du auf „No moon at all“ gekommen? Hast du das Stück von Doris Day gehört?
Renate Reich: Nein, nicht von Doris Day, sondern ich habe das von Nat King Cole gehört. Das Stück ist gar nicht so bekannt und ich bin auf das Stück gekommen, weil ich ein Mondprogramm gemacht habe. Mit Lady Bird & The Cats, hat das damals geheißen. Das war ein Show-Programm bei dem ich nur Lieder zusammengetragen habe, da gibt es nämlich erstaunlich viele: „Moon and sand“, „Fly me to the moon“ oder „How high the moon“ zum Beispiel. Die Aufnahme von „No moon at all“ von Nat King Cole hat mir gefallen und ich habe eine Version von Roger Cicero gefunden. Das ist ein urcooler Song, den ich machen wollte und ich habe eine französische Textpassage dazu geschrieben. Wir haben das Stück in einem relativ langsamen Modus aufgenommen, das war wie ein Chanson.
Warum hast du den Text in französischer Sprache ergänzt?
Renate Reich: Ich finde, dass Französisch eine schöne Sprache zum Singen ist. Englisch hat einen komplett anderen Charakter. Ich habe Französisch schon in der Schule geliebt, weil ich meine Englisch-Lehrerin nicht leiden konnte. In meiner Anfangszeit, als ich zu singen begonnen habe, bin ich mit Chansons aufgetreten. Das spannt also einen Bogen zu meiner ganz frühen Gesangskarriere. Da habe ich mich mit der Gitarre hingesetzt und Chansons gesungen.
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Am neuen Album ist auch ein Stück, das insbesondere Frank Sinatra gesungen hat, nämlich „One for my baby (and one more for the road)“ aus dem Jahr 1943. Wie hast du dich dem Lied angenähert? Die Fußstapfen sind sehr groß.
Renate Reich: Das ist bei vielen Jazz-Standards so. Wenn man Jazz studiert und sich damit beschäftigt, hat man einfach riesige Fußstapfen: Ella Fitzgerald oder Frank Sinatra. Oder ich mag sehr gerne Carmen McRae. Ich mag die Geschichte, die das Lied „One for my baby“ erzählt: in einer Bar zu versumpfen. Wir haben das Lied ein bisschen anders arrangiert als das Original. An Frank Sinatra haben ich mich gar nicht orientiert, sondern ich habe mich eher an der Story angehalten.
Wenn man sich Jazz-Standards vornimmt, muss man sich vielleicht gedanklich von den großen Interpret:innen lösen.
Renate Reich: Auf jeden Fall. Ich höre mir dann ganz verschiedene Interpret:innen auf YouTube oder Spotify an und ich habe dann auch crazy ideas zu den Liedern: machen wir das Mal in Richtung Reggae oder mit einem anderen Rhythmus. Man nimmt die Melodie und die Akkorde her und mein Mann, Thomas Palme, der sich da sehr gut auskennt, steuert dann viele Arrangement-Ideen bei. Viel entsteht auch, wenn wir uns als Band einfach zusammensetzen.
Du hast mit dem Bassisten Glen Fisher aus Kalifornien zusammengearbeitet, unter anderem für eine jazzige Version von „Roxanne“. Wie kam es zu dieser Kollaboration und wie hat sie den Sound des Albums beeinflusst?
Renate Reich: Der Bassist Glen Fisher hat in den 1980er-Jahren in Wien gelebt und damals mit Thomas Palme gespielt. Glen ist wieder nach Kalifornien gegangen und wir haben uns dort im Zuge einer Urlaubsreise getroffen. Glen hat netterweise Gigs für uns organisiert, weil er uns eben schon gekannt hat und wir haben zum Beispiel im Humphreys gespielt, in San Diego. Das ist ein wunderschöner Jazz-Club. Wir haben also geprobt, gejammt und Konzerte gespielt und dann in seinem Studio in den U.S.A. „Roxanne“ von Sting aufgenommen. Von dem Song gibt es ein schönes Arrangement von George Michael, das in Richtung Jazz geht und wir haben das noch ein bisschen verändert und schneller gemacht und nur mit Bass und Gitarre aufgenommen.
„ICH MAG STINGS KOMPOSITIONEN EINFACH EXTREM GERNE, MAN KÖNNTE VIELE IN EINEN JAZZ-KONTEXT STELLEN“
Was hat für den Song „Roxanne“ gesprochen?
Renate Reich: Es entspricht vielleicht auch ein bisschen dem Zeitgeist, dass man Pop-Songs auf jazzige Weise interpretiert. Ich finde das total cool, so kann man auch junge Hörer:innen zum Jazz hinführen. Ich unterrichte ja auch viel und die Schüler:innen sagen dann, dass sie das cool finden. Man kann oft einen Swing- oder einen Bossanova-Rhythmus machen, das geht eigentlich mit fast jedem Song.
Bei „Roxanne“ würde ich jetzt nicht sagen, dass mich der Text total anspricht, aber ich mag Sting sehr. Ich mag seine Musik irrsinnig gern und ich habe in New York ein Stück von ihm mit dem Bassisten George Farmer aufgenommen, nämlich „It’s probably me“. Ihn kenne ich auch aus Wien, er ist der Sohn von Art Farmer. Ich mag Stings Kompositionen einfach extrem gerne, man könnte viele in einen Jazz-Kontext stellen. Ich mag Crossover, ich mag Melodien und Stories und: Ich sehe mich als Brückenbauerin zwischen Jazz und Pop.
Du schreibst Stücke oft gemeinsam mit deinem Mann, dem Gitarristen Thomas Palme. In welchem Moment passiert das?
Renate Reich: Das Album ist über einen Zeitraum von zirka sieben Jahren entstanden. Ich habe damals begonnen alleine in der Weltgeschichte herum zu reisen. Für mich war die Corona-Pandemie der Horror. Ich konnte nicht hinaus und habe keine Inspirationen gehabt. Ich bin ja auch Hobby-Malerin, aber ich habe keinen Pinsel angegriffen und keinen einzigen Song geschrieben.
Ich wurde in Kabul geboren und habe dort meine Kindheit verbracht und habe immer andere Gerüche und Kulturen erlebt, das war für mich aufregend. Ich liebe es herum zu fahren und sauge dabei Eindrücke auf. Ich war zum Beispiel in Sansibar und es gibt ja den Song „Sansibar“ von Billy Joel.
Und Freddy Mercury stammte von dort.
Renate Reich: Richtig. Ich war kurz vor der Pandemie in Sansibar. Dort gibt es arge Geschichten, Sansibar war zum Beispiel ein Umschlagplatz für Sklaven. Das inspiriert mich. Dort habe ich einen jungen Mann auf eine Kokospalme klettern gesehen und da ist mir das Thema zum Stück „Dayo-Eh“ eingefallen. Das Stück hat einen 7/4-Takt und so sammle ich Ideen.
Wie wirkt denn Kabul, der Ort deiner Kindheit nach? Sind die Eindrücke präsent und inwiefern inspirieren sie dich noch?
Renate Reich: Auf jeden Fall. Mein Vater hat viele Jahre in Kabul gearbeitet, meine Eltern waren rund 12 Jahre lang in Afghanistan, im Iran und im Irak. Der Orient war für mich als Kind immer präsent. Wir waren natürlich privilegiert, wir hatten Orientteppiche und Bedienstete, es war immer alles schön. Wir hatten einen Gärtner und einen Koch, ich habe einmal geschnippt und der Koch musste mir wieder Pommes Frites zubereiten als ich 7 Jahre alt war. Ich war ein verwöhnter Fratz! Ich bin mit meiner Mutter durch den Basar gegangen und habe alles aufgesaugt: die Stoffe und die Muster verarbeite ich sicher auch beim Malen. Der Orient war für mich ein Ort der Fülle, das war eine bunte, schöne Kindheit mit vielen Eindrücken und Gerüchen. Ich verarbeite das in Bildern oder in meinen Songs und bin glücklich, dass ich das so erleben durfte.
Was ist für die Album-Präsentation im Radiokulturhaus am 26. September 2025 geplant?
Renate Reich: Der Geiger Rudi Berger hat mich irgendwann gehört und gemeint, dass er die Musik mag. Er hat angeboten, dass er auf der CD ein Solo einspielt. Geige ist eigentlich nicht so mein Instrument, aber ich fand die Idee trotzdem gut.
Eine crazy idea, sozusagen.
Renate Reich: Ja, genau, und Rudi wird zum Konzert kommen. Ich habe mit ihm jetzt noch nicht abgeklärt, ob er auch mitspielt, aber ich vermute, dass er schon spielen wird. Wir haben uns erst gegen Ende der Produktion kennen gelernt, daher ist er nur auf einer Nummer drauf. Das ist aber großartig und Geige ist ein bisschen ungewöhnlich, aber cool.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank
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Renate Reich live
26.9.2025, Radiokulturhaus, Wien, Album-Präsentation
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