Mit „A Million Forests of the Fall“ (Unit Records) präsentiert der japanisch-österreichische Gitarrist und Komponist Kenji Herbert gemeinsam mit seinen beiden Mitstreitern Vinicius Cajado und Lukas König ein Album, auf dem das Thema Jazz aus einer wirklich einmal anderen Perspektive betrachtet wird. Was man präsentiert bekommt, ist ein Sound, der Jazz und Improvisation mit der Klangästhetik des Indie-Rocks verschmilzt und auf eine vielschichtige, dennoch harmonische Weise einen einzigartigen, unkonventionellen musikalischen Charakter entfaltet. Im Interview mit Michael Ternai spricht Kenji Herbert über den Einfluss, den sein kosmopolitischer Background auf seine Musik ausübt, seine Faszination für die Improvisation und welche musikalischen Vorstellungen er auf dem Album umsetzen wollte.
Das Album deines Trio-Projekts ist letzten November erschienen. Wie lange gibt es das Trio schon? Die Gründung deines Trios fand in New York statt, oder?
Kenji Herbert: Richtig. Dort haben wir das erste Mal in dieser Besetzung gespielt. Wenn ich mich richtig erinnere, war das ein Hauskonzert bei mir zu Hause. Das Haus, in dem ich lebte, hatte einen Kellerbereich, und mein damaliger Mitbewohner, der Pianist ist, und ich veranstalteten dort regelmäßig Konzerte. Wir luden Kolleg:innen und Freund:innen ein, kochten und spielten. Bei einem dieser Konzerte spielte ich mit Vinicius Cajado und Lukas König. Vini war damals gerade nach New York gezogen, und er schlug vor, doch etwas mit Lukas, der gerade in Town war, zu machen. Das hat sich also recht spontan ergeben. Gekannt haben wir uns aber schon länger davor.
Dieses Trio hat sich eigentlich vom ersten Moment an sehr gut angefühlt, und als ich vor drei Jahren nach Wien gezogen bin, habe ich es wiederbelebt. Ich hatte ein paar Skizzen, die ich während der Coronazeit geschrieben hatte, und wir haben sie ausprobiert. Relativ schnell ergab sich dann, dass wir zu Markus Wallner ins Studio gegangen sind und die Stücke aufgenommen haben. Die Session war zu Beginn allerdings eher dafür gedacht, eine Art Demo herzustellen. Doch die Aufnahmequalität war so gut, dass wir dachten: Okay, dann veröffentlichen wir ein Album.
Den Plan, gemeinsam ein Album zu machen, gab es anfangs also nicht.
Kenji Herbert: Ich würde sagen, dass am Anfang das gemeinsame Spielen im Vordergrund stand. Daran, dass das Trio quasi mein Projekt werden sollte, habe ich nicht gedacht. Aber bei mir ergeben sich die Dinge oft so. Dadurch, dass ich bei vielen Projekten auch als Sideman oder Mitwirkender dabei bin, findet sich die Rhythmusgruppe oder die Personen, mit denen ich gerne ein Projekt machen möchte, oft auf ganz natürliche Weise zusammen.
Das Interessante an diesem Projekt ist, dass in ihm viel Verschiedenes zusammenkommt. Ihr seid drei Musiker mit sehr unterschiedlichen musikalischen und kulturellen Backgrounds, und jeder von euch hat eine ganz eigene musikalische Sprache. Sind das im Grunde nicht eigentlich die besten Voraussetzungen für ein außergewöhnliches Musikprojekt?
Kenji Herbert: Dadurch, dass ich einen recht kosmopolitischen Background habe, fällt es mir, glaube ich, leichter, mit meinen Mitmusikern zu kommunizieren und gemeinsam eine Sprache zu finden, die von großer Offenheit geprägt ist – und das nicht nur in kultureller, sondern auch in stilistischer Hinsicht. Andererseits würde ich jetzt nicht sagen, dass das für mich eine Voraussetzung für eine Zusammenarbeit ist. Dass dieses Trio jetzt so international besetzt ist, war nicht unbedingt aus Absicht. Aber ja, das ist auf jeden Fall immer wieder ein Thema in meinem Leben und es scheint innerhalb von meinen Projekten aufzutauchen.
Musikalisch zeigt sich das Trio auf jeden Fall in einer sehr ungewöhnlichen Weise. Die Art des Jazz, die ihr drei zu Gehör bringt, hat einen ganz eigenen Ton und eine besondere Schwingung. Einerseits zeichnet sich eure Musik durch große stilistische Vielfalt aus, andererseits wirkt alles dennoch sehr stimmig und harmonisch. Im Mittelpunkt steht der Klang der Gruppe.
Kenji Herbert: Ich habe es oft sehr genossen, mit Singer-Songwriter:innen zu arbeiten. In diesem Kontext gibt es häufig keine ausnotierten Charts oder festgelegten Parts. Jemand bringt einen Song zur Probe mit, und man lernt das Stück nach Gehör, während man sich gleichzeitig seine eigenen Parts überlegt. Dabei geht es oft um Atmosphäre oder Emotionen. Von diesem Ausgangspunkt aus entwickelt die Band gemeinsam eine musikalische Welt.
Dieser Ansatz hat mir im Jazzkontext manchmal gefehlt – insbesondere in Projekten, an denen ich mitgewirkt habe. Dort bringt man oft bereits ausgeschriebene Charts mit oder arbeitet mit sehr komplexen Stücken, bei denen man das Gefühl hat, dass es lange dauert, bis man überhaupt zur eigentlichen Musik gelangt, weil man zuerst ja alles lernen muss.
Als ich für dieses Trio geschrieben habe, hatte ich im Kopf, dass die Musik eher in dieser Songwriter-Schiene entstehen soll – dass ich also nicht als Bandleader mit bereits auserarbeiteten Ideen komme und den anderen zeige, worum es geht. Ich wollte etwas, das catchy ist, das man durchaus durchs Hören lernen kann und über das man gut improvisieren kann.
Das bedeutete wiederum, dass die Grundideen einen starken Charakter haben mussten und die Informationen, die ich der Band weitergeben wollte, kurz und prägnant sein mussten.
Was an dem Album ebenso heraussticht, ist der Sound. Auf der einen Seite klingt er angenehm warm, auf der anderen besitzt er aber auch Kanten. Er ist alles andere als glattpoliert.
Kenji Herbert: Der Sound hat sich im Grunde von selbst ergeben. Wir haben in einem Raum ohne Kopfhörer aufgenommen. Dabei haben wir komplett auf Overdubs und andere Spielereien verzichtet, sodass die Stücke genau so klingen, wie sie tatsächlich gespielt wurden.
Ich erinnere mich aber auch daran, dass uns Markus zunächst einen sehr roughen Mix erstellt hat, bei dem alles extrem komprimiert und trocken klang. Dennoch hatte das Ganze einen gewissen Vibe, der meiner Meinung nach gut zur Musik passte.
Für den Mix und das Mastering waren Pran Bandi und Charles Van Kirk verantwortlich – zwei Weggefährten, die ich seit meinen Studienzeiten in Boston kenne und mit denen ich in New York viel zusammengearbeitet habe. Wenn ich die beiden engagiere, ist es immer eher eine Zusammenarbeit, weil wir ein gutes Verständnis füreinander haben. Ich kann mich auch sehr gut einbringen, was ich gerade in Bezug auf die Klangästhetik oft tue.
Um noch einmal auf den Rough Mix zurückzukommen: Irgendwann hatte sich dieses Raue und Kantige in meiner Vorstellung festgesetzt. Als ich dann die ersten Mixes des Albums zurückbekam, lag plötzlich ein schöner Hall auf den Stücken, und alles klang insgesamt runder. Das entsprach nicht wirklich meiner Vorstellung. Daher sagte ich ihnen, dass ich es lieber hätte, wenn es mehr in die Richtung eines trashigen Indie-Sounds gehen würde und ob wir das nicht einbeziehen könnten. Letztlich hat das besser zur Musik und der Gesamtästhetik gepasst.
Eure Musik hat zwar Jazz als Basis, aber es klingt so, als hättet ihr die Stücke bewusst etwas einfacher gehalten und nicht auf eine komplexere Ebene gehoben.
Kenji Herbert: Ja, genau. Wir haben alle einen gewissen Zugang zur Jazzsprache, im Sinne davon, dass wir wissen, wie wir über Changes und Formen spielen können. Aber wir sind auch sehr stark in der frei improvisierten Musik verankert. Mir war es bei diesem Projekt wichtig, die musikalischen Strukturen ein bisschen einfacher zu halten. Ich wollte die Stücke im kompositorischen Sinne nicht zu restriktiv gestalten und meinen Mitmusikern sowie mir die Möglichkeit offenhalten, jederzeit aus der Form herauszubrechen.
Mir ging es mehr darum, wie wir miteinander über das Material sprechen und wie wir damit spielen – also um das Improvisatorische, das über den Strukturen passiert – als um die Kompositionen selbst. Diese sind quasi das Gesprächsthema, das in den Raum gestellt wird – der Rest passiert.
Was ist für dich die Faszination an der Improvisation? Wann hast du diese musikalische Ausdrucksform für dich entdeckt?
Kenji Herbert: Die Improvisation wurde schon relativ früh ein Teil meiner Klangvorstellung. Sie ist für mich gewissermaßen der Idealzustand innerhalb der Musik – dass man mit anderen Menschen im Moment, ohne vorgegebenes Material, gemeinsam Musik schaffen kann.
Wie viele wissen, bin ich der Neffe von Peter Herbert. Er leitete in Salzburg einmal eine Workshop-Reihe, an der ich seit 2005 regelmäßig teilnahm. Ich meine, er hieß „JIMS – Workshop für Jazz und improvisierte Musik Salzburg“. Und wie der Titel schon verrät, ging es sowohl um Jazz als auch um improvisierte Musik. So kam ich schon sehr früh mit improvisierter Musik in Berührung. Mich begann zu interessieren, wie man das eher traditionelle Jazz-Idiom mit freier Improvisation kombinieren kann. Und so bin ich im Grunde mehr und mehr in die musikalische Welt hineingerutscht.
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Du wurdest zwar in Österreich geboren, aufgewachsen bist zu aber in Japan. Welchen Einfluss hatte dieser Umstand auf deine musikalische Sozialisation? Mit welcher Musik wächst man dort auf?
Kenji Herbert: Mit aller möglichen Musik. Gerade im Jazz gibt es dort eine sehr lebendige Szene. Es gibt viele kleinere Clubs, in denen zu meiner Zeit viele Jam-Sessions stattfanden. Sobald ich Gitarre spielte und mich für Jazz interessierte, gab es vor allem in Kobe, wo ich aufgewachsen bin, viele Möglichkeiten, diese Musik auch live zu erleben und zu spielen. Wobei ich hinzufügen muss, dass das, was in dieser Szene lokal passiert, eher traditioneller ist. Aber das hatte durchaus eine positive Auswirkung auf mich, weil ich so ein Fundament für die Musiksprache bekommen habe. Vor allem als ich dann in die Staaten ging und mich in der dortigen Jazzszene zurechtfinden wollte, profitierte ich von meinem Verständnis für die Tradition.
Bevor ich überhaupt mit dem Gitarrespielen begann, wurde ich klassisch auf der Geige ausgebildet und spielte in Schulorchestern sowie in kammermusikalischen Kontexten. Das war sicher auch ein sehr wichtiges Fundament für das, was ich jetzt mache.
Du hast also von überall, wo du warst, etwas Essentielles mitgenommen.
Kenji Herbert: So kann man das sagen. Rückblickend fühlt es sich tatsächlich so an. Aber ich glaube, das ist in meinem Leben genauso wie in meiner Musik ein ständiges Thema. Die Erfahrungen, die ich in verschiedenen Kulturen gemacht habe, und das viele Reisen durch unterschiedliche Länder spiegeln sich natürlich in dem wider, was ich tue. Ich spiele mit verschiedenen Einflüssen und versuche, Dinge zusammenzubringen, die vermeintlich weit auseinanderliegen. Ich liebe es, Extreme aufeinanderprallen zu lassen, um zu sehen, was daraus entsteht.
Wie geht es mit dem Trio weiter? Was hast mit diesem noch vor? Vinicius, Lukas und du seid ja sehr gefragte und vielbeschäftigte Musiker, die in viele andere Projekten beteiligt sind. Denkst du dieses Trio längerfristig?
Kenji Herbert: Ja, schon. Im Idealfall spielen wir noch viel gemeinsam. Das Trio ist über dieses Album und die nächsten paar Gigs hinaus gedacht. Außerdem verstehe ich mich mit Vini und Lukas auch persönlich sehr gut. Ich würde sagen, dieses Projekt ist eines, bei dem der Vibe auch zwischenmenschlich perfekt passt. Allein aus diesem Grund möchte ich es fortführen. Und ich bin bereits am Schreiben, was wir als Nächstes machen könnten.
Du bist ja vor drei Jahren aus New York nach Österreich gezogen. Warum eigentlich?
Kenji Herbert: Die Auslöser dafür waren zwei Dinge: Erstens die Corona-Pandemie und das gleichzeitige Auslaufen meines Künstlervisums für die USA. Zweitens sind viele Kolleg:innen aus meinem engen Freundeskreis in dieser Zeit aus New York weggezogen.
Meine Überlegung war: Okay, ich bleibe in New York und schaue, wie es weitergeht. Aber letztlich fühlte es sich tatsächlich wie ein Wiederaufbauen von Netzwerken an, weil so viele meiner Mitmusiker:innen nicht mehr in der Stadt waren. Unter diesen Umständen ein neues Visum zu beantragen, wäre wahrscheinlich genauso stressig und schwierig gewesen wie ein kompletter Szenenwechsel. Da ich damals zudem genau zehn Jahre dort gelebt hatte und das Gefühl hatte, dass ein gewisses Kapitel zu Ende geht, bot es sich an, diesen Schritt zu wagen.
Ich wollte schon immer nach Europa ziehen, und es hätte nicht unbedingt Wien sein müssen. Meine ideale Vorstellung war, mir über die Jahre hinweg – unabhängig vom Wohnort – durch Projekte und Tourneen in Europa etwas aufzubauen. Das wäre ein sanfterer Übergang gewesen. Doch die Post-Pandemie-Zeit mit all der Ungewissheit hat das Ganze nicht gerade einfach gemacht. Letztendlich bin ich aber sehr froh über meine Entscheidung und fühle mich hier sehr gut aufgehoben.
Vielen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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