Als AFRODEO hat EVRIM KUZU viele Jahre Hip-Hop gemacht, auf Türkisch, seiner Muttersprache gerappt. Inzwischen setzt er weniger auf 16 Zeilen, dafür häufiger auf die vier Spuren seines Tape-Recorders. Das klingt nach Ambient, am besten sagt man experimentelle Kassettenmusik dazu.
Wieso machst du, was du heute machst?
Afrodeo: Ich habe in einer österreichischen Auslandsschule in Istanbul meine Matura gemacht. Zum Studieren bin ich dann nach Wien gekommen. Musik verfolgt mich aber schon länger. Als Kind habe ich auf Wunsch meiner Eltern viel Zeit mit der Saz, dem türkischen Volksinstrument, verbracht. In der Schule mussten wir außerdem Mandoline und Blockflöte lernen – die untrennbaren Instrumente des türkischen Bildungssystems. Sie sind dermaßen klischeehaft aufgeladen und waren für mich immer mit einer komischen Form von Disziplin verbunden. Deshalb konnte ich nie ein Interesse für sie entwickeln.
Sondern mehr für Hip-Hop, richtig?
Afrodeo: Ja, ich bin beim Hip-Hop gelandet, weil ich gemerkt habe: So kann ich mich ausdrücken. Ich habe schon in der Grundschule erste Texte geschrieben. Später erste Aufnahmen gemacht. Immer aber, ohne sie meinen Eltern zu zeigen.
Sie durften das nicht wissen?
Afrodeo: Ich war schüchtern und wollte nicht, dass sie fragen, was ich da tue. Gerade wegen der Texte. Darin ging es immer um mein Leben, um meine Gedanken. Ich verrate viel und meine Eltern …
Hätten danach mehr über dich gewusst, als du ihnen erzählt hast?
Afrodeo: Genau, wenn du die Texte hörst und verstehst, weißt du danach alles über mich. Also wollte ich nicht, dass sie das hören. Nur meine Freunde durften mich so hören. Später, im Gymnasium, hat sich das wieder verändert. Ich wollte Musik machen wie DJ Shadow, habe viel mit Samples rumprobiert, Beats gebaut. Seit ein paar Jahren beschäftige ich mich aber mehr mit Kassetten und Ambient. „Estranged” war 2022 der erste Versuch, mit primitiven Methoden Musik zu machen. Inzwischen ist der Four-Track-Recorder zentral für mich.
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Was dein Hip-Hop-Ding mit der Tape-Musik verbindet, ist das, ich sage mal: Rauschige.
Afrodeo: Ja, das ist meine Ästhetik. Ich habe einen soft spot für alte Medien, liebe VHS-Kassetten oder Tapes, aber auch frühe Digitalkameras. Nichts davon ist crystal clear, alle haben etwas Unperfektes. Das überträgt einen nostalgischen Effekt.
Was fühlst du darin?
Afrodeo: Es erinnert mich an meine Kindheit. Gerade Kassetten symbolisieren für mich so etwas wie eine alte Zeit vor der digitalen Welt. Sie heute zu verwenden, gibt mir das Gefühl, Musik mit meinen Händen zu machen. Und eigentlich stimmt das, wenn du Kassettenbänder auseinander schneidest und neu zusammenklebst. Es ist handgemacht – und intuitiv. Du kannst nämlich nie genau schneiden, du versuchst, vorzuhören. Darin steckt eine Aufregung wie bei analogen Fotos, weil du im Moment des Schnitts nie wissen kannst, was am Ende rauskommen wird.
Zuletzt hast du trotzdem nochmal Hip-Hop auf Türkisch gemacht.
Afrodeo: Ja, das ist mein Full-Circle-Moment. Ich habe vor zehn Jahren damit angefangen. Jetzt bin ich 30. Ich habe inzwischen Tape-Musik für mich entdeckt – das ist meine neue Methode, mich auszudrücken. Gleichzeitig wollte ich einen Abschluss haben zu dem, was ich davor gemacht habe.
Das heißt, du gibst deine Sprache auf?
Afrodeo: Das Ding ist: Ich habe immer auf Türkisch gerappt, auch in Wien. Mein soziales Umfeld besteht hier aber vor allem aus Menschen, die nicht diese Sprache sprechen, also: mich gar nicht verstehen. In letzter Zeit habe ich gemerkt, dass mir dadurch etwas verloren geht.
Wenn ich sage, dass es schön klingt, ich aber nichts verstehe. Ist das für dich ein Problem?
Afrodeo: Ja, weil meine Nachricht nicht ankommt. Trotzdem wollte ich meine Geschichte in den letzten zehn Jahren genau so schreiben – auf Türkisch, in meiner Muttersprache.
Weil du dich so an dich erinnern möchtest?
Afrodeo: Das mag übertrieben klingen, aber: In den Songs steckt mein Leben. Sie sind wie ein Audiotagebuch. Also ja, ich will mein Leben in dieser Sprache, in diesem Ausdruck in Erinnerung behalten.
Bist du dir so näher als auf Deutsch?
Afrodeo: Ich könnte mir auch auf Deutsch oder Englisch nah sein, aber ich wollte nicht auf Deutsch oder Englisch rappen. Das heißt nicht, dass die unterschiedlichen Sprachen, die ich spreche, nicht meinen Ausdruck auf Türkisch bereichern. Sie sorgen für Spannung, haben immer unterschiedliche Geschwindigkeiten. Dadurch klingen sie anders. Ich klinge anders. Sogar meine attitude klingt deshalb anders. Das ist ähnlich wie bei Gedichten. Die Übersetzungen mögen gut sein, aber es geht darin etwas verloren, das mehr ist als die Sprache selbst.
„TROTZDEM MAG ICH MEINE WORTE.”
Wie ist das in der experimentellen Tape-Musik?
Afrodeo: Die Spannung löst sich, wenn ich nicht mehr den Text in den Vordergrund stelle. Gleichzeitig rückt die Atmosphäre in den Vordergrund. Das gefällt mir. Trotzdem mag ich meine Worte. Und ich verwende sie weiterhin, indem ich zum Beispiel Texte zu den Sounds lese.
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Lass es mich so versuchen: Hip-Hop hat ein anderes Publikum als experimenteller Ambient, nein?
Afrodeo: Ich hoffe, dass ich eine Brücke schlagen kann. Ambient ermöglicht mir jedenfalls, alles mögliche hineinzugeben, es ist offen. Eigentlich habe ich – obwohl ich nicht den Text nach vorne rücke – sogar mehr Mittel, mich auszudrücken.
Warum?
Afrodeo: Weil ich flexibler bin. Ich kann Voice Messages einblenden oder inszenierte Dialoge schreiben, um mein eigenes Narrativ zu gestalten. Das ist anders, als auf einen Beat zu rappen, klar. Aber es macht mir gerade ziemlich viel Spaß.
Danke für deine Zeit!
Christoph Benkeser
++++
Links:
Afrodeo (Bandcamp)
Afrodeo (Instagram)
Afrodeo (Soundcloud)