Sonne auf der Haut, Stings Ray-Ban auf der Nase: RENÈ MÜHLBERGER aka PRESSYES hat ein neues Album gebastelt, das so sonnig klingt, als hätte es sich mit einer Meditationsplaylist und einem Bee-Gees-Mixtape aufs Yogakissen gelegt. „Sundrops!“ erscheint am 30. Mai bei Morinoko – und ist tanzbar, aber auch ein bisschen melancholisch. Im Gespräch mit Ania Gleich geht es dabei um musikalisches Raumgefühl, analoge Prinzipien, Streamingfrust und die Frage, wie man überhaupt noch Kunst machen kann, ohne sich selbst zu belügen. Spoiler: mit Pflanzen, Pragmatismus und einer Kamera, die sogar sibirischen Wintern standhält.
Wie würdest du dein neues Album im Vergleich zu deinen bisherigen einordnen – ganz aus dem Bauch heraus, vom Gefühl her?
Pressyes: Ich hab die drei Alben ehrlich gesagt nie nebeneinandergelegt, so nach dem Motto: „Das erste war so, das zweite so …“ Es sind ja inzwischen sieben Jahre vergangen. Aber heute habe ich die drei Vinyls mitgenommen und im Auto gesehen – okay, das sind jetzt wirklich drei Platten. Und was mir dabei aufgefallen ist: Auf jedem Cover ist ein Symbol drauf.
War das geplant?
Pressyes: Nein, überhaupt nicht. Das fand ich dann selbst interessant. Es zeigt irgendwie, wie sehr ich unbewusst doch immer im selben Rahmen arbeite.
Hast du sonst Unterschiede bemerkt?
Pressyes: Das neue Album war für mich jedenfalls das mit Abstand einfachste. Vor drei Jahren bin ich Vater geworden, und durch meine Tochter ist alles viel pragmatischer und spielerischer geworden. Ich hab mich nicht mehr in Geräten verloren, nicht ewig herumgeschraubt, keine langen Nachtsessions mehr gehabt. Ich hab meist abends von 21 bis 24 Uhr mit Kopfhörern gearbeitet – und natürlich immer wieder unterbrochen. Außerdem habe ich endlich den Raum, in dem ich immer arbeiten wollte: weiß, leer mit ein paar schönen grünen Pflanzen drin, eine Teakholzbank, ein Tupfer Rot, ein Tupfer Rosa, Meeresblau. Ein Raum, der eine Mischung aus Tanzatmosphäre und Meditation ist – so ein bisschen Yoga-Studio-Vibe, aber hübscher, und inklusive Vintage-Geräten.
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Hast du dir diesen Raum auch bewusst so gestaltet, als Teil dieses neuen Pragmatismus?
Pressyes: Ja, ich habe zu diesem Album wirklich viel getanzt – und ich bin eigentlich keiner, der gern tanzt. Aber witzigerweise war das schon vor drei Jahren mein Plan: Das nächste Album soll grooviger und tanzbarer werden, vielleicht mit ein bisschen Bee-Gees-Vibes. Und dann kam meine Tochter – und die liebt es, mit mir herumzutanzen. Die Songauswahl fürs Album hat im Grunde sie übernommen. Ich hab nur die Nummern genommen, bei denen sie reingekommen ist und gesagt hat: “Papa, ich will tanzen!” Nur diese Songs sind aufs Album gekommen.
Auch die Interludes?
Pressyes: Nein, die habe ich erst in der letzten Woche gemacht. Weil das Album irgendwann eine gewisse “Stressigkeit” entwickelt hat – zu viele Songs mit Beat. Ich dachte: Jetzt brauch ich noch schnell was, dass das ein bisschen ausbalanciert. Damit die A- und B-Seite besser funktionieren. Aber das Grundkonzept – tanzbar, verspielt, spontan – ist ganz natürlich entstanden.
Du hast vorher diesen Raum so bildhaft beschrieben. Natürlich ist Raum in Musik etwas anderes als in Film oder bildender Kunst. Aber was bedeutet Raum für dich in musikalischem Sinn?
Pressyes: Die Tracks – abgesehen von Groove und Dance-Vibe – sind tatsächlich kleine Geschichten aus den letzten Jahren. Und viele davon sind für mich stark mit bestimmten Orten verknüpft. Zum Beispiel „Summer Is Gone“: Ich habe den Song direkt nach dem Urlaub geschrieben, am ersten Tag zurück. Klar war: Es geht um diese Melancholie, wenn der Sommer vorbei ist. Aber erst später habe ich gemerkt: Es geht gar nicht um meine Geschichte. Meine Tochter hatte im Pool mit zwei anderen Kindern abgehangen – fünf Tage lang – und am Ende sagte sie: „I’ll see you next year then.“ Ich habe das Lied aus meiner Sicht gesungen, aber es war eigentlich ihre Story. Andere Songs sind rein fiktiv – so Coming-of-Age-Stories, die vielleicht in einem LA-Suburb spielen, mit Skateboard-Kids: so ein Mischmasch aus echten Erinnerungen und fiktiven Szenarien.
„ZUM SCHREIBEN BRAUCHE ICH FREIHEIT – UND SONNE.”
Wenn ich da nochmal nachhaken darf – sorry, dass ich so penetrant bin: Aber was macht für dich diesen „Raum“ beim Schreiben aus?
Pressyes: Ich kann nicht überall schreiben. Ich muss mich frei fühlen, um einen Song zu schreiben. Es gibt zwei, drei Orte in Österreich, an denen das geht. Andere Orte eignen sich vielleicht zum Mischen oder Aufnehmen – aber zum Schreiben brauche ich Freiheit. Und Sonne. Kennst du dieses Gefühl, wenn nach einem langen Winter die erste Sonne rauskommt? Dieses „Ah – so geht es mir wirklich“? Genau das ist das Gefühl, das ich brauche, damit Musik passiert. Nicht fürs Recording, aber für die kreative Phase.
Ich schreibe in letzter Zeit auch viel im VW-Bus, wenn ich unterwegs bin. Da finde ich Ruhe, kann vom Alltag weglaufen. Und das beeinflusst natürlich den Sound. Zum Beispiel der Song „On the Run“ vom ersten Album: Der ist im Proberaum entstanden – eigentlich ein Ort, an dem ich sonst nicht schreiben kann. Aber da war es eher so ein Fluchtreflex, der Rhythmus: „Ich muss weg, ich muss weg.“ Also ja, der Raum beeinflusst die Musik total.
Du hast in den Presseunterlagen erwähnt, dass du in den letzten drei Jahren weniger gereist bist – beeinflusst das auch deine Musik?
Pressyes: Ja, ganz stark. Es sind jetzt viel mehr Sehnsüchte in den Songs als früher.
Du hast zuerst von „Summer Is Gone“ gesprochen, und später vom Frühling und diesem „Wachwerden“. Da ist so ein ständiger Wechsel drin – von Melancholie zu Hoffnung. Spielt das Konzept von Vergänglichkeit für dich eine Rolle beim neuen Album?
Pressyes: Auf jeden Fall – in beide Richtungen. Vergänglichkeit ist natürlich ein Thema in meinem Alter. Ich denke öfter: Was habe ich erlebt, was bleibt? Gleichzeitig fordert ein Kind totale Präsenz – man muss im Moment leben. Du kannst nicht in Gedanken irgendwo anders sein, wenn dein Kind sagt: „Ich will einen Turm bauen.“ Dann bist du da. Und das war sehr gut für mich. Parenthood hilft mir, pragmatischer zu sein – und gleichzeitig präsent.
Vergänglichkeit und Melancholie sind für mich sowieso große Themen. Ich bin sehr emotional, manchmal fast zu sehr. Vor allem bei Erinnerungen. Aber das Songwriting hilft mir, diese Gefühle aufzulösen. So wie in der Therapie: Du gehst an einen Ort, an ein Gefühl – und transformierst es. Zum Beispiel in „Blue Datsun“. Da geht es um einen Autounfall, den ich als Ungeborenes mitbekommen habe. Ich war noch im Bauch, aber der Schock war da. Ich glaube, da ist etwas Hormonelles passiert – so ein Ur-Eindruck, dass das Leben nicht einfach wird.
Es gibt ja Studien, die zeigen, wie stark solche vorgeburtlichen oder frühkindlichen Traumata prägen, wie man später emotional auf die Welt reagiert.
Pressyes: Genau. Ich hatte nie dieses Urvertrauen in die Welt. Ich glaube, das kompensiere ich stark – durch Arbeit, durch kreatives Schaffen. Um mir Träume zu erfüllen.
Hat sich dieses Urvertrauen verändert, seit du selbst Vater bist?
Pressyes: Ja, absolut. Es gibt einem eine andere Art von Selbstwert. Früher, wenn mich jemand in der U-Bahn blöd angeschaut hat, war ich sofort verunsichert. Heute denke ich mir: „Was willst du eigentlich?“ Ich repräsentiere ja nicht mehr nur mich – sondern auch mein Kind. Dieser Schutzinstinkt stärkt das Selbstvertrauen. Und vielleicht auch ein kleines Stück Urvertrauen zurück in die Welt.
Aber du meinst nicht nur dieses „Erwachsen sein“, oder?
Pressyes: Nein, eher ein emotionales Mitschwingen mit der Welt. Ich spüre die Stimmungen sehr stark. Und ich merke, dass viele Männer das nicht so haben – die können sich viel klarer abgrenzen. Ich tu mir damit schwer. Ich bin vielleicht zu sensibel, manchmal zu durchlässig. Und das war nicht immer leicht. Aber man kann daran arbeiten. Und das tue ich.
Ich habe aber auch das Gefühl, dass du diese Melancholie oder diesen Schmerz, den du in manchen Momenten erlebt hast, sehr positiv umarbeitest. Wie gelingt dir das?
Pressyes: Es ist eigentlich ganz leicht: Ich gehe einfach zu den schönen Sachen. In meiner ersten Band hatte ich sehr traurige, melancholische Songs. Da war viel Wut, viel Frust. Ich hab das alles rausgeschrien, hab mir meine Stimme dabei kaputt gemacht. Es war schön, das zu machen, aber live war es immer schmerzvoll. Es war wie bei einer klassischen Punkband – drübergehen, exzessiv. Und mit Anfang, oder sagen wir Mitte 30, war ich körperlich ziemlich kaputt. Ich habe mich gefühlt wie 70. Die Hände – in der Früh konnte ich die Finger nicht mehr richtig bewegen. Alles war übersäuert vom früheren Lifestyle. Bei jedem Konzert wurde natürlich auch viel getrunken. Und das war halt einfach diese Zeit.
Ja klar, das ist auch eine Altersfrage.
Pressyes: Voll! Und es ist ja auch super, wenn man das einmal auslebt. Aber als das dann weg war – also als es sich langsam verabschiedet hat – kam Pressyes. Und das Projekt war von Anfang an mein Raum für das Schöne. Für schöne Erinnerungen. Und ich bin bis heute dabei geblieben. Es funktioniert. Ich schreibe ungefähr zehn Songs für einen, der am Ende positiv genug ist, um aufs Album zu kommen. Die negativen, melancholischen oder wütenden Sachen kommen dabei auch raus – aber sie schaffen es nicht in die Veröffentlichung. Und das Songwriting an sich funktioniert so, dass ein Song meistens in ein bis zwei Stunden passiert. Aber bis er wirklich fertig ist, dauert es 20 Tage. Fulltime.
„WENN MAN EINEN TRAURIGEN SONG LIVE SPIELT, IST OFT EIN CUT DA – DIE LEUTE GEHEN AUF EIN BIER.”
20 Tage pro Song?
Pressyes: Ja. Das heißt, wenn ich zehn Songs schreibe, habe ich vielleicht zehn Stunden Arbeit im Kopf – aber ich würde dann 20 Tage, also 100 Stunden, in einen dieser Songs investieren. Und weil ich dann so viel Zeit mit dem Stück verbringe, will ich, dass es mir guttut. Dass es positive Akkorde hat, einen treibenden oder groovigen Drumbeat – das macht mich glücklich. Und deswegen ist es eigentlich ganz einfach: Balladen weg!
Das heißt, wenn ich das richtig verstehe, schreibst du erst mal alles raus – und dann filterst du?
Pressyes: Extrem. Für das Album gab es ca. 700 Demos. Und ungefähr 150 Ableton-Projekte. Das heißt, 150 Stücke, bei denen ich vom Handy-Demo weitergegangen bin, die Gitarre rausgeholt und angefangen habe zu produzieren. Oft ist es aber ernüchternd – manches klingt im Kopf großartig, aber lässt sich nicht umsetzen. Es fehlt dann das Gefühl. Die Songs, die überleben, sind die, die diesen Vibe haben – diesen positiven Spirit. Ich denke aber derzeit zum ersten Mal darüber nach, ob ich nicht doch mal ein Projekt mit den anderen Songs mache. Ich fühle mich durch das Elternsein stabil genug, mir die emotionaleren Stücke auch mal anzusehen.
Ich könnte mir auch vorstellen, dass das live total gut einzubauen wäre – ohne dass gleich die ganze Stimmung kippt.
Pressyes: Voll! Wobei ich gemerkt habe: Wenn man einen traurigen Song live spielt, ist oft ein Cut da – die Leute gehen dann auf ein Bier. Und deshalb spielen viele Bands nur die Banger.
Ich ticke genau anders herum: Ich liebe melancholische Songs – auch live. Meine Lieblingsband beim Aufwachsen war allerdings Placebo, das erklärt es wahrscheinlich: Die hatten übrigens auch einen Song Namens „Summer’s Gone“.
Pressyes: Wirklich? Ich hab mir einmal den Kapodaster von Brian Molko (Anm. Lead-Sänger von Placebo) geborgt!
Erzähl!
Pressyes: Wir haben in Wiesen vor ihnen gespielt. Die haben meinen Capo vergessen – also bin ich zum Gitarrentechniker, da lagen fünf herum, und ich fragte: „Kann ich einen haben?“ Und er so: „Frag sie halt einfach“ und hat auf die Jungs von Placebo verwiesen. Ich war so 22, voll nervös – aber hab es dann gemacht. Bin rüber und: „Could I borrow your capo thing?“ Und er: „Sure! What’s your name?“ Dann hat er mich den ganzen Abend angeschaut. Ich war halt jung und sexy. Ich hatte auch einmal Stings Ray-Ban-Sonnenbrille. Aber die habe ich leider verloren …
Wie bitte?
Pressyes: Ja, wirklich. Ich hatte sie ziemlich lange sogar – aber irgendwann ist sie weg gewesen. Dafür habe ich noch ein paar andere Schätze gesammelt über die Jahre.
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Stings Ray-Ban … das ist schon eine gute Geschichte!
Pressyes: Ja, wir haben einiges erlebt. Placebo, Clueso, Green Day … Dann kommt bei einem Konzert Billie Joe Armstrong (Anm. Leadsänger von Greenday) plötzlich backstage … Das ist schon ein cooler Job, den ich habe!
Aber sag mal: Was hörst du denn gerade gerne? Mir kommt vor, niemand hat mehr eine Antwort auf diese Frage. Was sind deine Top-Spotify-Artists?
Ich habe kein Spotify mehr. Das hat mir Bauchschmerzen bereitet.
Pressyes: Ja, verstehe ich. Dabei wäre es ja so leicht, das System fair zu gestalten. Zehn Euro im Monat – und ein Cent pro Play geht direkt an die Artists, die du hörst. Aber das will Spotify halt nicht. Ich finde das so absurd. Jede:r, die:der Musik auf Spotify hochlädt, sollte wenigstens einen kostenlosen Account bekommen. So wie es jetzt ist, zahlst du als Artist vielleicht sogar doppelt.
Das stimmt.
Pressyes: Aber zurück zu meiner Frage: Was hörst du für Musik? Die Leute sagen auf die Frage „Was hörst du so?“ gar nichts mehr Konkretes. Früher hatten alle ihre Lieblingsbands. Heute sagen alle: „Ach, ich höre eh alles.“ Es ist ein bisschen so wie: Früher war die Lieblingsfarbe rot – heute sagen alle „ich mag alle Farben“.
Meine Lieblingsfarbe ist lila.
Pressyes: Das sieht man auch! Meine ist rosa!
Ich denke mir immer: Wenn Lila nicht geht, dann ist Rosa mein Ersatz.
Pressyes: Die meisten Menschen tragen aber nur mehr Schwarz oder so Beige-Töne.
Für mich war schwarz früher immer sehr Szene-mäßig konnotiert. Heute ist es kein Statement mehr. Sondern eher ein Verstecken.
Pressyes: Ja, das sehe ich auch so. Aber ich glaube, das kommt dann wieder gut mit einem so generierten Musikverständnis zusammen: Viele hören nur noch Playlists. Keine konkreten Alben, keine Lieblingsbands mehr.
„ES KOMMEN GERADE VIELE INTERESSANTE SACHEN IN DEN MAINSTREAM, DIE NICHT NACH DEM KLASSISCHEN POP-KORSETT KLINGEN.”
Jetzt sind wir ein bisschen abgedriftet. Wenn ich die Frage zurückstellen darf: Was hörst denn du aktuell so?
Pressyes: Ich höre seit Jahren total viel Tyler, The Creator. Weil er einfach immer was Neues macht – und weil er unglaubliche Stories erzählt. Das ist ja fast wie ein Kurzfilm, was der macht. Für mich ist er einer der Besten.
Was genau begeistert dich so an ihm?
Pressyes: Es ist eine Box an Messages. Er ist immer modern und mischt Stile. Diese afrikanischen Sounds, diese Heavy-Metal-/Black-Sabbath-Drums vom Sound her … Musikalisch ist das für mich der bessere Kanye West.
Und sicher auch der bessere Mensch, oder?
Pressyes: Ja, das sowieso. Ich glaube, Tyler ist ein richtig cooler Typ. Er spricht vielen Leuten aus der Seele. Für mich ist er auf jeden Fall der Künstler der letzten fünf Jahre.
Und sonst? Gibt es noch andere Artists, die dich gerade catchen?
Pressyes: Ja, schon viele. Aber das sind oft Sachen, die man gar nicht kennt. Ich höre halt nicht wie ein Fan, sondern wie ein Musiker. Wenn man länger dabei ist, sieht man Musik auch durch das Marketing-Konzept. Ich kann einfach keine Band feiern, die gerade nur wegen guten Reels gehypt wird oder weil sie viel in Videos investieren. Für mich zählt nur, ob in der Musik was echt ist – Songwriting, Stimme, Talent. Alles andere interessiert mich nicht. Wie bei einem Mechaniker: Der weiß halt, wie ein Auto gebaut ist. Ich versteh den Hype um Taylor Swift ja auch gar nicht.
Same. Ich bin eher Team Billie.
Pressyes: Billie Eilish hat auch einfach mehr Tiefe. Da spüre ich was. Bei Taylor Swift ist mir das alles zu generisch, zu durchgeplant. Natürlich ist das Marketing perfekt – aber der Content? Für mich nicht besonders spannend. Und stimmlich … naja. Es ist halt Pop-Mainstream.
Was heißt für dich eigentlich „Mainstream“? Der Begriff hat sich ja auch verändert.
Pressyes: Total. Mainstream heißt für mich nicht automatisch schlecht. Ich finde, es kommen gerade viele interessante Sachen in den Mainstream, die nicht mehr nach dem klassischen Pop-Korsett klingen. Viele große Artists machen endlich relevante Alben. Beyoncé zum Beispiel!
Vielleicht, weil der Rest bald von der KI gemacht wird.
Pressyes: Ja, genau. Ich glaube auch, dass Musik in Zukunft sperriger wird, Lo-Fi, unproduzierter. Es macht keinen Sinn mehr, so viel Zeit in perfekte Produktionen zu stecken, wenn das dann in einer Minute KI-mäßig reproduziert werden kann. Was bleibt, ist Attitude. Message. Style war immer wichtig – wird es auch bleiben. Aber Musik, die wir wirklich hören wollen, wird wahrscheinlich wieder mehr indie. Nicht im Genre-Sinn, sondern im ursprünglichen: unabhängig.
Wobei „Indie“ ja inzwischen auch ein sehr verwaschener Begriff ist.
Pressyes: Ja, das ist so ein toter Begriff. In Deutschland noch viel mehr als bei uns. Da war das ganz schnell durch. Jeder Booker hat irgendwann gesagt: „Indie ist tot.“ Bei uns in Österreich hält sich das komischerweise noch. Vielleicht, weil wir langsamer sind.
Und gleichzeitig wollen junge Bands heute gar nicht mehr einem Genre zugeordnet werden.
Pressyes: Genau. Das ist dieser Shift – von „Ich will dazugehören“ zu „Ich will frei sein“. Früher hat man sich bemüht, in ein Genre zu passen. Heute ist das fast schon uncool. Aber es ist eh alles relativ. Man kann heute mit sehr wenig Mitteln Musik machen. Gleichzeitig ist Musikmachen verdammt teuer geworden – wenn man es ernsthaft betreibt.
Was kostet denn so ein Album bei dir ungefähr?
Pressyes: Also ich habe früher teilweise 15.000 bis 20.000 Euro selbst bezahlt, nur für die Produktion. Weil man es richtig machen will – nicht für 50 Euro am Tag ins Studio. Dann rechne dir die Arbeit dazu. Beim neuen Album waren es 100 Fulltime-Tage. Pro Song: zwei Tage Aufnahmen, ein Tag Drum-Editing, zwei Tage andere Instrumente, zwei Tage Text, ein bis zwei Tage Einsingen, dann Keyboards, Gastmusiker – nochmal ein Tag. Mix: vier Tage fix. Das sind locker 14 Tage pro Song. Wahrscheinlich eher 30 Tage, wenn man ehrlich ist. Wenn man das mit einem Tageshonorar von 150 Euro rechnet, dann sind wir bei rund 50.000 Euro Arbeitszeit. Plus 20.000 Euro Produktionskosten. Sind 70.000 Euro – ohne Pressung, ohne Video. Und ich mache Analog-Videos. Da kostet allein der Film schon ein paar Hundert Euro. Pro Video bist du dann schnell bei 1.000 bis 2.000 Euro.
Das heißt: Eigentlich ist es unmöglich, im Indie-Kontext Musik zu machen, wenn man fair bezahlen will.
Pressyes: Genau. Wir machen das nur noch, weil wir es wollen. Sonst geht sich das nicht aus.
„EIN KLEINER ABDRUCK IN EINER GROßEN WELT.”
Also: In der Musik ist Lügen fast schon ein Muss?
Pressyes: Ich lüge nicht mehr. Ich bau keine Marketing-Träume. Mich interessiert das nicht mehr. Ich hab keine Zeit zu verschwenden – ich bin Vater. Ich will nicht berühmt werden. Ich verkauf lieber meine 300 Vinylplatten als 3 Millionen Streams auf Spotify zu machen, für die ich eh nichts bekomme. Es ist zwar leider zu spät dafür, aber ich hatte auch überlegt, das Album nicht auf Spotify zu stellen. Mir ist es lieber, 300 Leute hören es und kaufen es auf Bandcamp, als dass sie alle streamen können und niemand kauft etwas. Wenn es etwas nur 300 Mal gibt, dann wollen die Leute es auch eher haben.
Schönes Prinzip. One to live by, I suppose. Wäre natürlich ein passender Schluss, aber ich hätte noch eine letzte Frage – ein anderes Thema: Dein Musikvideos sind analog gedreht. Wie passt das für dich zum restlichen künstlerischen Konzept? Und was bedeutet dir das Arbeiten mit Analogfilm?
Pressyes: Ich filme eigentlich immer mit derselben Kamera – das ist quasi mein roter Faden. Die Kamera ist eine Bolex H16 aus der Schweiz, Baujahr ’72. Du brauchst keine Batterie, kein Aufladen, kannst draußen im Feld drehen, auch bei minus 50 Grad. Die hält alles aus. Sie ist immer im Rucksack – und funktioniert einfach. Mit digitalem Equipment ist das nicht möglich: Du brauchst Speicherkarten, Akkus, Ladegeräte. Ich hab das ausprobiert – es hat mich nur frustriert. Ich will frei sein. Ich will drei Tage im VW-Bus sein und am dritten Tag was Geiles filmen können – ohne dass vorher der Akku leer ist.
Klingt idyllisch – aber in der Umsetzung wahrscheinlich komplizierter als es klingt, oder?
Pressyes: Ja, das ist es. Ich versuche schon länger, meinen Bus in ein Analogstudio mit Solarpanels zu verwandeln – aber es ist technisch einfach schwierig. Wenn dass klappt, kann ich irgendwann auf einer Wiese stehen und einen Livestream übers iPhone machen. Das geht ja jetzt schon – aber ohne schönes Recording. Wenn ich das schaffe, dann wird es erst richtig cool.
Ich freue mich auf den Tag, an dem ich das sehen kann. Gibt es sonst noch etwas, das dir für dieses Gespräch wichtig wäre?
Pressyes: Ich glaube, es gibt gerade zwei Arten, auf die Welt zu reagieren: entweder melancholisch oder mit bewusster Positivität. Beide Wege sind berechtigt. Ich hab grad eher diesen Sonnentherapie-Zugang.
Versteh ich. Aber du hast vorhin auch gesagt, du hättest Lust auf ein wütendes Punk-Album.
Pressyes: Total! Einfach mal alles rausschreien. Ich wäre voll dabei. Meine Stimme ist halt nicht gut genug dafür. Aber wer weiß – vielleicht kommt das melancholische Pressyes-Album ja irgendwann. Denn irgendwann muss das alles raus. Weg von meinem Zimmer, raus in die Welt.
Das ist ja auch ein heilender Prozess, oder?
Pressyes: Absolut. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum so viele Leute immer noch veröffentlichen – obwohl es wirtschaftlich keinen Sinn mehr macht. Weil es gut tut, es loszulassen. Zu sagen: Das gehört jetzt euch.
Wie bei Maler:innen, die nicht wollen, dass ihre Bilder nur zu Hause rumstehen.
Pressyes: Genau. Ein Stück von sich selbst in die Welt geben. Ein kleiner Abdruck in einer großen Welt.
Das ist ein schöner Satz.
Pressyes: Vielleicht ist das ja der Titel vom nächsten Song.
Dann beschließen wir das Gespräch genau damit.
Ania Gleich
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