„Ich glaube schon, dass ich Leute berühren kann.” – KARLI BRAUN im mica-Interview

KARLI BRAUN spielt Dialektrock, der sich musikalisch an seinen Vorbildern Sonic Youth und Pavement orientiert und mit wunderbar schrägen Texten überrascht. Sein Debütalbum heißt “Dreckig”. Mit Markus Deisenberger sprach er über unpolitische Kunst und Dreck als Lebensphilosophie.

Die Platte ist “afoch leiwand”. Kannst du mit dem Urteil leben?

Karli Braun: Ja, klar. Gfreit mi.

Du warst in der Vergangenheit in viele musikalische Projekte involviert. Wieso dann doch ein Solo-Album?

Karli Braun: Ich bin musikalisch so sozialisiert worden, wollte immer Musik machen, aber hatte dann nicht die Leute, die das mit mir machen wollten. Ich wollte immer aufnehmen, live spielen und schauen, dass es Fotos und Videos gibt, und da erwarte ich mir halt, dass alle anderen auch was machen, nicht nur eine Stunde im Proberaum reden, sondern auch was tun. Dann stand ich irgendwann alleine da.

Aber du hast Leute gefunden, die mit dir eine Platte aufgenommen haben, oder?

Karli Braun: Ja, ich brauche dann einen Schlagzeuger, der das einspielt, und live brauche ich eine Band. Aber der Unterschied ist: Die helfen mir, meine Lieder einzuspielen. Das ist schon etwas anderes als eine Band, die mit mir gemeinsam schreibt. Wenn ich eine kleine Tour spielen will, ist es schwierig. Ich muss die Leute organisieren und zahlen.

Wenn man etwas Gutes gemacht hat, ein gutes Album wie deines, hat man hohe Erwartungen. Wie schwer ist es dann, sich nicht frustrieren zu lassen von einer – sagen wir mal – wenig begeisterungsfähigen Menge?

Karli Braun: Naja, ich bin keine Zwanzig mehr. Ich bin zweiundvierzig, und mir war schon klar, dass da nicht sofort etwas passieren wird. Und selbst wenn etwas passiert, wäre die Größenordnung, die der Nino oder der Voodoo Jürgens haben, das absolute Maximum für mich. Wanda und Bilderbuch will ich gar nicht, das geht sich gar nicht aus für mich. In einer Halle zu spielen ist nichts für mich. Die Erwartungshaltung war also niedrig, weil ich schon so lange dabei bin und schon viel gesehen habe: Die junge Band, die im Radio läuft und dann ein wenig hochnäsig wird und nach zwei Jahren draufkommt, dass sie es sich mit allen verscherzt hat. Das habe ich schon oft genug mitverfolgt. Selbst wenn du Erfolg hast: Am Boden bleiben! Der Druck war allerdings sehr groß, weil ich kurz vor Corona mit der Band am Proben war und das gemeinsam in einem Studio aufnehmen wollte. Dann kam Corona. Das Erste, was ich aufnehmen wollte, war das Schlagzeug, aber das war halt ein, zwei Jahre lang wirklich schwer. Gemeinsam mit einem Schlagzeuger zu üben und dann ins Studio zu gehen. Dann kam wieder ein Lockdown, die Leute waren ängstlich. Heute lacht man darüber, aber damals war das schon mühsam. Dadurch, dass das so lange gedauert hat, wurde der Druck größer, dass es wirklich gut wird.

Der Künstlername “Karli Braun” stammt aus der Zeit, als du als Tour-Fahrer für Voodoo Jürgens unterwegs warst. Stimmt das?

Karli Braun: Ja, ich war lange auf Tour mit Voodoo Jürgens.

Wie kams dazu?

Karli Braun: Ganz einfach Ich habe das Lied “Heite grob ma Tode aus” im Radio gehört und sofort beim Management angerufen, um zu deponieren, dass ich mit auf Tour fahren will. So wurde ich zum Tour-Fahrer und hab ein paar hundert Gigs mit ihnen absolviert. Voodoo Jürgens ist ja auch die Verschmähung eines prominenten Namens. Auf Tour war es ein Running Gag, aus berühmten Namen verhunzte zu machen, Aus Mick Jagger wurde Mick Jogger und so weiter. Dann kam irgendwer mit Karli Braun, und dann war das der beste Name, der mir für mein Solo-Projekt eingefallen ist.

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Wieso auf Deutsch? Angefangen hast du ja auf Englisch.

Karli Braun: Ich habe so angefangen, wie ich gehört habe und ich habe damals viel englische Musik gehört. Ich habe erst mit Zwanzig angefangen, Musik zu machen. Auf der Bühne was reden war damals unmöglich für mich, und es war viel einfacher auf Englisch zu singen, weil ich mich da automatisch ein bisschen verstecken konnte hinter der entworfenen Kunstfigur.

Mit welcher Musik bist du aufgewachsen?

Karli Braun: 1990er Grunge. Viel Sonic Youth, Pavement, Sterne, die alten Blumfeld-Sachen. Meine großen Brüder haben mich da geprägt. Ich bin da hängengeblieben, höre immer noch Nirvana und Sonic Youth. Für einen Musiker kenn ich mich mit aktueller Musik recht schlecht aus. Mein Bruder (Hannes Strasser, Anm.) hatte eine Band. Roter Stern Silberstern. Der sang immer hochdeutsch. Er hat sich 2006 leider umgebracht. Zu diesem Zeitpunkt habe ich noch gar keine Musik gemacht. Ich habe mich mehr und mehr getraut, ich selbst zu sein, angefangen, auf der Bühne zu reden. Aber ich komme mir immer noch blöd vor, wenn ich Hochdeutsch rede. Dialekt ist für mich der einzige Weg, wie ich authentisch sein kann.

Im Standard-Forum hat jemand geschrieben, der Karli sei einfach authentisch. Offenbar kommt dein Wille zur Authentizität beim Publikum auch an.

Karli Braun: Ich mag Mundartsachen. Ich stehe auf den Nino, auf Voodoo Jürgens und den Ernst Molden. Oder Attwenger, die gehören zu meinen ganz großen Helden. Mir taugt das. Ich könnte niemals eine Radiosendung moderieren, weil ich nicht Hochdeutsch reden kann. Ich mag Dialekt einfach.

Wir waren seltsamerweise auf Facebook befreundet, lange bevor ich deine Musik kennenlernte. Offenbar hat der Algorithmus zwei Musik-Freaks zusammengeführt.

Karli Braun: Ich füge jeden hinzu, der irgendetwas mit Musik zu tun hat.

Facebook ist peinlich, sagt meine Tochter.

Karli Braun: Facebook ist tot, aber für Veranstaltungen ist es gut. Um zu schauen, was in Wien los ist…

Wieso der Titel “Dreckig”?

Karli Braun: Weil das ein bisschen meine Lebensphilosophie ist. Ich finde Dreck positiv. Mir ist es oft zu schön, die Leute reden zu schön, alles ist immer perfekt. Das stimmt doch alles nicht. Das Leben ist dreckig, das gehört dazu und ist schön für mich. Oft macht die Welt auf Hochglanz, aber Fake-Hochglanz, verstehst du? Aber so ist das Leben nicht. Das Leben ist ein bisschen dreckig. Das gehört dazu. Wenn ich immer alles positiv sehe und die schlechten Dinge einfach verdränge, haut es mich immer wieder auf den Boden. Ich bin mehr geerdet, wenn ich mir eingestehe, dass es halt auch ein bisschen Oasch ist.

Bild Karli Braun
Karli Braun (c) Thomas Ringhofer

Es kam der optische Eels-Vergleich. Kannst du den Vergleich mit Mark Oliver Everett und seiner Liedkunst nachvollziehen? Hat er dich beeinflusst?

Karli Braun: Nein, ich weiß gar nicht, wie er aussieht. Karl Fluch hat das geschrieben. Ich hätte eher J. Mascis hergenommen mit seinem Kapperl und den langen Haaren.

Ein Gitarrengott für mich. Für dich auch?

Karli Braun: Natürlich. Leider spielen sie ihre Konzerte so laut. Das ist wirklich grenzwertig. Mit Abstand das Lauteste, was ich jemals gesehen habe. Schlecht für die Ohren, und ich will keine Ohrenstöpsel verwenden. Wenn ich mir Dinosaur Jr. anschaue, dann nehme ich das mit, dass ich ein paar Tage derrisch bin.

Musikalisch bist du breit aufgestellt. “Schuasta” hat mich mit seinem Ska-Bass an die Specials erinnert.

Karli Braun: Echt? Das hab´ ich mir eigentlich ein bisschen bei den Sternen abgeschaut. Die Sterne waren immer sehr funky. Da gibt es ein Lied, das mir so gut gefällt: “Biestbeat“. Der Text geht: „Wir brauchen einen Beat, um dieses Biest zu zerstören…” Ein uraltes Lied aus den 1990ern. Ich hatte das Lied eine Weile ständig im Kopf und das floss in die Komposition ein. Die Sterne waren eine geile Band, und ich finde immer noch cool, was sie machen. Für mich die beste Band im deutschsprachigen Bereich. Über Tocotronic haben die Leute mehr geredet, zu den Sternen aber haben sie getanzt. Mir taugt auch, dass sie nicht mit jedem Lied die große Weisheit erzählen müssen. Es muss nicht alles philosophisch und gescheit sein. Es kann auch einmal um nichts gehen.

Das bringt mich zu “Onkel Otto”, einem Lied, das mich sehr an Sigi Maron erinnert hat.

Karli Braun: Ehrlich? Leiwand. Taugt mir, kenne ich gar nicht so gut. Habe ihn erst im Nachhinein kennengelernt. Die Assoziation habe ich noch nie gehört, ehrt mich aber sehr.

Dieses Lamentieren, und es geht vordergründig um nichts, aber dann unter der Oberfläche geht es doch um etwas. Maron war ja auch jemand, der vordergründig mit dem Austropop assoziiert wurde, eigentlich aber sehr poetisch war. Manchmal ging es um nichts, dann um alles.

Karli Braun: Mir taugt so was. Man kann im Kleinen auch was rausholen. Ich will mich in meiner Freizeit ja auch nicht ständig nur mit ernsten Dingen, jeden Tag mit Politik beschäftigen. Man muss schon das Leben leben, ohne dass man sich permanent mit Weltpolitik und damit, wie schlecht alles ist, beschäftigt. Ich will auch nicht politisch sein als Künstler. Als Mensch schon.

Kann man das trennen?

Karli Braun: Ja, ich finde schon, dass man sozialkritisch sein kann ohne politisch zu sein. Schau dir den Josef Hader an! Jahre lang hat er völlig unpolitisches Kabarett gemacht und war trotzdem sozialkritisch.

Trotzdem hätte es dich gewundert, wenn er Wahlwerbung für eine rechte Partei gemacht hätte. Man hat immer durchschimmern sehen, wo er politisch verortet ist, oder?

Karli Braun: Ja, das kann man sich denken, aber explizit hat er´s nicht gebracht. Mich hat beeindruckt, dass er das geschafft hat. Mir hat das immer getaugt. Es ist leicht, sich über Politiker lustig zu machen. Manche Leute behaupten, es gäbe gar keine politische Kunst. Ich finde das aber schon. Man ordnet etwas ein. Ich weiß ja auch nicht, wohin du mich einordnest.

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Ist ja auch mein Problem, wenn ich das unbedingt tun muss.

Karli Braun: Genau. Natürlich können wird eine Grundsatzdiskussion darüber führen, was alles politisch ist. Ob ich meine gerauchte Zigarette einstecke oder auf den Boden schmeiße. Ob du dir dein T-Shirt beim H&M kaufst oder die überlegst, wo die Stoffe herkommen. Alles politisch.

Karl Fluch hat geschrieben, deine Musik sei zwischen den Stühlen.

Karli Braun: Was heißt das für dich? Dass mich die große Masse nicht feiern wird?

Ich habe es eher so verstanden, dass Sonic Youth und Pavement einerseits und Dialekt andererseits nur so zusammengehen, dass sich weder das FM4-Publikum noch das Radio Wien-Publikum angesprochen fühlen wird, was aber auch egal ist, so lange die Musik gut ist.

Karli Braun: Okay. Ich habe mir schon öfters gedacht, dass ich da nirgends so richtig reinpasse. Ich denke schon, dass es schwierig ist. Ich kann hauptsächlich über Auftritte und Youtube Leute erreichen.

Und wie ist das Feedback?

Karli Braun: Schwer einzuordnen, Youtube Österreich ist so klein, aber ich glaube schon, dass ich Leute mit dem, was ich mache, berühren kann. Nicht weil ich supergescheit wäre, sondern dass sich Leute durch meine Lieder ertappt und angesprochen fühlen. Aber es gibt auch Leute, die das bauernmäßig finden, mich für eine Landproleten halten. Gibt es auch. Es ist nicht so, dass ich wie Wanda oder Bilderbuch eine Halle füllen werde. Aber ich finde schon, dass ich auf FM4 passen könnte. Vielleicht spielen sie mich ja eines Tages.

Was kommt bei dir zuerst? Der Groove oder der Text?

Karli Braun: Bei mir kommt immer die Musik zuerst. Ich habe Musik autodidaktisch gelernt, kann nicht Noten lesen, übe am Klavier oder auf der Gitarre und dann fällt mir eine Strophe oder ein Refrain ein. Ein langer Prozess. Aber am Anfang kommt der Groove. Dann kommt währenddessen erst die Idee, was ich mit der Musik sagen möchte.

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Wie bist du zur Martina Poel gekommen, die auf zwei deiner Nummern singt?

Karli Braun: Über Facebook. Ich schreibe, wie gesagt, jeden an. Dadurch, dass ich alles alleine mache, schaue ich schon, dass ich Leute kennenlerne und mit anderen zusammenarbeite. Ganz allein ist es langweilig und zäh. Grundsätzlich habe ich das ja als Kleinkunstprojekt geplant. Ich würde gerne auf Kabarettbühnen spielen, mir Geschichten überlegen, spontan, nicht wie ein Kabarettist, aber ein bisschen in die Richtung. Das war geplant, aber dafür braucht es ein Gesamtkonzept. Die Geschichten müssen zusammenpassen. Aber leiwand, dass sie dabei ist.

Woher kommst du eigentlich?

Karli Braun: Aus Bruck an der Mur. Ich bin dann zuerst nach Graz, wo ich sieben Jahre lang gelebt habe, und dann nach Wien. Mittlerweile redet man ja von Landsterben. In Bruck ist das massiv. Als ich sechzehn war, gab es da zehn Lokale, du hast eine Stadtrunde gehen könne, da eine Bar, dort ein Geschäft, Bücher, Gewand. Heute ist jedes zweite Lokal mit Backpapier verbarrikadiert. Ich weiß nicht, was da los ist, aber vielleicht ist das ja überall so. Ein Einkaufszentrum etwas außerhalb mit tausend Parkplätzen, dass die Kaufkraft aus der Stadt abzieht.

Bist du heimatverbunden?

Karli Braun: Nein, mittlerweile eigentlich nicht mehr. Wenn ich in Bruck bin, habe ich keine Lust mehr, da durchzuspazieren. Früher war das so charmant. Da bin ich jeden Tag nach der Schule durch die Stadt spaziert, heute ist das trostlos geworden. Ich bin halt jetzt Wien gewohnt. Am Land ist es schon anders, immer die gleichen Leute. In Wien lernt man ständig neue Leute kennen und man redet auch nicht so viel über andere. Ich genieße die Anonymität der Stadt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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