„FÜR MICH SIND SONG-LYRICS MINDESTENS SO WICHTIG WIE DIE MUSIK“ – AGNÈS MILEWSKI IM MICA-INTERVIEW

Seit dem Jahr 2007 ist Agnès Milewski als Recording Artist in der Singer-Songwriter-Szene unterwegs, 2008 hat sie den Amadeus Best-Newcomer-Award gewonnen. Im Gespräch mit Jürgen Plank geht es um die aktuelle Single „Mad Honey“ und die im Lied angesprochene Gewalt in Beziehungen. Ein Thema, das auch auf dem im Jahr 2025 erscheinenden neuen Album präsent sein wird. Milewski, die ursprünglich aus Polen stammt, erzählt außerdem wie sehr sie Wortspiele mag und welche Inspirationen sie von authentischer Volksmusik in ihr Songwriting einfließen lässt.

Wenn man deinen musikalischen Werdegang überblickt, ältere Alben und aktuelle Veröffentlichungen hört und vergleicht, wirken die neueren Songs rockiger, bombastischer arrangiert, auch mit Streichern. Wie nimmst du diese Entwicklung wahr?

Agnès Milewski: Ja, im Vergleich zwischen den frühen und den letzten beiden Alben hast du völlig recht. Die sind schon aufwändiger arrangiert, mit viel mehr Firlefanz. Die Band hat sich einfach ausgetobt und das mag ich auch so am Musizieren: jeder und jede bringt sich ein, wir werfen alles in einen Topf und rühren um und schauen, was dabei herauskommt. Das ist darauf zurück zu führen, dass ich jetzt viel mit meiner Band arbeite. Die älteren Sachen habe ich oft ganz alleine gemacht, gerade „Almost Spring“ war ein klassisches Songwriter-Album, würde ich sagen, auf dem sehr ruhige Lieder waren.

Wie läuft das ab, wenn die Band ihren Input gibt? Das ändert ja die Art der Musik mitunter stark, wenn es etwa um E-Gitarren geht.

Agnès Milewski: Ja, das ist unterschiedlich. Ich gehe diesen Prozess immer so an, dass ich mich frage: was braucht der einzelne Song. Ich versuche nicht, ein Lied in einer bestimmten Art klingen zu lassen, sondern ich frage mich: was sagt mir der Song? Die Songs sind oft eine Energie, die außerhalb von mir steht. Diese Energie sagt mir dann schon, was es braucht und ich interveniere als Person noch. Die Band sagt oft, ich hätte das Sagen, ich wäre die Boss-Lady. In Wirklichkeit sagt der Song mir eh, wo er hinwill und manche Lieder bieten sich an, dass man sie rockiger macht. Und manche Songs bieten sich an, ruhig, kontemplativ und introvertiert zu sein.

So wie du das gerade erzählst, stellt sich für mich die Frage, ob du dich selbst fast wie ein Medium siehst, das die Lieder empfängt und in die Welt bringt?

Bild Agnes Milewski
Agnes Milewski (c) Alice Milewski

Agnès Milewski: Ja, schon. Ich bin immer ein bisschen schüchtern, wenn ich solche Sachen beschreibe, denn manche sagen dann: die ist wahnsinnig geworden. Ja, schon, weil mir die Songs oft „passieren“. Es ist nicht so, dass ich mich hinsetze und mir sage: so, jetzt schreibe ich einen Song, mit diesem oder jenem Thema und der Titel lautet so und so und ich wende beim Schreiben eine bestimmte Formel an. Das passiert sehr selten. Meistens passiert es, dass ich um 3 Uhr früh aufwache und mir fällt eine Textzeile ein und die muss ich dann aufschreiben. Die Zeile geistert in meinem Kopf herum und am nächsten Tag setze ich mich hin und schreibe wie eine Wahnsinnige drauflos und zehn Minuten später ist der Song fertig und ich weiß gar nicht, wo er herkommt. Ich habe schon das Gefühl, dass mich da etwas von außen befällt, fast wie ein Virus. Ich werde vereinnahmt und kann dem gar nicht entkommen und all das geht gar nicht von mir aus, sondern kommt von außen herein. Genau wie du sagst, ich bin da wie ein Gefäß.

„WENN ICH KREATIV BIN UND IN DIESEN FLOW KOMME, GEBE ICH DIE KONTROLLE AB UND LASSE MICH LEITEN UND TREIBEN.“

Was kann in diesem Prozess noch passieren?

Agnès Milewski: Mir passiert es oft, dass ich etwas schreibe und gar nicht weiß, worum es in dem Song geht. Bis diese Sache dann in meinem Leben passiert und dann denke ich mir: ah, das wird’s gewesen sein. Das ist eine Art Intuition. Wenn ich kreativ bin und in diesen Flow komme, gebe ich die Kontrolle ab und lasse mich leiten und treiben. Ich kanalisiere all das in die Musik.

In diese Richtung würde ich das Video zu deiner aktuellen Single „Mad Honey“ einordnen, das auch albtraumhafte Bilder zeigt.

Agnès Milewski: „Mad Honey“ ist ein klassischer Break-Up-Song, würde ich sagen und es ist einer dieser Songs, der vor der eigentlichen Sache passiert ist: vor einer Trennung, die sehr relevant in meinem Leben war und ist. Das Albtraumhafte kommt daher, dass man sich mitunter in einer Negativ-Spirale verliert. Bei mir persönlich ist es nicht so, aber viele Leute nehmen Zuflucht zu Substanzen und „Mad Honey“ ist auch die Metapher dafür. Es gibt ja den so genannten Pontischen Honig, der von Wildbienen gemacht wird, die auf Rhododendron-Blüten die Pollen sammeln. Dieser Honig ist psychoaktiv und wenn Leute diesen Honig essen, wirkt er wie eine psychedelische Droge. Dieses Wissen wird schon seit langer Zeit angewendet und das kann auch nach hinten los gehen, man kann sehr krank davon werden. Ich habe versucht, diese Metapher in den Song einzubinden.

Diesen Honig gibt es soweit ich weiß in Nepal.

Agnès Milewski: Ja, genau, in Nepal. Auch in der Türkei, in Asien generell.

Die Single thematisiert – so könnte man sie verstehen – ungesunde zwischenmenschliche Verhältnisse, das Thema toxische Beziehungen wird gesellschaftlich und auch in der Popkultur immer öfter angesprochen. Wolltest du mit „Mad Honey“ inhaltlich in diese Richtung gehen?

Agnès Milewski: Ja, du hast recht, in diesem Lied geht es um schwierige Beziehungen und es geht auch um das Thema Gewalt in Beziehungen. Wie du richtig sagst: ja, ich glaube, viele Künstler:innen haben einfach ein Bedürfnis dies zum Ausdruck zu bringen. Denn es ist ein Thema unserer Zeit, Stichwort Femizide in Österreich. Jetzt ist es zum ersten Mal nach langer Zeit in Ordnung darüber zu reden. Noch vor 30 Jahren wäre es so gewesen: was in der Familie passiert, bleibt in der Familie und darüber redet man nicht. Das ist halt so. Boys will be boys und als Frau hat man das gefälligst hinzunehmen. Gott sei Dank sind wir geographisch da, wo wir sind und hier ist es nicht nur okay darüber zu reden, sondern es ist auch wichtig, solche Themen anzusprechen. Künstler:innen machen das jeweils auf ihre eigene Weise, um darauf aufmerksam zu machen und um mit Erfahrungen fertig zu werden und diese für sich selbst zu verarbeiten. In „Mad Honey“ und in den Songs die folgen werden, geht es viel um Gewalt in Beziehungen.

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Angesichts des Videos zu „Mad Honey“ habe ich mich gefragt, ob du Interesse für Theater und Performance hast.

Agnès Milewski: Ich liebe das Theater und ich mag Theatralik. Am Theater finde ich die Verspieltheit schön, mit Verkleidungen und einer Inszenierung. Ein Theaterstück ist eine feine Arbeit, an der viele Leute beteiligt sind, die miteinander etwas Schönes auf die Bühne bringen. Das mag ich sehr und ich mag orchestrierte Dinge und wenn viele Leute an einem Strang ziehen und etwas Lustiges, Dramatisches, Buntes machen. Das ist toll.

Bei Konzerten gibt es mitunter eine Bühnen-Show und die Theater-Leute beneiden unter Umständen Bands, weil diese ein Momentum erzeugen können, das das Publikum wirklich mitreißt. Das ist mit einem vorgetragenen Text meiner Erfahrung nach nur schwer erreichbar.

Agnès Milewski: Ich glaube, es trifft beides zu. Musik holt dich mehr auf einer emotionalen Ebene ab, denn Musik ist eine der ältesten Kunstformen und wenn wir einen Beat hören, bewegen wir uns, ob wir wollen oder nicht. Theater spricht auch eine andere Ebene an, nämlich den Moment, in dem die Musik wegfällt und nur mehr der Text da ist und vielleicht nur mehr Bewegung und Gestik bleiben. Ich liebe Texte! Für mich sind Song-Lyrics mindestens so wichtig wie die Musik. Oft schreibe ich einen Song, weil ich zuerst die Lyrics habe und weil mir Wörter wichtig sind. Ich liebe es, Poesie zu lesen und mich mit Wortspielen zu beschäftigen, das amüsiert mich. Etwa wenn ich alleine in der U-Bahn sitze, denke ich mir ein Wortspiel aus und das gibt mir ein großes Gefühl von Befriedigung. Theater macht eben das: du hast die verbale Ebene, auf die manche anspringen. Andere tangiert das nicht so und die lassen sich von der Musik abholen. Ultimativ ist für mich, wenn Wörter und Musik zusammenkommen und das ist für mich die Essenz beim Songwriting.

Inwiefern arbeitet deine EP „A Quiet Year“ aus dem Jahr 2022 die Corona-Zeit auf?

Agnès Milewski: Das ist eigentlich ambivalent, denn ruhig war eigentlich überhaupt nichts, oder? Es war ein aufgezwungener Stillstand, aber ruhig war es nicht, finde ich. Es war permanent laut und Vieles hat sich auf eine abstrakte Online-Ebene verlagert. In Wirklichkeit hatten wir viel mehr Arbeit als sonst, weil wir alles doppelt machen mussten. Es war spannend, auch in meinem Umkreis sind viele Beziehungen auseinander gegangen, weil die Leute gemerkt haben, dass es doch nicht so gesund ist, ständig aufeinander zu picken. Da lernt man sich dann wirklich kennen. Viele waren in einem permanenten Zustand der Anspannung. Ich habe das Gefühl, dass das seitdem nicht wirklich weggegangen ist. Jetzt ist die Pandemie vorbei, aber die Anspannung ist geblieben. Das drückt sich bis hin zur US-Wahl aus und es spitzt sich alles immer mehr zu. Alles wird immer härter, gröber, brutaler. Spannende Zeiten, in denen wir leben.

Bild Agnes Milewski
Agnes Milewski (c) Alice Milewski

„ICH KANN NUR SAGEN, WAS MIR PASSIERT IST UND WIE ICH DAMIT UMGEHE.“

Was kann man angesichts solcher Strömungen als Künstlerin dagegenhalten?

Agnès Milewski: Als Künstlerin ist es wichtig, immer wieder auf Themen aufmerksam zu machen. Aspekte zu beleuchten, die sonst nicht beleuchtet werden. Ich schreibe gerne über persönliche Dinge und würde mir nicht anmaßen, dass ich Lösungen für weltpolitische Probleme in meinen Songs parat habe. Schön wäre es, aber die Lösungen habe ich nicht. Ich kann nur sagen, was mir passiert ist und wie ich damit umgehe. Und vielleicht hilft es einer anderen Frau in ihrer eigenen emotionalen Welt mit ihrem eigenen Schicksal ein bisschen leichter fertig zu werden. Wenn das passiert, dann hat man als Künstlerin schon gewonnen. Wenn ich das schaffe, bin ich dankbar.

Du hast vor 17 Jahren deine erste Platte veröffentlicht. Welche Entwicklungen hast du im Musikbusiness seit Beginn deiner Karriere beobachtet?

Agnès Milewski: Der Anfang meiner Karriere war von einer irrsinnigen Naivität meinerseits getrieben. Ich habe ein paar Mal ordentlich auf die Schnauze fallen und mich wieder aufrappeln müssen. Generell kann man sagen: da geht eine Kluft auseinander. Auf der einen Seite sind wir so gesegnet, dass wir das Internet haben. Wir können uns mit Gleichgesinnten verbinden, mit Fans und mit Kollaborateur:innen. Ich kann mein Album von einem Techniker in Kanada mischen lassen, das ist kein Problem. Meine Zuhörer:innen kommen aus allen möglichen Ländern. Auch aus Ländern, in denen ich selbst noch nie war, das ist eigentlich ziemlich arg und cool. Andererseits wird alles viel kleinteiliger. Zum Streaming: man muss schon recht viel Streaming erreichen, um sich davon ein Brot zu kaufen. Im Kern bleiben die Dinge, glaube ich, wie sie immer waren: es gibt Personen und Strukturen im Musikbetrieb, die Entwicklung ermöglichen oder verhindern können. Damit ein Projekt aufgeht und die beteiligten Musiker:innen davon leben können, muss man auch das Glück haben, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Es ist hart, es ist nicht unmöglich, aber es ist auch okay, wenn es nicht so ist.

Spielst du noch mit der schottisch-irischen Band Ciúnas?

Agnès Milewski: Ja, ich liebe schottisch-irische, keltische Musik. Das ist seit meiner Kindheit eine große Liebe von mir. Ich war sieben oder acht Jahre alt und habe damals im Fernsehen zum ersten Mal eine Reportage über Schottland gesehen und bin wie angewurzelt vor dem Fernseher gesessen und ich hatte das Gefühl, als hätte ich das schon selbst erlebt. Das war wie ein Déjà-vu, bei dem man glaubt: war ich in einem vorigen Leben dort? Dieses Gefühl alles zu kennen, hat mich in Irland oder England mein ganzes Leben lang begleitet. Es ist mir so vertraut, es fühlt sich wie zu Hause an und deswegen ist mir diese Musik so nahe und ich schöpfe auch sehr viel Inspiration aus der keltischen und der irischen Musik. Es macht einfach Spaß, diese Musik zu spielen.

Insbesondere beim Gesang habe ich auch Balkan-Einflüsse herausgehört.

Agnès Milewski: Es ist lustig, dass du Balkan sagst. Ich mag Balkan-Musik sehr gern, ich mag bulgarische Chöre extrem gerne. Das ist einfach so schöne Musik. Wiedie Harmonien gesetzt sind, ist extrem inspirierend, das ist einfach diese Gänsehaut-Musik. Authentische Volksmusik mag ich, es gibt da eine ganz starke Verbindung zwischen polnischer und kroatischer Musik, weil die Völker hin und her gewandert sind und das noch immer tun und ihre Musik mitbringen. Es befruchtet sich alles gegenseitig, das finde ich schön und das ist die tatsächliche Völkerverständigung. Das ist für mich sehr inspirierend.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Agnès Milewski live

23.11.2024, The Church International Pub, Radetzkygasse 3, 1030 Wien, 20h

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Links:
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