Vom 16. bis 19. Oktober 2025 verwandelt sich die Salzburger Altstadt erneut in ein klingendes Zentrum für Jazz, World und elektronische Musik. Unter dem Motto „The city sounds together“ setzt Jazz&TheCity heuer auf ein neues Modell: Statt einer Einzelkuratorin zeichnet erstmals ein Team für die Programmentwicklung verantwortlich. Koordiniert wird es vom Kulturjournalisten und Kurator Markus Deisenberger, der gemeinsam mit Expert:innen wie Katrin Pröll und Jakob Flarer vielfältige künstlerische Impulse in das Festival einbringt. Das Ergebnis: mehr Offenheit, jüngere Zugänge, eine deutliche Stärkung der heimischen Szene – mit Acts von Muriel Grossmann bis Christoph Pepe Auer – sowie internationale Gäste wie Ben LaMar Gay, Aita Mon Amour oder Adam Ben Ezra. Im Gespräch mit Michael Ternai erläutert Markus Deisenberger das neue Festival-Konzept, erklärt, inwiefern es eine Rückkehr zu den Wurzeln bedeutet, und warum es heute wichtiger denn je ist, stilistische Grenzen zu überschreiten.
Wie kam es dazu, dass du die künstlerische Leitung von Jazz&TheCity übernommen hast – und welches Konzept steckt hinter deinem Teamansatz?
Markus Deisenberger: Grundsätzlich bin ich mit dem Festival schon sehr lange verbunden – eigentlich seit den Zeiten, als es noch von Gerhard Eder organisiert wurde. Damals habe ich als Chefredakteur von Vision Salzburg, einem Salzburger Stadtmagazin, das Festival regelmäßig begleitet und sehr umfangreich darüber berichtet. Der Altstadtverband ist in der Vergangenheit bereits einmal auf mich zugekommen und hat gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, die Programmierung von Jazz&TheCity zu übernehmen. Aus unterschiedlichen Gründen ist es damals jedoch nicht dazu gekommen. Nun war es so, dass man erneut an mich herangetreten ist, weil man mit gewissen Entwicklungen des Festivals nicht ganz zufrieden war. Daraufhin habe ich ein Konzept ausgearbeitet, das so gut ankam, dass mir schließlich die künstlerische Leitung übertragen wurde.
Von Anfang an war mir wichtig – und das ist auch das Motto der diesjährigen Ausgabe –, dass ich das Festival nicht allein gestalte, sondern gemeinsam mit einem Team. Dieses Together im Titel ist also kein bloßes Schlagwort, sondern ein echtes Programm. Ich finde, das klassische Modell, bei dem ein einzelner Kurator oder eine einzelne Kuratorin allein entscheidet, welche 60 „heißesten“ Bands aus zwölf verschiedenen Genres eingeladen werden, hat ausgedient. Viel spannender und vielfältiger wird es, wenn man sich Spezialist:innen aus den jeweiligen Bereichen ins Boot holt und gemeinsame Sache macht.
Diese Spezialist:innen sind dieses Mal Katrin Pröll und Jakob Flarer.
Markus Deisenberger: Genau.Es war von Beginn an unser Ziel, ein Stück weit „back to the future“ zu gehen und an die frühen Tage des Festivals anzuknüpfen, als Weltmusik einen deutlich größeren Stellenwert hatte. Dafür ist Katrin Pröll die ideale Partner:in. Katrin verfügt über einzigartige Kontakte in den afrikanischen Raum sowie über eine herausragende Expertise in Global Music, die ihresgleichen sucht. Und Jakob Flarer verfügt als Geschäftsführer der Saudades Booking Agency über jahrzehntelange Erfahrung im internationalen Booking. Beides wollten wir nutzen, um mit dem Festival international Akzente zu setzen.
Gleichzeitig bietet Jazz&TheCity natürlich auch der österreichischen Szene eine Bühne. Ich glaube, so viele Acts aus der lokalen und regionalen Szene waren bei diesem Festival noch nie vertreten. Viele von ihnen werden am 15. Oktober beim Pre-Opening in Altstadtlokalen zu erleben sein.
Du sprichst es gerade an. Du bist ja bekanntermaßen jemand, dem die österreichische Musikszene wirklich am Herzen liegt. Du kennst sie gut und hast in deiner Arbeit als Redakteur immer wieder einen klaren inhaltlichen Fokus daraufgelegt. Daher nehme ich an, dass es dir bei der Programmierung ein besonderes Anliegen war, auch heimische Acts auf die Bühne zu bringen.
Markus Deisenberger: Ja, das war mir ein großes Anliegen, weil die österreichische Szene unglaublich lebendig und spannend ist und einfach mehr Aufmerksamkeit verdient. In den letzten Jahren habe ich aber beobachtet, dass nur sehr wenige österreichische Acts beim Festival aufgetreten sind. Das lag auch daran, dass die Kurator:innen aus Deutschland kamen und naturgemäß die deutsche Szene besser kannten. Es gab zwar immer wieder einzelne österreichische Schwerpunkte, aber bei weitem nicht in dem Ausmaß wie dieses Mal.
Ein weiterer wichtiger Punkt war die Verbreiterung der Basis. Früher gab es bei Jazz&theCity auch Jazz in Lokalen, Bars und Gasthäusern, doch das hat sich im Laufe der Zeit verloren, und Jazz&TheCity wurde zu einem sehr spitzen, hochkarätigen Festival. Das war zwar großartig, aber wir wollten die lokale Szene wieder stärker einbinden und so das Fundament verbreitern.
Daraus entstand allerdings das Missverständnis, wir würden nun ein reines Lokal-Festival machen – was nicht stimmt. Nur weil wir ein Pre-Opening in ausgewählten Lokalen mit einem Schwerpunkt auf österreichische Acts veranstalten, heißt das nicht, dass wir ausschließlich lokale Künstler:innen präsentieren. Im Gegenteil: Dieses Mal spielen so viele internationale Acts wie selten zuvor, darunter James Brandon Lewis, Adam Ben Ezra, Pambele, Ben LaMar Gay, Hiram Salsano und Fred Frith.
Dir war es nicht nur wichtig, die lokale Musikszene stärker einzubinden, sondern auch Institutionen der Salzburger Musikwelt wieder enger an das Festival heranzuführen. So wurde etwa die Kooperation mit dem Mozarteum deutlich intensiviert, und auch mit der Veranstaltungsreihe Eleven Empire im Rockhouse konnten neue Verbindungen geknüpft werden.
Markus Deisenberger: Was ich in der Vergangenheit immer etwas schade fand, war, dass die Bands des Mozarteums meist nur in einem relativ kleinen Rahmen aufgetreten sind. Dieses Mal wollte ich die Musiker:innen des Mozarteums bewusst auf größere Bühnen holen. Gemeinsam mit Christoph Pepe Auer, Romed Hopfgartner und Benjamin Schmid – alle drei Lehrende am Mozarteum – habe ich überlegt, wie wir das umsetzen können, und wir haben die Zusammenarbeit deutlich intensiviert.
So spielt Pepe Auer nicht nur mit seiner eigenen Band, sondern hat mir auch das Fabian Schumann Trio empfohlen und tritt zusätzlich mit der Marching Band des Mozarteums auf. Auch Romed Hopfgartner präsentiert sein eigenes Projekt, ein spannendes Sextett, und ist außerdem Teil eines zwölfköpfigen Jazz-Pop-Ensembles, das im DomQuartier auftritt. Benjamin Schmid wiederum kuratiert einen ganzen Abend, an dem das Cosima Schmid Trio und die Mozarteum Strings ein spannendes Klassik-Jazz-Crossover-Programm bieten.
Erstmals gibt es außerdem eine Kooperation mit Eleven Empire. Ich war immer wieder beeindruckt, welche außergewöhnlichen Konzerte Sebastian König im Rockhouse auf die Beine stellt – etwa mit Weltmusik aus Burkina Faso, die den Saal füllt. Als ich ihn fragte, ob er sich eine Schnittmenge zwischen seiner Reihe und dem Festival vorstellen könnte, meinte er, er habe durchaus Ideen, die nicht ganz ins Rockhouse-Format passen. Jetzt realisieren wir gemeinsam Konzerte wie Jan Jelinek in der Kollegienkirche und Schmack im Jazzit. Eine großartige Zusammenarbeit, die sicherlich noch weiter ausgebaut wird. Ich bin generell für den Ausbau der Kooperationen in der Zukunft.
Du hast vorhin schon einige internationale Acts erwähnt – darunter wirklich große Namen. War es schwer, sie nach Salzburg zu holen? Spielt dabei auch der Name Jazz&TheCity eine Rolle?
Markus Deisenberger: Interessanterweise habe ich vom Booking-Team gehört, dass viele Künstler:innen sehr gerne in Salzburg auftreten möchten. Andererseits ist manches einfach finanziell nicht machbar. Wir hatten etwa die Idee, zwei Schülerbrass-Bands am Residenzplatz gemeinsam mit einer bekannten Brassband auftreten zu lassen – konzeptionell wäre das großartig gewesen, aber die meisten erfolgreichen Brassbands sind für ein Festival in der Größenordnung von Jazz&TheCity schlicht unleistbar.
Umso erstaunlicher ist es dann, wenn Größen wie James Brandon Lewis begeistert zusagen und beispielsweise im Marionettentheater spielen möchten. Natürlich achten wir auch darauf, wer gerade auf Tour ist – das erleichtert die Sache wegen der Reisekosten enorm.
Und dann gibt es Acts, die ich unbedingt im Programm haben wollte. Muriel Grossmann war für mich ein Herzenswunsch, weil ich sie für eine der spannendsten Jazzmusikerinnen überhaupt halte. Sie stammt aus Österreich, lebt derzeit auf Ibiza und ist in England eine richtig große Nummer, hierzulande aber noch relativ unbekannt. Sie zu gewinnen war mir wichtig, auch weil wir heuer einen Spiritual-Jazz-Schwerpunkt haben – und sie gilt als eine der führenden Vertreterinnen dieses Stils.
Wie wichtig ist es heutzutage eigentlich sich in der Programmierung stilistisch offener zu zeigen als früher?
Markus Deisenberger: Es beginnt eigentlich mit meiner eigenen Geschichte. Ich bin im Indierock-Underground sozialisiert und bin dann – über mein Instrument, das Saxofon – zum Jazz gekommen. In den 1990er-Jahren bin ich in Salzburg in den Jazz hineingerutscht, damals in der Elisabethbühne, wo ich regelmäßig Konzerte besuchte. Dort fanden unglaubliche Dinge statt. Ich habe dort zum Beispiel Horace Tapscott 1991 gesehen. Und es klingt vielleicht kitschig, aber dieses Konzert hat mein Leben verändert. So etwas Großartiges habe ich nur sehr selten erlebt. Auf diesem Weg bin ich also zum Jazz gekommen.
In jüngerer Zeit höre ich – sowohl in meinem erweiterten Freundeskreis als auch bei jungen Salzburger:innen – immer wieder die Meinung, Jazz sei alt, verstaubt und starr. Das ist aber ein völliges Missverständnis. Es hat nirgendwo je etwas Freieres gegeben als den Jazz, der sich stets in alle Richtungen geöffnet hat. Natürlich gab es auch immer die „Jazzpolizisten“, die auf der reinen Lehre beharrten, aber grundsätzlich war Jazz immer offen. Genau darum geht es mir: über Projekte, die ein Stück weit über den Jazz hinausgehen, Menschen für diese Musik zu interessieren, die sich bislang nicht damit beschäftigt haben. Über Formationen wie die Tanzband Pambele oder über World Music, die aus dem Hip-Hop kommt, wie bei Aita Mon Amour, kann man, glaube ich, neue Zuhörer:innen gewinnen und ihnen zeigen: Da passiert etwas – Jazz ist alles andere als verstaubt. Jazz vibriert, Jazz ist lebendig,
Im diesjährigen Programm scheinen besonders viele Schwerpunkte auf.
Markus Deisenberger: Wir wollten einfach mehrere Geschichten erzählen. Wie schon erwähnt, war uns die Öffnung hin zur World Music, zur lokalen und regionalen Szene, aber auch zum Crossover besonders wichtig. So haben wir etwa Maiija im Programm, die eigentlich eher aus dem Pop kommt, sowie zwei Acts, die der Neuen Musik zuzuordnen sind. Außerdem gibt es eine DJ-Line – etwas, das mir persönlich sehr am Herzen liegt, weil ich den Jazz auch wieder an jene Orte bringen wollte, aus denen er ursprünglich kommt: in den Club, aber ebenso in die Kirchen für den spirituellen Aspekt.
Die Idee zur DJ-Line entstand aus der Beobachtung, dass das Jazz-Publikum nach einem Konzert oft einfach nach Hause geht und erst später das Nachtpublikum kommt. Mit der DJ-Line wollen wir erreichen, dass das Jazz-Publikum länger bleibt und sich mit dem Nachtpublikum mischt. Das Programm ist bewusst so gestaltet, dass stilistische Grenzen aufgebrochen werden – mit Pop-Elementen oder mit einem Act wie Jan Jelinek, der dem Minimal Techno oder Ambient zuzurechnen ist.
Im Kern gibt es natürlich nach wie vor viel Jazz, keine Frage. Aber ich glaube, das Festival ist in alle Richtungen offen – und genau diese Offenheit wird vor allem in Musiker:innen-Kreisen sehr positiv wahrgenommen.
Ein weiterer Programmpunkt ist zum Beispiel auch „Tiefe Töne“, in dem der Bass in den Fokus gerückt wird.
Markus Deisenberger: Ja. Ich finde sehr spannend, dass es in Österreich unglaublich viele Bandleader:innen gibt, die Bassist:innen und zugleich Komponist:innen sind – und damit das verstaubte Klischee widerlegen, Bassist:innen seien bloß Sidemen, die alles lediglich zusammenhalten. Genau dem wollten wir programmatisch Rechnung tragen.
Beim Thema Bass gibt es ja völlig unterschiedliche Herangehensweisen: Pepe Auer etwa spielt ganz ohne Bass, diesen Part übernimmt seine Bassklarinette. Bei Muriel Großmann wiederum liefert die Hammond-Orgel den Bass.
Besonders freuen wir uns, mit Adam Ben Ezra einen der besten Jazzbassisten der Gegenwart präsentieren zu können – ich glaube, er tritt überhaupt zum ersten Mal in Österreich auf. Ihn wollten wir unbedingt dabeihaben.
Außerdem gibt es noch ein Projekt mit gleich drei Bassisten – Helene Glüxam, Tobias Vedovelli und Peter Herbert –, bei dem der „Altvordere“, also der Lehrer der beiden Jüngeren, Peter Herbert, gemeinsam mit seinen ehemaligen Schüler:innen spielt. Ein sehr, sehr cooles Projekt, wie ich finde.
Es ist dein erstes Jazz&TheCity-Festival, für dessen Programmierung du verantwortlich bist. Welche Erwartungen hast du selbst daran? Und woran würdest du erkennen, dass dein bzw. euer Konzept aufgegangen ist und das Festival als Erfolg gelten kann?
Markus Deisenberger: Das wird letztlich das Publikum beurteilen. Ich glaube, man spürt einfach, ob etwas funktioniert oder nicht. Ich habe schon viele Projekte erlebt, die aus ganz unterschiedlichen Gründen entweder funktioniert haben oder eben nicht.
Ein wesentlicher Punkt ist für mich, dass sich das Publikum ein wenig durchmischt – dass die Besucher:innen nicht nur ein Konzert ansehen und dann weiterziehen, während beim nächsten Auftritt ein völlig neues Publikum vor der Bühne steht. Ich wünsche mir, dass die Leute bleiben und sich für Dinge interessieren, für die sie sich vorher vielleicht nicht interessiert hätten.
Ich denke, die Chancen dafür stehen gut, weil wir dem Publikum ein Programm präsentieren, das bunter und vielschichtiger ist als zuletzt. Aber wie gesagt: Am Ende entscheidet das Publikum. Wenn nur eine einzige Person nach einem Konzert hinausgeht und – so wie ich damals nach dem Horace-Tapscott-Konzert – sagt: „Dieses Konzert hat etwas in mir verändert“, dann haben sich all die Mühen schon gelohnt.
Vielen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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Details zum Programm gibt es unter https://salzburg-altstadt.at/de/salzburgjazz/programm
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