„Don’t overthink it“ – CID RIM im mica-Interview

Mit „SPRINT“ (Lucky Me; VÖ: 27.6.) liefert der Wiener Produzent, Musiker und Songschreiber CID RIM alias CLEMENS BACHER ein Album voller Leichtigkeit und Aufbruchsstimmung – entstanden in einer prägenden Zeit unter der Sonne Mexikos. Spielerisch und vielfältig verbindet er Jazz, Pop und elektronische Beats zu einem Sound, der leicht wirkt, aber tief geht. Die Musik vermittelt Optimismus – direkt, verspielt und überraschend mühelos. Cid Rim erfindet sich dabei musikalisch auf gewisse Art neu: mit Mut zur Einfachheit, zum Loslassen und zur klaren Form. Im Interview mit Michael Ternai spricht CID RIM darüber, wie künstlerisch befreiend er seinen Aufenthalt in Mexiko-Stadt erlebte, wie sich das dortige Lebensgefühl auf seine Musik übertrug und warum er sich anfangs dennoch unsicher in Bezug auf die neue musikalische Ausrichtung fühlte.

Was war eigentlich die Motivation, für eine Zeit aus Wien wegzugehen – wolltest du generell Abstand gewinnen, oder stand ein musikalischer Aspekt dahinter?

Cid Rim: Ich war ja schon mehrere Jahre davor in London. Das Bedürfnis, aus Wien wegzugehen und zu schauen, was es sonst noch gibt, war deshalb eigentlich nicht mehr so präsent. Der Umzug nach London war für mich damals auch ziemlich naheliegend, weil ich mich der Londoner Musikszene schon immer sehr verbunden gefühlt habe – genauso wie mein ganzer Freundeskreis, inklusive The Clonious und Dorian Concept, die auch immer schon stark von London geprägt waren. Schon bevor ich überhaupt dorthin gezogen bin, war ich vier- bis fünfmal im Jahr in London. Ich habe einfach jede Gelegenheit genutzt, um dort Gigs zu spielen. Und wenn ich schon mal dort war, habe ich versucht, ein paar Tage länger zu bleiben – auf irgendeiner Couch von irgendwem.

Wie gesagt, es war für mich irgendwie klar, dass ich rübermuss. Man wird ja auch nicht jünger, und ich dachte mir: Jetzt oder nie. Dann ist auch meine Freundin nachgezogen, und wir haben ein paar Jahre dort verbracht. Irgendwann war dann der Punkt erreicht, an dem wir gesagt haben: Jetzt wird’s langsam Zeit, wieder zurück nach Hause zu gehen.

Und wie kam dann ausgerechnet Mexiko ins Spiel – Zufall oder Plan?

Cid Rim: Zur gleichen Zeit ergab sich auch die Gelegenheit, beim South by Southwest Festival in Austin, Texas zu spielen. Das öffnete mir wiederum die Möglichkeit, Joe – einen meiner besten Freunde aus London, der mittlerweile nach Mexico City ausgewandert war – zu besuchen. Ich dachte mir: Wenn ich schon in Texas bin, ist es eigentlich nur noch ein Katzensprung zu ihm. Geplant war ein Besuch von zwei Wochen. Doch schon 24 Stunden nach meiner Landung fand ein Mittagessen statt, zu dem ich einen Freund aus L.A. eingeladen hatte. Joe brachte ebenfalls einen Freund mit, und es waren noch ein paar andere Leute dabei – es kam eine richtig nette Gruppe zusammen.

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Mit dabei war auch Tomás, der Chef von N.A.A.F.I Records – dem coolen, edgy Clubmusik-Label aus Mexico City, das ich schon vorher kannte. Er meinte: „Ja super, wenn ihr beide eh schon da seid“ – Joe war wie ich früher bei LuckyMe„dann fahren wir mit den vier Artists, die auch gerade hier sind gleich ins Studio.“ Ich war zwar erst ein paar Stunden vorher in Mexico City angekommen, aber ich bin mit Joe einfach mitgegangen. Im N.A.A.F.I-Studio haben wir dann mit drei oder vier ihrer Producer einen Track nach dem anderen rausgehauen. Währenddessen hat Tomás die ganze Zeit Snacks und Drinks gebracht und uns angetrieben: „Keep going, keep going!“ Irgendwann wurde die Session dann zu einer richtigen Party. Das war Tag zwei meiner Reise – und genauso ging es im Grunde auch weiter.

Am nächsten Tag besuchte ich die Ausstellungseröffnung einer Bekannten von ihnen und lernte dort wieder eine Menge Leute kennen. Ich hatte das Gefühl, dass das eigentlich gar kein Urlaub mehr war, sondern als wäre ich – nur durch die zwei Connections, die ich dort hatte – direkt ins Epizentrum der Szene hineingedroppt worden. So ging es dann fast jeden Tag weiter: „Das könnten wir noch machen, das könnten wir auch noch machen …“ Am Ende fühlte es sich an, als wäre da irgendetwas im Wasser – alles lief viel zu reibungslos. Die Art, wie man dort Leute kennenlernt, passiert fast wie von selbst. Ich wollte natürlich länger bleiben, musste aber wegen Studiosessions und Gigs wieder zurück. Für mich war jedoch klar, dass ich nochmal zurückkommen würde, und zwar für eine längere Zeit.

Das hat dann eh nicht allzu lange gedauert.

Cid Rim:
Zuhause angekommen, habe ich sofort nachgeschaut, wann das möglich wäre – und das war dann im darauffolgenden Winter. Wir, meine Freundin und ich, waren dann drei, vier Monate dort. Ich war total inspiriert von der Stadt. Drei Mal pro Woche habe ich morgens Boxtraining gemacht, weil fast jeder aus der Clique, in die ich da reingerutscht bin, geboxt hat. Also: morgens Sport, danach frühstücken, kurz duschen – und dann direkt ins Studio. Alles, was dabei rauskam, wurde sofort verarbeitet – zu einem Demo, einem Sketch. Egal was es war, egal welche Richtung, egal wie lang – Hauptsache machen. Ich habe mir diese Zeit ganz bewusst freigeschaufelt – auch von anderen Jobs, die sonst immer wieder dazwischenkommen –, um mir genau die Bedingungen zu schaffen, unter denen ich in aller Ruhe und Entspanntheit an meiner Musik arbeiten kann. Es war wirklich herrlich: Jeden Tag ein Sketch, von Montag bis Freitag, und ansonsten einfach so dahinleben, mich von den Leuten mitnehmen lassen, viele Ausstellungen besuchen usw.

Bild des Musikers und Produzenten CID RIM
CID RIM © Luis Ramone

Irgendwann war die Zeit um, und ich hatte einen ganzen Haufen – etwa 40 bis 45 Sketches – im Gepäck. Manche nur eine Minute lang, andere länger; einige bloß als kurze Ideen, andere schon weiter ausgearbeitet – eben klassische Demos. Zurück in Wien habe ich sie meinen Freund:innen und meinem Label in London vorgespielt, um Feedback zu bekommen. Zwar war ich selbst ziemlich zufrieden mit dem, was ich gemacht hatte, aber nach meiner Rückkehr war ich doch ein wenig verunsichert – wegen der Radikalität. Die Stücke waren so positiv, so fröhlich, fast schon naiv, dass ich nicht einschätzen konnte, wie andere darauf reagieren würden.

Man hört auf jeden Fall, dass die Zeit in Mexiko musikalisch etwas mit dir gemacht hat – der positive Vibe ist deutlich spürbar. Für mich wirkt das aber keineswegs naiv. Was die Songs vielmehr vermitteln, ist eine Art Loslassen, ein Sich-treiben-Lassen nach vorne. Vielleicht liegt das auch am durchgehend hohen Tempo der Musik.

Cid Rim: Das sehe ich genauso. So hat sich nämlich auch der Arbeitsprozess angefühlt: ohne Druck arbeiten, die Dinge einfach, ohne groß nachzufragen, durch sich hindurchfließen lassen – die Einflüsse, die zu einem Demo werden, gefiltert durch den eigenen Geschmack – und zack, es funktioniert. Ich machte mir keine Gedanken darüber, wohin das führen soll: ob es eine Single wird, ein Hit, ob es überhaupt etwas mit dem Album zu tun hat. Vielleicht ist es einfach nur mein drei-, viermonatiger Musikurlaub, in dem ich losgelöst von allem erschaffen habe. Und auf diese Weise zu arbeiten, macht einfach glücklich.

Mir ist selbst erst nach und nach aufgefallen, dass die Nummern so klingen – es hat sich langsam herauskristallisiert, dass die Musik total gut zum Laufen und Sportmachen passt. Daher war der Titel „SPRINT“ für mich eine logische Wahl.

Weil du gerade gesagt hast, dass du einfach gemacht und wenig hinterfragt hast: Ich kenne dich eigentlich als jemanden, der durchaus zum Perfektionismus neigt und viel an seiner Musik tüftelt. Wie schwer war es für dich, diesen Perfektionismus gerade in der finalen Produktionsphase zurückzuhalten?

Cid Rim: Während meiner Zeit in Mexiko hat es total Sinn ergeben, sich keine Gedanken zu machen. Die Arbeit war völlig losgelöst von der Frage, ob am Ende ein Album entstehen soll oder ob die Nummern überhaupt Sinn ergeben im Kontext meiner bisherigen Diskographie. Ich habe versucht, all diese Überlegungen auszuklammern. Das fiel mir natürlich leichter, weil ich an einem völlig anderen Ort war. Die Musik ist irgendwie entkoppelt entstanden. Mir war allerdings nicht bewusst, wie stark der Ort, die Umgebung und das Ambiente meine Musik beeinflussen würden.

Bild des Musikers und Produzenten CID RIM
CID RIM © Luis Ramone

Daher glaube ich auch, dass mit dem neuen Album ein gewisser Sprung gelungen ist, im Vergleich zu meinen Alben davor. In meiner bisherigen Diskographie folgte immer ein Schritt auf den anderen. Es änderte sich immer etwas, aber immer in einem selben Amount. „Sprint“ ist da dann doch ein größerer Sprung.

Aber es war dann schon etwas schwierig für mich, wieder in Wien anzukommen. Es war wochenlang kalt, grau und regnerisch – dieses nasskalte Wetter pack ich ja überhaupt nicht. Und irgendwie hat mich diese Stimmung auch ein bisschen an meinen Demos zweifeln lassen: Ist das nicht doch zu viel von allem? Da war ich dann echt dankbar, dass ich noch genug von diesem Flow aus Mexiko mitgenommen hatte, um zu sagen: „Hey, ich komme alleine gerade nicht weiter – ich hole jetzt einfach meine besten Freunde mit ins Boot.“

Das ist ja auch etwas ganz Neues an deinem Arbeitsprozess.

Cid Rim: Genau. Sonst habe ich eigentlich immer bis fast ganz zum Schluss alleine gearbeitet und alle wichtigen Entscheidungen nur mit mir selbst ausgemacht. Erst beim letzten Album habe ich dann zumindest das Mischen und Mastern teilweise abgegeben – und da zum ersten Mal auch ein bisschen die Ohren anderer akzeptiert.

Diesmal hatte ich aber schon das Bedürfnis, mir früher Unterstützung zu holen. Ich hatte das Gefühl, da und dort fehlt noch etwas, an einer Stelle bräuchte es noch den und den Part, da unbedingt eine Bridge, dort was ganz anderes.
Es war mir fast ein bisschen unangenehm, wie ehrlich und roh das Ganze da stand. Also habe ich mir Hilfe geholt – von meinen Freunden Dorian Concept und The Clonious. Und ich war echt überrascht über ihr Feedback: Sie meinten, ich solle gar nicht mehr viel dazutun, sonst würde ich es mir kaputt machen. Sie sagten: „Es ist alles da – du musst es dir nur in Ruhe anschauen. Da sind sowieso zwei starke Teile, mach einfach A-B-A-B, nicht A-B und dann irgendwas Kompliziertes.“

Ich habe dann einfach ein paar Tipps bekommen und ohne viel nachzudenken die Dinge umgesetzt. Ich habe ein paar Sachen, bei denen ich mir dachte, da braucht es noch etwas, neu aufgenommen, für Lücken, die noch da waren, etwas Text geschrieben. Ich habe einfach so drauflosgearbeitet und die Nummern fertiggestellt. Und das, ohne mir viele Gedanken zu machen. Und den anfänglichen Disconnect mit dem Material aus Mexiko den ich in Wien hatte, haben mir meine Freunde genommen mit: „Es ist alles da, trust your process.“

Auf dem Weg, nachdem ich die ersten paar Nummern aufgenommen hatte, ist mir ziemlich schnell aufgefallen, was für ein fragiles Konstrukt das alles ist – und dass, wenn man im Nachhinein herumdoktert, das alles zusammenfällt.

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Die Nummer „Yes“ zum Beispiel. Der Text besteht eigentlich nur aus dem Wort „Yes“, 164 Mal hintereinander. Kompakter geht es kaum. Wenn man da ein bisschen etwas verändert oder versucht, eine Strophe hinzuzufügen, funktioniert das einfach nicht mehr. Es muss genau so bleiben, wie es ist.
Im Prozess ist mir klar geworden, dass man diese Demos vor zu viel Herumdoktern schützen muss.

Ist dieses bewusste Zurückfahren der Experimentierfreude nicht eigentlich das größte Experiment für dich bei diesem Album?

Cid Rim: Ja, genau das. Einfach mal den Kopf ausschalten und die Dinge passieren lassen. Dabei hat mir auch diese kreative Bubble geholfen, in der ich in Mexiko war. Die Menschen dort sind total entspannt. Viele sind sehr spirituell. Sie schöpfen einfach aus dem Vollen, was Spiritualität betrifft.

Die Kirche ist zwar präsent, aber hat es nicht geschafft die ganzen anderen spirituellen Strömungen zu vernichten. Andere Weltanschauungen haben weiterhin Bestand. Es gibt ein bisschen Aberglauben, ein bisschen Aztekisches und vieles, das aus anderen Teilen der Geschichte kommt. Vielleicht sind die Menschen dort deshalb auch so offen für mentale Gesundheit. Sie gehen zur Psychotherapie, aber gleichzeitig auch einmal im Monat zu einer Hexe, wo sie mit einem Feuerbündel abgeklopft werden.

Das ist dort völlig normal und koexistiert ganz selbstverständlich nebeneinander. Man trifft viele Menschen, die in einem ganz eigenen kreativen Flow sind – vor allem Künstler:innen. Sie gehen sehr bewusst mit diesem Flow um, mit dem Vertrauen ins Zulassen. „Don’t overthink it“ – einfach machen.

Das Album stellt sich mit der lebensbejahenden Stimmung, die es vermittelt, auch gegen die vielen tragischen Ereignisse und Entwicklungen, die sich heute zutragen. Kriege, Klimakrise usw.

Cid Rim: Ich habe immer versucht, Musik zu machen, die ich selbst gerne hören würde. Du stehst im Plattenladen, stöberst durch die Regale und entdeckst etwas, das dich wirklich anspricht. Du hörst einen Track, der ganz anders klingt als alles, was du bisher gehört hast. Genau dieses Gefühl war für mich immer der Antrieb: die Lücke in meinem eigenen Hörverhalten zu füllen – mir selbst die Musik zu schaffen, die ich selber gerne höre.

Wir leben in einer Zeit, in der die Welt komplexer und herausfordernder wird – Corona, die politische Lage, die Klimakrise. Das verunsichert viele Menschen. Gerade bei jungen Leuten spürt man das stark: Sie verarbeiten ihre Ängste und ihren Frust in ihrer Musik. Und ich finde das grundsätzlich gut – nur merke ich für mich persönlich, dass mir das nichts bringt, depressive Musik zu hören. Ich bin nicht der Typ, der sich bewusst im Negativen suhlt. Natürlich nehme ich Krisen wahr, denke mir ‚Scheiße‘ – aber überlege sofort: Wo liegt die Chance in dieser Situation? Wie kann ich das so drehen, dass etwas Positives daraus entsteht?

Das ist für mich der einzige Weg, mit negativen Dingen umzugehen. Ich merke auch, dass mein eigenes Hörverhalten sich davon entfernt – ich suche nach Musik, die uplifting ist und etwas Positives oder Aufbauendes hat. Und genauso war das auch immer in meiner eigenen Musik. Die richtig traurigen Songs kann ich an einer Hand abzählen. Optimismus ist für mich der einzige Weg.

Vielen Dank für das Interview.

Michael Ternai

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Album Release Konzert
31. Oktober 2025, Porgy & Bess, Wien

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Links:
Cid Rim
Cid Rim (Instagram)
Lucky Me