„Das Plastik spielt mich!“ – Christine Hinterkörner (Crystn Hunt Akron) im mica-Interview

Crystn Hunt Akron aka Christine Hinterkörner macht tanzbare Musik aus Plastik, d.h. sie bringt Plastikmüll aus dem Ozean so zum Klingen, dass das Resultat – wie auf dem soeben erschienenen Album „Plasticphonia“ eindrucksvoll zu hören – in Clubs überzeugt. Oder im Museum, je nach Setting. Trash goes music! Mit Markus Deisenberger sprach sie über ihre Faszination für Kirchen, den Reiz, aus Nichtmusik Musik zu machen und wieso das erschreckend und cool zugleich ist.

Du komponierst mit den Geräuschen von Plastikmüll. Durch das Bewegen des Materials werden aus Plastikteilen wie Bürsten, Säcken und Bechern Klänge erzeugt. Der Müll fungiert als Instrument, Plastikabfall wird zu Musik. Wie bist du zum Thema Plastikverschmutzung gekommen?

Christine Hinterkörner: Plastikverschmutzung war eigentlich gar nicht in erster Linie das Thema, sondern es war damals Lockdown, und da hat es geheißen, man dürfe nur einmal in der Woche rausgehen, um Lebensmittel einzukaufen. Also habe ich mich mit einem Berg von Bio-Lebensmitteln eingedeckt und irgendwann einen doppelten Berg Plastikmüll gehabt. Da habe ich gesehen, was allein ich an Plastikmüll verursache.

D.h. du tust dir etwas Gutes und dem Planeten vielleicht auch, weil du die Bio-Landwirtschaft förderst, aber dann verursachst du dadurch auch Schlechtes.

Christine Hinterkörner: Genau, das war für mich schon sehr konträr. Ich habe mir gedacht, das gibt es ja gar nicht: Du kaufst Bio-Lebensmittel und es ist doppelt so viel Plastik da. Ich habe schon immer gewusst, dass Plastik-Verschmutzung ein Thema ist, genauso wie Klimawandel und Global Warming. Aber da ist es mir erst richtig bewusst geworden. Vorher habe ich mir gedacht: Naja, das wissen wir eh. Dann habe ich das Plastik angegriffen und gemerkt, dass es verschiedenste Geräusche macht. Und da ist mir ein vergangenes Projekt eingefallen, die Frachtschiff-Symphonie, die ich in Rijeka zu den Kulturhauptstadt-Feierlichkeiten präsentiert habe. Da habe ich aus den Geräuschen des Frachtschiffes eine Komposition gemacht. Warum also nicht aus den verschiedenen Sounds, die Plastik macht, eine Komposition machen?

Wie klingt Plastik im Vergleich zu einem Frachtschiff? Man könnte meinen, Plastik sei ein bisschen hohl und banal, aber deine Sounds klingen alles andere als banal. Man kann offensichtlich mehr rausholen als gedacht?

Christine Hinterkörner: Du sagst es eigentlich ganz gut. Hohl und banal. Das ist es. Plastik klingt sehr perkussiv, nicht melodiös. Es war deshalb superschwer, daraus Musik zu machen. Es ist sehr perkussiv geworden, das Ganze, technoid. Und es ist total spannend, finde ich, dass es möglich ist, mit Plastik Musik zu machen, die man in Clubs spielen kann.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Du hast wirklich nur Plastik-Sounds verwendet?

Christine Hinterkörner: Nichts sonst, außer ein paar Voice Samples von Climate Change Speakers. Da habe ich ein paar Mini-Samples genommen, die den Klimawandel thematisieren. Ich habe natürlich schon Höhen angehoben, Bässe angehoben, damit es einfach an Stärke gewinnt.

Wie kann man sich das Procedere vorstellen? Du bist viel gereist und hast mit Aktivist:innen Müll gesammelt?

Christine Hinterkörner: Ich bin zunächst alleine gereist, war dann aber unter anderem mit Greenpeace unterwegs, wo wir gemeinsam Plastikmüll gesammelt haben. Mich interessiert ja vorwiegend das Plastik, das aus dem Meer kommt. Und es ist ziemlich erschreckend, wie viel das ist. Auf Mallorca gibt es ganze Strandabschnitte, die bunt sind vor lauter Mikroplastik. Es ist sehr bedenklich, was in unserem Wasser schon überall drinnen ist. Das ganze Plastik, wir nehmen es mit dem Wasser täglich zu uns.

Du hast in einem Interview gesagt, im Ausmaß einer Bankkarte.

Christine Hinterkörner: Pro Woche. Wenn man sich tatsächlich 52 Scheckkarten vorstellt, die man da isst, ist das schon heftig.

„Trash Goes Music“ lautete ein Slogan, mit dem für dein Album „Plasticphonia“ geworben wird. Trash aber ja eine ganz spezifische Bedeutung in der Musikwelt. Trash ist das Ausgangsmaterial, aber Trash ist nicht, was du daraus machst. Die Musik ist vielmehr sehr sophisticated. Mit den Visuals dazu ist es eigentlich eher ein Gesamtkunsterlebnis, oder?

Bild der Künstlerin Crystn Hunt Akron
Crystn Hunt Akron © Nora Forsthuber

Christine Hinterkörner: Ja, das trifft es. Bei der Visualisierung sieht man den Prozess, wie ich diese Musik herstelle. Weil sonst könnte man ja denken, das sei einfach Clubmusik. Mir war es ganz wichtig zu zeigen, wie ich die Musik mache. Und da ist die Visualisierung ein ganz wichtiger Part, der am Anfang zeigt, wie der Prozess abläuft und dann in eine Fantasiewelt übergeht. Oder in echte Plastikmüllgeschichten. Was mir aber auch wichtig ist, dass man es dann noch einmal kunstvoll transformiert. Ich bin keine Aktivistin, sondern Musikerin und Künstlerin. Ich mache einfach Musik aus angeschwemmten Plastikmüll. Was mich daran interessiert ist, aus Nichtmusik Musik zu machen.

Aber gibt es Momente, in denen der Aktivismus hochkommt und die dich zwingt, dich bewusst auf die Rolle als Musikerin zu konzentrieren?

Christine Hinterkörner: Das schwebt immer mit und spielt immer mit. Aber ich konzentriere mich auf die Musik.In erster Linie bin ich Musikerin, Künstlerin. Mich interessiert es, aus Nichtmusik Musik zu machen. Das ist mein Anspruch. Das finde ich spannend.

Die deutschen Elektronik-Pioniere Kraftwerk haben immer behauptet: „Nicht wir spielen die Maschinen, die Maschinen spielen uns.“ Ist dein Ansatz ähnlich?

Christine Hinterkörner: Genau gleich.

Das Plastik spielt quasi dich?

Christine Hinterkörner: Ja, genau so ist es. Am Anfang ich habe mir gedacht, okay, da werden ganz tolle Kompositionen daraus entstehen, aber letztlich spielt mich das Plastik. Das Plastik sagt mir, was möglich ist. Genau so war es auch beim Frachtschiff.

Was hast du für eine musikalische Sozialisation? Du kommst aus der elektronischen Musik, oder? Aber du hast auch Jazzgesang studiert.

Christine Hinterkörner: Ich habe Jazzgesang studiert, und dann Pop-Songs gemacht. Jazz, Elektronik, Pop-Songs. Zunächst als Madame Humtata und dann als Crystn Hunt Akron. Das ist mehr elektronisch und mehr in die künstlerische Schiene gegangen. Wenn man es jetzt so betrachten möchte.

Du gehst mit „Plasticphonia“ quasi in die Dance-Culture. Du kannst es aber auch genauso im musealen Kontext umsetzen.

Christine Hinterkörner: Das ist gerade das Spannende. Dass es so vielseitig ist, das Ding. Ich habe auch Performances in Kirchen sehr gerne, wo ich sehr viel zusammenmische, von Tradition über Klassik bis Elektronik. Ich finde es immer spannend, etwas zusammenzuführen, was nicht zusammenpasst. Ich habe auch schon Workshops gegeben, zum Beispiel in Kairo mit Künstlerinnen aus dem arabischen Raum, und habe dort Konzerte gespielt, was supercool war, weil das Thema Plastik dort nochmal eine ganz andere Bedeutung hat. Gefühlt ist dort überall Plastik. Für kommendes Jahr ist auch ein Konzert in der Garbage City geplant. Das ist ein Viertel in Kairo. Slums, wo es Fabriken gibt, wo wirklich Plastik recycelt wird. Dort drinnen in der Garbage City gibt es in einem Felsen die Cave Church. Dort werde ich spielen.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Die Platte ist ja auch aus recyceltem Material gemacht worden…

Christine Hinterkörner: Ja, und jede Platte hat eine andere Farbe, andere Muster. Jedes Stück ist wirklich ein Unikat.

Gibt es sonst nachhaltige Effekte?

Christine Hinterkörner: Wie meinst du das?

Naja. Was du an Plastikmüll sammelst, um damit Sounds zu erzeugen, liegt jetzt nicht mehr am Strand herum.

Christine Hinterkörner: (lacht) Ja, das ist der erste Nachhaltigkeitseffekt. Aber das Album ist auch lokal produziert. Da habe ich immer geschaut, dass ich das überall durchziehe.

Aber schafft es auch Bewusstsein in dem Sinne, denkst du, dass Leute sorgsamer mit Plastikmüll umgehen, wenn sie deine Show gesehen haben?

Christine Hinterkörner: Das passiert quasi automatisch. Man geht zu einer Party, schaut sich das an und denkt sich, aha, cool, Wahnsinn. Man geht aber zusätzlich dazu noch mit etwas anderem heim. Man hat dazu getanzt, was ich schräg finde, weil es ja ein arges Thema ist. Aber man wird als Zuhörer:in irgendwie anders daran herangeführt. Nicht, indem ich jetzt die Welt erkläre, sondern ich zeige nur etwas auf.

Du hast die Kirche als Spielort angesprochen. Wieso hast du so ein Faible für Kirchen?

Christine Hinterkörner: Eine Kirche ist ein sehr interessanter Raum. Da ist so viel möglich, da passieren eigenartige Sachen. Es ist speziell mystisch. Ich finde meine Kunst passt gut da rein. Ich habe früher immer jeden Sonntag in Kirchen gesessen, weil meine Eltern 25 Jahre lang Mesner waren. Schon allein deshalb habe ich einen speziellen Bezug dorthin.

Du hast also keine Abneigung ausgefasst, weil du hingehen musstest?

Christine Hinterkörner: Ich bin jetzt keine Kirchengeherin geworden, aber ich habe auch kein Trauma deshalb. Meine Eltern haben das so gelebt, und es hat total gepasst für sie. Für mich halt nicht.

Du hast dich in einem deiner Projekte auch intensiv mit KI beschäftigt. Was war es, das dich daran interessiert hat?

Christine Hinterkörner: Die Angst, die viele verspüren. Ich glaube schon, dass durch die KI sehr viele Jobs wegfallen werden. Ich wollte mich damit auseinandersetzen, um zu wissen, was das überhaupt ist. Was bedeutet KI überhaupt für mich? Durch das Projekt ist mir ein wichtiger Zugang gelungen. Ich habe es spannend gefunden, erschreckend und cool. Die ganze Bandbreite war dabei, als ich Bruckner auferstehen ließ. Es war eine kreative Auseinandersetzung und natürlich war das auch ein super Thema, um mit der Ars Electronica zusammenarbeiten zu können. Aber für mich bin ich zu der Conclusio gekommen, dass ich Musik selber mache, weil das meinen Tag besser macht. Das Komponieren erfüllt mich. Deswegen mache ich Musik. Wenn ich Prompts in die KI eingebe, kann das schon lässig sein, was da rauskommt, und ich bin überrascht über das Ergebnis und beeindruckt, was alles möglich ist. Aber es ist nicht das gleiche Gefühl, das ich habe, wenn ich selber komponiere oder selber singe.

Inwiefern verändert das Setting – Club, Museum oder Kirche – deinen Auftritt?

Christine Hinterkörner: Das Setting zum Beispiel in Dresden war so, dass die Visuals auf das japanische Palais drauf projiziert worden ist. Das ist natürlich großartig, weil das eine ganz andere Projektionsfläche ist als üblicherweise. Der coolste Auftritt war – von der Visualisierung und Musik zusammen – im Deep Space der Ars Electronica, weil es einfach dafür gemacht ist. Du hast da acht Meter Videoleinwand und tauchst völlig ein in die Welt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

++++

Links:
Crystn Hunt Akron
Crystn Hunt Akron (Instagram)