Darmstädter Ferienkurse

Zufall, Geräusch, Stille. John Cage war es, der diese Begriffe in sein Schaffen integrierte und damit die Grenzen des als Musik betrachteten Gebildes drastisch erweiterte. Heuer wäre der Amerikaner mit seinem einnehmenden Lächeln 100 Jahre alt geworden, und auch sein Todestag jährt sich zum 20. Mal. Grund genug also, ihn bei Festivals ebenso wie auch bei Ausstellungen hochleben zu lassen. Da machen selbstverständlich auch die Darmstädter Ferienkurse keine Ausnahme, denn Cage war selbst einer ihrer Teilnehmer und hat mit seinem damals polarisierenden Schaffen für Diskussionsstoff sorgte. Nun widmen man sich dem Jubilar nicht nur durch das Spielen seiner Werke und mit Fragen der Aufführungspraxis, sondern nähert sich ihrerseits den musikalischen Rändern an – sei es in rein musikalischer Weise, in Verbindung zu anderen Künsten oder in Fragen der Interpretation. Was Rang und Namen in der Neuen Musik hat, ist hier vertreten, und so finden auch etliche österreichische VertreterInnen den Weg in die südlich von Frankfurt gelegene Stadt, um sich in Werkstattsituationen, Workshops und Lectures auszutauschen, zu diskutieren und vielleicht auch Neues zu entwickeln.

Zu einer musikalischen Seltenheit zählt etwa Cagese „Williams Mix“ – eine achtkanalige Tonbandkomposition, für die Cage seinen Zufallsprinzipien folgend eine Partitur anfertigte, um anhand dieser unzählige Tonbandschnipsel in mühsamer Kleinstarbeit zu einem nur gut vierminütigen Stück zusammenzufügen. Werner Dafeldecker und Valerio Tricoli wagten sich nun an dieses elektroakustische Frühwerk heran und schufen anhand der auseinandergenommen Sounds sowie in Erweiterung durch die visuelle Komponente mittels Live-Video von Lillevan einen „Williams Mix Extended“, der bei den Darmstädter Ferienkursen präsentiert wird. Wie ein roter Faden zieht sich das Arbeiten mit bereits vorhandenen Materialien durch das Programm. So etwa auch in den Filmen von Martin Arnold, der durch das Vorwärts- und Rückwärts-Abspielen kurzer Sequenzen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten aus alten Schwarz-Weiß-Filmen eine Meta-Arbeit schafft, bei der durch das unübliche Abspielen auch interessante klangliche Muster entstehen; für „Hounted House“ verwendet er einen Cartoon aus den 1940er Jahren, bei der eine Comicfigur in unübliche Erscheinung tritt.

Auf bestehendes Material greift auch Jorge Sánchez-Chiong zurück, wenn er seine Turntables zum Einsatz bringt und musikalisch Vorgefertigtes durch Scratchen und elektronische Bearbeitung in Veränderter Art und Weise erklingen lässt. Gleich zwei Uraufführungen gibt es von ihm zu hören – eines mit dem Mivos Quartet und mit Martin Siewert, mit denen er bereits zusammengearbeitet hat. Eine klare Zuordnung ist hier durch die unterschiedlichen Einflüsse aus elektronischer Musik, Komposition und Improvisation nicht mehr zu treffen. Für sein Auftragswerk der Darmstädter Ferienkurse hingegen verbindet er ein elektronisch verstärktes Ensemble mit Tape und Video. Dass Sánchez-Chiong sich nicht einem vorherrschenden Stil anschließt, ist seinen KennerInnen hinlänglich bekannt – wie er damit umgeht, verrät er in seiner Lecture „Komponieren jenseits der Erwartungen des Neue-Musik-Mainstream“.

Eine Meisterin im Umgang mit elektronischen Materialien in Kombination mit Instrumenten ist in Eva Reiter zu finden. Dabei begibt sie sich auf klangliche Recherchen, lotet sie die Möglichkeiten der mit Alter Musik assoziierten Instrumente aus und eröffnet damit neue musikalische Felder. In diese führt sie etwa in „Konter“ mit Bassblockflöte und Zuspielband; in weitaus experimentellere Gefilde wagt sie sich jedoch mit ihren Kollegen Tom Pauwels und Stefan Prins, wenn sie die heterogenen Klänge von Viola da Gamba und E-Gitarre, die zudem äußerst unterschiedlichen sozialen Umfeldern entstammen, in Verbindung bringen. Von den Grenzen der Stile lässt sich auch Bernhard Gander nicht einschränken, denn in seine überwiegend mit instrumentalen Mitteln gestalteten Werke greifen Heavy Metal, Comics und Alltagsgeräusche ebenso auf wie gelegentlich auch Barock oder die Anfänge der Neuen Musik.

Nicht nur die Hinwendung zu elektronischen Mitteln und Improvisation zeigt, dass die Darmstädter Ferienkurse seit ihrer Gründung 1946 weiter auf der Suche nach Neuem sind. Denn mit dem erstmals stattfindenden Studio Interpretation wird die Suche nach anderen Formen der Auseinandersetzung fortgesetzt: Marino Formenti und Pierluigi Billone nehmen anhand von Repertoirestücken Aufführungspraxis und Interpretation ins Blickfeld – Stoff für intensive Diskussionen ist hierbei allemal gegeben. Zudem geben Eva Furrer und Uli Fussenegger Einblicke in die Interpretation Neuer Musik. Ein Pflichttermin also für alle, die in interaktiven Austausch mit KollegInnen zu treten und sich davon zu Ungewöhnlichem anregen zu lassen. (dw)